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Von nun an sank England immer tiefer von seiner früheren, hohen Stufe herab. Im Inneren befestigte sich die Reaction immer mehr und trat ungescheut mit ihren volksfeindlichen Ansichten hervor; nach Außen büßte die Regierung durch ihre Abhängigkeit von Frankreich den letzten Rest aller Achtung ein. Die Kabale herrschte nach wie vor, während Karl sich seinen Ausschweifungen um so ungestörter überließ, da ihn Ludwig mit dem nöthigen Geld versah. Eine allgemeine Mißstimmung war die natürliche Folge und trotz der moralischen Versunkenheit regte sich in der Nation ein dumpfes Bewußtsein ihrer traurigen Lage, der sich das Gefühl der verlorenen Ehre und die Ahnung einer drohenden Gefahr beimischte. Karl besaß zwar nicht die Kraft, einen entscheidenden Schritt zu thun, um seinen mit Frankreich abgeschlossenen Vertrag auszuführen. Er begnügte sich mit neuen Versprechungen, wenn er daran gemahnt wurde, oder mit halben, versteckten Maßregeln gegen die bestehende Verfassung, die er nicht offen anzugreifen wagte. Ein Vorfall bezeichnete am besten sein Benehmen dem Parlamente gegenüber und ließ seine wahre Gesinnung ahnen. Es war im Parlament die Rede davon, die Schauspieler zu besteuern. Die Hofpartei widersetzte sich gegen diese Maßregel, indem sie den Einwand machte, daß die Schauspieler Diener des Königs wären und zu seinem Vergnügen unterhalten würden. Bei dieser Gelegenheit fragte Sir Konventry, ein geachtetes Mitglied, ob damit die weiblichen oder männlichen Schauspieler gemeint wären. Diese Satyre war offenbar gegen die Favoritin Karl des Zweiten, Nelly Gwin und Davis gerichtet, welche beide dem Schauspielerstande angehörten. Der König wüthete über diese Beleidigung und beschloß, sich auf eine seiner unwürdige Weise zu rächen. Einige Offiziere der Garde übernahmen den Auftrag, Konventry zu bestrafen. Sie überfielen ihn meuchlings und trotz seiner tapferen Gegenwehr verwundeten sie ihn, indem sie ihm die Nase aufschlitzten. Das Parlament war über diese Handlungsweise empört und verlangte, unterstützt von dem Unwillen des ganzen Landes, eine entschiedene Genugthuung.
Mehr jedoch als alle diese politischen Zwistigkeiten regten die religiösen Befürchtungen das Volk auf. Nicht mit Unrecht stand der König im Verdacht, daß er sich zur römischen Kirche hinneige. Der Herzog von York, sein Bruder, hatte sich offen zum Katholicismus bereits bekannt. Sir Kenelm Digby, der indeß auf einer Reise nach Frankreich gestorben war, hatte nicht umsonst heimlich und offen für den Glauben seines hingerichteten Vaters gewirkt. Der Protestantismus sah sich entschieden bedroht und die religiöse Freiheit hatte von dem finsteren Jakob nichts Gutes zu erwarten. –
Diese traurigen Verhältnisse, unter denen England schmachtete, wurden von Niemand tiefer, als von Milton empfunden. Der häusliche Kummer schärfte nur seinen Gram um die Noth des Vaterlandes. Er hatte seine Nation groß gesehen und jetzt erschien sie ihm gedemüthigt, die Freiheit, für die er einst in die Schranken getreten, war dahin, vernichtet und verspottet. Seine politischen Freunde hatten ihre ehrliche Ueberzeugung auf dem Blutgericht, oder im Gefängnisse gebüßt. Die Niederträchtigkeit und der Treubruch triumphirten. Dazu war er alt und blind geworden, von seinen eigenen Töchtern verlassen. Eine tiefe Niedergeschlagenheit hatte sich seiner bemächtigt und er wünschte oft den Tod sehnlichst herbei. Nur die Poesie war ihm treu geblieben, aber auch sie erschien ihm nicht mehr als die himmlische Trösterin, sondern in trauerndem Gewande, mit Thränen in den erloschenen Augen. Er strömte seinen Schmerz in einem Drama aus, das er noch vor seinem Tode unter dem Namen »Samson Agonistes« veröffentlichte. Es war dies der Schrei seiner gepreßten Seele.
