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In jener Zeit gab's heiße Krieg' auf Wales Gränzen.
Lewi's Geschichte.
Die Chroniken, aus denen diese Erzählung entlehnt ist, versichern uns, daß während des langen Zeitraums, in welchem die Walliser Fürsten ihre Unabhängigkeit behaupteten, das Jahr 1187 insbesondere den Frieden zwischen ihnen und ihren kriegerischen Nachbarn, den Gränzlords, begünstigte Lords Marchers – unsere Deutschen Markgrafen. – A. d. Uebers., welche die furchtbaren Burgen an den Gränzen Altbrittanniens bewohnten, deren Ruinen der Wandrer mit Staunen, betrachtet.
In dieser Zeit predigte Balduin, Erzbischof von Canterbury, begleitet von dem geehrten Giraldus von Barry, nachherigem Bischof von St. Davids, von Burg zu Burg, von Stadt zu Stadt den Kreuzzug. Er erweckte die verborgensten Thäler seiner Heimat Cambridge durch den Ruf, die Waffen zu ergreifen zur Eroberung des heiligen Grabes, und während er die Fehden und Kriege der Christen unter einander untersagte, eröffnete er dem kriegerischen Geiste des Zeitalters ein allgemeines Ziel des Ehrgeizes und einen abentheuerlichen Schauplatz, auf welchem die Gnade des Himmels, so wie irdischer Ruhm den siegreichen Kämpfer belohnen sollten.
Aber die Brittischen Häuptlinge hatten unter den Tausenden, welche dieser begeisterte Ruf aus ihre Heimath zu einer fernen und gefahrvollen Unternehmung aufforderte, vielleicht die beste Entschuldigung, ihn abzulehnen. Die überlegene Kriegskunst der Angelsächsisch-normannischen Ritter, welche fortwährend die Walliser Gränzen beunruhigten, und öfters beträchtliche Striche Landes davon abrissen, die sie durch Burgen befestigten, um sich das Gewonnene zu sichern, wurde allerdings gerächt, doch nicht vergolten durch die wüthenden Einfälle der Britten, welche, wie die Wogen der zurücktretenden Fluth, tobend und Zerstörung verbreitend wichen, doch bei jedem Rückzug ihren Drängern unmerklich mehr Raum vergönnten.
Ein Bündniß unter den eingeborenen Fürsten würde vielleicht den Anmaßungen der Fremdlinge eine kräftige Schranke entgegen gestellt haben; allein sie lebten unglücklicherweise unter einander in eben der Zwietracht, wie mit den Normannen, und waren beständig in Fehden verwickelt, von denen der gemeinsame Feind allein Vortheil zog.
Die Einladung zum Kreuzzuge hatte wenigstens den Reiz der Neuheit für ein Volk von so feurigem Temperamente. Sie ward von Vielen angenommen, welche die Folgen für das Vaterland, welches sie unbeschützt zurückließen, keineswegs bedachten. Selbst die berühmtesten Feinde des Sachsen- und Normannenstamms vergaben ihren Hals gegen die Usurpatoren ihres Vaterlandes, und schlossen sich dem Banner des Kreuzzuges an.
Zu diesen gehörte besonders Gwenwyn (oder eigentlich Gwenwynwen, wiewohl wir den kurzem Namen beibehalten), der noch immer eine schwankende Herrschaft über den Theil der Powys-Ländereien behauptete, welchen die Mortimer's, Guarine's, Latimer's, Fitz-Alan's und andere Normannische Edle noch nicht erobert hatten. Denn unter mancherlei Vorwänden, mitunter sogar verschmähend, ihre Gewaltthätigkeit unter irgend einer Hülle zu verbergen, hatten sie große Stücke dieses einst sehr ausgedehnten und unabhängigen Fürstenthums an sich gerissen, welches bei der unglücklichen Theilung von Wales, nach dem Tode Roderich Mawr's, das Erbtheil seines jüngsten Sohnes Mervyn ward. Die unerschrockene Entschlossenheit und trotzige Wildheit Gwenwyns, des Abkömmlings jenes Fürsten, hatten ihn längst beliebt gemacht unter den »großen Leuten« oder Walliser Kriegern, und mehr durch die Zahl der Streiter, welche, angelockt durch seinen Ruhm, unter ihm diente, als durch die natürliche Stärke seines zerrissenen Fürstenthums, war er im Stande, die Beeinträchtigungen der Engländer durch muthig Ueberfalle zu rächen.
