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Julia.
– – Edler Herr
Ihr seyd gefangen hier– allein man wird
Euch so behandeln, daß des Kerkers Reiz
Der Freiheit Lust noch überwiegen soll.
Roderich.
Nein, Holde, schon zu lange scherzten wir,
Und um entfaltet diese Rosenpracht
Zu schauen, ließ ich meinen Lorbeer welken.
Altes Schauspiel.
In Trauergewänder gehüllt, deren Schnitt eher einer Matrone angemessen, als für Evelinens Jugend geeignet war, höchst einfach und ohne allen Schmuck, außer ihrem Rosenkranze, erfüllte nun das Fräulein die Pflicht, ihren verwundeten Befreier zu besuchen – eine Pflicht, welche die Sitten der Zeit nicht nur erlaubten, sondern selbst dringend erheischten. Rose und Frau Gillian begleiteten sie. Margarethe, deren Element eine Krankenstube war, befand sich bereits an dem Lager des jungen Ritters, um für alles zu sorgen, was seine Lage nöthig machte.
Eveline trat leise in das Zimmer, als scheue sie sich, den Kranken zu stören. Sie stand an der Thüre still, ihren Blick rings umher werfend. Dies war einst ihres Vaters Gemach, und seit seinem gewaltsamen Tode hatte sie es nicht wieder betreten. An den Wänden umher hing ein Theil seiner Waffen und Rüstungen, nebst Geräthen zur Falkenjagd und anderem Waidwerke. Diese Reliquien stellten ihr die stattliche Gestalt des alten Raymund lebhaft vor Augen. »Zürne nicht, mein Vater« – diese Worte schwebten auf ihren Lippen, wenn gleich die Stimme sie nicht laut werden ließ – »zürne nicht, Eveline wird nie Deiner unwürdig werden!«
Pater Aldrovand und Amelot, Damian's Page, saßen neben dem Bette. Sie standen sogleich auf, als Eveline eintrat, und der erstere, der einige Kenntnisse in der Arzneikunde besaß, berichtete Evelinen, daß der Ritter schon lange geschlummert habe und eben zu erwachen scheine.
Amelot trat zu gleicher Zeit vor und bat mit schneller und leiser Stimme, das Zimmer möge ruhig gehalten und die Zuschauer entfernt werden. »Mein Herr,« sagte er, »pflegt seit seiner Krankheit zu Glocester mitunter irre zu reden, wenn er erwacht, und würde sehr unzufrieden seyn, falls ich irgend Jemand dann in seiner Nähe zu weilen vergönnte.«
,Eveline befahl ihren Frauen und dem Mönche, sich in das Vorzimmer zurück zu ziehen, während sie selbst in der Thüre stehen blieb, und Damian ihren Namen nennen hörte, als er sich mühsam auf seinem Lager umwandte.
»Ist sie in Sicherheit und unbeschädigt?« war seine erste Frage, die er mit einem Eifer that, welcher bewies, wie sehr sie jede andere Rücksicht überwog.
Als Amelot es bejahte, seufzte er tief, als sey sein Herz von einer schweren Last befreit, und fragte dann mit minder bewegter Stimme den Pagen, wo sie sich befänden. »Dies Zimmer und sein Geräthe,« sagte er, »ist mir gänzlich fremd.«
»Mein theurer Gebieter,« versetzte Amelot, »Ihr seyd jetzt zu schwach, um Fragen vorzulegen und Erklärungen zu empfangen.«
»Ich mag seyn, wo ich will,« rief Damian, dessen Erinnerungen immer deutlicher wurden, »an dem Orte, wohin mich meine Pflicht ruft, bin ich nicht. Gebietet meinen Trompetern, das Signal zum Aufbruch zu geben – zum Aufbruch! Und Ralph Genvil soll mein Banner tragen. Zu Pferde – zu Pferde! Wir haben keinen Augenblick zu verlieren!« Der verwundete Ritter machte jetzt einige Versuche, sich aufzurichten, die bei seiner Schwäche Amelot mit geringer Mühe fruchtlos machte. »Du hast Recht,« sagte Damian, indem er in seine vorige liegende Stellung zurücksank, »Du hast Recht, ich bin zu schwach – doch was soll mir die Kraft, wenn die Ehre verloren ist!«
Der unglückliche Jüngling bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen, dumpf stöhnend vor innerer Angst, die mehr von seinen geistigen als körperlichen Leiden herzurühren schien. Lady Eveline nahte sich mit zögerndem Schritte seinem Lager, von unbestimmter Furcht erfüllt, und gleichwohl ernstlich wünschend, den Antheil zu zeigen, den sie an dem Schmerze des Leidenden nahm. Damian schlug die Augen auf, und sie erblickend, verhüllte er wiederum sein Antlitz mit beiden Händen.
