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7.

Ohne fernere Abenteuer gelangte Milton nach Neapel. Sein erster Gang war zu dem Marchese, dem er das Empfehlungsschreiben seines Reisegefährten überbrachte. Er fand einen liebenswürdigen Greis, der früher einen hohen Posten bekleidet hatte und jetzt von allen Geschäften zurückgezogen sich ausschließlich dem Studium der Wissenschaften und der Poesie widmete.

– Ihr seid mir hier, sagte der Marchese, von einem alten Freunde auf das beste und wärmste empfohlen. Doppelt willkommen, da Ihr, wie ich aus dem Briefe ersehen kann, ein junger Dichter seid.

– Verzeiht, daß ich Euch gleich bei meinem Eintritt mit meiner Neugierde beschwerlich falle, aber Ihr werdet es gewiß natürlich finden, wenn ich mich bei Euch nach dem Namen und den Lebensumständen jenes freundlichen Eremiten erkundige, dem ich Eure Bekanntschaft zu verdanken habe.

– Er war mein alter Kriegsgefährte, das Leben hat ihm hart mitgespielt. Nachdem er sein Weib und zwei Kinder begraben, hat er sich von der Welt zurückgezogen. Fast möchte ich ihn um seine Einsamkeit und den heiteren Sinn beneiden, den er sich bewahrt. – Seinen Namen kann ich Euch nicht sagen, da er ihn geheim gehalten wissen will.

Mit dieser dürftigen Auskunft mußte sich Milton zufrieden geben, bald nahm das Gespräch eine andere Wendung, die dem Dichter nicht minder interessant erschien. Unaufgefordert erzählte ihm der Marchese von seinem Zusammenleben mit Tasso.

– Es war mir vergönnt, sagte der würdige Greis, dem von äußeren und inneren Feinden verfolgten Dichter eine Zufluchtsstätte in einem meiner am Meer gelegenen Landhäuser zu gewähren. Dort vollendete er sein »Befreites Jerusalem« in glücklicher Abgeschiedenheit, nachdem er das Haus des Fürsten Conca verlassen hatte. Ein entsetzlicher Argwohn vergiftete sein Dasein und stets lebte er in der unseligen Furcht, daß man sich seiner Manuscripte bemächtigen und zu seinem Nachtheil ausbeuten wollte. Nur mir allein schenkte er sein volles und unbedingtes Vertrauen. Ich benutzte es, um seine leidende Gesundheit wieder herzustellen, seine erschlaffte Phantasie zu beleben und seine Muse zu neuen und erhabenen Arbeiten anzuregen.

– Wohl dem Dichter, der einen solchen Beschützer und Gönner auf seinen Lebenswegen findet. Euer Verdienst kommt fast dem Seinigen gleich, denn Euch verdanken wir diese letzten unsterblichen Werke des Genius, den herrlichen Scheidegruß der untergehenden Sonne.

– Ihr schlagt mein Verdienst zu hoch an und wie reichlich wurde ich dafür gelohnt. Abgesehen von seiner Freundschaft, die ich als die größte Errungenschaft meines Lebens betrachte, widmete er mir seinen berühmten Dialog über die Freundschaft, der meinen Namen auf die Nachwelt trägt. Auch begann er auf Wunsch meiner Mutter sein Gedicht: »Von den sieben Tagen der Schöpfung«. So blieb ich noch immer in seiner Schuld. Leider war es mir nicht vergönnt, dieselbe bei seinem Leben abzutragen, jetzt nach seinem Tode erst will ich ihm ein Denkmal setzen, das seiner würdig ist. Ich gedenke nämlich seine Lebensgeschichte zu schreiben, die überaus reich an wunderbaren Begebenheiten ist.

– Ich habe viel von seiner unglücklichen Liebe zu der Fürstin Leonora von Este sprechen hören. Diese Leidenschaft soll allein der Grund seiner Leiden gewesen sein.