Doch auch Gwenwyn schien bei dieser Gelegenheit seinen tief eingewurzelten Haß gegen seine gefährlichen Nachbarn zu vergessen. Die Fackel von Pengwern (so hieß Gwenwyn von den Feuersbrünsten, die er oft in der Provinz Shrewsbury angelegt hatte) schien jetzt so ruhig zu brennen, wie eine Kerze im Gemach einer Dame, und der Wolf von Plinlimmon Plynlimon: der höchste Punkt der Cambrian Mountains in Wales und der höchste Punkt in Mittelwales (752 m Höhe)., ein anderer Name, mit welchem die Barden Gwenwyn beschenkt hatten, schlummerte so friedlich, wie der Schäferhund am heimathlichen Heerde.
Doch nicht allein der Beredsamkeit Balduins oder Geralds war es gelungen, einen so ruhelosen und feurigen Geist in Schlummer zu wiegen. Zwar hatten ihre Ermahnungen mehr vermocht, als Gwenwyns Anhänger für möglich hielten. Dem Erzbischof war es gelungen, den Brittischen Häuptling zu bewegen, daß er sich beim Mahl und Jagdvergnügen mit seinem nächsten und bisher entschiedensten Feinde, dem alten Normannischen Krieger Raymund Berengar, vereinigte, welcher, bald geschlagen, bald siegreich, doch nie völlig unterjocht, trotz der wüthendsten Ueberfalle Gwenwyns, sein Schloß, Garde Doloureuse, an den Gränzen von Wales, zu behaupten gewußt hatte. Dieser von Natur und Kunst wohl befestigte Ort, hatte sowohl offener Gewalt, als Kriegslist von Seiten des Walliser Fürsten, der ihn einzunehmen wünschte, dauernd widerstanden, und die starke Besatzung, die er im Rücken lassen mußte, öfters Gwenwyn bewogen, wegen Unsicherheit des Rückzuges von seinen Ueberfällen abzustehen.
Deshalb hatte Gwenwyn, der Beherrscher von Powys, hundertmal Raimund Berengars Tod und die Zerstörung seiner Burg geschworen; allein die Klugheit des schlauen alten Kriegers, seine Erfahrung in allen Kriegslisten waren von der Art, daß sie ihn, mit Beihülfe seiner mächtigen Landsleute, in Stand setzten, den Angriffen seines kecken Nachbarn Trotz bieten. Wenn daher Gwenwyn irgend einen Menschen in England haßte, so war es Raymund Berengar; und gleichwohl gelang es dem guten Erzbischof Balduin, den Walliser Fürsten dahin zu bringen, daß er sich als Freund und Verbündeter in der Angelegenheit des Kreuzzuges mit ihm vereinigte. Gwenwyn lud sogar Raymund zu den Herbstfestlichkeiten seines Walliser Palastes ein, wo denn der alte Ritter mit ehrenvoller Courtoisie über eine Woche in dem Gebiete seines Erbfeindes schmauste und jagte.
Raymund, um diese Gastfreundschaft zu erwiedern, lud den Fürsten von Powys, mit einem auserwählten doch beschränkten Gefolge zur nächsten Weihnachtszeit auf der Burg Garde Doloureuse ein, welche von einigen Alterthumsforschern mit der Burg von Colure, an dem Flusse gleiches Namens, für eine und dieselbe gehalten wird, wiewohl die Länge der Zeit und einige geographische Schwierigkeiten diese Konjektur in Zweifel setzen.
Als der Walliser seinen Weg über die Zugbrücke nahm, bemerkte sein treuer Barde, daß er von unwillkührlichem Schauder erbebte; und Cadwallon war mit der Welt und dem Charakter seines Gebieters zu bekannt, als daß er hätte zweifeln sollen, Gwenwyn fühle sich in diesem Augenblick von der scheinbaren Möglichkeit ergriffen, des so lange erstrebten festen Platzes sich selbst mit dem Bruche seines Treuworts zu bemächtigen.
Da er fürchtete, daß der Kampf seines Gebieters zwischen Gewissen und Ehrgeiz ungünstig für seinen Ruhm enden möchte, war der Barde bemüht, seine Aufmerksamkeit zu erregen, indem er ihm in seinem Landesdialekte zuflüsterte: »Die Zähne, die am schärfsten beißen, sieht man gewöhnlich nicht.« Gwenwyn blickte empor, und bemerkte, daß, wenn auch nur unbewaffnete Knappen und Edelknaben in dem Hofe sich zeigten, doch die Thürme und Zinnen mit Schützen und Bewaffneten besetzt waren.
