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Auf offner Bahre trugen ihn
Sechs Bursche nett und schlank,
Und manche Thrän' floß auf sein Grab,
Indem der Sarg versank.
Der graue Klosterbruder.
Während dieser Vorfälle im Schloßhofe ward dem jungen Ritter Damian Lacy die verlangte Unterredung mit Eveline Berengar gestattet, die ihn in der großen Burghalle, unter einem Thronhimmel oder Baldachin sitzend, in der Umgebung Rosens und anderer weiblichen Dienerinnen empfing. Nur Rose allein durfte sich eines kleinen Sessels oder Tabourets bedienen: so streng beobachteten die jungen normännischen Mädchen von hohem Range die ihnen gebührenden Vorrechte und Formen der Ehrerbietung.
Der Jüngling ward von dem Beichtvater und Flammock eingeführt, da das geistliche Amt des erstern und das Vertrauen, welches Evelinens Vater dem letztern geschenkt hatte, Beiden ein Recht gab, bei dieser Gelegenheit zugegen zu seyn. Unwillkührlich erröthete das Fräulein, als sie ein Paar Schritte vorwärts trat, um den Abgesandten zu empfangen. Ihre Verlegenheit schien sich auch Andern mitzutheilen, denn Damian küßte nicht ohne Verwirrung die Hand, welche sie ihm zur Bewillkommnung darreichte.
Eveline sah sich genöthigt, zuerst zu sprechen.
»Wir nahen uns,« sagte sie, »so weit es die Sitte erlaubt, um unsern Dank dem Boten zu zollen, der uns die Nachricht von unserer Rettung bringt. – Irren wir nicht, so sehen wir den edlen Damian von Lacy vor uns.«
»Den ergebensten Eurer Diener!« versetzte Damian, mit Mühe den Ton der Ehrfurcht behauptend, den seine Botschaft und sein Amt forderte. »Er naht sich Euch, als Abgesandter des Konstabel von Chester, Hugo von Lacy.«
»Wird unser edler Befreier nicht durch seine persönliche Gegenwart die geringe Wohnung beehren, die er gerettet?«
»Mein edler Vetter,« entgegnete Damian; »ist jetzt Gottes Krieger, und durch ein Gelübde verbunden, unter kein Dach zu treten, bevor er sich eingeschifft zum gelobten Lande. Durch meinen Mund wünscht er Euch Glück zur Niederlage Eurer wilden Feinde, und sendet Euch diese Zeichen, daß die Freunde und Gefährten Eures edlen Vaters seinen beklagenswerthen Tod nicht lange ungerächt gelassen haben.«
So sprechend, zog er die goldenen Armbänder und den Eudorchawg, oder die goldene Kette, hervor, welche den Rang der Walliser Fürsten bezeichneten, beides vor Evelinen niederlegend.
»So ist Gwenwyn gefallen?« rief Eveline, einen natürlichen Schauder mit dem Gefühle gesättigter Rache bekämpfend, da sie die Trophäen mit Blut befleckt sah. »Der Mörder meines Vaters ist nicht mehr?«
»Meines Vetters Lanze durchbohrte den Britten, als er versuchte, sein fliehendes Volk wieder zu sammeln. Er starb ächzend auf dem tödtlichen Eisen, welches seinen Körper armlang durchdrungen hatte, seine letzte Kraft zu einem wüthenden aber vergeblichen Schlage mit der Keule anstrengend.«
»Der Himmel ist gerecht!« sagte Eveline. »Mögen seine Sünden dem blutdürstigen Manne vergeben werden, da er selbst einen so blutigen Tod erlitt. Aber Eine Frage möchte ich Euch vorlegen, edler Herr! Die Ueberreste meines Vaters – –«
Sie hielt inne, unfähig, weiter fortzufahren.