»Was bedeutet diese seltsame Erschütterung, Herr Ritter!« fragte Eveline mit schwachem, bebendem Tone, der indeß nach und nach mehr Festigkeit und Sicherheit erhielt. »Kann es Euch, die Ihr die Pflichten der Ritterschaft beschworen habt, so vielen Kummer verursachen, daß der Himmel Euch nun schon zwei Male zum Werkzeuge erwählte, um die unglückliche Eveline Berengar zu retten?«
»Nein! o nein!« rief er schnell und heftig, »da Ihr gerettet seyd, so ist Alles gut. – Aber die Zeit drängt – ich muß nothwendig sogleich ausbrechen – darf mich nirgends aufhalten, am allerwenigsten in diesem Schlosse. – Noch einmal, Amelot. laß sie gleich aufsitzen!«
»Nein, mein guter Lord,« entgegnete das Fräulein, »das kann nicht geschehen. Als Euer Mündel kann ich meinen Vormund nicht so schnell abreisen lassen – als Euer Arzt meinem Patienten nicht erlauben, sich selbst zu Grunde zu richten. Ihr könnt unmöglich ein Pferd besteigen.«
»Ein Tragsessel – eine Bahre – ein Karren wäre fast zu gut, um den ehrlosen Ritter und Verräther fortzuschleppen,« sagte Damian. »Ein Sarg wäre das Beste für mich – aber siehe zu, Amelot, daß er wie der des gemeinsten Bauern gezimmert wird – keine Sporen auf dem Leichentuche ruhend – kein Schild mit dem alten Wappen der Lacy's– kein Helm mit ritterlichem Federbusche soll den Leichenwagen desjenigen zieren, dessen Name entehrt ist!«
»Ist sein Verstand zerrüttet?« fragte Eveline, die mit Schrecken ihren Blick von dem Verwundeten hinweg zu seinem Begleiter wandte. »Oder liegt irgend ein furchtbares Geheimniß verborgen unter diesen abgebrochenen Worten? Ist dies der Fall, so sprich es aus, und vermag ich durch Leben oder Vermögen hier Hülfe zu gewähren, so soll meinen Retter keine Schmach drücken.«
Amelot betrachtete das Fräulein mit traurigem, niedergeschlagenem Blicke, und richtete dann das Auge wieder auf seinen Gebieter mit einem Ausdrucke, der zu verrathen schien, diese Fragen könnten nicht füglich in Damian's Gegenwart beantwortet werden. Lady Eveline, welche seine Absicht errieth, verfügte sich in das Vorzimmer, Amelot einen Wink gebend, daß er ihr folgen möchte. Dieser folgte, nachdem er einen Seitenblick auf seinen Herrn geworfen hatte, der, wie früherhin, das Antlitz mit seinen Händen bedeckt, da lag, als sey ihm das Licht des Tages und Alles, was es ihm zeige, zuwider.
Als Amelot in dem Vorzimmer war, gab Eveline ihrer Begleitung ein Zeichen, sich so weit als möglich zurück zu ziehen; und dringend befragte sie nun den Pagen über Damian's verzweiflungsvollen Ausbruch des Schmerzes und der Reue.
»Du weißt,« sagte sie, »ich bin zum Beistande Deines Herrn, in sofern es in meiner Macht steht, verpflichtet, ich bin es sowohl aus Dankbarkeit, da er mich mit Gefahr seines Lebens gerettet, als auch Verwandschaftshalber. Sage mir deshalb, in welcher Lage er sich befindet, damit ich ihm, wenn ich es vermag, helfe. Ich setze voraus,« fuhr sie fort, indem ihre bleichen Wangen eine hohe Röthe überzog, »daß es sich für mich schickt, die Ursache seine Kummers zu vernehmen.«
Der Page verbeugte sich tief; doch zeigte er so große Verlegenheit, als er zu sprechen anfing, daß Lady Eveline sich von einer ähnlichen Verwirrung befangen fühlte, ihm indeß demungeachtet gebot, ohne Säumen, frei und offen zu sprechen, falls anders der Gegenstand so beschaffen sey, daß sie ihn anhören könne.
»Glaubt mir, edles Fräulein,« sagte Amelot, »augenblicklich wären Eure Befehle befolgt worden, fürchtete ich nicht den Zorn meines Herrn, wenn ich ohne seine Erlaubniß über seine Angelegenheit spräche. Nichts desto weniger will ich auf Euer Gebot, da mein Herr Euch, wie ich weiß, höher ehrt, als irgend ein Wesen auf der Welt, Euch eingestehen, daß wenn sein Leben nicht gefährdet ist durch die erhaltenen Wunden, seiner Ehre und seinem Rufe große Gefahr droht, falls nicht der Himmel selbst Hülfe sendet.«
»Sprich weiter,« entgegnete Eveline, »und sey versichert, daß Du Damian von Lacy keinen Nachtheil zufügst durch das Vertrauen, welches Du in mich setzest.«
»Das glaube ich wohl, Lady,« sagte der Page. »So mögt Ihr wissen, falls es Euch noch nicht bekannt ist, daß die Bauern und der Pöbel, welche im Westen die Waffen gegen den Adel ergriffen haben, vorgeben, nicht nur von Randal von Lacy, sondern auch von meinem Gebieter, Sir Damian, heimlich unterstützt zu werden.«
»Lügner sind es, die ihn eines so schändlichen Verraths an seinen Blutsfreunden sowohl, als an seinem Monarchen beschuldigen!« versetzte Eveline.
