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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Ein heitrer Ort war's eh'mals, wie man sagt,
Jetzt ist er's nicht – es ruht auf ihm ein Fluch.

Wordsworth.

Der Platz, auf welchem das Scharmützel vorfiel und Lady Evelinen's Befreiung zu Stande gebracht wurde, war ein wilder, einsamer Ort, der aus einer kleinen Ebene bestand. Sie bildete eine Art von Ruheplatz, zwischen zwei rauhen Felspfaden gelegen, von denen der eine sich von dem Strome unten hinauf wand, indeß der andere weiter hinauf in die Felsen führte. Umgeben von Bergen und Wäldern, war dieser Platz seines reichlichen Wildes wegen berühmt, und in früheren Zeiten hatte ein Walliser Fürst, durch seine Gastfreiheit und Neigung zum Becher und Waidwerk ausgezeichnet, hier eine Jagdhütte errichtet, wo er seine Freunde und Begleiter mit einer in Kambrien unerhörten Verschwendung zu bewirthen pflegte.

Die Phantasie der Barden wird stets durch Glanz und Pracht gewonnen, und da sie eben den Hauptgattungen der Verschwendung dieses Fürsten nicht abgeneigt waren, so hatten sie ihm den Beinamen Edris der Becherfürst Ob es sich dabei um Idris Gawr (Idris the Giant; ca. 560-632), den König von Meirionnydd, handeln soll, oder ob die Figur gänzlich fiktiv ist, muss dahingestellt bleiben. - Das Grab des historischen Idris, Gwely Idris, soll sich irgendwo auf dem Cadair Idris (wörtlich »Stuhl des Idris«), einem walisischen Berg, befinden. gegeben. Ja, sie ertheilten ihm in ihren Gesängen so hohe Lobsprüche, wie nur die Helden des berühmten Hirlas Horn »The Hirlas Horn« ist eine walisische Ballade (182 Verse) von Owain Cyfeiliog (ca. 1130-97). Das Hirlas-Horn selbst war ein langes, blaues und mit Silber eingefasstes Trinkhorn, das auch verwendet wurde, um auf dem Schlachtfeld Alarm zu blasen. gepriesen werden können. Der Gegenstand ihres Lobes fiel aber endlich als ein Opfer seiner Schwelgerei, denn er ward bei einer der blutigen, verworrenen Scenen, die öfters diese wüsten Gelage beschloßen, in der Trunkenheit erstochen. Ueber dies Ereigniß empört begruben die versammelten Britten die Ueberreste des Fürsten an dem Orte, an welchem er fiel, in jenem engen Gewölbe, worin Eveline eingekerkert gewesen war. Nachdem sie den Eingang durch Felsmassen versperrt hatten, errichteten sie darüber einen ungeheuren Steinhaufen, auf dessen Gipfel sie den Mörder dem Tode weihten. Der Aberglaube bewachte den Ort, und Edris Grabmal blieb viele Jahre ungestört, als die Jagdhütte schon längst in Trümmer zerfallen und selbst die Spur davon gänzlich verschwunden war.

In späterer Zeit hatten einige herumstreifende Räuberbanden der Walliser den geheimen Eingang entdeckt, und ihn in der Absicht geöffnet, in der Gruft nach alten Schätzen und Waffen zu suchen, die man in alten Zeiten öfters in die Gräber der Todten niederzulegen pflegte. Sie sahen sich indeß getäuscht, und die Entweihung von Edris Grabmal gewährte ihnen nichts als einen geheimen Schlupfwinkel, den sie zur Aufbewahrung ihrer Beute, oder auch im Nothfalle als Zufluchtsort benutzen konnten.

