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Zweites Buch.

 


 

1.

Italien ist die Zirze unter den Ländern. Die holde Zauberin, welche mit verführerischem Lächeln dem nordischen Wanderer den Becher der Vergessenheit reicht. Die weichen Lüfte schmeicheln so lang, bis der Gram aus seiner Brust entweicht, und die gerunzelte Stirn sich entfaltet. Unter dem blauen, immer klaren Himmel kann der Schmerz sich nicht behaupten, die Schatten fliehen vor dem goldenen Sonnenschein; selbst die Nacht ist nicht zur Klage, sondern zur lauten Lust gemacht. Auf Ruinen und Gräbern tanzt das leichtbewegte Volk die Tarantella, die Guitarre klingt, das Tamburin erschallt und die fröhlichsten Tänzer schweben in zierlichem Reigen. Zwischen grünen Myrten und rothen, lodernden Granatblüthen hat die Liebe ihren Sitz aufgeschlagen, nicht die kalte, bedächtige Neigung des Nordens, sondern die glühende, verzehrende Leidenschaft. Fruchtbeladen neigt sich die Pomeranze mit ihren goldenen Aepfeln nieder und die Rebe breiter ihre üppigen Blätter aus, unter deren Schatten der glückliche Zecher sich am feurigen Most erfreut. Alles athmet Freude und Genuß, aus jedem Winkel lächelt die Verführung. Schöne Frauen mit dunklen Locken und brennenden Augen umschlingen den nordischen Barbaren mit ihren Zaubernetzen; es sind die Töchter jener Sirenen, welche durch ihren Gesang einst den Wanderer verlockten; noch heute erklingt die Sprache des Landes, lieblich wie Musik, und bewährt den alten Zauber. Nicht roh und verletzend erscheint die Sinnlichkeit Italiens, sondern in das Gewand der Schönheit und der Kunst gekleidet; die Religion selbst steht in ihrem Dienst. Die Madonna ist nur ein blühendes Weib, eine glückliche Mutter mit dem reizenden Knaben auf dem Arm, sie lächelt dem Sünder zu und vergiebt dem Schuldigen mit weiblicher Milde. Diese Heiligen und Märtyrer sind trotz ihren Qualen herrliche Männer und Frauen, an deren lieblichen Formen sich das gebildete Auge des Beschauers erfreut. Die Kirchen strahlen in bunter Farbenpracht von Gold und Mosaiken; von dem Chore herab schallt der herrlichste Gesang und der Glaube zürnt der Liebe nicht, wenn sie sein Heiligthum betritt. In das heiße Gebet mischt sich der heiße Seufzer der irdischen Leidenschaft und bei dem Anblick der himmlischen Jungfrau gedenkt man auch der irdischen, die neben dem Beter so nahe kniet, daß ihn der Saum ihres Gewandes streift. Unwillkürlich begegnen sich die Blicke, sprechen die Augen, wenn der Mund auch schweigen muß, Zeichen des Einverständnisses werden gewechselt und die gefalteten Hände bezeichnen oft genau und nur dem Eingeweihten verständlich die so verabredete Stunde des Wiedersehens. – In dem Beichtstuhle kniet die reuige Sünderin und der nachsichtige Priester giebt der Reuigen die Absolution. – Schätze der Kunst und der Wissenschaft, in Museen und Bibliotheken aufgehäuft, geben dem Geist Gelegenheit, sich in die Wunderwelt der Vergangenheit zu versetzen und darüber die Noth des Augenblicks und die Leiden der Gegenwart zu vergessen. Der Gelehrte versenkt sich in die alten Manuscripte, in vergilbte Pergamente und aus den räthselhaften Charakteren, die er entziffert, taucht eine neue Welt empor. Die Weisen und großen Männer aller Zeiten umgeben ihn und aus ihrer Unterhaltung schöpft er Trost und Beruhigung. Der ganze Olymp steigt zu ihm hernieder und er darf mit den Göttern ungestört verkehren, ein Genosse der Unsterblichen sein. –

