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Am nächsten Tage schon erschien Milton in der Wohnung der berühmten Sängerin. Sie kam ihm mit dem freundschaftlichsten Gruße entgegen und führte ihn zu einem schwellenden Polstersitz, auf dem er sich an ihrer Seite niederlassen mußte. Ihre ganze Umgebung trug einen heiteren, künstlerischen Anstrich. Die hohen, kühlen Wände des Zimmers waren mit bunten Frescomalereien bedeckt, welche die Macht des Gesanges verherrlichten. Hier stand ein Apoll unter den Hirten des Admet und spielte die Lyra, während seine Zuhörer entzückt seinen Tönen lauschte, dort bewegte Orpheus durch seinen Gesang die Thiere des Waldes, die gezähmt ihm folgten. Den Fries bildete eine Kette von Amoretten und Kindern, welche auf allerhand Instrumenten musicirten, mit aufgeblasenen Backen in die Posaunen stießen oder mit ihren kleinen Händen die Pauke schlugen oder den Violinbogen führten. Au der Decke schwebte eine heilige Cäcilie mit verzücktem Angesicht, von Engeln umkniet, die das Notenblatt ihr hielten und um die aufgeschlagene Orgel flatterten. Bei genauer Betrachtung bemerkte der Beschauer, daß die Heilige die Züge Leonora's trug, eine feine und doch aufrichtige Schmeichelei des ihr befreundeten Malers. Rings umher standen und lagen in malerischer Unordnung allerlei Geräthschäften und kostbare Geschenke, kunstvolle Vasen und Götterstatuen, theils wirkliche Antiken von hohem Werthe, oder deren Nachbildungen. Ueber dem ausgestreckten Arm einer Venus hing das griechische Gewand, welches die Sängerin gestern getragen und eine Laute ruhte zu den Füßen eines geflügelten Merkurs angelehnt. Lorbeerkranze und ähnliche Spenden eines ihr bereits alltäglich gewordenen Beifalls, lagen auf dem Tisch zwischen Notenblättern und poetischen Huldigungen der berühmten Künstlerin. Sie selbst erschien in einem weißen Kleide, durchsichtig genug, um die herrlichen Formen zu verrathen, den gewöhnlichen Schleier der römischen Frauen trug sie in malerischen Windungen um das Haupt geschlungen; der seltsame Kopfputz, unter dem das dunkle Haar in üppigen Locken hervorquoll, mußte unwillkürlich an eine der Sybillen Raphaels erinnern, der die Sängerin in diesem Augenblicke auffallend glich.
– Ich habe Euch erwartet, sagte sie mit wohltönender sonorer Stimme. Ihr seid ein Mann von Wort, wie alle Engländer; doch laßt sehen, was Ihr mir gebracht habt.
Verlegen reichte ihr der Dichter das Sonnet, welches sie mit lauter Stimme las und das in italienischer Sprache folgendermaßen lautete:
Giovane piano, e semplicetto amante
Poi che fuggir me stesso in dubbio sono,
Madonna a voi del mio cuor l'humil dono
Faro divoto; io certo a prove tante
L'hebbi fedele, intrepido, constante,
De pensieri, leggiadri accorto, e buono;
Quando rugge il gran mondo, e scocca il tuono,
S'arma di se, e d'intero diamante;
Tanto del forse, e d'invidia sicuro,
Di timori, e speranze, al popol use,
Quanto d'igegno, e d'alto valor vago,
Edi cetra sonora, e delle muse:
Sol troverete in tal parte menduro,
Ove' amor mise l'insanabil ago.
Jung, unerfahren in der Liebe Schlingen,
Unschlüssig, wie ich selber mir entfliehn,
Mich retten soll und ihrer Macht entziehn,
Nah' ich Madonna, dir mein Herz zu bringen.
Klein ist die Gabe und zählt zu den g'ringen,
Doch sah ich's treu, fest wie Demant und kühn
Für alles Edle und Erhab'ne glühn
In Sturm und Donner mit dem Schicksal ringen.
Vom Neide frei und ohne Furcht und Bangen,
Von denen nur des Pöbels Wahn umfangen,
Liebt es die Kunst, die Muse, den Gesang:
An einem Ort nur wird es schwach gefunden,
Wo es mit tiefen, unheilbaren Wunden
Der Pfeil der Lieb' aus deinem Aug' durchdrang.