– So viel ich aus seinem eigenen Munde weiß, hat diese Neigung niemals die Schranken einer tugendhaften und ritterlichen Verehrung überschritten. Ich selber kannte die erhabene Fürstin, sie war die Zierde ihres Geschlechts, eine jener herrlichen Naturen, wie man sie nur selten trifft. Edel und großherzig, nahm sie den lebendigsten Antheil an der Bildung und Literatur unseres Vaterlandes. Sie sprach das Lateinische fertig wie ein Gelehrter und las den unsterblichen Homer und die meisten griechischen Dichter in der Ursprache. Kein Wunder, daß sie mit Tasso viel verkehrte und den Dichter begünstigte. Sie liebte den Umgang mit bedeutenden Männern und nicht die Geburt, sondern das Talent allein verlieh dem Menschen Werth in ihren Augen. Da sie viel älter war als er, so erhielt ihre Freundschaft zu ihm einen schwesterlichen Anstrich. Es war eine schöne Zeit, die Tasso damals an dem Hofe von Ferrara verlebte. Die edelsten Männer und liebenswürdigsten Frauen hatten sich zusammengefunden und bildeten einen geistigen Hof, an dessen Spitze der Herzog selber stand. Alle diese ausgezeichneten Menschen achteten und forderten den Dichter. Besonders war er ein Liebling der Frauen, die er in seinen Liedern verherrlichte. Zwischen ihnen fand eine Art zärtlicher Eifersucht statt und jede suchte ihn für sich ausschließlich zu gewinnen. Im Anfange siegte die junge und reizende Lukrezia Benadidio und bemächtigte sich seines Herzens. Sie wurde der Gegenstand seiner dichterischen Ergüsse, aber sie verdiente auch seine Huldigungen, der Frühling kann nicht schöner sein als diese liebenswürdige Frau. Doch der erhabene Geist Leonorens und ihrer gleichbegabten Schwester entführten ihn und in platonischen Gesprächen wandelte der Dichter zwischen den Fürstinnen durch die blühenden Gärten und schattigen Gängen Bellriguardo's. Später erschien die hinreißende Gräfin Leonore Sanvitale, die Gemahlin des Grafen von Scandiano, auch sie begünstigte den Dichter und nahm an dem Wettstreit der holden Frauen Theil. Bald war sie die Alleinherrscherin seines Herzens. So viel Gunst und Auszeichnung, die ihm von allen Seiten zu Theil wurde, mußten ihm nothwendig Feinde und Neider erwecken. Der schlimmste Feind indeß war seine unglückliche Gemüthsart, ein unheilbarer Hang zur Schwermuth, der früher oder später ihn zum Wahnsinn führen mußte. Nicht die Gemeinheit der Höflinge, nicht der Streit, den er im Palaste mit einem Diener der Herzogin von Urbino hatte, und am allerwenigsten trägt der Herzog die Schuld. Der edle Alphons zeigte anfänglich die größte Geduld und Nachsicht mit den Verkehrtheiten des Dichters, den er zu beruhigen, zu heilen suchte. Auf Tasso's eigenen Wunsch ließ er ihn in das Kloster der Franziskaner bringen, um dort seine Genesung abzuwarten. Ungeachtet all dieser Sorgfalt verschlimmerte sich sein Uebel nur immer mehr und mehr, er sah sich von Gefahren umringt, von eingebildeten Feinden verfolgt, er machte sich selbst die peinlichsten Vorwürfe ohne allen Grund. Die Zerrüttung seines Geistes nahm überhand und in einem unbewachten Augenblicke ergriff er, von Allem entblößt, selbst mit Zurücklassung seiner wichtigsten Papiere und Manuskripte die Flucht. Er eilte zu seiner Schwester Cornelia, welche als Wittwe in Sorrent lebte. Ihrer Zärtlichkeit und Sorgfalt gelang es, ihn zu beruhigen und unter ihrer Pflege genas sein zerstörter Geist. Noch einmal faßte der Unglückliche frischen Muth und die herrlichen Funken seines Geistes durchbrachen strahlend die trüben Nebel, welche sein Gemüth verschleierten und nur zu bald sich in die ewige Nacht des Wahnsinns verwandelten. Er sehnte sich abermals nach Ferrara zurück, wozu er die Vermählung des Herzogs mit Margareta Gonzaga für den günstigsten Zeitpunkt hielt. Bitter sah er sich jedoch in seinen Erwartungen getäuscht. Statt eines freundlichen Empfanges und einer ehrenvollen Aufnahme fand er nur Kälte und Gleichgültigkeit von Seiten des Hofes, Spott und Hohn bei seinen Gegnern; weder der Herzog noch die Fürstinnen ließen ihn vor sich. Da verließ ihn die Geduld und er ergoß sich laut in Schmähungen gegen Alphons und dessen Hof, so daß der Fürst sich genöthigt sah, ihn als einen Rasenden in das St. Annen-Hospital zu bringen und fest zu verwahren.

– Armer Tasso! unterbrach Milton die Erzählung des Marchese. Ist denn der Dichter nur zum Leid geboren?

