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Jetzt begann ein neues Leben in Withehall. Cromwell warf mehr und mehr die Maske ab und zeigte ziemlich unverhüllt seine Absicht auf die Krone Englands. Vorsichtig wie immer forschte er zuerst die Gesinnungen seiner Umgebung aus, ehe er einen neuen Schritt thun wollte. Fast täglich hatte er längere Unterredungen, sowohl mit seinen Offizieren, wie mit den einflußreichsten Bürgern. In diesen Gesprächen ließ er stets leise seine Meinung einfließen, daß England durchaus einer monarchischen Regierungsform bedürfe. So bereitete er die Gemüther allmälig vor. Er hatte die Presbyterianer und Constitutionellen durch die Puritaner und Republikaner besiegt, diese durch die Armee verdrängt, so daß er das Heer einzig und allein nur noch zu fürchten und zu scheuen hatte. Hier stieß er allerdings auf einen unerwarteten Widerstand. Schon der Titel Protector erregte Aergerniß und Oberst Harrison erklärte sich offen dagegen, ebenso der Freund Miltons, Major Overton. Mit ihren Gesinnungsgenossen verbunden, drohten sie dem Usurpator und dessen Absichten. Doch Cromwell kam ihnen schnell zuvor, ehe sie noch ihre Pläne gegen ihn ausführen konnten, ließ er sie gefangen nehmen. Milton wurde durch diese Nachricht nicht wenig überrascht und er hielt es für seine Pflicht, die Begnadigung des Freundes von dem Protector bei einer passenden Gelegenheit sich zu erbitten.
Zu diesem Zwecke begab er sich nach Withehall, wo Cromwell in dem Palast des hingerichteten Königs seine Wohnung aufgeschlagen und sich bereits mit einer Art von Hofstaat umgeben hatte. Eine besondere Leibwache war vor den Thüren aufgestellt. In den Vorsälen und auf den Treppen drängte sich die Menge, welche von dem neuen Regenten Gnadenbezeugungen und Belohnungen erwartete. Generäle und Offiziere, darunter finstere Puritaner, die sich in die veränderte Lage nicht zu finden wußten und in Cromwell immer nur noch ihren alten Kriegsgefährten sahen, schritten in ihren abgetragenen Waffenröcken und mit dem hohen Korbdegen klirrend auf und nieder. Man sah ihnen an, daß die Pracht, welche sie hier umgab, ein Greuel in ihren frommen Augen war. Mit mißtrauischen Blicken maßen sie die jungen Höflinge, welche sich wie Fliegen im Hochsommer schnell wieder eingefunden hatten, um die aufgehende Sonne zu umschwärmen; sie hatten einen neuen Götzen, vor dem sie sich mit krummen Rücken beugen, dem sie wieder schmeicheln konnten. Milton war nicht wenig erstaunt, hier so manchen früheren Cavalier zu sehen, der noch vor Kurzem Cromwell mit dem keineswegs schmeichelhaften Beinamen »alter Satan« belegt hatten. Das war Alles jetzt vergessen; der Protector suchte den Adel an sich heranzuziehen und begünstigte neuerdings die vornehmen Familien auffallend. Diese schlossen aus Furcht oder aus Eigennutz ihren Frieden mit ihm und empfingen aus seiner Hand ihre dem Staat verfallenen Güter zurück mit neuen Beweisen seiner Gnade. Um diesen Preis strömten sie zu dem neuen Hofe herbei, dessen Mittelpunkt von Cromwells eigener Familie gebildet wurde. – Da gab es nun ein buntes Gemisch, das sich jetzt dem Beschauer darbot. In einer Ecke stand ein rauher Independent, oder ein Fanatiker, der die fünfte Monarchie Gottes und das neue Jerusalem erwartete; er schaute grimmig auf das ungewohnte Treiben. Seine plumpen Manieren, seine seltsame Kleidung, welche sich durch Einförmigkeit und Einfachheit auszeichnete, und seine salbungsweisen, mit Bibelstellen durchspickte Reden waren ein Gegenstand des leisen Spottes für die bewohnten Höflinge, die jedoch nur im vertrauten Kreise darüber zu lächeln wagten.
