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Sie weint' und rief: »O Nacht voll Weh',
O Nacht voll banger Sorgen!«
Sie weint' und rief: »O Nacht voll Weh!
Und du, noch trüb'rer Morgen!«
Sir Gilbert Elliot.
Die Müdigkeit, welche Flammock und den Mönch erschöpft hatte, fühlten die beiden beängstigten Mädchen nicht, welche ihre Augen bald auf die dämmernde Landschaft hefteten, bald zu den Sternen emporblickten, von denen dieselbe schwach beleuchtet ward, als ob sie im Stande wären, darin die Ereignisse zu lesen, die der nächste Morgen herbeiführen würde.
Es war eine stille, schwermüthige Scene. Bäume und Felder, Berg und Thal lag in dämmerndem Lichte vor ihnen, während in größerer Entfernung das Auge nur mit Mühe einige Stellen unterscheiden konnte, wo in dem breiteren Busen des Stroms, der beinahe überall durch Ufer und Bäume verdeckt ward, sich die Sterne und der bleiche Mond spiegelten. Rings umher herrschte Stille, die nur das feierliche Rauschen des Wassers, und hin und wieder ein schneidender Harfenton unterbrach, welcher, über eine Meile entfernt, verkündete, daß einige der Walliser noch ihrem Lieblingsvergnügen nachhingen. Die wilden und abgebrochenen Töne schienen die Stimme vorüberfliehender Geister und hallten schauerlich in Evelinens Seele wieder, da sie in so naher Verbindung mit dem drohenden Kriegsunheil standen, gleichsam Jammer und Weh, Gefangenschaft und Tod verkündend. Außerdem unterbrach die tiefe Stille der Nacht nur mitunter der Schritt einer auf ihrem Posten umherwandelnden Schildwache, oder das Klaggeschrei der Eulen, welche den herannahenden Sturz der mondbeleuchteten Thürme, die ihnen zur Wohnung dienten, zu beklagen schienen.
Die Stille rings umher ruhte wie ein schweres Gewicht auf Evelinens Busen und schien in ihm ein tiefes Gefühl des gegenwärtigen Kummers und eine ängstliche Besorgniß vor künftigen Gräueln zu wecken, als sie während dem Schlachtgewühl und der blutigen Verwirrung Tags zuvor empfunden hatte. Sie stand auf – setzte sich – ging auf den Zinnen auf und ab – und blieb dann starr und unbeweglich stehen, wie eine Bildsäule, als wolle sie durch die veränderte Stellung ihre innere Angst und Besorgniß zerstreuen.
Endlich fiel ihr Blick auf den Mönch und den Flamänder, welche in dem Schatten der Balustrade ruhig schlummerten. Sie konnte nicht länger schweigen.
»Diese Leute sind glücklich, meine geliebte Rose,« sagte sie; »ihre beunruhigenden Gedanken werden entweder durch angestrengte Arbeit, oder durch die dadurch erzeugte Fühllosigkeit verscheucht. Sie können der Verwundung, dem Tode entgegengehen, während unser Geist einen tiefern Schmerz empfindet, als ihn der Körper kennt, und wir in dem quälenden Gefühle vorhandener Leiden und der Besorgniß künftigen Elends lebend einen Tod sterben, der viel grausamer ist, als derjenige, welcher unseren Leiden mit Einem Male ein Ziel setzt.«
»Seyd nicht so niedergeschlagen, edles Fräulein,« versetzte Rose; »seyd vielmehr, was Ihr gestern waret, das hülfreich sorgende Wesen für den Verwundeten, den Betagten, für Jeden, außer für Euch selbst. Wie muthig botet Ihr Euer theures Leben den Walliser Pfeilen dar, um dadurch den Muth Eurer Getreuen zu beleben, während ich – o, der Schande! nur zittern, schluchzen und weinen konnte, und mein Bischen Besinnung zusammennehmen mußte, um nicht in das wilde Geheul der Walliser, oder in das Aechzen unserer Freunde, welche um uns her fielen, mit einzustimmen.«