»In einer Stunde werdet Ihr darüber verfügen können,« entgegnete der Ritter, mit dem Tone des innigsten Mitgefühls, welches bei dem Schmerze einer so jungen und schönen Waise unwiderstehlich in ihm rege ward. »Alle Vorbereitungen, die der Augenblick erlaubte, wurden, als ich das Heer verließ, bereits getroffen, um die irdische Hülle des edlen Berengars von dem Schlachtfelde hieher zu schaffen. Wir fanden ihn dort, umgeben von dem Haufen Erschlagener, die sein eigenes Schwert, zum würdigen Denkmale, getödtet. Meines Vetters Gelübde gestattet ihm nicht, durch Euer Fallgatter zu schreiten; doch, wofern Ihr es erlaubt, will ich bei diesem ehrenvollen Begräbnisse seine Stelle vertreten, wozu er mich selbst beauftragte.«
»Mein tapferer und edler Vater,« sagte Eveline, indem sie ihre Thränen zu unterdrücken strebte, »wird am besten betrauert werden von dem Tapfern und Edeln.«
Sie hätte gern fortgefahren, allein die Stimme versagte ihr, und sie war genöthigt, sich schnell zurückzuziehen, um ihrem Kummer freien Lauf zu lassen, und die Bestattung mit der Feierlichkeit anzuordnen, welche die Umstände erlaubten.
Damian beugte sich vor der Tieftrauernden, wie vor einer Gottheit, und sein Pferd wiederum besteigend, kehrte er zurück zu seines Oheims Heer, welches in Eile auf dem ehemaligen Schlachtfelde ein Lager aufgeschlagen hatte.
Die Sonne stand bereits hoch, und die ganze Ebene gewährte den Anblick eines lebendigen Gewühls, eben so verschieden von der Oede, die am frühen Morgen hier herrschte, als von der Wuth und dem Getöse, welches späterhin Statt fand.
Die Nachricht von Hugo von Lacy's Siege hatte sich überall auf den Flügeln des Triumphs verbreitet, und Viele der Landbewohner, die sich vor der Wuth des Wolfs von Plinlimmon geflüchtet, kehrten jetzt zu ihren zerstörten Wohnungen zurück. Auch Schaaren der herumtreibenden, ruchlosen Vagabunden, an denen es in einer mit Krieg überzogenen Gegend nicht fehlt, hatten sich eingefunden, theils aus Begierde nach Beute, theils aus unruhiger Neugierde. Den Juden und Lombarden, denen die Gefahr nichts galt, falls sich nur ein Gewinn hoffen ließ, sah man schon im Verkehr mit den siegreichen Kriegern, welche gegen Getränke und Waaren die blutbefleckten goldenen Zierrathen hingaben, die das Eigenthum der erschlagenen Britten gewesen waren. Andere machten die Dollmetscher zwischen den Walliser Gefangenen und ihren Siegern, und wo sie einige der erstern fanden, deren Wort und Vermögen sie trauen konnten, verbürgten sie sich mitunter für sie, und schossen ihnen sogar die zu ihrer Auslösung erforderlichen Summen vor, während ein noch größerer Theil dieser Unterhändler selbst Käufer derjenigen Kriegsgefangenen abgaben, die sich nicht sogleich mit ihren Siegern abfinden konnten.
Daß ein so erworbenes Geld die Krieger nicht lange beschwerte, oder ihren Muth zu ferneren Unternehmungen lähmte, fehlte es nicht an den gewöhnlichen Mitteln, die Kriegsbeute zu verschwenden. Buhlerinnen, Taschenspieler, Gaukler, Possenreißer, Minstrels und Volkssänger aller Art hatten sich an den nächtlichen Zug angeschlossen, und auf den kriegerischen Ruf des berühmten Hugo von Lacy sicher bauend, hielten sie sich in einiger Entfernung, bis die Schlacht erkämpft und gewonnen war. Jetzt nahten sie in einzelnen fröhlichen Gruppen, den Siegern Glück wünschend.
Dicht neben ihnen, die sich hier zum Gesange und Tanze auf dem blutigen Schlachtfelde vereinten, waren die Landleute beschäftigt, tiefe Grüfte für die Erschlagenen zu bereiten. Man sah Aerzte die Verwundeten verbinden – Priester und Mönche die Beichte der Sterbenden vernehmen – Soldaten die der geehrteren Krieger unter den Erschlagenen fortschaffen – Bauern über ihre zertretenen Saaten und verheerten Wohnungen jammern – Wittwen und Waisen unter den vermischten Ueberresten zweier Schlachten die Leichen ihrer Gatten und Väter suchen. –
So waren die wildesten Töne des Schmerzes mit den Klängen der Freude und bacchantischen Siegesliedern vermischt, und die Ebene von Garde Doloureuse bot eine seltsame Vergleichung dar mit dem wechselvollen Labyrinthe des menschlichen Lebens, wo Gram und Freude so wunderbar gemischt sind, und die Gränzen der Lust und des Wohlbehagens sich so oft mit denen des Kummers und des Todes berühren.