Man verfügte sich zum Mahl, bei welchem Gwenwyn zum ersten Male Eveline Berengar, das einzige Kind des normannischen Burgherrn, die Erbin seiner Güter und muthmaßlichen Schätze, erblickte, die erst sechzehn Jahre alt, und das schönste Fräulein an den Walliser Gränzen war. Manche Lanze war, ihrem Reize zu Ehren, zersplittert worden, und der tapfere Hugo de Lacy, Kommandant von Chester, einer der gefürchtetsten Krieger seiner Zeit, hatte zu Evelinens Füßen den Preis niedergelegt, den seine ritterliche Tapferkeit in einem, großen Turniere gewann, welches in der Nähe von Chester gehalten ward. In Gwenwyn's Augen waren diese Trophäen eben so viele Empfehlungen, welche Evelinen's Werth erhöhten. Ihre Schönheit war untadelhaft; sie war zugleich die Erbin der Festung, die er längst zu besitzen strebte, und jetzt auf mildere Weise zu gewinnen hoffte, als es früher in seinem Plane lag.
In diesem Augenblicke trat abermals der Haß zwischen den Britten und ihren angelsächsischen und normannischen Drängern ihm lebhaft vor die Seele – seine lange und schlecht erloschene Fehde mit eben diesem Raymund Berengar, und die Erinnerung des unglücklichen Erfolgs von Verbindungen zwischen Engländern und Wallisern. Dazu gesellte sich das Bewußtseyn, daß der Plan, über den er brüte, seinen Anhängern nicht willkommen, und als ein Abfall von den Grundsätzen scheinen werde, nach denen er bisher gehandelt. Alles dies hielt ihn ab, Raymund oder seine Tochter mit seinen Wünschen bekannt zu machen. Aber keine Idee, daß sein Antrag verworfen werden könnte, kam ihm nur einen Augenblick in den Sinn. Er war überzeugt, er brauche nur seine Wünsche auszusprechen, und die Tochter eines normannischen Burgherrn, dessen Rang und Macht unter den Gränzlords nicht einmal die erste Stufe behaupte, werde sich durch die Bewerbung des Beherrschers von ein Hundert Bergen geehrt und entzückt fühlen.
Allerdings gab es noch ein Hinderniß, das in neueren Zeiten von keiner geringen Wichtigkeit gewesen wäre. Gwenwyn war schon verheirathet; aber Brengwain war eine kinderlose Gattin. Monarchen – und dazu rechnete sich der Walliser Fürst – vermählen sich der Nachkommenschaft wegen, und es schien nicht wahrscheinlich, daß der Pabst da Bedenklichkeiten hegen sollte, wo es galt, sich einem Fürsten verbindlich zu zeigen, der mit so vielem Eifer das Kreuz genommen hatte: mochten auch in der That seine Gedanken mehr auf Garde Doloureuse, als auf Jerusalem gerichtet seyn. Wenn indessen Raymund Berengar nicht liberal genug dachte, Evelinen zu erlauben, daß sie einstweilen den Rang einer Beischläferin einnehme, welchen Gwenwyn, den Walliser Sitten zufolge, berechtigt war, als interimistische Anordnung anzubieten, so brauchte er nur noch ein Paar Monate zu warten, während welcher Zeit der Bischof von St. Davids, oder irgend ein anderer Fürsprecher, die Scheidung am römischen Hofe bewirken konnte.
Während Gwenwyn sich mit diesen Gedanken beschäftigte, verlängerte er den Aufenthalt auf der Burg Berengars von Weihnachten bis zum heiligen Drei Königs-Tag, und duldete die Anwesenheit der normannischen Edlen, welche sich in Raymund's festlichen Hallen versammelten, und an Rang und Ritterwürde den mächtigsten Monarchen sich gleich achtend, die alte Abkunft des Walliser Fürsten nur wenig berücksichtigten, der in ihren Augen nur der Häuptling einer halb barbarischen Provinz war. Er seinerseits hielt sie für nicht viel mehr, als eine Art von privilegirten Räubern, und unterdrückte nur mit der größten Anstrengung seinen offenbaren Haß, wenn er sie in den ritterlichen Uebungen in vollem Lauf daher sprengen sah, da eben diese Gewohnheit sie zu so furchtbaren Feinden seines Vaterlandes machte. Endlich war die Festzeit vorüber, und Ritter und Knappen schieden von dem Schlosse, das nun wieder den Anblick einer einsamen, wohlbewachten Festung zeigte.
