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11.

Doppelt erfreut eilte Alice in Begleitung Davenants nach dem Gefängnisse Milton's, um demselben seine Befreiung zu verkündigen. Sie fanden ihn in Gesellschaft seiner ältesten Tochter Anna, welche die Erlaubniß erhalten hatte, von Zeit zu Zeit ihren Vater besuchen zu dürfen. Er dictirte ihr so eben einen neuen Gesang seines »Verlorenen Paradieses«. Voll Begeisterung bemerkte er nicht den Eintritt seiner Freunde, die ergriffen von dem erhabenen Schauspiel ihn in seinem Werke nicht zu stören wagten. Im Gefängnisse und unter den Schrecken eines schimpflichen Todes überließ er sich ohne Furcht den Eingebungen seiner erhabenen Phantasie. Eben war er an die Schilderung des ersten Elternpaares gelangt, das er in folgender Weise besang:

Zwei herrliche Gestalten, aufrecht, schlank,
Mit angeborener Würde, schienen hier
Die Herrn in ihrer nackten Majestät;
Aus ihren göttergleichen Zügen strahlte
Das Abbild ihres Schöpfers: Wahrheit, Weisheit
Und reine, strenge Frömmigkeit – zwar streng,
Jedoch in ächter Kinderfreiheit wurzelnd,
Woher des Menschen wahre Hoheit stammt.
Nicht gleich erschienen Beide an Geschlecht:
Für Kraft und Ueberlegung er gebildet,
Für Milde sie und holder Anmuth Reiz,
Für Gott allein er, sie für Gott in ihm.
Sein kühner Blick, die schöne hohe Stirn
Verkündeten den Herrscher; männlich hing
Von seinem Scheitel ihm das volle Haar
Rings um die tiefen Schultern, tiefer nicht.
Ihr flossen gold'ne Locken, unverziert,
Gleich einem Schleier auf die schlanke Hüfte
Und krümmten wie des Weinstocks Ranken sich
In losen Ringeln; Zeichen des Gehorsams,
Der eben so gelind von ihm geheischt,
Wie liebreich aufgenommen, und von ihr
Mit Demuth, Folgsamkeit, bescheid'nem Stolz
In süßer Zärtlichkeit geleistet ward.
Noch war kein Glied mit Heimlichkeit verhüllt,
Noch gab's nicht falsche, schuldbewußte Scham
Ob Werken der Natur, ehrlose Ehre.
O sünd'ge Brut, wie elend machtest du
Die Menschen durch der Reinheit leeren Schein,
Wie scheuchtest du des Lebens höchstes Glück,
Die Einfalt und der Unschuld Kindlichkeit.
Sie gingen nackend Hand in Hand und scheuten,
Kein Arges denkend, weder Gottes, noch
Der Engel Blick. Ein lieblicheres Paar
Umschlang sich nie in liebender Umarmung.
Er, Adam, aller Menschensöhne schönster,
Und Eva, ihrer Töchter holdeste.
Sie setzten sich in eines Busches Schatten,
Der flüsternd stand auf grünem Rasenplatz,
Nah einer Quelle. Nicht ermüdeter
Von ihrer Gartenarbeit, als genügt,
Den kühlen Zephir angenehmer, Ruh'
Behaglicher zu machen, und die Lust
An Speis' und Trank zu wecken, pflückten sie
Zu ihrem Mahle Nektarfrüchte sich
Von den gefäll'gen Zweigen, hingelehnt
Auf das mit Blumen buntgestickte Moos.
Das Fleisch verzehren sie und füllen dann
Zum Trunk die Schale aus dem klaren Quell;
Auch fehlte zärtlich Lächeln, muntrer Scherz
Und jugendliches Kosen nicht, wie es
So holdem Ehepaar, so einsam, ziemt.
Rings um sie spielte hüpfend das Gethier
Der Erde, welches scheu und wild seitdem
In Wald und Wildniß, Forst und Schluchten jagt;
Der Löwe schaukelte in seiner Klau'
Ein Lämmchen; Tiger, Parder, Bär und Luchs
Umsprangen sie; der plumpe Elephant
Mit dem gelenken Rüssel gab sich Müh
Sie zu ergötzen; schmeichelnd flocht die Schlange
Zum gordischen Knoten ihren glatten Schweif,
Und lieferte Beweise, unbemerkt
Von ihrer argen List; im Grase lag
Ein Theil, gesättigt nun und wiederkäuend,
Auf weichem Lager. Denn die Sonne sank
Jetzt eil'gen Laufs des Oceans Inseln zu
Und Sterne stiegen auf am Himmelszelt
Des nahen Abends Vorverkündiger. –

Erst als Milton hier endete, gaben Alice und Davenant dem blinden Dichter ihre Anwesenheit zu erkennen.