Um die Mittagsstunde schwiegen plötzlich alle diese Töne, und die Aufmerksamkeit der Frohen, wie der Traurigen, ward durch den lauten, schwermüthigen Klang von sechs Trompeten gefesselt, welche, immer stärker erklingend und ihre gellenden Töne in einen dumpfen, melancholischen Klang vereinigend, alle Anwesenden benachrichtigten, daß die Leichenfeier des tapfern Raymund Berengar so eben beginne.
Aus einem Zelte, welches zum augenblicklichen Empfange der Leiche errichtet worden war, schritten zwölf schwarze Mönche, die Bewohner eines nahegelegenen Klosters, unter der Anführung ihres Abts hervor. Er trug ein großes Kreuz, und ließ mit starker Stimme die erhabenen Töne des katholischen Gesangs: Miserere me, Domine, ertönen. Hierauf kam eine auserwählte Schaar von Reisigen, die ihre Lanzen, die Spitze zu Boden gekehrt, hinter sich nachschleppten. Ihnen folgte die Leiche des tapfern Berengar, eingehüllt in sein eigenes ritterliches Banner, welches wiederum von den Wallisern erbeutet, jetzt seinem edlen Besitzer als Leichentuch diente. Die tapfersten Ritter, zu des Konstabels Haushalte gehörig (der, wie bei andern großen Edeln jener Zeit, fast auf monarchischen Fuß eingerichtet war), schritten als Leidtragende, oder als Träger der Leiche selbst, die auf Lanzen ruhte, ihm zur Seite. Der Konstabel von Chester, in völliger Rüstung und mit unbedecktem Haupte, ging ganz allein als Hauptleidtragender. Eine auserwählte Schaar von Rittern, Knappen und Pagen von edler Abkunft, beschloß den feierlichen Zug, während die Trommeln und Trompeten von Zeit zu Zeit den schwermüthigen Gesang der Mönche mit eben so gedämpften, melancholischen Tönen wiederholten.
Die Freude war in ihrem Fluge gehemmt und selbst das Auge des Traurigen wandte sich augenblicklich von seinem eigenen Kummer ab, um die letzten Ehrenbezeugungen zu schauen, die man dem erwies, der Zeit seines Lebens der Vater und Beschützer seiner Unterthanen gewesen war.
Die traurige Prozession bewegte sich langsam durch die Ebene, die innerhalb weniger Stunden von verschiedenartigen Ereignissen Zeuge gewesen war. Als sie vor dem äußern Thor der Festungspallisaden anlangte, machte sie Halt, und lud durch einen lang ausgehaltenen feierlichen Stoß in die Trompeten die Burg ein zum Empfange der Ueberreste ihres tapfern Vertheidigers. Den melancholischen Aufruf erwiederte das Horn des Thurmwächters. Die Zugbrücke sank, das Fallgitter erhob sich und – Pater Aldrovand erschien in der Mitte des Eingangs in seinem priesterlichen Gewande, während einige Schritte hinter ihm in so tiefen Trauerkleidern, als die kurze Zeit zuließ, das verwaiste Fräulein sich zeigte, unterstützt von ihrer Begleiterin Rose und von dem weiblichen Theile ihres Haushalts umgeben.
Der Konstabel von Chester blieb einen Augenblick auf der Schwelle des äußern Thores stehen, und indem er auf das Kreuz deutete, welches von weißem Tuche auf seine linke Schulter geheftet war, verbeugte er sich tief und überließ seinem Neffen Damian die Pflicht, die Ueberreste Raymund Berengars zur Schloßkapelle zu begleiten. Hugo von Lacy's Krieger, von denen viele durch dasselbe Gelübde, welches ihr Herr geleistet, gebunden waren, machten ebenfalls vor dem Burgthore Halt und blieben unter den Waffen stehen, während die Todtenglocke der Kapelle von innen die Fortschritte der Prozession verkündete.