»Das glaube ich ebenfalls,« sagte Amelot, »aber es hindert nicht, ihren falschen Worten bei denen, die ihn weniger genau kennen, Eingang zu verschaffen. Mehr als ein Ausreißer von unsern Truppen hat sich zu diesen Empörern gesellt, und das gibt dem bösen Gerüchte einige Wahrscheinlichkeit. Und dann sagen sie – sie sagen – daß – mit Einem Worte, daß mein Herr damit umgehe, die Besitzungen, die er für seinen Oheim verwaltet, an sich zu reißen, und daß der alte Konstabel – verzeiht, Mylady! – bei seiner Heimkehr von Palästina, Schwierigkeiten haben werde, sein Eigenthum zurück zu erhalten.«
»Die schmutzigen Geizhälse beurtheilen Andere nach ihren eigenen Gesinnungen, und halten dergleichen Versuchungen auch für ehrenwerthe Männer zu mächtig, weil sie fühlen, daß sie selbst ihnen nicht zu widerstehen vermöchten. Aber sind denn diese Insurgenten so frech und so mächtig zugleich? Wir haben von ihren Gewaltthätigkeiten nur wie von einem Volkstumulte sprechen hören.«
»Vorige Nacht ward uns berichtet, sie hätten sich in großer Masse zusammengezogen, und Wild Wenlock mit seinen Reisigen in einem Dorfe, zehn Meilen von hier, eingeschlossen oder belagert. Er sandte zu meinem Gebieter, ihn auffordernd, als sein Vetter und Waffenbruder ihm zu Hülfe zu eilen. Heute früh bestiegen wir unsere Pferde, um zu seiner Befreiung herbei zu ziehen, als –«
Er schwieg und schien ungern fort zu fahren. Eveline nahm das Wort und rief: »Als Ihr von meiner Gefahr hörtet, nicht wahr? Ich wollte, Ihr hättet lieber meinen Tod vernommen.«
»Offenbar, edle Lady,« sagte der Page, »konnte nur eine so dringende Ursache meinen Gebieter bewegen, seine Truppen zurück zu halten und den bessern Theil derselben in die Walliser Gebirge zu führen, während die bedrängte Lage seines Landsmannes und die Befehle des königlichen Lieutenants seine Gegenwart an einem andern Orte so dringend forderten.«
»Ich wußte es,« versetzte Eveline, »ich wußte, daß ich geboren ward, ihm den Untergang zu bereiten; aber dies ist, wie mir scheint, schlimmer, als das Schlimmste, was ich mir jemals träumen ließ. Seinen Tod fürchtete ich zu veranlassen, nicht den Verlust seines Ruhms. Um des Himmels willen, Amelot, thue was Du kannst, und ohne allen Zeitverlust. Wirf Dich sogleich aufs Pferd und vereinige mit Deinen eigenen Truppen so viel von den meinigen, als Du irgend kannst. Zu Pferde, wackerer Jüngling! Laß das Banner Deines Herrn wehen, damit sie sehen, daß seine Macht und sein Herz mit ihnen ist, wenn er selbst auch fehlt. Eile, eile! die Zeit ist kostbar!«
»Aber die Sicherheit dieses Schlosses – Eure eigene Sicherheit?« fragte der Page. »Gott weiß es, wie gern ich Alles wagen würde, seinen Ruf zu retten; aber ich kenne meines Herrn Gemüthsart. Sollte Euch durch meine Entfernung von Garde Doloureuse irgend ein Leid zustoßen – rettete ich ihm auch dadurch Güter, Leben und Ehre, sein Dolch würde mir wahrscheinlich eher lohnen, als sein Dank oder seine Zufriedenheit.«
»Gehe demungeachtet, theurer Amelot!« sagte Eveline. »Sammle alle Truppen, die Du zusammenbringen kannst und eile von hinnen.«
»Ihr spornt ein williges Roß,Mylady!« entgegnete der Page, bereits auf dem Sprunge, fort zu eilen, »und in der Lage meines Gebieters scheint mir nichts besser, als daß sein Banner gegen jene Schurken erhoben werde.«
»Zu den Waffen also!« rief Eveline mit Feuer. »Zu den Waffen und gewinne Dir Deine Rittersporen. Bringe mir die Gewißheit, daß die Ehre Deines Herrn gerettet ist, und ich selbst will Deine Füße damit schmücken. Hier nimm diesen geheiligten Rosenkranz, befestige ihn an Deinem Helme, und der Gedanke an unsere Frau von Garde Doloureuse, die nie einen Flehenden verließ, stärke Dich in der Stunde der Gefahr!«
Sie hatte kaum geendet, als Amelot aus ihrer Gegenwart entschwand und alle Reiter versammelte, die er sowohl von seines Gebieters Leuten, als von der im Schlosse befindlichen Mannschaft zusammenbringen konnte. So hielten bald vierzig Mann zu Pferde im Burghofe.
Allein wenn auch der Page bis hieher willigen Gehorsam gefunden, so zeigten doch die Krieger einen entschiedenen Widerwillen, das Schloß zu verlassen, als sie hörten, daß sie unter der unerfahrenen Leitung eines fünfzehnjährigen Jünglings zu einem gefahrvollen Zuge aufbrechen sollten.
Die alten Krieger Lacy's äußerten, Damian sey noch zu jung, um ihnen zu gebieten, und habe kein Recht, seine Gewalt einem Knaben zu übertragen. Berengar's Reisige aber meinten, ihre Gebieterin möge zufrieden seyn mit ihrer eigenen Rettung an diesem Morgen, und keine ferneren gefährlichen Folgen durch die Verminderung der Garnison des Schlosses herbeiziehen. Die Zeiten seyen stürmisch, sagten sie, und die Klugheit verlange, ein steinernes Dach über dem Haupte zu behalten.
Je mehr die Krieger ihre gegenseitigen Ideen und Besorgnisse austauschten, desto stärker ward ihre Abneigung gegen das Unternehmen, und als Amelot, der sich entfernt hatte, um nach Pagenart sein Roß unter seiner Aufsicht satteln und aufzäumen zu lassen, wieder in den Hof zurückkehrte, fand er sie zerstreut in einzelnen Haufen, einige zu Pferde, andere zu Fuß, alle aber laut und verwirrt mit einander sprechend. Ralph Genvil, dessen Antlitz mit mancher Narbe versehen war, und der lange Zeit das Gewerbe eines Glücksritters trieb, stand von den Uebrigen geschieden, den Zügel seines Rosses in der einen Hand, in der anderen den Speer haltend, an welchem sich Lacy's Banner noch unentfaltet befand.