– Fast sollte man glauben, entgegnete der würdige Greis, daß die Dornenkrone die einzige Mitgabe des Genius sei. Sieben Jahre schmachtete der größte Dichter Italiens in der Wahnsinnszelle, umgeben von Blödsinnigen und Rasenden, deren Toben und Geschrei hingereicht hätten, selbst einem Gesunden den Verstand zu rauben. Indeß blieben seine zahlreichen Freunde nicht unthätig. Seine Werke hatten im ganzen Vaterlande die höchste Begeisterung hervorgerufen, von allen Seiten wurde Alphons bestürmt. Fürsten und Städte, vor Allen Bergamo, das eigentliche Vaterland des Dichters, schickten ihre Gesandten, welche dringend seine Freilassung forderten. Da vermochte auch der Herzog nicht länger zu widerstehen, er gab ihn frei, doch der große herrliche Geist kam gebrochen aus dem Kerker und das Licht war dem Erlöschen nahe. Zu spät kam die Einladung des Papstes aus Rom, wohin der Dichter berufen wurde, um feierlich auf dem Kapitole als Fürst der italienischen Poesie gekrönt zu werden. Seine Kraft war erschöpft und während die glänzendsten Vorbereitungen zu dieser Krönung getroffen wurden, entschlummerte der Held des Tages in dem Kloster St. Onofrio.

Der Marchese schwieg erschüttert und eine Thräne zitterte an seinen grauen Wimpern, auch Milton war tief ergriffen von der Erzählung dieses Dichter- und Menschengeschicks. Der gemeinschaftliche Schmerz verband den Jüngling mit dem Greise und aus der Trauer um den Dahingeschiedenen erwuchs das neue Freundschaftsbündniß. Mit väterlichem Wohlwollen begegnete der würdige Mann dem fremden Dichter, der ihm diese Gesinnung mit kindlicher Liebe und Verehrung vergalt. Durch den Marchese lernte Milton Neapel und dessen entzückende Umgebung kennen. Von großer Bedeutung waren besonders die häufigen Unterhaltungen des liebenswürdigen Greises über die Literatur und den hervorragendsten Erscheinungen der italienischen Poesie. Milton erhielt hier die erste Anregung zu seinem unsterblichen Werke, der Gedanke entstand in ihm jetzt wohl zuerst nach dem Vorgange Tasso's ein großes episches Gedicht in seiner eigenen Muttersprache zu schreiben. Er theilte seine Pläne dem Marchese mit, der es an Aufmunterung und nützlichen Rathschlägen nicht fehlen ließ und überhaupt den günstigsten Einfluß auf den Dichter ausübte.

– Ich bin, pflegte er wohl dann lächelnd zu sagen, dazu bestimmt, der Freund und Genosse des Talents zu sein und preise darum mich glücklich, denn nächst der Freude, die das eigne Schaffen dem Genie gewähren muß, kenne ich keinen größeren Genuß als den an dem Umgange und Wirken desselben. Diese bescheidene Stellung möchte ich mit keiner anderen vertauschen und ich bin schon hinlänglich zufrieden, wenn nur ein Strahl der Sonne, welche die ganze Welt mit ihrem Licht erfüllt, mir besonders zufällt.

– Ihr verdient in der That, entgegnete Milton, daß jeder Dichter Euren Namen preis't, denn nur wenig Menschen besitzen die herrliche Eigenschaft, sich neidlos an der Gabe des Genius zu erfreuen und ihm den Dornenpfad zu ebenen, wie Ihr es Eurem Freunde, dem unsterblichen Tasso gethan habt. Deshalb wird auch Euer Ruf nicht untergehen und mit dem Seinigem vereint von der Nachwelt gepriesen werden, wie Ihr es verdient.