Sie zog sich durch jene engen Wege hin, die man mit Bedacht angelegt hatte, um dem Vorrücken des Feindes Einhalt zu thun, selbst wenn es ihm auch gelang, das äußere Thor zu erstürmen. Der Zug gelangte endlich in den großen Schloßhof, wo Viele der Burgbewohner, so wie diejenigen, welche hier in der letzten Zeit ein Asyl gesucht, sich versammelt hatten, um noch einmal ihren entseelten Gebieter zu sehen. Unter sie mischten sich Einige aus dem vor der Burg befindlichen bunten Gewühl, welches die Hoffnung auf ein Almosen oder Neugierde hieher führte, und die auf die eine oder andere Weise sich Eingang zu verschaffen gewußt hatten.
Die Leiche ward jetzt niedergesetzt vor dem Thore der Kapelle, deren altgothische Fronte die eine Seite des Hofes bildete, und die Priester stimmten verschiedene Gebete an, in welche vermuthlich die Umstehenden mit geziemender Ehrfurcht einstimmen sollten.
Während dieses Zwischenraums wandte sich ein Mann, dessen Stutzbart, gestickter Gürtel und hoher grauer Filzhut ihm das Ansehen eines Lombardischen Kaufmanns gab, an Evelinens Amme, Margarethe, und flüsterte ihr in fremdem Dialekte zu:
»Ich bin ein reisender Kaufmann, gute Schwester, und wünschte einen vortheilhaften Handel zu machen. Könnt Ihr mir nicht hier im Schlosse zu einem guten Kunden verhelfen?«
»Da seyd Ihr zu einer übeln Zeit hergekommen, Herr Fremder,« versetzte Margarethe, »Ihr werdet selbst einsehen, dies hier ist ein Ort der Trauer, aber kein Platz für den Handel.«
»Und gleichwohl gibt's zur Zeit der Trauer einen eigenen Handel,« sagte der Fremde, indem er sich noch näher an Margarethe drängte, und seine Stimme in ein noch leiseres, vertrauliches Flüstern verwandelte. »Ich habe schwarze Schärpen von persischer Seide; schwarze Korallen, womit eine Prinzessin um einen Monarchen trauern kann; Trauerflor, wie er noch selten aus dem Oriente gekommen ist; schwarzes Tuch zu Trauer-Tapeten, – alles, wodurch man in seinem Anzuge Kummer und Verehrung ausdrücken kann; und glaubt mir, ich bin sehr dankbar gegen diejenigen, die mir Kunden zuweisen. Bedenkt Euch, gute Frau – solche Dinge muß man einmal haben, und ich will meine Waare so gut und wohlfeil liefern, als irgend einer. Ein Mieder, oder, wenn Euch das lieber ist, eine Börse mit fünf Gulden soll Euer seyn zur Belohnung für Eure Güte.«
»Ich bitt' Euch, Freund, laßt mich im Frieden,« versetzte Margarethe, »und wählt eine bessere Zeit zum Anpreisen Eurer Waaren. Ihr verstoßt hier gegen Art und Sitte, und wenn Ihr nicht aufhört, mich ferner zu belästigen, so muß ich mich an Jemand wenden, der Euch zum Thore hinaus weist. Es wundert mich, daß die Wächter an einem solchen Tage Hausirer eingelassen haben. Dergleichen Leute würden, glaub' ich, selbst an dem Todtenbette ihrer Mutter, wenn sie schon in den letzten Zügen läge, einen vortheilhaften Handel nicht verschmähen.«
Mit diesen Worten wandte sie sich verächtlich von ihm.