»Was soll das heißen, Genvil?« rief der Page verdrießlich. »Warum besteigt Ihr nicht Euer Pferd und entfaltet das Banner? Und woher rührt diese Verwirrung?«
»Herr Page,« sagte Genvil sehr gelassen, »ich schwang mich noch nicht in den Sattel, weil ich einige Achtung habe für diesen alten seidenen Lumpen, den ich so manches Mal mit Ehren trug, und den ich nicht dahin tragen möchte, wo die Leute ihm nicht gern folgen und ihn vertheidigen wollen«
»Kein Marsch! Kein Angriff! Das Banner wird heute nicht entfaltet!« riefen die Krieger, gleichsam des Fahnenträgers Worte bekräftigend.
»Wie, Ihr Memmen? Ihr wagt Euch zu empören?« rief Amelot, die Hand an sein Schwert legend.
»Drohe mir nicht, Knabe ,« sagte Genvil, »und hüte Dich, Dein Schwert gegen mich zu ziehen. Ich sage Dir, Amelot, sollte meine Waffe sich mit der Deinen messen, nie würde ein Dreschflegel mehr Spreu in die Luft senden, als ich Splitter machen wollte von Deinem vergoldeten Bratspieße. Sehe her, hier sind Graubärte versammelt, die nicht Lust haben, der Grille eines Knaben halber in den Kampf zu ziehen. Was mich betrifft, so liegt mir wenig daran, und es ist mir gleichviel, ob ein Knabe oder der andere mir gebietet. Allein für jetzt bin ich Lacy's Krieger, und nicht überzeugt, ob er uns danken wird für den Beistand, den wir Wild Wenlock leisten wollen. Warum führte er uns nicht diesen Morgen dahin, als er uns nach den Gebirgen beorderte?«
»Ihr kennt den Grund recht gut,« erwiederte der Page.
»Den kennen wir allerdings, und könnten ihn, wenn wir ihn nicht wüßten, wenigstens errathen!« antwortete der Fahnenträger mit wieherndem Gelächter, das von manchen seiner Gefährten wiederholt ward.
»Ich will Dir den Leumund in Deine falsche Kehle hinabstoßen, Genvil!« rief der Page, mit gezogenem Schwerte auf den Fahnenträger eindringend, ohne die große Verschiedenheit ihrer Kräfte zu berücksichtigen. Genvil begnügte sich, mit einer scheinbar sehr unbedeutenden Bewegung seines Riesenarms, den Pagen auf die Seite zu drängen, während er zugleich den Hieb mit der Fahnenstange abwehrte.
Ein abermaliges lautes Gelächter erfolgte, und Amelot in all' seinen Bemühungen getäuscht, und vor Stolz und Unmuth in Thränen ausbrechend, eilte fort, um Lady Evelinen den schlechten Erfolg zu berichten.«
»Es ist Alles verloren!« sagte er: »die feigen Schufte empören sich, und wollen nicht ausrücken. Der Vorwurf ihrer Trägheit und Muthlosigkeit wird meinem Gebieter zur Last gelegt werden.«
»Das soll nie geschehen,« rief Eveline, »und sollte ich es mit meinem Leben verhindern. – Folge mir, Amelot!«
Bei diesen Worten warf sie schnell eine scharlachrothe Schürze über ihr dunkles Gewand, und eilte in den Schloßhof. Frau Gillian folgte ihr, und ließ mannichfache Zeichen des Erstaunens und Mitleidens blicken, indeß Rose sorgfältig die Empfindungen unterdrückte, welche sich wirklich in ihr regten.
Eveline trat in den Schloßhof, mit dem funkelnden Auge und der stolzen Stirn, womit ihre Vorfahren der Noth und Bedrängniß Trotz zu bieten pflegten, wenn ihr Geist gewaffnet war, dem Sturme zu begegnen, und ihre Züge unverkennbare Würde und Verachtung der Gefahr aussprachen. Sie schien in diesem Augenblicke größer als gewöhnlich, und mit einer Stimme, die klar und deutlich ertönte, ohne die Zartheit des weiblichen Organs zu verletzen, redete sie jetzt die Empörer an. »Was ist das, Ihr Herren?« sagte sie, und während sie sprach, schienen die unförmlichen Gestalten der bewaffneten Krieger sich enger zusammen zu ziehen, als ob sie dem persönlichen Tadel ausweichen wollten. Sie glichen einer Gruppe schwerfälliger Wasservögel, die, um dem Stoße des zierlichen und gelenken Lerchenhabichts Im englischen Original: »merlin«, Zwergfalke. zu entgehen, sich dicht vereinigt, weil sie, trotz ihrer höhern Körperkraft, das ihrem Feinde durch Natur und Zucht verliehene Uebergewicht scheut. – »Was bedeutet dies?« fragte sie nochmals. »Glaubt Ihr Euch widersetzen zu können, weil Euer Gebieter abwesend ist und sein Neffe und Bevollmächtigter auf dem Krankenbette liegt? – Haltet Ihr so Euren Eid? Belohnt Ihr so Eures Führers Güte? Schande über Euch, verzagte Hunde, die das Wild fahren lassen, so wie sie den Jäger aus dem Auge verlieren!«
Es erfolgte eine Pause. Die Krieger sahen bald sich, bald Evelinen an, als schämten sie sich, sowohl starke Empörung fort zu setzen, als zu ihrem gewöhnlichen Gehorsame zurück zu kehren.