– Ihr seht, sagte der Letztere, wie bald meine Worte in Erfüllung gegangen sind. Heute statte ich Euch einen Gegenbesuch im Gefängnisse ab, um Euch Eure Begnadigung zu verkünden.

– Diesem wackern Herrn, fügte Alice hinzu, habt Ihr Eure Rettung zu verdanken. Der König, den Gott segnen möge, war überaus gnädig gegen Euch und mich.

– Und es liegt nur an Euch, unterbrach sie Davenant, ob Ihr wieder Staatssecretär werden wollt. Seine Majestät schien sehr geneigt, Euch Euren alten Posten wieder zu geben. An Eurer Stelle würde ich mich keinen Augenblick besinnen.

– Niemals, entgegnete Milton mit feierlichem Ernste, werde ich mich zu einem derartigen Schritte entschließen und meine Grundsätze verleugnen; lieber will ich das trockne Brod der Armuth essen, als meiner Ueberzeugung untreu werden.

– Pah! Man muß nicht so scrupulös sein. Seht Euch einmal um, ich könnte Euch eine ganze Menge von Republikanern nennen, die jetzt eben so gute Royalisten geworden sind. Glaubt mir, alter Freund, es lohnt sich nicht, sein Glück für eine Chimäre aufzuopfern; das erste Gesetz ist die Selbsterhaltung.

– Ich sollte meinen, die Selbstachtung, entgegnete Milton, indem er sich bemühte, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, wozu ihm Alice mit feinem Takt behülflich war. Milton zog seine ehrenvolle Armuth dem königlichen Anerbieten vor, und scheute nicht die Opfer, welche er sich freiwillig auferlegte. Von nun an lebte er zurückgezogen in der Nähe von London auf dem Lande, lediglich mit der Ausarbeitung seines großen Epos beschäftigt. Seine drei Töchter theilten nur ungern diese Einsamkeit. Sie hatten den Sinn ihrer verstorbenen Mutter geerbt, und vergalten seine Zärtlichkeit mit geringer Liebe. Nur das jüngste der Mädchen, Namens Deborah, machte eine Ausnahme, und hing an ihrem alten Vater mit mehr Neigung, als ihre widerspenstigen Schwestern. Diese beklagten sich bitter über die Tyrannei Milton's, der sie im Lateinischen, Griechischen und selbst im Hebräischen unterrichtete, und sich Stunden lang von ihnen vorlesen ließ. Sein Augenlicht war jetzt vollkommen erloschen, und er bedurfte mehr als je einer Stütze, die er nicht in seinen undankbaren Töchtern fand. Im Einverständnisse mit der Magd, betrogen sie den blinden, hülslosen Mann, indem sie ohne sein Wissen die kostbaren Bücher seiner Bibliothek hinter seinem Rücken verkauften und die Rechnungen der ohnehin beschränkten Haushaltung verfälschten, wobei sie das von ihm erpreßte Geld zu ihrem Vergnügen verwendeten. Auf diese Weise rächten sie sich für die Langeweile, welche sie in seiner Gesellschaft empfanden.

Auch sein bisheriger Schutzgeist sollte ihn verlassen. Alice mußte auf ihre Besitzungen zurückkehren, wo ihre Gegenwart dringend gefordert wurde. Sie hielt es für ihre Pflicht, das Erbtheil ihres einzigen Sohnes, der indeß herangewachsen war, vor dem Verfall zu bewahren, und das Schloß seiner Väter wieder herzustellen. So lange es irgend möglich war, schob sie die Abreise auf, welche ihrem Freunde die letzte Stütze raubte. Endlich kündete sie ihm, tief bewegt, ihren Entschluß an.

– Ich muß nach meinen vernachlässigten Besitzungen sehen, und das Erbe meines Kindes diesem zu erhalten suchen. Nur ein Gedanke bekümmert mich, daß ich Euch hier zurücklasse. Ihr bedürft mehr, als je, der weiblichen Pflege und Fürsorge, woran es Eure Töchter fehlen lassen.

– Ich soll den bitteren Kelch der Prüfung bis zum Grunde leeren, entgegnete Milton tief aufseufzend. Meine Töchter gleichen den unnatürlichen Kindern Lear's. O, wie wahr hat der große Shakespeare den Schmerz eines gekränkten Vaters in seiner unsterblichen Tragödie geschildert. Gott schütze mich vor Wahnsinn.