Indeß der Kaufmann auf der einen Seite so entrüstet zurückgewiesen ward, fühlte er, daß man ihn auf der andern sehr bedeutend am Mantel zupfte, und rasch umherspähend erblickte er eine Frau, deren schwarzer Schleier sehr zierlich so geordnet war, daß er einen Anschein von feierlichem Ernste schlau lächelnden Gesichtszügen gab, die einst sehr anziehend gewesen seyn mußten, da ihre Besitzerin, offenbar über die vierzig hinaus, noch jetzt mancher Reiz schmückte. Sie winkte dem Kaufmanne, indem sie ihren Zeigefinger auf die Lippen legte, zum Zeichen, daß er schweigen möge. Dann, durch das Gewühl schlüpfend, zog sie sich in einen Winkel zurück, der durch einen vorspringenden Strebepfeiler der Kapelle gebildet ward, als wolle sie das Gedränge vermeiden, das in dem Augenblicke, wo man die Bahre wieder aufhob, unfehlbar entstehen mußte. Der Kaufmann folgte ohne Weiteres ihrem Beispiele und befand sich bald neben ihr, wo sie ihn der Mühe überhob, ihr sein Anliegen zu eröffnen und das Gespräch folgendermaßen begann:
»Ich habe gehört, was Ihr zu unserer Frau Margarethe, der zierlichen Margarethe, wie ich sie nur nenne, vorhin äußertet; oder ich habe wenigstens genug gehört, um das Uebrige errathen zu können; denn ich hab' ein Aug' in meinem Kopfe, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«
»Zwei Augen, meine schöne Dame, und so glänzend wie die Thautropfen an einem Maimorgen.«
»O, das sagt Ihr nur so, weil ich geweint habe,« versetzte die scharlachstrümpfige Gillian – denn sie war es, welche hier sprach. »Und offenbar hab' ich wohl Ursache dazu. Denn unser Lord war stets gut gegen mich, faßte mich zuweilen unter's Kinn und nannte mich schelmisch Gillian von Croydon. – Aber Ihr müßt nicht etwa denken, daß der gute Herr sich jemals unschicklich gegen mich benommen hätte! Er warf mir gewöhnlich zu gleicher Zeit zwei Silberpfennige in die Hand. O, was für einen Freund hab' ich verloren! Zwar Verdruß hab' ich um seinetwillen allerdings gehabt. Mitunter sah der alte Raoul so sauer, wie Essig, und schien manchmal einen ganzen Tag für keinen Ort besser zu passen, als für den Hundestall. – Aber, wie ich es ihm selbst gesagt, unser Einem geziemt es doch nicht, den Herrn, und obendrein einen so großen Baron, wegen eines Griffs an das Kinn, eines Küßchens oder etwas dem ähnlichen, anzufahren.«
»Kein Wunder, daß Ihr so betrübt seyd um einen so guten Herrn!« sagte der Kaufmann.
»Allerdings kein Wunder!« entgegnete die Dame seufzend. »Und was soll nun aus uns werden? Meine junge Gebieterin geht wahrscheinlich zu ihrer Tante – oder sie heirathet, wie man sagt, einen von den Lacy's – kurz, sie verläßt auf alle Fälle das Schloß. Da ist's denn sehr wahrscheinlich, daß der alte Raoul und ich mit den alten Kriegsrossen des Lords auf die Weide gehen können. Meinetwegen mögen sie den alten Raoul mit den Hunden aufhängen! Er ist weder zum Laufen, noch zum Fangen, überhaupt zu nichts auf Erden zu gebrauchen.«
»Die junge Dame dort im Trauermantel ist wohl Eure Gebieterin,« fragte der Kaufmann, »die welche beinahe auf der Leiche niedersank?«
»Das ist sie allerdings, Herr, und hat wohl Ursache, niederzusinken. Ich bin überzeugt, sie kann lange suchen, eh' sie solch einen Vater wiederfindet!«
»Ich sehe, Ihr seyd eine sehr verständige Frau, Gevatterin Gillian. Und der Jüngling dort, auf den sie sich stützt, ist das ihr Bräutigam?«
»Es thut wohl Noth, daß Jemand sie unterstütze,« sagte Frau Gillian. »Auch bedarf sie dessen nur zu sehr, denn was vermag der alte, verrostete Raoul?«
»Aber was die Vermählung Eurer jungen Gebieterin betrifft,« sagte der Kaufmann.