»Ach, Rose!« antwortete ihre Gebieterin, »Du kannst nach Belieben Deiner Furcht bis zur Verzweiflung Raum geben. Hast Du doch einen Vater, der für Dich kämpft und wacht! Der Meinige, mein zärtlicher, edler, geehrter Vater, liegt erschlagen auf jenem Schlachtfelde, und mir bleibt nichts übrig, als seiner würdig zu handeln. Aber dieser Augenblick ist wenigstens mein, um an ihn zu denken und ihn zu betrauern.«
So sprechend und überwältigt von dem lang zurückgehaltenen Ausbruche des kindlichen Schmerzes, sank sie auf die Bank nieder, welche sich innerhalb der Balustrade rings um die Zinne zog, und vor sich hin murmelnd: »Er ist für immer dahin!« überließ sie sich ihrem unaussprechlichen Kummer. In der einen Hand hielt sie mechanisch die Waffe, die ihr jetzt zu gleicher Zeit diente ihr Haupt zu stützen, während ein Strom von Thränen, der jetzt zum ersten Male ihr Herz erleichterte, aus ihren Augen floß, und ihr Schluchzen so krampfhaft ward, daß Rose fürchtete, es bräche ihr Herz. Ihre Liebe und ihr Mitgefühl lehrten sie zugleich den einzigen Weg erwählen, den Evelinens Lage gestattete. Ohne einen Versuch zu machen, den Ausbruch des Schmerzes in seinem vollen Laufe zu stören, setzte sie sich leise neben die Trauernde, und ihre andere Hand ergreifend, welche bewegungslos herabgesunken war, drückte sie dieselbe abwechslungsweise an ihre Lippen, Brust und Stirn. Sie bedeckte sie mit ihren Küssen, benetzte sie mit ihren Thränen, und mitten unter diesen Zeichen des innigsten und tiefsten Mitgefühls wartete sie auf einen ruhigeren Augenblick, um ihren geringen Trost ihr anzubieten.
Zwischen beiden herrschte ein so tiefes Schweigen, daß bei dem bleichen Scheine des Mondes, der die beiden reizenden Jungfrauen beleuchtete, man eher eine Marmorgruppe, das Werk irgend eines berühmten Bildhauers, als ein paar Wesen zu erblicken glaubte, deren Auge noch weinte und deren Herz noch schlug. Der unfern ruhende Flamänder in seinem glänzenden Harnische und der Pater Aldrovand in seinem dunkeln Gewande, konnten die Leichen derjenigen vorstellen, um welche die beiden Hauptfiguren trauerten.
Nach einem furchtbaren Kampfe von einigen Minuten schien Evelinens Gram sich allmälig zu besänftigen. Ihr krampfhaftes Schluchzen in einen dumpfen, schmerzlichen Seufzer, und ihre Thränen, so heiß sie noch strömten, floßen nach und nach milder und mit geringerer Heftigkeit.
Ihre liebevolle Gefährtin, diese sanften Symptome benutzend, suchte sie ihrer Gebieterin Hand leise den Speer zu entwinden.
»Laßt mich eine Weile Wache stehen, meine süße Lady,« sagte sie; »ich will wenigstens lauter schreien, als Ihr, wenn sich irgend eine Gefahr naht.« –
Sie versuchte bei diesen Worten Evelinens Wange zu küssen und den Arm um ihren Nacken zu schlingen; allein eine stumme Liebkosung, welche nur die freundliche Absicht des Mädchens, sie zur Ruhe zu bewegen, anzuerkennen schien, war die einzige Antwort. Mehrere Minuten blieben sie schweigend in dieser Stellung – Eveline, der schlanken, erhabenen Pappel gleich, Rose, das Fräulein mit ihren Armen umschlingend, wie der Epheu, der sich um die Pappel rankt.
Endlich fühlte Rose, daß ihre Gebieterin in ihren Armen bebte, und ihre Hand fest ergreifend ihr zuflüsterte: »Hörst Du nichts?«
»Nichts, als das Geschrei der Eulen!« entgegnete Rose furchtsam.