Unter dem Bilde des geblendeten, israelitischen Heerführers beklagte er sein eigenes Geschick. Milton selbst war der blinde Simson, verspottet von den Philistern und Götzendienern, verrathen von einem reulosen Weibe, verlassen von Allen und an dem mächtigen Gott seiner Väter verzweifelnd. Wie dieser Held hatte er gekämpft und gerungen und jetzt lag er am Boden, gefesselt und gebrochen. –
Während er in dieser Schöpfung seine Leiden ergoß, erhielt er nur noch von Zeit zu Zeit den Besuch des treuen Marvell. Dieser wackere Mann war einer von den Wenigen, die ihrer Ueberzeugung treu geblieben, er hatte alle Anerbietungen Karl?s verschmäht, der seine Bedeutung anerkannte und ihn für sich zu gewinnen suchte. Dem Schatzkanzler Danby, der ihm eine Stelle am Hofe anbot, zeigte er eine angeschnittene Schöpfenkeule und sagte dazu: Glaubt Ihr, daß ein Mann, der eine Woche von dieser Keule lebt, noch mehr bedarf? Als der Kanzler sich entfernt hatte, mußte Marvell zu einem Freunde schicken, um sich eine Guinee zur Fristung seines Lebens zu borgen. Mit diesem Freunde theilte Milton den Rest seines Vermögens, mit ihm erinnerte er sich der Vergangenheit und ihn machte er mit seinem neuen Werke bekannt, das er in dramatischer Form erscheinen ließ.
– Dryden, sagte der Dichter, hat von mir ein Drama verlangt, nun hab' ich ein Schauspiel gedichtet, das jedoch wenig Hoffnung haben dürfte, bei Hofe aufgeführt zu werden.
– Und welchen Stoff habt Ihr gewählt, mein würdiger Freund?
– Mein Held ist der blinde Simson.
– Der blinde Simson, wiederholte Marvell wehmüthig.
– Blind wie ich, verlassen wie ich, aber voll Hoffnung auf den Ewigen. So sitzt er unter den Thoren von Gaza, während die Philister ihre scheußlichen Götzen feiern und sich im Weine berauschen. Hört seine Klagen:
O daß der Schmerz nicht an des Körpers Wunden
Und Schäden sich begnügen läßt
Trotz unzählbarer Uebel
Im Herzen, Kopfe, Brust und Nieren!
Daß er geheime Wege auffinden muß
Zur innerlichsten Seele,
Dort alle seine wilde Qual zu üben
An ihrem reinsten Geist zu zehren,
So wie an Eingeweiden und an Gliedern.
Mit heftigerer Pein noch,
Wiewohl dem Körper sie nicht fühlbar ist!
Mein Kummer quält mich so,
Nicht wie langwier'ges Uebel nur;
Er gährt und wüthet, keine Hülfe findend,
Gleich unheilbaren Wunden,
Wenn faulend sie vereitern, brandig werden
Zu schwarzem Tode.
Gedanken, meine Quäler, mit tödtlichen
Stacheln bewaffnet, zerreißen sie
Die zartesten und schwächsten Theile,
Erregen und entflammen furchtbare
Entzündung, die kein kühlend Kraut,
Noch Heiltrank lindern kann,
Kein Hauch von schnee'gen Alpen.
Mich hat der Schlaf verlassen, mich hingegeben
Des Tods Betäubung, meine einz'ge Hülfe;
D'rum diese Schwäche, Ohnmacht der Verzweiflung,
Und dies Gefühl, daß mich der Himmel aufgab.
Ich war sein Liebling einst und seine Freude,
Sein Auserwählter schon vom Mutterleibe,
Durch himmlische Verkündigung, die zweimal
Herniederstieg, vorhergesagt;
Rein unter seinen Augen wuchs ich aus,
Gedieh und wurde stark,
Er führte mich zu mächt'gen Thaten,
Weit über Kräfte eines Sterblichen,
Verübet gegen unsere Feind', die Heiden,
Doch jetzt verließ Er mich, wie nie gekannt,
Und gab mich hülflos hin den Feinden,
Den grausamen, die ich auf Sein Geheiß
Zum Kampfe rief. Mit unersetzbarem
Verlust des Augenlichts, leb' ich fortan
Gespart, um ihrer Grausamkeit und Spott
Ein Opfer zu sein! Auch nicht gehör' ich mehr
Zu denen, welche hoffen dürfen:
Alle meine Uebel sind ja hoffnungslos,
Und nicht zu heilen! Nur die einz'ge Bitte
Bleibt mir – o möcht' sie sein erhört! –
Nicht langes Flehn, ein schneller Tod
Das Ende aller meiner Leiden und ihr Balsam.