»Davon weiß Niemand mehr, als daß etwas der Art unterhandelt wurde zwischen unserm verstorbenen Herrn und dem großen Konstabel von Chester, der heute noch gerade zu rechter Zeit eintraf, um den Wallisern zuvorzukommen, daß sie uns nicht die Gurgel abschnitten und Gott weiß was sonst für Unheil anrichteten. Aber von einer Heirath spricht man, so viel ist gewiß; und viele Leute meinen, der rosenwangige Knabe, Damian, wie sie ihn nennen, sey der Bräutigam. Denn wenn auch der Konstabel den Bart vor jenem voraus hat, so ist er doch schon gar zu grau für eines Bräutigams Kinn. Und dann macht er ja ohnedieß den Kreuzzug mit – allerdings der beste Platz für alle ältlichen Soldaten; ich wünschte, er nähme Raoul gleichfalls mit. Aber was hat das alles mit dem zu schaffen, was Ihr vorhin über Eure Trauerwaaren äußertet? Es ist eine traurige Wahrheit, daß mein armer Herr dahin ist! Aber was hilft's! Ihr wißt ja wohl, wie es in dem alten Liede heißt:
›Wir müssen Kleider haben,
An Fleisch und Bier uns laben;
Auch uns wird man begraben.‹
Was nun Euren Handel anlangt, so kann ich Euch durch meine Fürsprache vielleicht eben so viel dabei helfen, als die zierliche Margarethe; versteht sich, wenn Ihr Euch gehörig zu benehmen wißt. Denn wenn ich auch nicht die Gunst des Fräuleins in dem Grade besitze, wie sie, so kann ich dafür den Haushofmeister mir um die Finger wickeln.«
»Nehmt dies hier als Handgeld in den Kauf, meine hübsche Mistreß Gillian,« versetzte der Kaufmann, »und wenn meine Waaren herauskommen, so will ich Euch reichlich bedenken, falls ich durch Eure Empfehlung gute Geschäfte mache. Aber wie soll ich wieder in's Schloß kommen? Denn eine so verständige Frau, wie Ihr, wünscht' ich wohl zu Rathe zu ziehen, eh' ich mein Gepäck herbeischleppe.«
»Je nun,« entgegnete die gefällige Dame, »wenn unsere Engländer die Wache bezogen haben, so fragt nur nach Gillian: »da werden sie sogleich einem einzelnen Manne das Pförtchen öffnen; denn wir Engländer stecken alle zusammen, wär' es auch nur den Normännern zum Trotz. Aber wenn ein Normanne auf der Wache ist, so müßt Ihr nach dem alten Raoul fragen, und müßt vorgeben, daß Ihr Hunde und Falken zu verkaufen hättet; und da bin ich Euch Bürge dafür, daß Ihr auch mich bei der Gelegenheit zu sprechen kriegt. Steht aber ein Flamänder Schildwache, so braucht Ihr nur zu sagen, Ihr wäret ein Kaufmann; und sie werden Euch aus Liebe zum Handel schon einlassen.«
Der Kaufmann versicherte abermals seine Dankbarkeit, entschlüpfte ihrer Seite und mischte sich unter die Zuschauer, es ihr überlassend, sich selbst Glück zu wünschen zu ihrer gesprächigen Laune, die ihr heute einige Gulden eingetragen hatte, während sie ihre Geschwätzigkeit bei andern Gelegenheiten oft theuer genug hatte bezahlen müssen.
Das Schweigen der schweren Burgglocke verkündete jetzt, daß den edlen Berengar die Gruft seiner Väter aufgenommen habe. Diejenigen Trauerbegleiter, welche zu Hugo von Lacy's Heer gehörten, verfügten sich nach der großen Halle des Schlosses, dort mit Mäßigkeit die Erfrischungen genießend, die man ihnen als Leichenmahl darbot.
Unmittelbar darauf verließen sie, durch den jungen Damian angeführt, das Schloß auf eben die langsame und melancholische Weise, womit sie es früher betreten hatten. Die Mönche blieben in der Burg und lasen wiederholte Messen für den Verstorbenen und für die mit ihm gefallenen treuen Krieger. Diese waren aber während und nach der Schlacht so wüthend verstümmelt worden, daß man den Einzelnen kaum unterscheiden konnte. Sonst würde der Leiche Dennis Morolts die Ehre eines besondern Begräbnisses widerfahren seyn, wie es seine Treue wohl verdiente.