Als Damians Gefährten, fünf oder sechs Reiter, die Ereignisse jenes merkwürdigen Tags Wilkin Flammock mittheilten, vernahm er, daß Damian ihnen befohlen hatte, mit Tagesanbruch zu Pferde aufzubrechen, und zwar in viel größerer Anzahl, um, wie sie verstanden hätten, einem Trupp von aufrührerischen Bauern entgegen zu ziehen. Plötzlich aber habe er seinen Plan geändert, und seine Mannschaft in kleine Abtheilungen trennend, habe er sich ihrer bedient, um mehrere Bergpässe zwischen Wales und den Gränzlanden in der Nähe von Garde Doloureuse in Augenschein zu nehmen. Schon öfters sey dies seine Gewohnheit gewesen und habe daher auch diesmal keine besondere Aufmerksamkeit erregt. Dieser Maßregel bedienten sich die kriegerischen Gränzlords häufig, um die Walliser im Allgemeinen einzuschläfern, hauptsächlich aber die Banden der Geächteten, die von keiner Regierung abhängig, diese wilden Gränzen beunruhigen, mehr einzuschränken. Doch bemerkte man nicht ohne Befremden, daß Damian in dem Augenblicke, wo er dieser Pflicht oblag, den Plan aufzugeben schien, die Empörer aus einander zu sprengen, was man doch für den Hauptzweck dieses Tages gehalten hatte.

Fast Mittag war es, als er glücklicher Weise mit einem der flüchtigen Reiter zusammentreffend, die Nachricht von der Gewaltthätigkeit vernahm, welche Lady Eveline erlitten hatte. Durch die genaue Kenntniß der Gegend war er mit seinen Begleitern im Stande, den Räubern bei dem Edris-Passe zuvor zu kommen, durch welchen die Walliser Streifparthien gewöhnlich in das Innere des Landes zurück zu kehren pflegten. Wahrscheinlich kannten die Räuber nicht die geringe Macht, welche Damian bei sich hatte und waren sich zu gleicher Zeit wohl bewußt, daß eine unmittelbare und heiße Verfolgung ihnen bevorstand. Ihr Anführer fühlte sich dadurch zu dem seltsamen Entschlusse bewogen, Evelinen in dem Grabgewölbe zu verbergen, während einer der Räuber, in ihre Kleider gehüllt, dazu dienen konnte, die Angreifenden zu täuschen und sie von dem Orte, wo das Fräulein verborgen war, hinweg zu locken, wohin sie, sobald ihnen dieß gelang, ohne Zweifel zurück zu kehren gedachten.

Demzufolge hatten sich die Räuber schon vor dem Grabmale aufgestellt, zum regelmäßigen Rückzug bereit, falls sie nicht einen sichern Punkt finden sollten, um den Feinden die Spitze zu bieten. oder, im Falle sie überwunden würden, ihre Pferde zu verlassen und sich zwischen den Felsen zu zerstreuen, um den Angriff der normännischen Reiterei zu vermeiden. Diesen Plan vereitelte der hastige Ueberfall Damians, der, als er Evelinens Mantel und Feder in dem Nachtrab ihrer Parthei zu erblicken wähnte, sie wüthend angriff, ohne die mindeste Rücksicht weder auf ihre große Ueberzahl, noch auf seine leichte Bewaffnung, die, blos in einem Helme und einem Wamse von Büffelleder, bestehend, den Walliser Wurfspießen und langen Messern keinen hinlänglichen Widerstand darbot. Er ward daher schwer beim Angriffe verwundet, ja, er wäre ohne Rettung verloren gewesen, hätten seine Begleiter nicht tapfer gefochten und die Walliser die Besorgniß genährt, während sie hier den Kampf fortsetzten, hinterwärts überrumpelt zu werden von Evelinen's Vasallen, die jetzt wahrscheinlich schon alle bewaffnet anrückten. Demzufolge zogen sie sich zurück oder entflohen vielmehr, indeß Damian seinen Begleitern gebot, ihnen schleunigst nachzusetzen, und unter keiner Bedingung die Verfolgung aufzugeben, bevor die gefangene Gebieterin von Garde Doloureuse ihren Entführern entrissen sey.