»Ich hörte ein entferntes Geräusch,« sagte Eveline, »oder glaubte es wenigstens zu hören. Horch! Schon wieder! Sieh von den Zinnen herab, Rose! Ich will den Geistlichen und Deinen Vater wecken.«
»Theuerste Lady,« entgegnete Rose, »ich wag es nicht. Was kann das für ein Ton seyn, den nur Einer vernimmt? Das Rauschen des Stroms täuscht Euch.«
»Ich möchte nicht unnöthiger Weise die Burg in Unruhe versetzen,« sagte Eveline, »oder auch nur den Schlaf Deines Vaters, den er so nöthig bedarf, durch eine bloße Einbildung stören. Aber horch! horch! Jetzt höre es abermals und kann es genau unterscheiden von dem Geräusche des Wassers. Es ist ein leise zitternder Ton, vermischt mit eitlem Geklimper, als ob in der Ferne die Waffenschmiede auf ihren Ambos schlügen.«
Rose war indessen auf die Bank gesprungen und ihre reichen Haarflechten zurückwerfend, hielt sie die Hand hinter das Ohr, um die entfernten Töne zu sammeln.
»Ich höre es,« schrie sie; »es vermehrt sich! – Um Gottes Willen, weckt sie, ohne einen Augenblick Zeit zu verlieren!«
Eveline berührte die Schläfer mit der umgekehrten Lanze, und als sie eilig aufsprangen, flüsterte sie ihnen rasch, doch mit leiser Stimme zu: »Zu den Waffen! Die Walliser nahen!«
»Wie! Was!« rief Wilkin Flammock. »Wo sind sie?«
»Horcht nur, und Ihr werdet hören, wie sie sich waffnen!« entgegnete Eveline.
»Das Geräusch ist blos in Eurer Einbildung vorhanden, Lady« sagte der Flamänder, dessen Organe eben so schwerfällig waren, als seine Gestalt und Gemüthsart. »Ich wollte, ich wäre gar nicht schlafen gegangen, da man mich so bald wieder geweckt hat.«
»Horcht doch nur, guter Flammock! Das Geräusch der Waffen kommt von Nordosten her.«
»Die Walliser haben ihr Lager nicht in jener Gegend,« versetzte Wilkin; »und außerdem tragen sie keine Panzer.«
»Ich höre es – ich höre es!« rief Pater Aldrovand, der eine Zeitlang gelauscht hatte. »Ehre und Preis dem heiligen Benedikt! Unsere Frau von Garde Doloureuse hat sich auch diesmal gnädig bewiesen gegen ihre Diener. Ich höre den Hufschlag von Pferden – das Rasseln der Harnische – die Reiterei von den Gränzlanden kommt uns beizustehen. Kyrie Eleyson!«
»Ich höre ebenfalls etwas,« sagte Flammock, »dem dumpfen Gebrülle des Meeres ähnlich, als es in das Waarenlager meines Nachbars Klinkermann einbrach, und seine Töpfe und Pfannen zerschmetterte. Aber ein schlimmer Irrthum wäre es, Pater, wenn wir die Feinde für Freunde hielten. Am besten ists, wir wecken unsere Leute!«
»Stille!« versetzte der Geistliche; »wie könnt Ihr mit mir von Töpfen und Kesseln reden? Bin ich nicht zwanzig Jahre lang Knappe beim Grafen Stephan Mauleverer gewesen, und ich sollte nicht das Stampfen eines Kriegsrosses, das Gerassel eines Panzers unterscheiden können? Aber ruft die Leute auf alle Fälle auf den Wall, und die besten mögen sich im unteren Hofe versammeln. Wir können ihnen vielleicht bei einem Ausfalle behülflich seyn.«
»Unternehmt das nicht unbesonnen, ohne meine Beistimmung!« murmelte der Flamänder. »Aber auf die Wälle sollen sie, und zwar bald. Laßt nur Eure Normänner und Engländer schweigen, Herr Priester; ihre ungezügelte geräuschvolle Freude möchte sonst leicht die Walliser in ihrem Lager munter machen und sie auf ihre unwillkommene Gäste vorbereiten.«
Der Mönch legte den Finger auf die Lippen, als Zeichen., daß er den Wink verstanden habe, und sie entfernten sich nun nach verschiedenen Richtungen hin, um die Vertheidiger der Burg zu wecken, die man bald von allen Gegenden nach ihren Posten eilen hörte, in einer ganz anderen Stimmung, als sie dieselben Tags zuvor verlassen hatten. Während man die äußerste Vorsicht anwandte, jedem Lärmen vorzubeugen, wurden die Wälle schweigend besetzt und die Krieger harrten mit gespannter Erwartung auf den Erfolg, den die zu ihrem Beistande herannahenden Truppen bewirken würden.«
Ueber die Klänge, welche das Schweigen dieser verhängnißvollen Nacht immer lauter unterbrachen, konnte man nicht lange in Zweifel bleiben. Sie unterschieden sich von dem Rauschen eines mächtigen Stroms oder dem Rollen eines fernen Donners durch die scharfen, schneidenden Töne, welche das Geräusch der klirrenden Waffen und der tiefe Baß der schnellen Roßtritte hervorbrachte. Die lange Dauer der Klänge, ihr lauter Schall, und der weite Umkreis des Horizonts, von welchem sie ertönten, überzeugten alle Anwesenden im Schlosse, daß der herannahende Entsatz aus mehreren beträchtlichen Reiterei-Abtheilungen bestünde.
