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3.

Nach einem ebenso an Genuß wie an Belehrung reichen Aufenthalt von zwei Monaten setzte Milton seine Reise nach Rom fort. Auch hier sicherten ihm sein Ruf und die mitgebrachten Empfehlungen eine freundliche Aufnahme, er hatte Zutritt zu den ersten Gesellschaften und die angesehensten Häuser standen ihm sogleich offen. In den ersten Tagen seiner Anwesenheit stattete er dem gelehrten Holstenius, dem bekannten Bibliothekar des Vatikans, einen Besuch ab. Dieser führte ihn bei seinem Gönner, dem wissenschaftlich gebildeten und einflußreichen Kardinal Barberini, ein, der den Dichter mit auffallender Zuvorkommenheit empfing und mit Aufmerksamkeiten aller Art überhäufte. – Es war damals noch der Brauch, daß die Fremden in Rom je nach ihrer Nationalität in dem Hause des einen oder des andern Kirchenfürsten Schutz und Aufnahme fanden. Für die Engländer waren die glänzenden Räume des Palastes Barberini geöffnet. Der Kardinal, welcher in noch nicht allzuweit vorgerücktem Lebensalter stand, verschmolz in seiner Person die Würde eines hohen Geistlichen mit der heiteren Weltanschauung eines Lebemannes und gab den liebenswürdigsten Wirth für seine zahlreichen Gäste ab.

Fast an jedem Abend füllten sich die prächtigen Zimmer und Säle mit einem auserlesenen Kreise hochgestellter und bedeutender Personen; Fremde und Einheimische, Geistliche und Laien, Gelehrte und Dichter wogten im bunten Gewirre und in lebhafter Unterhaltung auf und nieder. Hier wandelte ein würdiger Bischof an der Seite eines Künstlers, dort ein bärtiger Mönch neben einem glatt rasirten Stutzer, zwischen den schwarzgelockten und feurigen Italienern bewegte sich mit abgemessenen Schritten der blonde Engländer, steif wie eine Kerze. Auch die Frauen waren nicht ausgeschlossen, denn trotz seines Standes schien der lebenslustige Kardinal kein Feind des schönen Geschlechts zu sein. –

Milton fand bald Wohlgefallen an dem ungezwungenen Ton, der in dieser Gesellschaft herrschte, und fehlte fast an keinem der gewöhnlichen Empfangsabende. Außerdem wurde er noch öfters zu besonderen Festen eingeladen und überhaupt mit einer Auszeichnung behandelt, die ihn sogar befremden mußte.

– Ihr seid ein Glückskind, pflegte der gelehrte Bibliothekar zu scherzen, und wenn Ihr wolltet, könntet Ihr in Rom Alles erreichen, was ein Mann sich wünschen kann. Der Kardinal Barberini, der nächste Verwandte des Papstes, ist Euer Freund.

– Das habe ich nur Eurer Empfehlung zu danken.

– Nicht allein der meinigen, Ihr scheint noch andere geheime Gönner zu besitzen; denn als ich Euren Namen Seiner Excellenz zum ersten Male nannte, schien er ihn bereits früher gehört zu haben, er that wenigstens als wär't Ihr ihm bekannt.

– Möglich, daß einer der vielen Engländer, die mit dem Kardinal so häufig verkehren, zufällig meiner Erwähnung that.

– Das wird es wohl sein, entgegnete Holstenius, das Gespräch aus Vorsicht abbrechend.

Milton blieb nachdenklich zurück, doch bald verschwanden seine aufsteigenden Befürchtungen wieder und er sah hinter der übergroßen Freundlichkeit des Kardinals nichts weiter, als die Herablassung eines vornehmen Gönners. Andere verborgene Absichten konnte der Kirchenfürst nach seiner Meinung nicht mit einem fast unbekannten Jüngling haben. Er nahm daher keinen Anstand, nach wie vor den Einladungen desselben Folge zu leisten. – Eines Abends, als er später wie gewöhnlich in den bereits gefüllten Saal trat, tönte ihm ein wunderbarer Gesang entgegen; eine weibliche Stimme von einem nie gehörten Umfang und Schmelz trug ein Lied von Palestrina mit wahrhaft künstlerischer Vollendung vor. Unwillkürlich trat der Dichter näher, um die Sängerin zu sehen.