Die Räuber, durch ihre Kenntniß der Pfade und durch die Schnelligkeit der kleinen Walliser Klepper gesichert, machten einen geordneten Rückzug, zwei oder drei Mann ihres Nachtrabs ausgenommen, welche Damian bei seinem wüthenden Angriffe niederhieb. Von Zeit zu Zeit Pfeile auf die Reisigen abschießend spotteten sie über die vergeblichen Anstrengungen, womit die schwer gewaffneten Krieger auf ihren gepanzerten Pferden sie einzuholen strebten. Aber die Scene änderte sich bei der Erscheinung Wilkin Flammocks auf seinem mächtigen Streitrosse, der so eben an der Spitze von Fußvolk und Reitern den Felsen emporklimmte. Die Furcht, sich abgeschnitten zu sehen, bewog die Räuber, zu dem letzten Hülfsmittel ihre Zuflucht zu nehmen. Indem sie ihre Walliser Klepper entlaufen ließen, flüchteten sie sich in die Felsen und täuschten so im Allgemeinen alle Pläne ihrer Verfolger. Doch nicht alle waren gleich glücklich; Einige fielen Flammocks Parthei in die Hände, und unter ihnen war derjenige, den man in Evelinens Kleider gehüllt hatte, der sich aber jetzt, zur großen Kränkung seiner Verfolger nicht als die Dame auswies, die sie so gern befreien wollten, sondern als ein schön gelockter junger Walliser, dessen wilde Blicke und abgebrochene Reden auf Geisteszerrüttung zu deuten schienen. Dies würde ihn nicht von unmittelbarem Tode gerettet haben, dem gewöhnlichen Schicksale der in solchen Scharmützeln Gefangenen, wenn nicht Damians schwacher Stoß in's Horn seine Begleiter zurückgerufen und auch Wilkin Flammocks Parthei Rückkehr geboten hätte. In der Verwirrung und Eile, womit man diesem Signale gehorchte, vergönnte das Mitleid oder die Geringschätzung seiner Wächter dem Gefangenen zu entkommen. Auch hätten sie in der That wenig von ihm erfahren können, wäre er auch zur Mittheilung geneigt oder fähig gewesen. Alle waren völlig überzeugt, ihre Gebieterin sey einem Hinterhalte in die Hände gefallen, den David der Einäugige, ein gefürchteter Freibeuter jener Zeit, gebildet habe, in der Hoffnung, ein starkes Lösegeld für die Gefangene zu erhalten. Ueber diese freche Kühnheit empört, gelobten Alle, sein Haupt und seine Glieder den Adlern und Raben zur Speise zu weihen.

Dies waren die einzelnen Umstände, welche Flammocks und Damians Begleiter sich gegenseitig über die Ereignisse des Tags mittheilten. Ueber den rothen Teich zurückkehrend fanden sie Frau Gillian, die nach manchem freudigen Ausrufe über die Rettung ihrer Gebieterin und eben so viel schmerzlichen Ausbrüchen über Damians Unfall, ihnen die Nachricht mittheilte, daß der Kaufmann, dessen Falken die ursprüngliche Veranlassung dieser Abenteuer gewesen waren, von einigen Wallisern auf ihrem Rückzug als Gefangener weggeführt worden sey; ja ihr selbst und dem verwundeten Raoul habe ein gleiches Schicksal bevorgestanden. Allein glücklicher Weise hätten die Räuber kein Pferd übrig gehabt, sie darauf mitzunehmen, und der alte Raoul hätte ihnen weder eines Lösegeldes, noch der Mühe werth geschienen, ihn zu tödten. Zwar hätte einer wirklich einen Stein nach ihm geworfen, als er auf dem Rasen hingestreckt lag, glücklicher Weise aber wäre er kurz vor ihm niedergefallen.

»Es war nur ein kleiner Bursche, der ihn schleuderte,« sagte sie, »allein ein dicker Mann war ebenfalls dabei, der, falls er diesen Wurf gethan, ihn durch die Gnade Unserer Frau wohl etwas weiter befördert haben würde.«

So sprechend erhob sich Frau Gillian vom Rasen empor und ordnete ihre Kleidung, um wieder ihr Pferd zu besteigen. Der verwundete Damian ward auf die von Baumästen verfertigte Tragbahre gelegt und bildete nebst den Frauen den Mittelpunkt des kleinen Trupps, an den sich die übrigen Krieger des Ritters anschloßen, die sich jetzt wieder um ihr Banner versammelten. Die vereinte Schaar rückte jetzt mit kriegerischer Ordnung und Behutsamkeit vorwärts, die Bergpässe so aufmerksam durchziehend, wie es Männern eigen ist, die den Feind anzugreifen und zurückzuschlagen bereit sind.



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