An dem anderen Ende des Saales eiferten einige Geistliche mit Offizieren und zankten über theologische Ansichten, welche von beiden Seiten mit der größten Spitzfindigkeit verfochten wurden und wobei die wilden Krieger öfters ihre gelehrten Gegner in die Enge trieben. Dort unterhielten sich einige junge Höflinge mit leiser Stimme von den Liebschaften Seiner Hoheit des Protectors und stritten darüber, ob er der schönen Lady Dysart, oder der geistreichen Lady Lambert den Vorzug gebe. – Soldaten und Priester, Aristokraten und Republikaner, der strenge Puritaner und der leichtfertige Skeptiker waren hier durch den Willen des Gebieters oder durch ihre verschiedenen Interessen jetzt vereint und trotz ihrer friedlichen Stellung mit einander gewaltsam verschmolzen. Ein eigenthümlicher Ton herrschte daher in den Gemächern von Withehall. Demokratischer Trotz und höfische Geschmeidigkeit, fanatische Schwärmerei und kühle, nüchterne Selbstsucht gingen Hand in Hand und brachten eine wunderbare Wirkung hervor.
Während Milton sich ähnlichen Betrachtungen überließ, wurde er häufig von Bekannten angehalten und begrüßt. Lord Broghill, der Bruder der Gräfin Ranelagh, schüttelte ihm die Hand. Der Dichter Waller, ein Verwandter des Protectors und trotzdem ein früherer Günstling Karl des Ersten, redete ihn an. Er kam so eben aus dem Kabinet, in welchem Cromwell Audienz ertheilte.
– Kann ich den Mylord Protector sprechen? fragte ihn Milton.
– Wer weiß, entgegnete lachend der lustige und gesinnungslose Waller. Seine Herrlichkeit sind so eben mit einem Heiligen eingeschlossen, einem Schuhmacher, über den der Geist des Herrn gekommen. George Fox heißt der närrische Geselle, er hat bereits eine Sekte gestiftet, welche sich die »Freunde oder Quäler« nennen. Er will keine Geistlichen mehr dulden, vor keinem Menschen den Hut abziehen, und keinen Eid leisten. Jeden redet er mit du an. Ich sag Euch, es war zum Todtlachen, wie er auf Cromwell losging und ihm zurief: Friede sei mit deinem Hause und wie dann Beide mit einander disputirten. Während Seine Herrlichkeit sich die Hosen anzog, regnete es Bibelstellen. Ich konnte es vor Lachen nicht aushalten und habe mich fortgemacht. Mylord Protector macht sich auch im Stillen über solche wunderliche Heilige lustig, aber was soll er thun? Wie er mir im Vertrauen sagt, muß er einmal mit den Wölfen heulen. Ihr wißt nicht, wie wir überlaufen werden. Vorige Woche kam der Jude Manasse-Ben-Israel aus Amsterdam und überreichte für sich und seine Glaubensgenossen eine Schrift, worin er um die Erlaubniß bat, in London wohnen und Handel treiben zu dürfen. Was sagt Ihr zu solcher Kühnheit?
– Nach meiner Ansicht sollte man die Juden nicht fortweisen, sondern mit Duldung aufnehmen. Sie sind gleichsam der Stamm, aus dem sich das Christenthum als die herrlichste Blüthe der Menschheit entwickelt hat. Außerdem zeigt das auserwählte Volk einen regen Handelsgeist und bringt dadurch Reichthümer in das Land.
– Grad so denkt auch Mylord Protector. Er hat sogleich eine Conferenz von Kaufleuten, Theologen und Rechtsgelehrten zusammengerufen, in der er selber präsidirt und sich seiner Schützlinge sehr warm annimmt.
– Er ist ein großer Mann nach allen Seiten hin.
– Ganz gewiß und es fehlt ihm nichts, als der Königstitel, um König zu sein. Im Vertrauen gesagt, glaube ich, daß mein würdiger Vetter nächstens sich die Krone aussetzen wird.
– Das kann doch nur Euer Scherz sein, sagte Milton tief ergriffen.
– Wo denkt Ihr hin? Ich habe bereits meine Krönungsode fertig und ich würde auch Euch den wohlgemeinten Rath geben, für die Feierlichkeit der Thronbesteigung Euren Pegasus aus dem Stall zu führen und wieder einmal zu besteigen, was ihr schon lange Zeit nicht gethan habt.
– Ich kann es immer nicht fassen.