So erging es Milton in Italien. Er hatte England verlassen und seine Reise über Frankreich angetreten. Ein früherer Lehrer und Gönner des Dichters, Sir Henry Wotton, hatte ihn mit den wärmsten Empfehlungen an Gelehrte und Staatsmänner des Auslandes versehen, wozu er noch folgende Lebensregel fügte: il viso sciolto o i pensieri stretti, gehe durch's Leben, das Antlitz offen und die Gedanken verbergend. – Von Ungeduld und Sehnsucht getrieben, eilte Milton zunächst nach Paris, wo er nur kurze Zeit verweilte. Er liebte weder das Land, noch den allgewaltigen Minister Richelieu, der damals Frankreich beherrschte. Desto freudiger ergriff er die Gelegenheit, durch Vermittlung des englischen Gesandten, Lord Skudamore, die Bekanntschaft des berühmten Hugo Grotius zu machen, der als Gesandter der Königin Christine von Schweden am französischen Hofe verweilte, nachdem ihn sein undankbares Vaterland verstoßen hatte. Der ausgezeichnete Gelehrte und Staatsmann empfing den ihm so warm empfohlenen Dichter mit der größten Freundlichkeit. Bald erkannte er das hervorragende Talent desselben und schon nach einer kurzen Unterredung war ihm Milton kein Fremder mehr.

– Ihr thut wohl daran, sagte Grotius, Italien zu sehen und noch besser würdet Ihr thun, auch auf Griechenland Eure Reise auszudehnen. O, wie beneide ich Euch, daß Ihr in süßer Muße auf klassischem, geheiligtem Boden wandeln dürft, während mich leider hier die dringenden Geschäfte und Verhandlungen für meine gnädige Königin festhalten.

– Wer kann das mehr bedauern, als ich, erwiederte Milton, denn in Eurer Gesellschaft würde mir erst das richtige Verständniß für die Herrlichkeiten aufgehen, die mir ein günstiges Geschick zu sehen vergönnt. Welche neuen und großen Eindrücke würde ich und die Welt durch Euch empfangen, der Ihr so tief in den Geist des Alterthums eingedrungen seid, daß sich kein Zweiter Euch zur Seite stellen darf. Mit Recht betrauert die gelehrte Welt, daß Ihr durch die Politik der Wissenschaft entzogen werdet, aber noch mehr würde die Staatskunst und Europa trauern, wenn die gelehrte Welt Euch als ihr ausschließliches Eigenthum beanspruchen wollte. Ihr aber beweist durch Eure Thätigkeit und Stellung mir recht klar, daß Wissenschaft und Poesie mit dem praktischen Leben einträchtig Hand in Hand gehen können und daß man zugleich Dichter und Politiker sein kann, indem Ihr die scheinbar widerstrebenden Elemente in Euch vereint und Bürger zweier Welten, der Erde und des Himmels seid.

– Ihr thut mir zu viel Ehre an und wenn nicht Euer offenes Gesicht und Euer männliches Wesen dem widerspräche, so könnte ich leicht geneigt sein, Euch für einen gewöhnlichen Schmeichler zu halten. Das Schicksal hat mich zeitig in die Schule des Lebens geführt. Ich war kaum dem Knabenalter entwachsen, als ich mit dem juristischen Doctorhute gekrönt wurde. Fünfzehn Jahre alt, wurde mir diese Ehre und die noch größere zu Theil, daß mich mein väterlicher Freund und Gönner, der edle Barneveldt, nach Paris und an den Hof Heinrich des Vierten mitnahm, wo er die Stelle eines Gesandten der holländischen Republik bekleidete. Der große König fand an meiner frühreifen Entwicklung sein Wohlgefallen und ich verdanke ihm manche Auszeichnung, die er mir gütig zu Theil werden ließ. Weit höher jedoch veranschlage ich den Einfluß, den seine erhabene Persönlichkeit auf Jeden ausüben mußte, der, wie ich, das Glück hatte, ihm näher zu stehen. Sein Lob ist in dem Munde aller Welt und sein Andenken wird so lange leben, wie das französische Volk. Das aber ist die herrlichste Eigenschaft großer Männer, daß sie der Sonne gleichen, an deren Licht sich tausend und abertausend kleine Sterne entzünden, welche dann noch leuchten, wenn jene längst untergegangen ist und die Nacht erhellen, die ihr Scheiden zurückläßt. – Durch den berühmten König lernte ich eine andere Politik kennen, als jene, welche dem bekannten Florentiner Machiavelli ihre Entstehung verdankt und die leider von den meisten Fürsten mit mehr oder minder Glück und Geschick jetzt gehandhabt wird. Mir wurde zum ersten Male klar, daß ein Herrscher keine andere Aufgabe hat, als das Wohlsein und die Sicherheit seines Volkes zunächst und dann des ganzen menschlichen Geschlechts zu erzielen. Zu früh endete der Tod das Leben dieses erhabenen Königs und begrub seine mächtigen Pläne, die er zum Theil mir, dem staunenden Jünglinge, mittheilte oder wenigstens ahnen ließ. Nach seinem Tode kehrte ich nach Holland zurück, wo ich in seinem Sinne zu leben und zu wirken mich bestrebte. In dem Kampfe zweier sich gegenüberstehender Parteien, welche sich mit Erbitterung angriffen, wählte ich die meines Freundes Barneveldt, weil ich Recht und Freiheit auf seiner Seite fand. Der alte Mann bezahlte sein Streben mit dem Tode, er wurde unter dem Jubel des verblendeten Volkes enthauptet; mich traf lebenslängliche Gefangenschaft, die ich auf dem Schlosse Löwenstein verbüßte. Die That meiner trefflichen Gattin wird Euch bekannt sein. Sie rettete mich durch eine verwegene List. Mittelst einer Kiste, in der sie mir die mir gestatteten Bücher schickte, wußte sie mich zu befreien, mit Gefahr ihres eigenen Lebens. – Ich wandte mich zunächst nach Frankreich, wo König Ludwig, vielleicht eingedenk der Freundschaft, welche mir sein großer Vater einst erwiesen, oder um meiner anderweitigen, geringen Verdienste willen, mir eine Pension von dreitausend Livres bewilligte; doch nur kurze Zeit dauerte diese Gnade. Kardinal Richelieu, der allmächtige Minister, dem ich nicht zu schmeicheln verstand, entzog mir den verliehenen Gnadengehalt und von Neuem sah ich mich dem Elend, selbst dem Mangel Preis gegeben. Aus meinem Vaterlande verbannt, irrte ich mit meiner armen Familie unstätt umher, bis ich nach der reichen, deutschen Handelsstadt Hamburg kam. Hier lernte ich den einflußreichen und weisen Kanzler Orenstierna kennen, der mir im Namen seiner Königin, der hochgebildeten Christine von Schweden, welche selbst ein Wunder an Gelehrsamkeit der Wissenschaft jede mögliche Pflege angedeihen läßt, mir den nöthigen Schutz zusagte und mich in ihre Dienste nahm.