»Ich sehe, wie die Sachen stehen, Freunde,« fuhr das Fräulein fort, »Euch fehlt ein Anführer. Aber seyd deshalb unbesorgt. Ich selbst will mich an Eure Spitze stellen; und bin ich gleich nur ein Weib, so habt Ihr keine Schande zu befürchten, wo Euch ein Sprößling des Stammes Berengar anführt. Laßt meinem Zelter einen Stahlsattel auflegen!« rief sie, »und zwar auf der Stelle!«
Bei diesen Worten ergriff sie den leichten Helm des Pagen, und ihn schnell aufs Haupt drückend, hob sie sein weggeschleudertes Schwert vom Boden, und sagte: »Hier gelobe ich Euch anzuführen und mit Euch zu kämpfen. Dieser Tapfere« – auf Genvil deutend – »soll meinen Mangel an kriegerischer Erfahrung ersetzen. Er gleicht einem Manne, der mancher heißen Schlacht beigewohnt, und ist wohl geeignet, einen jungen Anführer durch seinen Rath zu unterstützen.«
»Gewiß,« versetzte der alte Krieger, unwillkürlich lächelnd und zugleich den Kopf schüttelnd, »ich habe mancher Schlacht beigewohnt, doch nie unter solchem Anführer.«
»Nichts desto weniger,« sagte Eveline, welche bemerkte, wie die Blicke der Uebrigen sich auf Genvil hefteten, »werdet – dürft – und könnt Ihr Euch nicht weigern, mir zu folgen. Ihr dürft es nicht als Soldat, denn meine schwache Stimme ertheilt Euch die Befehle Eures Hauptmanns – Ihr könnt es nicht als Edelmann, denn ein ungückliches, hart bedrängtes Mädchen bittet Euch um diese Gunst – Ihr werdet Euch nicht weigern als Engländer, denn Euer Vaterland bedarf Eures Schwerts, und Eure Waffenbrüder sind in Gefahr. – Entfaltet daher Euer Banner, und brecht auf!«
»Mein Seel, ich würde es thun, holdes Fräulein,« erwiederte Genvil, der im Begriff zu seyn schien, das Banner zu entfalten, »und Amelot möchte uns, von meinem Rathe unterstützt, wacker genug anführen. Wüßte ich nur, daß der Weg, wohin Ihr uns sendet, der richtige wäret.«
»Gewiß, gewiß,« entgegnete Eveline mit vielem Ernste; »der rechte Weg muß es seyn, der Euch zum Beistande Wenlocks und seiner Gefährten gegen die rebellischen Bauern führt.«
»Ich weiß doch nicht«,« sagte Genvil, noch immer schwankend. »Unser Anführer, Sir Damian von Lacy, schützt den gemeinen Mann – man sagt sogar, er sey sein Freund – und ich weiß recht gut, daß er einst mit Wild Wenlock in Streit gerieth, einer unbedeutenden Kränkung wegen, die er dem Weibe des Müllers Twineford Im englischen Original: »Twyford«. zugefügt hatte. Wir würden übel wegkommen, wenn unser feuriger, junger Anführer sich wieder auf den Beinen befände, und erführe, daß wir gegen die von ihm begünstigte Partei kämpften.«
»Seyd überzeugt,« entgegnete das Fräulein mit Besorgniß, »je mehr er den gemeinen Mann gegen Unrecht in Schutz nimmt, desto kräftiger wird er gegen ihn auftreten, sobald jener sich selbst als Unterdrücker zeigt. Zu Rosse, sage ich! Rettet Wenlock und seine Mannen! Jeder Augenblick entscheidet über Tod und Leben. Mit meinem Leben und Eigenthume will ich mich verbürgen, daß, was Ihr hier vollbringt, Damian von Lacy gutheißen wird. – Auf! Folgt mir!«
»Offenbar kann Niemand besser Sir Damians Absichten kennen, als Ihr, schönes Fräulein,« erwiederte Genvil, »und was das betrifft, so werdet Ihr seine Meinung schon nach Belieben zu lenken wissen. So will ich denn ausrücken mit den Bewaffneten, und dem Wenlock beistehen, wenn es noch Zeit ist, wie ich hoffe. Denn er ist ein grimmiger Eber, und wenn er sich tüchtig wehrt, so wird es den Bauern Blut genug kosten, ehe sie ihn erlegen. Aber Ihr schönes Fräulein, bleibt im Schlosse, und verlaßt Euch auf Amelot und auf mich. Kommt, Herr Page, und übernehmt das Kommando, da es so seyn muß, wiewohl es bei meiner Treue ein Jammer ist, den Helm von dem schönen Haupte und das Schwert aus so zierlicher Hand zu nehmen. – Bei St. Georg! wenn man so was sieht, so blickt man mit wahrem Stolze auf den Soldatenstand.«
Das Fräulein übergab demgemäß die Waffen dem Pagen, ihn mit wenigen Worten ermahnend, die empfangene Beleidigung zu vergessen und männlich seine Pflicht zu erfüllen. Indeß entfaltete Genvil langsam die Fahne, und erhob sie in die Lüfte, während er, ohne den Fuß in den Steigbügel zu setzen, und nur leicht auf die Lanze gestützt, sich in den Sattel schwang, so schwer er auch gewappnet war.