Ein anerkennendes Lächeln umschwebte den Mund der Sängerin, als sie geendet hatte, und sie reichte dem Dichter dankend die schöne Hand.
– Beim Himmel! sagte sie, Euer Gedicht ist schön, fast zu schön um wahr zu sein.
– Wie, Signora, Ihr zweifelt an meiner Aufrichtigkeit?
– Ich will Euch glauben, denn ich mag Euch nicht zu dem gewöhnlichen Haufen meiner unzähligen Anbeter werfen. Ich habe mir auch sagen lassen, daß die Liebe im Norden keine flüchtige Blüthe, sondern fest und dauerhaft wie seine Eichen sei.
– Das ist Wahrheit. Stellt mich auf die Probe.
– Die Zeit kann kommen und ich werde mich bald überzeugen, ob ich mich in Euch getäuscht. Aus Eurem Gedichte weht ein männlicher Geist, den ich leider bei meinen Landsleuten vermisse. Die alten Römer sind nicht mehr und ihre Nachkommen gleichen ihnen nur wenig. Einst waren wir die Herrscher der Welt.
– Und das seid ihr geblieben, wenn auch in anderer Weise. Früher hat Rom die Welt durch seine Tapferkeit erobert, jetzt durch Kunst und Schönheit.
– Ihr habt Recht. Die göttliche Kunst ist uns geblieben. Das himmlische Feuer ist noch nicht erloschen, es lodert in den Liedern unserer Sänger, in den Farben eines Raphael's, in den erhabenen Gestalten eines Michel Angelo's.
– Und in den Gesängen Leonora Baroni's.
– Still! Schmeicheln dürft Ihr mir nicht, entgegnete die Künstlerin, indem sie anmuthig mit dem Fächer, mit dem sie sich Kühlung zuwehte, nach seinem Arm schlug.
Milton beeilte sich die Hand zu küssen, welche ihn so reizend züchtigte.
– Ihr seid hier fremd, fuhr die Signora fort, deshalb will ich Euer Führer in Rom sein.
– Ihr seid zu gütig.
– Ich kenne kein größeres Vergnügen, als das Schöne und Erhabene, das mich entzückt, auch Andern mitzutheilen. Wenn es Euch demnach gefällt, so wollen wir noch heute unsere Wanderungen durch die ewige Stadt beginnen.
– Ich werde Euch dafür stets verbunden sein und wünsche mir keine bessere Führerin – durch's ganze Leben.
– Wer weiß, ob Euch damit immer gedient wäre.
– Der Dichter soll die Muse stets zur Seite gehen.
– Ich fürchte nur, daß ihm die Gesellschaft der Muse bald überdrüssig werden dürfte. Am Ende würde er sich daran gewöhnen und in ihr ein Weib wie alle andern sehen.
– Dafür schützt Sie Ihr göttlicher Ursprung.
– Erlaubt jetzt, daß die Muse sich einige Augenblicke entfernt, um nach der Küche zu sehen. Ihr seid heut' mein Gast und wenn Ihr nicht verhungern wollt, muß ich meiner Dienerschaft die nöthigen Befehle ertheilen.
Milton blieb allein zurück und überließ sich ganz dem Eindrucke, welchen die geistreiche Schönheit Leonora's in ihm hervorgerufen. Er mußte sich gestehen, nie ein ähnliches Weib auf seinem Lebenswege angetroffen zu haben. Alles athmete an ihr eine gewisse künstlerische Gluth und Größe, eine Freiheit, die dem schüchternen Dichter über die Schranken der Alltäglichkeit leicht hinweghalf, ohne sein Gefühl in irgend einer Weise zu verletzen. Die Atmosphäre, in der er sich hier befand, schien ihm sein eigentliches Lebenselement zu sein. Auch er liebte die Musik leidenschaftlich und die Poesie galt ihm stets als der höchste Beruf. Jetzt hatte er eine Frau gefunden, welche ihm als die Verkörperung seiner eigenen idealen Richtung erschien. Sie theilte seine Neigungen, sie verstand ihn und seine geheimsten Gedanken, sie nahm an seinen Bestrebungen den innigsten Antheil. Dazu kam noch die Macht ihrer Persönlichkeit, die strahlende Schönheit, welche nur die Hülle eines hochgebildeten Geistes, einer durch und durch genialen Natur war. Bedurfte es da noch eines besonderen Zaubers, um sein Herz zu gewinnen und die glühendste Leidenschaft in der Seele des Dichters anzufachen. Selbst der schmerzliche Verlust, der ihn vor seiner Abreise von England getroffen, machte ihn für eine neue Leidenschaft nur um so geneigter.