Allein der Fürst von Powys fand auf der Jagd in seinen eigenen Bergen und Thälern nur zu bald, daß selbst die größere Fülle des Wildes, so wie die Befreiung von der Gesellschaft der normannischen Ritter, die ihn wie ihres Gleichen behandelten, ihm wenig Genuß gewährten, so lange die leichte und schöne Gestalt Evelinens auf ihrem weißen Zelter aus dem Jagdzuge verbannt blieb.
Deshalb zögerte er nicht länger und vertraute sich seinem Kapellan, einem geschickten und klugen Manne, dessen Stolz sich durch das Vertrauen seines Herrn geschmeichelt fühlte, und der außerdem in dem vorgeschlagenen Plane noch irgend einen Vortheil für sich und seinen Orden erblicken mochte. Auf seinen Rath wurde Gwenwyn's Scheidung betrieben, und, wie es schien, mit glücklichem Erfolge. Die unglückliche Brengwain ward in ein Kloster geschickt, das ihr vielleicht eine freundlichere Wohnung dünkte, als die einsame Zurückgezogenheit, worin sie vernachläßigt lebte, seit Gwenwyn die Hoffnung der Nachkommenschaft aufgegeben hatte.
Der Pater Hugo unterhandelte auch mit den Häuptlingen und Landesältesten, und stellte ihnen den Vortheil vor, der ihnen in künftigen Kriegen durch den Besitz von Garde Doloureuse erwuchs, da dies Schloß länger als ein Jahrhundert einen beträchtlichen Landesstrich deckte und schützte; da es ihr Vorrücken schwierig, ihren Rückzug gefährlich gemacht, und, mit Einem Worte, sie verhindert hatte, bis zu den Thoren von Shrewsbury vorzudringen. Was die Verbindung mit dem angelsächsischen Fräulein betraf, so gab der gute Pater zu verstehen, daß diese Fesseln auch wohl nicht fester seyn dürften, als die, welche Gwenwyn an ihre Vorgängerin Brengwain geknüpft hatten.
Diese Gründe, mit andern vermischt, welche den Plänen und Wünschen der einzelnen Individuen zusagten, waren so wirksam, daß der Kapellan nach einigen Wochen bereits im Stande war, seinem fürstlichen Gönner zu berichten, er habe wegen seiner Vermählung keinen Widerstand von den Landesältesten und Edlen seines Reichs zu befürchten. Ein goldenes Armband, sechs Unzen schwer, war die augenblickliche Belohnung der geschickten Unterhandlungen des Priesters, der zugleich Auftrag erhielt, die Vorschläge zu Papier zu bringen, welche, wie Gwenwyn nicht zweifelte, die Burg Garde Doloureuse, trotz ihres melancholischen Namens, Garde Doloureuse – wörtlich: schmerzliche Wache. – A. d. Uebers. in einen Freudentaumel versetzen würden.
Mit einiger Schwierigkeit vermochte der Kapellan seinen Schutzherrn, in dem Briefe nichts von dem Plane eines einstweiligen Konkubinats zu erwähnen, was, wie er klug einsah, von Evelinen und ihrem Vater leicht als Beleidigung aufgenommen werden konnte. Die Sache der Scheidung stellte er als völlig abgemacht dar, und schloß seinen Brief mit einer moralischen Nutzanwendung, und mehreren Anspielungen auf Wasthi, Esther und Ahasverus.
Nachdem dies Schreiben durch einen schnellen und sicheren Boten abgesandt worden war, eröffnete der brittische Fürst mit aller Feierlichkeit das Osterfest, welches im Laufe der inneren und äußeren Unterhandlungen herangerückt war.
Um die Gemüther seiner Unterthanen und Vasallen günstig zu stimmen, erhielten sie eine Einladung, in den herannahenden Feiertagen Theil zu nehmen an einem glänzenden Feste zu Castell-Coch oder dem rothen Schlosse, wie es damals hieß. Seitdem war es mehr bekannt unter dem Namen Schloß Powy's, und späterhin der fürstliche Sitz des Herzogs von Beaufort. Die architektonische Pracht dieses Wohnorts war aus einer viel späteren Periode, als aus Gwenwyn's Zeit, dessen Pallast in dem Zeitraume, von dem wir reden, ein langes Gebäude war, mit niedrigem Dach und von rothen Steinen aufgeführt, woher der Name des Schlosses stammte. Außer seiner hohen und freien Lage waren ein Graben und Pallisaden die wichtigsten Festungswerke dieser Burg.