Plötzlich hörte der dröhnende Schall auf, als habe die Erde die bewaffneten Trupps verschlungen, oder sey unfähig geworden, das Stampfen der Rosse zu wiederholen. Die Vertheidiger von Garde Doloureuse schloßen daher, ihre Freunde hätten vielleicht plötzlich Halt gemacht, um ihre Pferde ausruhen zu lassen, das feindliche Lager zu erspähen und den Angriff desselben zu bestimmen. Allein das Schweigen war gleichwohl nur augenblicklich.
Die Britten, so flink und rüstig sie sich auch bei dem Ueberfalle ihrer Feinde zeigten, waren mitunter sehr leicht zu überrumpeln. Ihren Leuten fehlte es an ächter Kriegszucht, und der langweilige Dienst einer Schildwache ward öfters vernachläßigt. Ueberdies hatten ihre Streifzügler und Fouragirer, die am vorigen Tage die Gegend rings durchschwärmten, dem Hauptkorps Nachrichten gebracht, welche allen Wallisern eine gefährliche Sorglosigkeit einflößten. Ihr Lager war demzufolge nur nachläßig bewacht und selbst die wichtige Kriegspflicht verabsäumt worden, zur Sicherheit des Hauptkorps in gehöriger Entfernung Patrouillen und Vorposten auszustellen.
So war die Reiterei der Gränz-Lords, trotz des Geräusches, welches ihre Annäherung verursachte, dem brittischen Lager sehr nahe gekommen, ohne den mindesten Lärm zu veranlassen. Während sie indeß ihre Macht in einzelne Kolonnen theilten, verkündete ein lautes, sich immer mehr verstärkendes Geschrei der Walliser, daß sie sich endlich von ihrer gefährlichen Lage überzeugten. Die schneidenden, unharmonischen Töne, womit sie jeden Einzelnen zum Banner seines Führers zu rufen strebten, hallten aus ihrem Lager wieder. Allein dieser Versammlungsruf verwandelte sich bald wieder in ein wildes Klage- und Schlachtgeschrei, als sie sich durch den donnernden Angriff der gepanzerten Rosse und der schwerbewaffneten Reiterei der angelsächsischen Normannen, in ihrem unbeschützten Lager überfallen sahen.
Doch selbst unter so widerwärtigen Umständen gaben die Abkömmlinge der alten Britten ihre Vertheidigung nicht auf und verscherzten nicht ihr altes, erbliches Vorrecht, demzufolge sie die Tapfersten unter den Sterblichen hießen. Ihr trotziges Geschrei und ihr muthiger Widerstand übertönte das Aechzen der Verwundeten, den Jubelruf der triumphirenden Belagerten und das allgemeine Geräusch der nächtlichen Schlacht. Nicht eher, als beim Anbruch des Tages, ward die Niederlage und Zerstreuung von Gwenwyn's Truppen vollendet, und die erderschütternde Stimme des Siegs ertönte nun mit zwanglosem, laut schallendem Jubel.