»Jetzt sind wir fertig, wenn es Euch gefällig ist, mein junger Herr!« sagte er zu Amelot. Während dieser noch beschäftigt war, die Krieger zu ordnen, flüsterte Genvil seinem nächsten Kameraden zu: »Mich dünkt, statt diesem alten Schwalbenschwanze zu folgen, sollten wir lieber einen gestickten Weiberrock als Banner haben – über einen zierlich verbrämten Unterrock geht mir nichts. Höre einmal, Stephan Pontoys, ich kann's dem Damian nicht verdenken, daß er seinen Oheim und seinen Ruhm über dem Mädchen vergißt; denn ich selbst könnte mich ganz sterblich in sie verlieben! Ach! eine böse Macht ward den Weibern verliehen. Sie beherrschen uns zu allen Zeiten, Stephan, in jedem Alter! Sind sie jung, so locken sie uns mit holden Blicken und überzuckerten Worten, mit süßen Küssen und Liebespfändern. In mittlern Jahren stimmen sie uns nach ihrer Willkür durch Artigkeit und Geschenke, blinkenden Wein und blinkendes Gold; und sind sie alt, so eilen wir schnell, ihre Aufträge zu erfüllen, damit wir nur dem Anblicke ihrer ledernen Gesichter entgehen. – Der alte Lacy hätte besser gethan, wenn er daheim geblieben wäre und seinen Falken selbst bewacht hätte. Aber uns, Stephan, gilt das gleich, ja, wir ziehen vielleicht noch heute Vortheil davon, denn diese Bauern haben mehr als ein Schloß ausgeplündert.«
»Je nun,« antwortete Pontoys, »der Bauer macht Beute und wird zur Beute, das ist ein kräftiges, wahres Sprüchwort. Aber ich bitte Dich, kannst Du mir nicht sagen, weshalb Se. Pagen-Herrlichkeit uns jetzt nicht vorwärts führt?«
»Pah!« erwiederte Genvil, »der Stoß, den ich ihm versetzte, hat sein Gehirn verwirrt oder vielleicht hat er seine Thränen noch nicht alle hinuntergeschluckt, denn wo es Ehre zu gewinnen gibt, da ist er für seine Jahre ein keckes Hähnlein. Aber sieh, nun beginnen sie auszurücken. – Es ist doch ein seltsames Ding, Stephan, um so eine edle Geburt. Da muß nun das Kind, das ich so eben erst wie einen Schulknaben abgefertigt, uns Graubärte dahin führen, wo es uns leicht den Kopf kosten kann, und das auf den Befehl eines unbesonnenen Fräuleins.«
»Ich bin Bürge, Sir Damian ist meiner jungen Lady geheimer Rath,« entgegnete Stephan Pontoys, »wie's der Springinsfeld Amelot bei Sir Damian ist; und da müssen wir armen Leute gehorchen und unsern Mund verschließen.«
»Aber die Augen bleiben offen, Stephan Pontoys – vergeßt das nicht.«
Jetzt befand man sich außerhalb den Schloßthoren, auf der Straße nach dem Dorfe, in welchem, wie man diesen Morgen erfahren, Wenlock durch eine Uebermacht von aufrührerischen Bauern bedrängt oder belagert ward. Amelot führte den Zug der Krieger an, noch immer durch die in ihrer Gegenwart empfangene Beleidigung verwirrt und niedergeschlagen, und in Nachdenken versunken, wie er den Mangel der Erfahrung ersetzen sollte, dem in ähnlichen Fällen der Rath des Fahnenträgers abgeholfen hatte. Mit ihm eine Versöhnung anzuknüpfen, schämte er sich; allein Genvil, wenn auch von Natur mürrisch, war doch kein offenbarer Trotzkopf. Zu dem Pagen hinreitend, verneigte er sich, und fragte ihn ehrerbietig: ob es nicht gut wäre, wenn einige von ihren Leuten dem Zuge vorausritten, um sich zu erkundigen, wie es mit Wenlock stehe, und ob es noch Zeit sey, ihm Beistand zu leisten.
»Mich dünkt, Fahnenträger,« antwortete Amelot, »Ihr solltet die Anführung unserer Schaar übernehmen, da Ihr so gut wißt, was zu thun ist. Ihr mögt Euch um so besser zum Befehlen schicken, weil Ihr – Doch, ich will Euch nicht kränken.«
»Weil ich so schlecht zu gehorchen weiß, wollt Ihr sagen?« entgegnete Genvil. »Bei meiner Treue, ich läugne, nicht, etwas Wahres mag daran seyn. Aber wäre es nicht störrig von Dir, ein tapferes Unternehmen schlecht ausführen zu wollen, eines thörichten Wortes oder einer übereilten Handlung wegen? Kommt, laßt uns Frieden schließen!«
»Von ganzem Herzen!« antwortete Amelot; »ich will gleich einen Vortrab aussenden, um, wie Du es mir gerathen, Erkundigungen einzuziehen.«
»Wählt Stephan Pontoys dazu, und zwei von den Chester Speerreitern. Er ist schlau wie ein alter Fuchs, und weder Hoffnung noch Furcht wird ihn ein Haarbreit weiter verlocken, als er sich mit Sicherheit wagen kann.«
Amelot befolgte schnell den Wink, und auf seinen Befehl sprengten Pontoys und zwei Lanzenträger voraus, um den Weg zu rekognosciren, und die Lage derer zu erforschen, denen man zu Hülfe eilte. »Jetzt, da wir auf dem alten Fuße miteinander stehen, Herr Page,« sprach der Fahnenträger, »sage mir, wenn Du es kannst, ist jene schöne Dame unserm Ritter nicht par amour zugethan?«
»Das ist falsche Verläumdung!« rief Amelot entrüstet. »Verlobt, wie sie es ist, an seinen Oheim, würde sie eher sterben, als einen solchen Gedanken hegen, davon bin ich überzeugt, und eben so denkt mein Gebieter. Schon früher habe ich Deinen Unglauben in dieser Hinsicht bemerkt, Genvil, und Dich gebeten, ihn zu verbannen. Du weißt, es kann durchaus nicht seyn, denn es ist Dir bekannt, daß sie kaum einander jemals getroffen haben.«
»Wie kann ich das so bestimmt wissen,« entgegnete Genvil, »oder wie kannst Du selbst dafür stehen? Es schlüpft viel Wasser durch die Mühle, ohne daß der Müller was davon weiß. Daß sie mit einander in Briefwechsel stehen, kannst Du wenigstens nicht läugnen.«
»Das läugne ich!« rief Amelot, »so wie ich Alles läugne, was ihrer Ehre nachtheilig seyn kann.«
»Aber wie in's Himmels Namen erhält er denn von all' ihrem Thun und Treiben so genaue Nachricht, wie wir es noch diesen Morgen gesehen haben?«
»Das wollt Ihr wissen?« entgegnete der Page. »Gibt es doch Wesen, die wir Heilige und gute Engel nennen. Ist nun irgend ein sterbliches Geschöpf ihres Schutzes würdig, so ist es Eveline Berengar.«
»Seht gut gesagt, Herr Geheimerath!« erwiederte Genvil lachend. »Schade nur, daß ein alter Kriegsmann schwer daran glaubt! Heilige und Engel, sagt Ihr. Nun, da muß ihr Thun und Treiben offenbar sehr heilig seyn!«
Der Page wollte fortfahren in seiner entrüsteten Vertheidigung, als Stephan Pontoys und seine Begleiter zurückkehrten.