Die Jugend hört nicht auf zu hoffen und zu lieben. Wenn im Frühling auch manche Blüthe vom Nachtfrost berührt, verweilt und abfällt, so stirbt darum die frische Triebkraft nicht, neue Keime ersetzen die abgestorbenen und neue Blüthen die abgefallenen. Der Lenz ist reich genug, um Alles zu erstatten.
Von einer Dienerin begleitet, war Leonora indeß zurückgekehrt, auf ihren Wink wurde ein Tisch gedeckt und mit auserlesenen Speisen besetzt. Selbst in diesem alltäglichen Geschäfte verrieth sich der feine und poetische Sinn der Künstlerin, sie ordnete Alles selber an und entwickelte dabei einen wunderbaren Geschmack. Auf der herrlichen Seidendecke lagen die kostbaren Majolikateller von kunstreicher Hand gemalt, goldene und silberne Gefäße, die vielleicht von dem berühmten Benvenuto Cellini herrührten, standen in reicher Fülle zwischen großen und herrlichen Basen mit Blumen und Lorbeerzweigen angefüllt. In venezianischen Krystallflaschen funkelte der Wein wie flüssiges Gold.
– Ihr sollt ein klassisches Mahl haben, sagte sie, indem sie den Dichter zum Niedersitzen einlud. Dort steht ächter Falerner, wie ihn Horaz nicht besser getrunken hat. Schenkt ein und stoßt mit mir an. Es lebe die Poesie!
– Die Muse des Gesangs.
– Das Leben!
– Die Liebe!
– Leben und lieben, setzte Leonora gedankenvoll hinzu. Das erschöpft Alles. Ich verstehe noch soviel von Eurer Muttersprache, um zu wissen, daß leben und lieben bei Euch fast gleich lautet. Darin liegt eine tiefe Bedeutung.
– Leben heißt lieben, und nur wer liebt, der lebt, bestätigte der Dichter, von dem feurigen Weine angeregt.
– Ich hätte Eurer, meinem verwöhnten Ohre barbarisch klingenden Sprache nicht eine solche Tiefe zugetraut.
– Ihr thut ihr Unrecht. Allerdings besitzt das Englische nicht den Wohllaut des Italienischen, das dem Ohr so angenehm zu schmeicheln versteht, aber dafür eine männliche Kraft und eine Innigkeit, die ich von seinem germanischen Ursprung herleite. Ich möchte in keiner anderen Sprache dichten.
– Und ich in keiner anderen singen, als in der meinigen.
– So thut es! Ich bitte Euch darum. Gestern mußte ich mit dem großen Haufen meine Bewunderung theilen, laßt mich heut' allein genießen, was die Menge nie zu würdigen versteht.
– Ihr seid egoistischer, als ich gedacht, doch ich will es nicht machen, wie so viele Sängerinnen, die sich bitten und nöthigen lassen, um den Werth ihres Gesanges durch den ihnen angethanenen Zwang nur noch zu erhöhen. Ich singe von Herzen gern. Schon als kleines Kind sang ich den ganzen Tag, ich mochte gehen oder stehen, arbeiten oder müssig sein. Es war eine Art von innerem Bedürfniß, und ehe ich noch deutlich und vernünftig sprechen konnte, sang ich schon. Meine gute Mutter, sie lebt im Paradiese, nannte mich nur »ihr Vögelchen«, und diesen Namen hatte ich in der ganzen Nachbarschaft und behielt ihn lange Zeit. Eines Tages hörte ich in der Kirche den berühmten Antonio Liberti, den größten Sänger Italiens. Ich wurde so ergriffen, daß man mich krank forttragen mußte. Ein heftiges Fieber mit Delirien war die Folge meines kindlichen Enthusiasmus. Später erzählte mir die Mutter, daß ich in meinen Phantasieen einzelne Stücke aus der heiligen Messe, die ich in der Kirche gehört, mit wunderbarer Stimme sang. Nicht eine Note soll gefehlt haben oder falsch gewesen sein. Man schrie Mirakel und aus den fernsten Stadttheilen kamen die Leute, um mich mit geschlossenen Augen und in Fieberglut singen zu hören. Ich erinnere mich nur aus jener Zeit eines lebhaften Traumes, der jede Nacht wiederkehrte. Die heilige Cäcilie saß an meinem Lager und sang mit himmlischer Stimme mir die schönsten Lieder vor, die ich mich nachzusingen bemühte. Möglich auch, daß ich nicht geträumt, sondern daß die Heilige sich in der That zu mir herabgelassen hat.