– Armer Simson! rief Marvell, tief gerührt die Hand des Dichters ergreifend. Bleibt dir kein anderer Trost? Wir müssen uns fügen und das Unvermeidliche mit Geduld tragen.
– Allerdings besitze ich diese und vor Allem das Vertrauen zu dem Walten der göttlichen Vorsehung, nichtsdestoweniger schmerzt die Wunde und Niemand wird es meinem Simson verdenken, wenn er unter der schweren Last aufschreit und Gott um das Ende seiner Tage bittet.
– Doch wollt Ihr nicht fortfahren, bat Marvell, wenn Ihr Euch bei Eurem Vortrage nicht allzusehr anstrengt, oder aufregt.
– Auf Simson's Klagen antwortet der Chor seiner israelitischen Freunde, den ich nach dem Vorbilde der griechischen Tragödie benutzt habe:
Viel sind der Sprüche weiser Männer,
In alten und in neuen Schriften eingetragen
Anpreisend die
Geduld als wahre Kraft;
Trostreden auch sind dort geschrieben
Für alles Uebel, allen Wechsel, dem
Des Menschen schwaches Leben unterworfen,
Mit Gründen wohl belegt und Ueberredungskunst
Geschildert, als Besänftigung für Kummer
Und Angst; doch hilft Unglücklichen
In bitt'rer Qual ihr Laut gar wenig nur,
Er scheint ein rauher Ton, mißtönend mit
Der Klage, bis er in sich
Von oben her empfangen, eine Quelle
Des Trostes fühlt, eine geheime
Erfrischung, die Kräfte zu erneuen,
Die schwachen Geister aufrecht zu erhalten. –
Gott unserer Väter! was ist doch der Mensch,
Daß so verschieden du –
Soll ich es eher widersprechend nennen? –
Auf seiner kurzen Laufbahn deine Führung
Bestimmtest, nicht gleichmäßig,
Wie ja der Engel Schaaren und die stummen
Niedern Geschöpfe, die vernunftlosen
Und dummen, du regierst?
Auch mein' ich hier die Menschen nicht
Gemeinen Schlages, die so dumpf durch's Leben
Hinwandern, wachsen und vergeh'n,
Wie Mücken an einem Sommertag,
Nur Köpfe ohne Namen, deren man
Nicht mehr gedenkt, sondern solche, die
Du auserwählt hast,
Mit Gaben und mit Gnaden reich geschmückt
Zu einem großen Werke, deinem Ruhme,
Der Völker Wohlfahrt, welche sie zum Theil
Vollführen; – doch veränderst du die Gesinnung
Gegen sie, wenn sie auf ihrer Höhe
Durch deine Hand gestellt sind, ohne Rücksicht
Der Gnade, die du ihnen hast
Erzeigt und ihrer Dienste, die
Sie dir geleistet.
– – – – – –
Und du erniedrigst sie nicht nur und läß'st
Sie in Vergessenheit gerathen,
Was noch als eine Gunst erscheinen dürfte,
Du stürzest sie weit tiefer, als du sie erhoben,
Worüber alle Menschen sich verwundern,
Weil ihre Strafe größer als die Schuld.
Ost übergibst du sie dem Schwert des Feindes
Der Heiden und Unheiligen; ihren Leichnam
Den Hunden und den Vögeln zur Beute;
Oder sie schmachten in Gefangenschaft
Stellst sie vor ungerechte Richterstühle,
Gibst sie der Unbeständigkeit und der Verdammung
Der undankbaren Menge Preis.
Milton hielt hier, von seinen eigenen Worten bewegt, inne. Er gedachte dabei an das Schicksal seiner unglücklichen Freunde. Im Geiste sah er das Schaffot, auf welchem der edle Vane geblutet, den Kerker, in welchem sein Freund Overton noch schmachtete, alle die verbannten und verfolgten Männer und Gesinnungsgenossen. Voll Bitterkeit erinnerte er sich des Wankelmuthes des thörichten Volkes, das heute wieder vor den Götzen kniete, die es einst gestürzt, das jetzt dieselben Grundsätze verleugnete und verspottete, denen es noch gestern fanatisch angehangen hatte, das seine einstigen Lieblinge und Freunde jetzt mit Koth bewarf. – Eine Thräne des Unmuths und der gerechten Entrüstung zitterte in den Augen des Dichters, als er fortfuhr:
Wenn diesem Allen sie entgehn, so beugst
In Armuth du mit Krankheiten sie nieder,
Suchst mit Gebrechen sie im Alter heim;
Mit Leiden, die sonst nur die Strafe
Des lasterhaften Lebenswandels sind.