»Wenlock wehrt sich tapfer,« sagte Stephan, »wiewohl er von den Bauern eng eingeschlossen ist. Seine Armbrustschützen thun gute Dienste, und ich zweifle nicht, daß er sich halten kann, bis wir uns nähern, wenn es Euch gefällig ist, etwas scharf zu reiten. So eben haben sie die Verschanzungen gestürmt, und drängten noch jetzt dicht heran; allein sie sahen sich mit geringem Erfolge zurückgeschlagen.«
Die Bewaffneten ritten nun so schnell vorwärts, als es die nöthige Ordnung erlaubte, und erreichten bald den Gipfel einer kleinen Anhöhe, auf welcher das Dorf lag, in dem Wenlock sich vertheidigte. Die Luft hallte wieder von dem Geschrei und dem Jubelrufe der Insurgenten, die, zahlreich wie die Bienen, mit dem angeborenen Muthe der Engländer sich, Ameisen ähnlich, nach den Verschanzungen drängten.
Sie versuchten, die Pallisaden niederzureißen oder sie zu ersteigen, ungeachtet des ihnen entgegen geschleuderten Pfeil- und Steinhagels, der ihnen einen eben so großen Verlust zufügte, als die Streitäxte der Reisigen, da, wo es zum Handgemenge kam.
»Wir kommen noch zu rechter Zeit!« rief Amelot, indem er den Zügel fallen ließ und fröhlich in die Hände klopfte. »Laß Dein Banner fliegen, Genvil, daß Wenlock und seine Gefährten es deutlich erblicken. – Halt, Kameraden! Laßt Eure Rosse einen Augenblick verschnaufen! – Höre, Genvil, wenn wir den breiten Fußweg nach der Wiese hinabsprengten, wo das Vieh weidet« –
»Brav, mein junger Falke!« erwiederte Genvil, dessen Kampfeslust feurig entglühte bei dem Anblick der Speere und dem Schalle der Trompeten. »So gewinnen wir einen günstigen Raum zum Angriffe auf jene Buben.«
»Welche dicke, schwarze Wolke die Schurken bilden!« sagte Amelot; »aber wir wollen sie schon mit unsern Speeren lichten. – Siehe, Genvil, die Belagerten geben ein Zeichen, daß sie uns erblickt haben!«
»Ein Zeichen für uns!« rief Genvil. »Bei'm Himmel, es ist eine weiße Flagge – das Signal der Uebergabe.«
»Der Uebergabe? Daran ist nicht zu denken, wenn wir ihnen zu Hülfe eilen,« erwiederte Amelot, als einige klagende Trompetenstöße der Belagerten von einem donnernden, lärmenden Jubelgeschrei der Angreifenden begleitet, die Sache außer Zweifel setzten.
»Wenlocks Fahne sinkt,« rief Genvil, »und die Schurken dringen auf allen Punkten in die Verschanzungen ein. Hier ist Verrath oder Feigheit im Spiel. Was thun wir jetzt?«
»Wir rücken auf sie an,« sagte Amelot, »nehmen den Platz wieder, und befreien die Gefangenen.«
»Auf sie anrücken?« entgegnete der Fahnenträger. »Nach meinem Rathe nicht auf Pferdes-Länge! Jeden Nagel in unsern Panzern würden die Pfeile zu finden wissen, ehe wir im Angesichte einer solchen Menge den Hügel hinab gelangen, und vollends den Platz selbst zu stürmen – es wäre Raserei!«
»So komme ein wenig weiter mit mir vor,« sagte der Page, »vielleicht finden wir einen Weg, auf dem wir unbemerkt in die Ebene gelangen können.«
Sie ritten demzufolge ein wenig vorwärts, um die Beschaffenheit des Hügels genauer zu untersuchen. Während der Page noch immer behauptete, daß es möglich seyn werde, mitten in der Verwirrung den Hügel unbemerkt hinab zu eilen, antwortete Genvil ungeduldig: »Unbemerkt? – Ihr seyd schon bemerkt! Da sprengt ein Bursche auf uns zu, so schnell, als sein Pferd nur traben kann.«
Während er noch sprach, hatte der Reiter sie erreicht. Es war ein kurzer, untersetzter Bauer, in einer gewöhnlichen Friesjacke und gleichen Beinkleidern, und mit einer blauen Mütze auf dem Kopfe, die er nur mit Mühe über die borstigen, rothen Haare gezogen hatte, welche sich dagegen zu sträuben schienen. Seine Hände waren blutig, und an seinem Sattelbogen hing ein linnener Beutel, der ebenfalls mit Blut befleckt war.