– Wahrlich, das Schicksal hat Euch wunderbar geführt und trotz mancher Drangsale vor Vielen begünstigt. Euch ward das seltene Glück zu Theil, mit den größten Männern und Frauen unserer Zeit zu verkehren. Ihr durftet zu den Füßen eines großen Königs sitzen, der Euch mit seinen weitausgreifenden Plänen bekannt gemacht hat, einen Mann wie Orenstierna Euren Freund nennen, den die Welt als den größten Politiker Europas anerkennt, und außerdem in Gesellschaft einer Fürstin leben, die ihren Hof in ein Asyl der bedeutendsten und ausgezeichnetsten Gelehrten verwandelt hat.

Ein seltsames Lächeln umschwebte bei diesem Ausbruche jugendlicher Schwärmerei und Begeisterung den fein geformten Mund des gelehrten Staatsmannes. Seine angeborene Humanität und Feinheit ließ ihn jedoch die aufsteigende Spottlust unterdrücken, die ihn besonders bei dem reich gespendeten Lobe der launenhaften Königin von Schweden überfiel.

– Dennoch, sagte Grotius, wieder ernst werdend, möchte ich mit Euch, mein junger Freund, von Herzen gern tauschen und mich, wie Ihr es dürft, einzig und allein dem Studium der Wissenschaft und der Gesellschaft der holden Mußen überlassen. Ihr dürft meiner Erfahrung Glauben schenken, nur der wahre Dichter oder der Gelehrte, die in einer abgeschlossenen Welt voll Träumen und Gedanken leben, sind vollkommen glücklich. Sie bewahren sich selbst jene Unschuld des Herzens und des Geistes, welche die Berührung mit der wirklichen Welt dem Politiker rauben muß. Uns geht es, wie den Schauspielern, die hinter den Coulissen stehen und den Lampendunst, die Schminke und die plumpen Malereien kennen, mit denen die schaulustige Menge getäuscht und betrogen wird. Da verwandeln sich die schönen Gesichter in häßliche Fratzen, die prachtvollen Gewänder in zerrissene Lumpen und die herrlichen Landschaften in grobe Leinwand, mit dem Mauerpinsel angestrichen. Immer fällt mir von Neuem dabei das Wort des großen Orenstierna ein, mit dem er seinen Sohn in die Welt entließ und in das Leben einführte: Geh' hin, mein Sohn und sieh, von welchen Leuten die Welt regiert wird. – Doch ich will Euch nicht das Herz beschweren vor der Zeit. Nehmt aber meinen Rath an, genießt die frohe Jugendzeit und vor allen Dingen geht nach Griechenland.