– Und doch braucht Ihr nur Euch hier umzusehen. Was fehlt denn noch zum vollen Königthum? Wir wohnen in Withehall in dem königlichen Palast, wir haben eine treffliche Leibwache, einen vollkommenen Hofstaat. Seht da steht der edle Gras Warwik, Lord Broghill und wenn ich nicht irre, kommt dort Sir Kenelm Digby, um dem neuen Regenten von England seine Huldigungen darzubringen.
– Sir Digby, der Katholik, der verbannte Königsfreund? fragte Milton erstaunt.
– Nun, was wundert Ihr Euch. Er hat die Erlaubniß zur Rückkehr bekommen. Wir brauchen ihn zu geheimen Zwecken. Juden, Katholiken und Anabaptisten geben sich ein Rendezvous an unserem Hofe und es soll mich gar nicht wundern, wenn eines Tages der Papst selbst nach Withehall kommt um Seiner Herrlichkeit die Krone aufzusetzen.
Mit diesen Worten entfernte sich der heitere Dichter in dem Gedränge verschwindend. Milton blieb allein zurück voll traurigen Gedanken und Befürchtungen. Immer mehr drängte sich ihm die Ueberzeugung auf, daß die Republik, an der er mit Begeisterung gehangen, ihrem Untergange nahe war. Ein neuer Despotismus, unerträglicher als jeder andere, weil er sich lediglich auf die rohe Waffengewalt stützte, drohte an die Stelle der früheren Tyrannei zu treten. In Cromwell hatte Milton den Befreier seines Vaterlandes, den Beschützer der Gewissensfreiheit, den größten Mann seiner Zeit begrüßt, und jetzt lag sein Ideal herabgezogen und in den Staub getreten vor seinen Blicken. Was er verehrt, mußte er verachten, was er einst geliebt, herabsetzen. Das ist der größte Schmerz für ein edles Gemüth, wenn es mit eigner Hand die Götter sich aus dem Herzen reißen und von ihren hohen Postamenten stürzen muß. Nicht die getäuschte Liebe, sondern der betrogene Glaube schlägt die tiefsten Wunden, weil der ganze Mensch dann vergiftet wird, und er alle seine Ideale zugleich begraben und vernichtet sieht. Die Seele des Dichters war mit bitterem Leid erfüllt und im Stillen weinte er nicht nur über sein Vaterland, sondern über das Geschick der ganzen Welt. Er fragte sich, ob die Freiheit nicht ein leerer Wahn, nur der Traum einer erhitzten Phantasie sei. Indem er die gesinnungslose Menge in seiner Nähe und ihr Thun und Treiben betrachtete, regte sich in seiner Seele der Zweifel, ob das Volk jemals reif für die Freiheit werde. Die ganze Versunkenheit der menschlichen Natur und der angeborene Sklavensinn des unzurechnungsfähigen Haufens erfaßte ihn und er empfand den alten Ekel eines edlen Geistes über die Gemeinheit dieser Welt. Bald jedoch wich diese traurige Stimmung dem Gefühl seiner eigenen Würde, welche ihm den Glauben an die Freiheit und die Wahrheit wieder gab. Er hielt sich für verpflichtet, seine Ueberzeugung offen und sogar Cromwell gegenüber auszusprechen, selbst auf die Gefahr hin, den Zorn des Mächtigen zu erregen. Mit diesem Entschlusse kehrte der frühere Friede in sein Herz zurück und er wartete ruhiger auf die Zeit, wo er gerufen würde.
Während er sich diesen erhebenden Gedanken überließ, näherte sich ihm Sir Kenelm Digby, von dem er trotz der langjährigen Trennung wieder erkannt wurde. Nach einer anscheinend herzlichen Begrüßung redete er ihn an.
– Nun, Herr Milton, sagte der frühere Höfling Karls des Ersten, Ihr habt Euch sicher ebenfalls hier eingefunden, um die über England neu aufgegangene Sonne zu begrüßen. Fast möchte ich wetten, daß Ihr in Euren Taschen ein Gedicht zu seinem Lobe habt, irgend einen Hymnus auf den großen Mann.
– Ihr irrt Euch, entgegnete der Dichter gereizt. Mich führt mein Beruf als Staatssecretär nach Withehall und in die Nähe des Lord-Protectors.