»Ihr gehört zu Damian von Lacy's Truppen, nicht wahr?« fragte dieser ungehobelte Bote, und nach Bejahung dieser Frage fuhr er mit derselben plumpen Höflichkeit fort: »Müller Hob von Twineford empfiehlt sich Damian von Lacy, und da er seinen Vorsatz kennt, dem Uebelstande des Gemeinwohls abzuhelfen, so sendet Müller Hob ihm seinen Zoll von dem Korne, das er gemahlen hat.«
Bei diesen Worten zog er ein menschliches Haupt aus dem Beutel, und hielt es Amelot hin.
»Das ist Wenlocks Haupt!« rief Genvil. »Wie seine Augen starren!«
»Sie werden nun nicht mehr nach den Dirnen starren,« sagte der Bauer; »ich habe ihn von der Kater-Natur geheilt.«.
»Du?« rief Amelot, mit Eckel und Ingrimm zurücktretend.
»Ja, ich selbst,« versetzte der Bauer; »ich bin Ober-Gerichtsherr der Gemeinden, in Ermanglung eines bessern.«
»Oberhenker, willst Du sagen,« erwiederte Genvil.
»Nennt es, wie Ihr wollt,« versetzte der Bauer. »Staatsdienern geziemt es, ein gutes Beispiel zu geben. Ich heiße Niemand etwas zu thun, was ich selbst nicht bereit bin, auszuführen. Es ist eben so leicht, einen Menschen aufzuhängen, als zu sprechen: Hängt ihn auf! Wir wollen keine Zersplitterung der Aemter in dieser neuen Ordnung der Dinge haben, die jetzt glücklicher Weise in Alt-England eingeführt ist.«
»Elender!« rief Amelot, »trage dies blutige Zeichen denen, die Dich gesendet, zurück. Hättest Du Dich nicht im Vertrauen auf unsere Rechtlichkeit genaht, so würde ich Dich mit meiner Lanze an den Erdboden festgebohrt haben. Aber seyd überzeugt, daß Eure Grausamkeit furchtbar gerächt wird. – Kommt, Genvil, laßt uns zu unsern Truppen zurückkehren; es frommt zu nichts, hier länger zu verweilen.«
Der Bursche, der einen ganz andern Empfang gehofft hatte, starrte ihnen einige Augenblicke nach. Dann sein blutiges Siegeszeichen wieder in den Beutel steckend, ritt er zu denen, die ihn gesendet, zurück.
»Das kommt davon, wenn man sich in die Liebeshändel der Leute mischt!« sagte Genvil. »Sir Damian mußte sich noch neulich mit Wenlock über sein Benehmen gegen diese Müllerstochter streiten, und darum halten sie ihn jetzt für einen Begünstiger ihres Unternehmens. Es wäre gut, wenn nur nicht auch andere Leute dieser Meinung wären. Ich wollte, wir hätten nichts mit all' den Plackereien zu thun, die solch' ein Verdacht uns auf den Hals laden kann. Mein bestes Roß wollte ich darum geben! Es ist mir ohnedies wahrscheinlich, daß ich es heute durch die Anstrengung verliere, und ich wollte, es wäre das Schlimmste, was sie uns kosten kann.«
Die Reiter kehrten mißmuthig und ermüdet nach Garde Doloureuse zurück, und nicht ganz ohne Verlust langten sie dort an, da einige ihrer ermüdeten Pferde wegen zurückbleiben mußten, andere aber die Gelegenheit zum Entweichen benutzten, um sich mit den aufrührerischen Banden zu vereinigen, die sich jetzt in verschiedenen Gegenden sammelten, und täglich durch Ausreißer von den wüsten Kriegstruppen verstärkt wurden.
Amelot fand bei seiner Ankunft im Schlosse seinen Herrn noch immer in großer Gefahr. Lady Eveline aber, so erschöpft sie sich auch fühlte, hatte sich noch nicht zur Ruhe begeben, sondern wartete ungeduldig auf seine Rückkehr. Er ward sogleich zu ihr geführt, und theilte ihr mit schwerem Herzen den mißlungenen Erfolg seines Unternehmens mit.
»So mögen sich die Heiligen unserer erbarmen!« rief Eveline. »Es scheint, als ruhe ein Fluch oder ein Unheil auf mir, das sich über Alle verbreitet, welche Antheil an mir nehmen. Von dem Augenblicke an, wo sie sich für mein Wohl interessiren, werden ihre Tugenden selbst Fallstricke für sie, und was in jedem andern Falle Ehre erwerben würde, das bringt den Freunden Evelinens den Untergang.«
»Seyd ohne Furcht, schöne Lady,« entgegnete Amelot; »es gibt in meines Herrn Lager noch Krieger genug, um diese Störer der öffentlichen Ruhe zu zügeln. Ich will hier nur verweilen, bis ich seine Befehle erhalten habe, und eile Morgen dahin, hinlängliche Truppen zusammen zu ziehen, um die Ruhe in diesem Theile des Landes wieder herzustellen.«
»Ach, das Schlimmste weißt Du noch nicht!« sagte Eveline. »Seit Du fort warst, haben wir die sichere Nachricht erhalten, daß die Soldaten, als sie in Sir Damians Lager von dem Unfalle hörten, der ihn diesen Morgen traf, längst ihres unthätigen Lebens müde und jetzt durch das Gerücht seiner Verwundung, seines Todes noch mehr bestürzt, sich gänzlich zerstreut und ihre Macht aus einander gesprengt haben. Doch, sey guten Muthes, Amelot,« fuhr sie fort, »dies Haus ist fest genug, um einen schlimmern Sturm auszuhalten, als der ist, der es wahrscheinlich bedroht; und wenn alle Menschen Deinen verwundeten Gebieter in seinem Schmerze verlassen, so ist es um so mehr Pflicht für Eveline Berengar, ihren Retter zu schirmen und zu beschützen.«