– Ich werde um so mehr Euren Rath befolgen, da ich schon längst den gleichen Wunsch empfand, das Land zu sehen, dem wir unsere ganze heutige Bildung verdanken, den Boden zu betreten, auf dem ein Miltiades gegen die Tyrannei Asiens den Riesenkampf aufnahm, ein Leonidas sich muthig opferte, ein Sokrates lebte und starb wie der beste Christ, ein Plato lehrte und ein Pindar sang. Was ich selber geworden bin; verdanke ich allein nur den erhabenen Beispielen und Lehren, welche uns dieses einzig dastehende Volk hinterlassen hat. Hätte ich doch jene kraftvolle Beredtsamkeit eines Demosthenes geerbt, ich würde jetzt meine Stimme erheben und ganz Europa, vor allen aber mein eigenes Vaterland aufrufen, daß es Griechenland, die Wiege der Kunst und Poesie, den ursprünglichen Sitz der Beredsamkeit, von dem Joche der grausamen Türken befreie. Ist es nicht eine Schmach für die ganze gebildete Welt, daß die Söhne jener Helden die Sklaven eines barbarischen Volkes sein, daß Christen die Ketten der Ungläubigen schleppen müssen?

– Auch ich theile Eure fromme Wünsche, entgegnete der gelehrte Staatsmann, doch will es mir auch bedünken, daß es den heutigen Griechen wie meist den Erben eines großen Namens geht. Sie gleichen ihren Vorfahren, wie die Katze dem Löwe ähnlich sieht. Nach dem, was ich von ihnen gesehen und gehört habe, wäre ich geneigt, sie für nicht minder barbarisch und ungebildet als ihre Tyrannen zu halten. Außerdem haben sie alle Laster eines in Sklaverei und Unterdrückung lebenden Volkes angenommen, sie sind hartnäckig, hinterlistig und feig.

– Ich kann es nicht glauben, daß jeder göttliche Funke in ihnen erloschen ist. Ich selber kenne einige treffliche Männer dieser Nation, welche mich nicht an der Wiedergeburt Griechenlands verzweifeln lassen.

– Mögen Eure Hoffnungen in Erfüllung gehen. Ich begreife vollkommen, daß ein Dichter sich für das Vaterland der Poesie selbst in seinem jetzigen Verfalle noch begeistern kann. Doch vergeßt nicht über die todte Vergangenheit das Leben und die Gegenwart. Auch unsere Zeit ist nicht arm an großen Männern auf dem Gebiete der Wissenschaft. An einen dieser Herden, der noch dazu mit der Martyrerkrone des Genies gekrönt ist, möchte ich Euch weisen. Euer Weg wird Euch auch nach Florenz führen; versäumt es nicht in dem benachbarten Arcetri den berühmten Galilei auszusuchen, der die Rechte der Natur einer verkehrten Philosophie gegenüber geltend zu machen wußte und zum Dank dafür von der Inquisition die härtesten Verfolgungen zu dulden hatte. Laßt Euch um so mehr zu dem Besuche anspornen, da der alte Mann, welcher so große Verdienste um das Universum hat, durch Krankheit und noch mehr durch quälenden Kummer abgezehrt, uns nur wenig Hoffnung giebt, daß sein Leben noch von langer Dauer sein werde; darum erfordert die Klugheit, die Zeit sorgfältig zu benutzen, wo wir noch den Unterricht eines so großen Lehrers genießen können. – Der berühmte Greis wird Euch gewiß freundlich aufnehmen, wenn Ihr ihm einen Gruß von mir, seinem bekannten Verehrer bringt.