Die Belagerten, wenn man sie noch so nennen konnte, überschauten jetzt von ihren Thürmen die weitausgedehnte Landschaft, wo sich ihnen nichts, als ein fernhin sich verlierendes Schauspiel unaufhaltsamer Flucht und rastloser Verfolgung darbot. Daß man den Wallisern gestattet, in ihrer geträumten Sicherheit sich an dem diesseitigen Ufer des Stroms zu lagern, machte jetzt ihre Niederlage noch entschiedener und furchtbarer. Der einzige Paß, auf dem sie über den Fluß gelangen konnten, ward bald völlig gesperrt durch die Flüchtlinge, welche das Schwert der siegreichen Normannen verfolgte. Viele stürzten sich in den Strom, in der ungewissen Hoffnung, das jenseitige Ufer zu erreichen, und die meisten ertranken, oder gingen an den Klippen zu Grunde, einige wenige ausgenommen, welche ihre ungewöhnliche Stärke und Gewandtheit rettete. Die Glücklicheren entkamen durch versteckte Furthen; viele wurden zerstreut, oder flüchteten in wahnsinniger Verzweiflung nach dem Schlosse, als ob sie hier, wo sie zurückgeschlagen wurden, da sie noch Sieger waren, ein Asyl in ihrem hülflosen Zustande zu hoffen hätten. Andere rannten wild über die Ebene, um nur der unmittelbaren drohenden Gefahr zu entgehen, ohne eigentlich zu wissen, wohin sie fliehen sollten.
Die Normänner, in kleine Schaaren vertheilt, verfolgten und tödteten sie mit leichter Mühe, während als Sammelplatz für die Sieger, Hugo von Lacy's Banner von einer kleinen Anhöhe herabwehte, wo Gwenwyn noch vor Kurzem sein eigenes errichtet hatte. Es war umgeben durch eine gehörige Macht von Fußvolk und Reitern, die von dem erfahrenen Freiherrn Befehl erhalten hatten, sich unter keiner Bedingung zu entfernen.
Die Uebrigen, wie bereits erwähnt worden, setzten die Verfolgung mit lautem Hohn und Jubel fort, und die Zinnen hallten wieder von dem Kriegsrufe:
»Ha! St. Eduard! Ha! St. Denis! Schlagt sie zu Boden – tödtet sie! Keinen Pardon den Walliser Wölfen! Erinnert Euch an Raymund Berengar!«
Die Krieger auf den Wällen stimmten diesen rachsüchtigen, siegreichen Ausrufungen bei, und diejenigen, welche sich zu nah an die Burg wagten, wurden durch einen Regen von Pfeilen begrüßt. Gern hätten sie einen Ausfall gewagt, um thätigeren Antheil an dieser Verheerung nehmen zu können; allein da jetzt die Verbindung zwischen der Burg und dem Konstabel von Chester eröffnet war, so glaubte Wilkin Flammock, erst die Befehle dieses berühmten Feldherrn an die Garnison abwarten zu müssen, und hörte nicht auf die wiederholten Ermahnungen des Paters Aldrovand, der trotz seiner geistlichen Würde, den von ihm in Vorschlag gebrachten Ausfall gern in eigener Person angeführt hätte.
Endlich schien die Mordscene ein Ende zu nehmen. Mehrere Hörner bliesen zum Rückzuge und die Ritter machten auf der Ebene Halt, um ihre Begleiter zu ihren einzelnen Fahnen zu versammeln und sie dann langsam zu dem großen Banner ihres Anführers zu geleiten, um welches das Hauptkorps sich wieder vereinigen sollte, wie die Wolken, welche sich um die Abendsonne versammeln – ein seltsames Gleichniß, das sich gleichwohl noch weiter verfolgen ließe, hinsichtlich der düsteren Lichtstreifen, welche diese finstern Geschwader auf der Ebene verbreiteten, wenn die Sonnenstrahlen von ihrer glänzenden Rüstung abprallten.
Die Ebene war auf diese Weise bald von den Reitern verlassen und nur bedeckt mit den Leichen der erschlagenen Walliser. Auch die einzelnen Trupps, welche die Verfolgung noch weiter fortgesetzt, kehrten jetzt zurück, niedergeschlagene elende Gefangene, die sie nach gestilltem Blutdurst begnadigt, vor sich her treibend, oder mit sich fortschleppend.