– Also seid Ihr doch meinem Rathe gefolgt. Ihr habt dem Dichter den Laufpaß gegeben und seid Staatsmann geworden. Nun ich freue mich und wünsche Euch Glück zu Eurer neuen Laufbahn. Nehmt Euch nur in Acht, daß Euch Eure Poesie nicht hindernd in den Weg kommt. Der Politiker muß kalt und nüchtern, ohne alle Illusionen sein. Ich fürchte, daß Ihr noch immer zu viel Einbildungskraft und Gemüth besitzt, wenigstens habe ich das an Euren letzten Schriften bemerkt, die ich aus alter Freundschaft für Euch mit besonderem Interesse sonst gelesen habe.
– Ich danke Euch für die Theilnahme, welche Ihr meinen Schriften schenkt, doch kann ich Eure Ansichten nicht theilen. Der große und wahre Politiker muß nach meiner Meinung ein Herz besitzen, das warm für die Freiheit und das Wohl des Volkes schlägt. Fehlt ihm das, so wird er stets nur eine vorübergehende Wirkung ausüben und höchstens den Ruf eines geschickten Intriguanten erringen. Hätte Moses nicht die Drangsale seiner Nation so tief empfunden, wäre er nicht empört gewesen über die Tyrannei ihrer Bedrücker, er hätte nimmer mehr die Wunder gethan, die Gott durch ihn geschehen ließ. Er wurde berufen von dem Herrn, weil er ein Herz für die Leiden seines Volkes hatte.
– Grade wie unser Mylord Protector, bemerkte Sir Kenelm spöttisch. Nur glaube ich mit dem Unterschiede, daß Seine Herrlichkeit sich nicht begnügen wird, das gelobte Land aus der Ferne anzuschauen. Täuschen mich nicht alle Anzeichen, so haben wir nächstens eine Krönung in London und dann wäre es politischer von Euch gewesen, Eure Freiheitsliebe und republikanischen Gesinnungen weniger offen dargelegt zu haben. Glaubt mir, theurer Freund, die Freiheit ist auch nur eine Chimäre der Dichter und eine Republik besteht nur so lange, bis der rechte Mann sich findet, um sie zu beseitigen. Sie ist meist nur in unseren Tagen ein Product der Schwäche und Ohnmacht, eine Art von Fieberzustand, der mit allgemeiner Erschöpfung endet und durch einen geschickten Arzt gehoben wird. Doch ich vergesse ganz über die leidige Politik Euch eine Nachricht mitzutheilen, die Euch näher angeht. Ich bin in Rom gewesen und habe Leonora Baroni gesehen.
– Leonora! wiederholte der Dichter zusammenschreckend.
– Ich dachte es wohl, fuhr Sir Kenelm fort, daß Ihr die Signora noch immer nicht vergessen habt. Auch ihr geht es nicht besser, sie hat mir Grüße für Euch aufgetragen und ich bringe Euch vielleicht ihr letztes Lebewohl.
– Sie lebt nicht mehr? fragte Milton erschüttert. O, sagt mir, was aus Ihr geworden ist?
– Gleich nach Eurer Abreise begann sie zu kränkeln, sie hat Euch sehr geliebt. Da sie täglich schwächer wurde, ließ sie sich in ein Kloster bringen. Dort sprach ich sie, ihre Wangen waren bleich, ihre Glieder abgezehrt, aber ihr Auge strahlte in überirdischem Glanz. Sie glich einer Heiligen voll himmlischer Schönheit. Fromm bereute sie die Vergangenheit und mit glühender Inbrunst wandte sie ihren Sinn von den Freuden dieser Welt nach Oben. Bald werdet Ihr an der Signora eine Fürsprecherin im Himmel haben. Ach! wie war sie stets für Euer Seelenheil besorgt, mit welcher verklärten Liebe hat sie Euer gedacht. Ich verließ sie als eine Sterbende, und ich mußte ihr das Versprechen geben, Euch aufzusuchen und ihre letzten Grüße zu überbringen.
Unwillkürlich füllte sich das Auge Milton's mit Thränen, die er dem Angedenken Leonora's weihte. So war auch diese herrliche Künstler-Natur geschieden, welche mit Alice sich einst in sein Herz getheilt hatte.
– Arme Leonora! seufzte er, indem er der Todten den ihm zugefügten Schmerz verzieh.