– Das könnt Ihr doch nicht im Ernste glauben? fragte Milton mit verwundertem Lächeln.
– Das versteht Ihr nicht, entgegnete die Sängerin halb ernst, halb scherzend. Ihr seid ja leider ein Ketzer, den ich jedoch noch zu bekehren hoffe.
– Das dürfte Euch nur schwer gelingen.
– Ihr seid schon eines Versuches werth, und so sehr Ihr auch Euch sperren und sträuben mögt, so gebe ich doch darum nicht alle Hoffnung auf.
Der Ton, in dem Leonora diesen Punkt berührte, schien dem Dichter unangenehm aufzufallen, und sie hielt es darum für gerathen, nicht mehr darauf zurückzukommen. Statt dessen fuhr sie in ihrer Erzählung fort.
– Mag nun die heilige Cäeilie mir im Traum oder in der Wirklichkeit erschienen sein, so viel steht fest, daß seit jener Zeit mein Talent sich in überraschender Weise entwickelte. Man staunte mich als ein Wunderkind an, und selbst viele vornehme Herren kamen in unser Haus, um sich mit eigenen Ohren und Augen zu überzeugen. Unter ihnen befand sich mein jetziger Gönner und Beschützer, der Kardinal Barberine, er sorgte, da meine Eltern unbemittelt waren, großmüthig für meine fernere Ausbildung. Ich wurde von ihm zu Antonio Liberti gebracht, dessen Schülerin ich wurde. Schon nach einem Jahre war ich die Sängerin, welche jetzt vor Euch sieht.
– Die von ganz Italien bewundert wird, und der ein nordischer Barbar mit Entzücken lauschen darf. Ihr habt mir allein ein Lied versprochen und ich mahne Euch jetzt an Euer Wort.
– Wohlan! dies Lied soll Euch allein gehören. Ich habe es noch vor keinem andern Menschen gesungen. Es war bisher wie ein Geheimniß, das ich in meiner Brust verschlossen. Vor Euch aber kann ich kein Geheimniß haben, Herr Barbar.
Sie sah ihn dabei mit lodernden, verzehrenden Blicken an, so Glück verheißend, daß Milton tief in seinem Innersten süß zusammenschauerte; dann begann sie ein Lied, das die Gewalt und Seligkeit der Liebe verkündete. Welch' ein Zauber lag in ihrer Stimme, welche Glut loderte während des Gesanges in ihren Augen! Alle Schmerzen und alle Wonnen des Daseins zitterten in diesen glockenreinen Tönen; sie jubelten und jauchzten; sie offenbarten dem Dichter das innerste Geheimniß einer liebenden Frauenseele. Athemlos saß er und lauschte, berauscht von den herrlichen Klängen. Als sie geendet hatte, stürzte er zu ihren Füßen, sie aber beugte sich zu ihm hernieder, und er fühlte den warmen Hauch ihrer schwellenden Lippen auf seiner Stirn.
– Leonora! seufzte er im Uebermaße seines Entzückens. Meine Göttin, meine Muse!
– Ich gehöre dir, sagte sie, sich sanft seiner Umarmung entwindend. Mit diesem Kusse gebe ich dir meine Seele, mein ganzes Herz. Und nun komme mit mir. Es wird mir in diesen steinernen Wänden zu eng, ich muß hinaus.
Hand in Hand verließen sie die Wohnung der Sängerin und wanderten durch das ewige Rom.