Um die Aufmerksamkeit ihrer Befreier zu erregen, befahl Wilkin Flammock, alle Banner des Schlosses unter dem allgemeinen Jubelrufe der Krieger, die darunter gekämpft, auf den Burgzinnen aufzupflanzen. Hugo von Lacy's Heer beantwortete diese Töne durch ein allgemeines Freudengeschrei, welches so laut erklang, daß es viele Walliser Flüchtlinge, die bereits weit von dem unglücklichen Schlachtfelde entfernt waren und augenblicklich ausruhten, zu schnellem Laufe spornte.
Nach dieser gegenseitigen Begrüßung nahte sich ein einzelner Reiter von des Konstabels Heer der Burg. Schon von weitem zeigte er eine ungewöhnliche Gewandtheit in der Reitkunst und eine höchst anmuthige Haltung. Als er an der Zugbrücke anlangte, ward sie sogleich herabgelassen, um ihn zu empfangen, und Flammock, nebst dem Mönche, der sich jenem so viel als möglich in allen wichtigen Handlungen als Gefährte anschloß, beeilten sich, den Abgesandten ihres Befreiers zu bewillkommnen. Er war so eben von dem rabenschwarzen Rosse abgestiegen, das hie und da mit Schaum und Blut bedeckt, noch von den Anstrengungen der Nacht keuchte, doch von der Hand seines Gebieters geliebkost, den Hals stolz emporrichtete, den stählernen Kappzaum schüttelte und durch Schnauben seinen nicht gedämpften Muth und seine Liebe zum Kampfe zeigte.
Des jungen Mannes Adlerblick verrieth eben diese Zeichen ungebeugter Tapferkeit, welche sich mit dem Feuer erst vor Kurzem erprobter Anstrengung vermischten. Sein Helm hing auf dem Sattelknopf, und sein schönes Antlitz, hoch geröthet, doch nicht wild glühend, blickte aus einer reichen Fülle von kurzen kastanienbraunen Locken hervor. Wiewohl seine Rüstung höchst einfach und sehr schwer war, bewegte er sich darin mit so vieler Gewandtheit und Biegsamkeit, daß sie mehr eine anmuthige Zier, als eine drückende Last zu seyn schien. Ein mit Pelz verbrämter Mantel würde ihm nicht vortheilhafter gestanden haben, als der schwere Harnisch, der jeder Bewegung seiner edlen Formen freien Spielraum gestattete. Allein sein Antlitz war noch so jugendlich, daß nur der Flaum auf der Oberlippe entschieden seine Annäherung an das Mannesalter verkündete.
Die Frauen, welche sich in den Hof drängten, um den ersten Abgesandten ihrer Befreier zu erblicken, konnten nicht umhin, dem Preise, den sie seiner Tapferkeit zollten, auch das Lob seiner Schönheit beizufügen; und eine wohlgebildete Frau von mittleren Jahren, besonders ausgezeichnet durch die Straffheit, womit ihre rothen Strümpfe auf einer wohlgeformten Wade und zierlichen Knöcheln prangten, so wie durch ihre blendend weiße Haube, drängte sich dicht an den jungen Krieger heran und färbte mit höherer Röthe seine Wangen, indem sie laut rief: ›Unsere Frau von Garde Doloureuse habe ihnen die Kunde ihrer Befreiung durch einen Erzengel aus dem Allerheiligsten gesandt!‹ Worte, welche trotz dem Kopfschütteln Pater Aldrovands, von ihren Begleiterinnen mit so vielem Beifalle aufgenommen wurden, daß sie den bescheidenen Jüngling in Verlegenheit setzten.