Nur ein Umstand trübte von Zeit zu Zeit das zärtliche Verhältniß der beiden durch Alter, Rang und Nationalität so verschiedenen und doch durch den Kultus des Geistes innig verbündete Freunde. Auch hier machte sich der Glaubensunterschied bemerkbar und wenn auch der Marchese eine große Toleranz zeigte, so ließ sich Milton von seinem Eifer und jugendlichem Ungestüm zu manchem unbedachten Worte in Neapel hinreißen, wodurch sein edler Gastfreund selbst mehrfach in Verlegenheit gerieth. Der Marchese warnte jedoch vergebens vor der Gefahr, die dem Unbedachten daraus erwachsen konnte. Milton vermied es zwar so viel als möglich, religiöse Gegenstände und Glaubenslehren zu berühren, konnte es aber nicht unterlassen, wenn das Gespräch einmal diese Wendung genommen, frei und unumwunden seine Meinung auszusprechen, wobei er häufig die gewöhnlichste Vorsicht nicht beachtete. Die sanften Vorwürfe des Marchese rührten ihn zwar, wenn aber der liebenswürdige Greis um das Seelenheil des jungen Ketzers bekümmert einen leisen Bekehrungsversuch andeutete, so erfuhr er einen eben so ernsten als unerschütterlichen Widerstand. So blieb Milton unter allen Verhältnissen seiner religiösen Ueberzeugung treu und weder Liebe noch Freundschaft vermochten seinen Glauben zu erschüttern. Nur in der Reformation sah er die Möglichkeit eines geistigen Fortschrittes, sie und die Freiheit waren ihm gleichbedeutend.

Ungeachtet dieser kleinen Reibungen blieben seine Beziehungen zu dem Marchese ungetrübt. Oefters erhielt er von demselben Einladungen zu verschiedenen Ausflügen in die Umgegend von Neapel. Mit ihm besuchte er auch eines Tages das zauberische Sorrent, wo noch einige Verwandte Tasso's lebten. Auf einer von hohem Bergen eingefaßten Fläche liegt die reizende Stadt. Zu dem Meere geneigt fällt die steile Wand mehrere hundert Fuß tief lothrecht herab und bildet so eine einzige riesige Terrasse, welche ein großer Orangenwald bedeckt. Aus einem Duft- und Blüthenmeer tauchen die kleinen, weiß angestrichenen Häuser mit ihren flachen Dächern hervor, auf denen, um die Kühle des Seewindes zu genießen, die Bewohner sich meist aufzuhalten pflegen. Eines dieser Häuschen hatte der Schwester Tasso's gehört und hier fand der kranke, lebensmüde Bruder für kurze Zeit ein glückliches Asyl. Mit schuldiger Pietät überschritt Milton an der Hand des Marchese die gastliche Schwelle. An der Thür stand eine junge Frau mit einem blühenden Säugling auf dem Arme, das Ebenbild der Madonna mit dem Kinde. Ein älterer Knabe spielte zu ihren Füßen. Bei dem Anblick des Marche stieß das liebliche Weib einen Freudenschrei aus und eilte ihm entgegen.

– Wie wird sich die Mutter freuen, rief sie ihm schon von Weitem entgegen. Sie ist im Garten, und ich will sie sogleich von der Ehre benachrichtigen, die unserem Hause widerfahren.

– Ich werde sie selber aussuchen, entgegnete der Marchese, geht nur voran, wir folgen Euch. Trotz meines Alters bin ich noch rüstig genug, um die den Frauen schuldige Ehrfurcht nicht aus den Augen setzen zu dürfen.

Mit diesen Worten bemühte sich der Greis der schnell voraneilenden Frau zu folgen und die in den Felsen gehauenen Stufen zu ersteigen, welche nach dem Garten führten. Hier erwartete ihn die Schwester Tasso's, die fast achtzigjährige Cornelia. Es war ein rührender Anblick, wie sie ihre welke Hand dem treuen Freunde ihres Bruders entgegenstreckte. Ihr Gesicht trug noch die deutlichen Spuren früherer Schönheit und besonders strahlten ihre dunklen Augen in wunderbarem Glanz. Sie wollte sich von dem Stuhle erheben, auf dem sie in der offenen Rebenlaube saß, doch der Marchese hinderte sie daran.

– Bleibt nur sitzen, Cornelia, sagte der freundliche Greis. Ich hatte Euch schon längst wieder meinen Besuch zugedacht, doch das zunehmende Alter legt mir wie Euch Bande an. Doch, was spreche ich vom Alter? Ihr seht so jung und frisch aus wie in Eurer besten Zeit.

– Spottet nur, antwortete die Matrone, ich fühle täglich mehr die Abnahme meiner Kräften und bald werde ich wohl meinem armen Bruder nachfolgen. Wie freue ich mich, daß es mir noch vergönnt war, bei meinem Leben zu sehen, daß ganz Italien in ihm seinen ersten Dichter anerkennt und preis't. Jetzt kann ich ruhig von der Welt scheiden, nachdem ihm volle Gerechtigkeit widerfahren und selbst seine Neider und Feinde gezwungen sind, seine Größe einzugestehen. Ich hätte es nicht gedacht, daß diese kleine Hütte, worin er mit mir gelebt, einst wie ein Wallfahrtsort von fremden Menschen besucht werden würde. Es vergeht fast kein Tag, wo nicht angesehene Leute hierher kommen, um bei mir Erkundigungen über die kleinsten Begebenheiten seines Lebens einzuziehen. So genieße ich noch am Abende meines Daseins das Glück, Zeugin und Theilnehmerin seines Triumphes zu sein.