Gerecht' und Ungerechte scheinen so
Gleich elend, denn oft nehmen beide
Dasselbe schlechte Ende. –
Doch so verfahre nicht mit diesem, der
Dein ruhmgekrönter Held einst war,
Das Abbild deiner Stärke und
Der Diener deiner Macht. –
Doch warum fleh' ich dies?
Wie bist du schon mit ihm verfahren?
Schau' ihn in seinem Elend an,
Und wende, wenn du kannst, sein Leiden
Friedvollem Ende zu.
Während Milton die Verse sprach, welche sein eigenes Schicksal in der Person Simson's beklagten, rauschte der kalte Wind in den entlaubten Bäumen und begleitete mit seinen melancholischen Tönen die traurigen Worte. Der Sommer war bereits zu Ende, die Felder abgemäht, die Blumen abgeblüht, der frohe Gesang der Vögel verstummt. Ringsumher herrschte ein tiefes, banges Schweigen. Die scheidenden Strahlen der bleichen Sonne beleuchteten das graue Haupt des Dichters und sein blasses, eingefallenes Gesicht. Er war alt und krank geworden; elend und blind saß er da, ein gebrochener Held, wie sein Simson; aber in seinem Innern lebte noch der muthige Geist der Poesie, die unerschöpfte Kraft der Seele. Ohne Schwäche recitirte er sein Gedicht bis zu Ende. In angreifenden Versen schilderte er am Schlusse die Rache, welche der geblendete Simson an seinen Feinden nahm, wie der Held mit gewaltigen Händen an den Pfosten des Hauses rüttelte, in welchem seine Widersacher schwelgten, und das Dach zusammenstürzte, unter dessen Trümmern er sich und sie zugleich begrub. Seine Stimme hob sich immer mehr, als er den Triumphgesang des israelitischen Chores recitirte:
– – – – Beraubt des Lichts
Verachtet, für vernichtet schon geschätzt,
Doch von innerem Licht erleuchtet,
Rührt er den feurigen Muth
Aus dunkler Asche auf zur lichten Flamme:
Grad' wie ein Habicht, der zur Nacht
Sich auf besetzte Hühnerstangen stürzt
Das zahme Dorfgeflügel niederwirft;
Und wie ein Adler schleudert' er
Den wolkenlosen Donner auf ihr Haupt.
Sein hoher Muth, verloren schon gegeben
Niedergedrückt, wie's schien, und fast erstorben,
Erhob sich gleich dem selbsterzeugten Phönix,
Der in Arabiens Wäldern heimisch ist,
Und dem kein Anderer hienieden gleich kommt;
Aus seinem Aschenthrone neu geboren,
Steht er und blüht von Neuem wieder auf,
Am kräftigsten, wenn er unthätig ganz
Geschienen; und wenn sein Körper auch hinstirbt,
Sein Name überlebt der Menschenalter Viele
Ein Vogel der Jahrhunderte.
– – – – –
– – – – –
So ist's das Beste – wiewohl wir gar oft
Dran zweifeln – was der unerforschbare
Rathschluß der höchsten Weisheit über uns verhängt.
Oft scheint Gott sein Antlitz wegzuwenden,
Doch unerwartet kehrt er's wieder zu:
Und so hat er auch jetzt für seinen Helden
Gar herrlich hier gezeugt, drob trauert Gaza
Und Alle, die dem unwiderstehlichen
Willen des Höchsten sich widersetzen wollten;
Doch seinen Knechten hat er von Neuem
Die alte Treue zum Heil erwiesen
Und sie nach diesem mächt'gen Ereigniß
Mit Frieden, Trost und Ruhe der Seele erfüllt. –
Wie einer jener Propheten des alten Bundes schüttete der Dichter seinen Grimm, wie seinen Schmerz, seinen Zorn und seine Hoffnung in gewaltigen Worten aus. Seine Gestalt schien zu wachsen; er hatte sich erhoben und stand jetzt aufgerichtet da, ein geistiger Simson, der noch einmal an dem Gebäude des Despotismus rüttelte, bereit zu sterben und im Tode noch festhaltend an dem Glauben seines ganzen Lebens.