– Darum bin ich heute gekommen, um Euch einen Vorschlag zu thun, der Euch aus meinem Munde vielleicht befremden wird. Ich habe lange Zeit mit mir gekämpft und einen andern Ausweg gesucht, aber keinen gefunden. Ihr müßt Euch wieder vermählen.

– Und das rathet Ihr mir? fragte er vorwurfsvoll.

– Ich weiß am besten, wie schwer Euch dieser Entschluß aus mannichfachen Gründen fallen muß, aber die Nothwendigkeit wird Euch selber einleuchten.

– Und welches Mädchen wird seine Hand einem alten blinden Mann, dem Vater dreier Töchter, reichen, der nicht einmal sein Weib durch ein hinreichendes Vermögen für das von ihr gebrachte Opfer entschädigen kann?

– Ich kenne ein derartiges Mädchen, die Tochter eines würdigen Mannes, das seit längerer Zeit in meiner Nähe lebt, und meine Verehrung für Euch theilt. Sie selbst hat mir ihre Liebe zu Euch gestanden, und will trotz Eurer Blindheit Euch angehören. Aus meinen Händen sollt Ihr die Gattin empfangen, welche keinen andern Gedanken kennt, als Eure Tage zu versüßen und Eure Stütze zu werden. Wenn Ihr einwilligt, und ich bin überzeugt, daß Ihr den Gründen der Vernunft Gehör schenken werdet, so sollt Ihr noch heute Eure zukünftige Frau bei mir sprechen.

– Ihr wollt es, und ich werde mich Euren Wünschen fügen, obgleich in meinem Herzen die Liebe für ein anderes Weib erstorben ist.

– Vergessen wir die Vergangenheit, welche für uns Beide unwiderruflich ist. Wir müssen uns den Anforderungen des Lebens fügen. Ich werde ruhiger scheiden, wenn ich Euch unter der Obhut dieses trefflichen Wesens zurücklasse.

Milton würdigte das Opfer, welches Alice ihm ohne Murren brachte. Das Schicksal hatte Beide für immer geschieden, und nur eine geistige Vereinigung ihnen gestattet. In dem Hause Alicen's lernte er die ihm bestimmte Gattin kennen. Mit weiblicher Hingebung und Selbstverläugnung hatte das edle Mädchen den Entschluß gefaßt, die letzten Tage des blinden Dichters zu versüßen; frei von jeder Selbstsucht brachte sie ihre Jugend und eine heitere Zukunft ihm zum Opfer dar. Alice war ihre Freundin, und im täglichen Umgange hatte sie ihre Liebe und Verehrung für Milton der jüngeren Freundin eingeflößt. Sie selbst bestärkte dieselbe in ihrem Vorsatze.

– Was kann es Schöneres für ein Weib geben, sagte sie, als den Genius aus seiner dornenvollen Laufbahn zu begleiten, ihn vor den Sorgen eines gewöhnlichen Lebens zu schützen und ihm anzugehören. Wäre ich nicht Mutter und hätte ich nicht andere Pflichten zu erfüllen, so würde ich mit Freuden bei ihm geblieben sein. So muß ich ihn verlassen, aber er bedarf der Stütze. Keinem andern Weibe als dir, mein Kind, gönne ich seine Nähe und Freundschaft.

– Und ich will ihm eine getreue Gefährtin sein, das gelobe ich Euch.

Es war ein erschütternder Augenblick, als Alice dem blinden Dichter die Verlobte entgegenführte, alle Drei waren tief ergriffen.

– Ich nehme das Opfer an, sagte Milton zu dem weinenden Mädchen. Ach! ich bin so arm geworden, daß ich Euch nichts zu bieten vermag, nicht einmal meine Liebe, welche einem andern Weibe angehört.

– Ich weiß es, entgegnete sie, und doch bin stolz auf den Namen Eurer Gattin, denn ich verehre in Euch den erhabensten Geist, den größten Dichter. Mein einziges Bedenken ist nur, ob ich Euch mit meinen geringen Fähigkeiten genügen werde. Erst jetzt fühle ich meinen ganzen Unwerth.

– Nicht das Wissen, sondern die Liebe macht reich, sagte Alice, indem sie die Hand des Mädchens in die des Dichters legte.

– Gott segne Euch, fügte sie unter Thränen hinzu. Ich werde auch in der Ferne bei Euch sein.

Mit einer schmerzlichen Umarmung schied sie still weinend von dem Geliebten ihrer Jugend, beruhigt, da sie ihm ein treues Weib gegeben, obgleich ihr Herz im Innern blutete.


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