– Und dieses Glück habt Ihr im reichsten Maße als seine schwesterliche Freundin und Pflegerin verdient. Doch nicht Italien allein ehrt seinen Dichtern, sondern selbst die fernsten Völker bringen ihm heut' seine Huldigung. Dieser junge Mann, mein Freund, ist ein Engländer, der die Stätte sehen und die Schwester Tasso's kennen lernen will. Er selber ist bereits ein in seinem Vaterlande bekannter Poet.

– Ihr seid willkommen, sagte die Matrone mit Würde, und die heilige Jungfrau verleihe Euch den Ruhm meines armen Bruders, und bewahre Euch vor seinen Leiden.

Auf den Wink Cornelia's beeilte sich die junge Frau, welche ihre Tochter und eine Nichte Tasso's war, den Gästen einige Erfrischungen anzubieten. Unterdessen war auch der Gatte, ein tüchtiger und verständiger Schiffsbesitzer gekommen, der an dem allgemein werdenden Gespräch lebhaften Antheil nahm. Im Kreise der glücklichen und mit ihrem Geschicke zufriedenen Familie flogen für Milton die Stunden wie Augenblicke hin. Die untergehende Sonne, welche mit südlicher Farbenpracht in das blaue Meer tauchte und dieses in stammenden Purpur umwandelte, mahnte zum Aufbruch. Der Seemann erbot sich auf seinem Kahn die Freunde nach Neapel zu bringen und diese nahmen sein freundliches Anerbieten an. Es war ein herrlicher Abend und der Wind, welcher die Segel schwellte, mit süßen Wohlgerüchen geschwängert. Mit Dank und Rührung schied Milton aus dem Hause Tasso's von den Grüßen und Segenswünschen der edlen Cornelia begleitet.

– Fahrt wohl! rief ihm die Matrone zu, und werdet Eurem Vaterlande, was mein Bruder dem Seinigen geworden ist. Für den Schmerz dieser Erde lohnt ihn der ewige Ruhm und die Unsterblichkeit.

In den Strahlen der Abendsonne leuchtete ihr edles Gesicht wie verklärt, als sie diese Worte mit feierlicher Stimme sprach.

Leise rauschten und murmelten die Wellen, welche der Kahn im schnellen Lauf durchschnitt. Der Mond war aufgegangen und beleuchtete das Meer und die Felsen des Ufers, welche in phantastischen Umrissen verschwammen. Die beiden Ruderer hatten nur wenig zu thun, da ein günstiger Wind das Fahrzeug vorwärts trieb. Der eine von ihnen, ein kräftiger Bursche mit dunklem Lockenhaar und krausem Barte, die rothe Schiffsmütze auf dem Haupte, erhob mit einem Male seine Stimme und ließ einen sanften, klagenden Ton erschallen. Es war halb Gesang, halb Recitativ, was die lauschenden Hörer vernahmen, von wunderbarer Wirkung indeß und in schönster Harmonie mit dem murmelnden Spiel der Wogen. Immer deutlicher traten die Worte hervor und bald erkannten Milton und der Marchese Strophen aus dem befreiten Jerusalem von Tasso. Der andere Schiffer, ein älterer Mann, fiel mit tieferer Stimme ein, wenn sein Vorgänger geendet hatte. So tönte der eigenthümlich fesselnde Wechselgesang, der eine gewisse Berühmtheit durch ganz Italien erlangt hat.

– Irre ich nicht, sagte der Marchese zu dem Seemann gewendet, so singen Eure Leute Tasso's befreites Jerusalem.

– Ihr habt ganz recht gehört, antwortete dieser. Unsere Schiffer kennen größtentheils das Gedicht auswendig und unterhalten sich auf der Fahrt damit, sich wechselweise einige Strophen zuzurufen. Sie lieben den Dichter und die Heldenthaten Gottfrieds, Armidens Zauber, Klothildens Liebe leben in dem Munde dieser rauhen Leute.

– Wahrlich! rief Milton ergriffen. Jetzt kann ich Tasso nicht länger beklagen. Er hat das Höchste erreicht, denn seine Lieder leben in dem Munde des Volkes.


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