»Seyd doch einmal ruhig, Ihr da!« rief Wilkin Flammock. »Habt Ihr denn gar keinen Respekt, Ihr Weiber, oder noch nie einen jungen Edelmann gesehen, daß Ihr Euch da an ihn hängt, wie Fliegen an eine Honigscheibe? Tretet zurück, sage ich, und laßt uns in Ruhe die Befehle des edlen Herrn von Lacy vernehmen.«
»Diese Befehle,« versetzte der junge Mann, »kann ich nur in der Gegenwart des edlen Fräuleins Eveline Berengar ausrichten, falls ich einer solchen Ehre würdig bin.«
»Das bist Du, edler Herr!« rief dieselbe vorlaute Frau, die vorher ihre Bewunderung so kräftig geäußert hatte. »Ich halte Dich ihrer Gegenwart für würdig, so wie jeder anderen Gunst, welche Dir eine Dame erzeigen kann.«
»Halt Deine unverschämte Zunge!« entgegnete der Mönch, während der Flamänder beinahe in Einem Athem ausrief: »Denkt an den Tauchschemel Im Originale cucking-stool. Es war eine Strafe für zänkische Weiber, welche auf einem Stuhle in's Wasser getaucht wurden. – A. d. Uebers., Frau Schmeichelkatze!« und den ritterlichen Jüngling über den Hof führte.
»Sorgt für mein gutes Roß,« sagte der junge Mann, indem er den Zügel einem Diener übergab und auf diese Weise befreit ward von einem Theile seiner weiblichen Begleitung, die jetzt das Pferd eben so sehr lobte, wie früherhin den Reiter. Einige gingen in dem Taumel ihrer Freude so weit, daß sie sich kaum enthielten, die Steigbügel und das Sattelzeug des Rosses zu küssen.
Aber Frau Gillian ließ sich nicht so leicht wie ihre Begleiterinnen von einem Punkte, der sie selbst betraf, ablenken. Sie wiederholte fortwährend das Wort Tauchschemel, bis der Flamänder sie nicht mehr hören konnte, und brach dann in umständlichere Schmähungen aus.
»Warum denn ein Tauchschemel? Ei, sagt doch, Herr Wilkin Butterfaß! Ihr seht mir gerade so aus, als ob Ihr einen englischen Mund mit einer flamändischen Damast-Serviette verstopfen könntet! Ei, über meinen Herrn Vetter, den Weber! Warum den Tauchschemel! Das möchte ich doch wissen! Weil meine junge Lady schön und der junge Herr gar feurig ist, wenn es auch mit seinem Barte noch nicht viel auf sich hat! Haben wir nicht Augen, um zu sehen, haben wir nicht einen Mund und eine Zunge?«
»In der That, Frau Gillian, wer daran zweifelt, hat offenbar Unrecht,« sagte Evelinens Amme, die neben ihr stand; »aber ich bitte Euch, schweigt, wenn auch nur weiblichen Anstands halber.«
»Wie? meine zierliche Frau Margarethe, seyd Ihr so keck, weil Ihr unsere junge Lady vor fünfzehn Jahren auf Euren Knieen geschaukelt habt? Laßt Euch sagen, die Katze findet den Weg zum Rahme, und wäre sie auch auf dem Schooße einer Aebtissin erzogen worden.«
»Fort, Frau, fort!« rief ihr Ehemann, der alte Jäger, der dieses öffentlichen Aufgebots seiner theuren Hälfte überdrüssig war. »Nach Hause mit Dir, oder Du sollst meine Hundepeitsche zu kosten kriegen. Der Beichtvater und Wilkin Flammock sind außer sich vor Erstaunen über Deine Unverschämtheit.«
»Wirklich!« erwiederte Frau Gillian; »und ist's zum Erstaunen noch nicht genug an zwei Narren, daß Du mit Deinem schwerfälligen Gehirne noch den Dritten abgeben mußt, um die Zahl voll zu machen?«
Hier erscholl ein so allgemeines Gelächter auf Kosten des Jägers, daß er für's Klügste hielt, seine Frau hinweg zu führen, und die Fortsetzung des Zungenkampfs aufgab, indem sie Die Vorlage hat hier »er«, das englische Original »she«. ein so entschiedenes Uebergewicht gezeigt hatte.
Dieser Streit erregte Ausbrüche eines schallenden Gelächters unter denen, die sich noch vor kurzem in der drohendsten Gefahr, ja am Rande völliger Verzweiflung befanden. So sehr ist, zumal in den niedern Klassen, das menschliche Gemüth dem Wechsel unterworfen.