Milton dankte für diese neue Empfehlung und versprach, nicht die Gelegenheit zu versäumen, welche ihm hier geboten wurde, um einen der bedeutendsten Männer seines Jahrhunderts kennen zu lernen. Auch Grotius, der immer mehr Gefallen an dem viel versprechenden Jüngling fand, forderte denselben während seines kurzen Aufenthaltes in Paris zu wiederholten Besuchen auf. Durch diesen Umgang mit einem der bedeutendsten Staatsmänner seiner Zeit, lernte der Dichter nicht nur die politische Lage Europa's kennen, sondern auch das innerste Getriebe der damaligen Parteien und der sich gegenüberstehenden Interessen. Sein Blick erweiterte sich und die Unterhaltung mit Grotius legte gewiß mit den Grund zu seinen späteren Ansichten. Oft berührte ihr lebendiges Gespräch die wichtigsten Fragen des Völkerlebens und der Regierungskunst. Die freiere Forschung, welche auf dem religiösen Gebiete und in Glaubenssachen damals allgemein verbreitet war, erstreckte sich auch auf die Politik. Aus dem dumpfen Traumleben des Mittelalters einmal erwacht, rüttelte der Menschengeist mit jugendlicher Kraft an den Schranken, wo sie ihm auch immer gegenübertreten mochten. Die wiedererstandene Wissenschaft griff, nachdem sie die Wälle des Glaubenszwanges überstiegen, das Bollwerk der Tyrannei selber an, und übte ihr kritisches Talent an allen bestehenden Verhältnissen. Durch die Reformation war ein allgemeiner Gährungsstoff in die Welt gekommen, die nach einer neuen Gestaltung rang. Nachdem einmal die Autorität des Papstes und der Glaube an seine Unfehlbarkeit angegriffen und erschüttert war, drohte dem absoluten Königthum auch Gefahr. Die Fürsten selbst öffneten in ihrer Verblendung dem Feinde das Thor, durch welches früher oder später der Strom der Revolution über sie hereinbrechen mußte. Sie hatten meist aus eigennützigen Gründen der Reformation jeden möglichen Vorschub geleistet, und das Band, welches die Völker an Rom fesselte, gelockert, um sich der Schätze und Güter der Geistlichkeit zu bemächtigen, oder die geistliche Gewalt des Papstes mit ihrer irdischen Macht zu vereinigen. In Frankreich besonders führte das Königthum einen erbitterten Verzweiflungskampf gegen den feudalen Adel und die Großen des Landes. Das Ziel war die unbeschränkte Souverainität, aber indem es die natürlichen Stützen seines Thrones, die Geistlichkeit und den Adel stürzte und zu bloßen Dienern des Hofes erniedrigte, gab es sich selbst den späteren Angriffen seiner Feinde schutzlos Preis.

All diese Verhältnisse entwickelte Grotius mit bewunderungswürdiger Klarheit seinem nach Belehrung dürstenden Schüler.

– Wir stehen, sagte er am Schlusse seiner Rede, an einem neuen und großen Wendepunkte der Geschichte. Die alte Welt ist todt und geht in Fäulniß über, aber ein neues Leben entwickelt sich sichtbar vor unseren Augen. Das kann nicht ohne einen mächtigen Kampf geschehen; der Geburt gehen immer erst die schmerzenhaften Wehen voran. Der endliche Sieg aber muß dem Geist verbleiben, der sich aller Orten regt und zeigt. Dieser Geist ist der Geist der Freiheit, der Odem Gottes, der mit seinem frischen Hauche die Welt durchzieht. Wohl thürmen sich ihm die schwarzen Wolken der Tyrannei, die Nebel des Aberglaubens und alle Schatten der Nacht entgegen, aber er wird ihrer Herr werden und sie verwehen. Das Licht, welches einmal den Völkern aufgegangen, kann nicht mehr erlöschen. – Diese Wohlthat haben wir einzig und allein der Wissenschaft und ihren Erfindungen zu verdanken. Wahrlich, es ist erstaunenswerth, was die Menschheit in den letzten Jahrhunderten geleistet hat, und wir brauchen nicht mehr beschämt vor den Völkern des Alterthums zu stehen. Die Buchdruckerkunst vor Allem hat dem Geiste Flügel verliehen, daß er von einem, Ende des Erdballs bis zum andern fliegt. Das Wort hat durch sie ein ferntönendes, tausendfaches Echo erhalten, das in allen Herzen wiederklingt. Die Werke griechischer und römischer Weisheit und vor Allem die heilige Schrift, sind aus dem Moder und Staube, in welchem sie Jahrhunderte gelegen, auferstanden und das Gemeingut Aller geworden. Nicht die rohe Kraft, sondern Bildung und Kenntnisse beherrschen jetzt die Welt. Es giebt nicht Laien und Priester mehr, wir Alle sind ein Volk von Priestern geworden, wie die Bibel es verkündet hat. So, von ihren Fesseln befreit, wird die Wissenschaft zum heiligen Geist, der sich über die Nationen ergießt. Auch Ihr, mein junger Freund, seid, wenn mich nicht Alles trügt, zu diesem heiligen Amt berufen und so empfangt denn von mir den Bruderkuß, als ein Glied unserer großen Gelehrtenrepublik, welche die erleuchteten Geister der ganzen Welt zu einem heiligen und mächtigen Bund vereint.


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