Sie stand auf einer vergoldeten Erhöhung, wie eine Königin auf ihrem Thron. Ein dunkelrothes Gewand schmiegte sich um die schlanke Gestalt; die herrlichen Arme und der klassische Nacken, der die römischen Frauen auszeichnet, waren entblößt, nur zwei Kameen von großem Werth hielten das Kleid über den Schultern und dem üppigen Busen fest. Ein Kranz von stammenden Granatblüthen schlang sich um die feinen Schläfen und durch das nächtig schwarze Haar, welches in einen Knoten nach Art der weiblichen Antike festgebunden war, aber unzählige kleine Locken spotteten des Bandes und drängten sich in natürlicher Fülle wie kleine verführerische Schlangen hervor. Auf dem stolzen Nacken saß der prächtige Kopf, der junonische Würde mit dem Liebreiz einer Venus in sich verschmolz. Ein goldener Hauch schwebte über den zart gerötheten Wangen, deren sanfte Rundung an die schwellenden Formen der Pfirsich mahnten, die kaum merklich gebogene Nase und das kräftige Kinn verriethen eine ungewöhnliche Festigkeit, während die faltenlose, klare Stirn zum Thron eines ungewöhnlichen Geistes erkoren schien. Dunkle Augenbrauen und seidenweiche Wimpern beschatteten zwei Sterne, wie sie der Himmel selbst nicht schöner auszuweisen hat. Sie loderten jetzt mit der doppelten Gluth der Begeisterung und des angeborenen Feuers. Der Mund war halbgeöffnet und von den fein geformten purpurnen Lippen strömte ein bezaubernder Gesang. Die ganze Erscheinung glich auf dem erhabenen Postament der Götterstatue der Kunst. –

– Ringsumher saßen oder standen die Zuhörer, tief ergriffen von den mächtigen Tönen, eine athemlose Stille herrschte in dem großen Saal und das Entzücken der leicht berauschten Italiener machte sich nur in kaum vernehmbaren, unterdrückten Seufzern Luft. Erst als die Sängerin ihr Lied beendet hatte, brach der Enthusiasmus wie ein rasender Sturm hervor.

– E viva Leonora! brava! Brava! riefen die begeisterten Landsleute der Künstlerin.

– Heilige Cäcilie! sagte ein grauköpfiger Bischof, welcher neben Milton stand. So etwas haben meine Ohren nie zuvor vernommen.

Mit einem unmerklichen Kopfnicken dankte die Gefeierte, stolz wie eine Fürstin, welche die Huldigungen und den schuldigen Tribut ihrer Unterthanen entgegennimmt.

– Ancora bis! schrien ihr die zunächst Stehenden zu, widerhallte der ganze Saal.

Ein unmerkliches Lächeln der Befriedigung umschwebte den trotzig schönen Mund und ihre stammenden Augen schweiften stolz über die Menge der Bewunderer hin. Sie flüsterte dem Kardinal, der in ihrer Nähe saß, einige Worte zu, dieser nickte freundlich und die Sängerin verschwand durch den grünen Vorhang, welcher in die inneren Gemächer des Palastes führte. Die Zuhörer blieben in gespannter Erwartung zurück und ahnten eine neue Ueberraschung.

Nach wenigen Augenblicken erschien ein Jüngling von unnennbarer Schönheit. Ein kurzes griechisches Gewand, weiß wie Schnee, mit goldenen Bändern eingefaßt, bekleidete die herrliche Gestalt; Epheuranken bekränzten die dunklen bis zu den Hüften wogenden Locken; in den Händen hielt er eine goldene Lyra. Das göttliche Antlitz drückte den tiefsten Schmerz, eine rührende Trauer mit ergreifender Wahrheit aus.

– Orpheo! murmelte die Versammlung.

In der That stellte die Sängerin den unglücklichen Orpheus dar. Seine Klagen um die verlorene Gattin strömten mit erschütternder Gewalt aus ihrer Brust hervor. Es war nicht der Gesang allein, der eine unbeschreibliche Wirkung hervorbrachte und die Zuhörer fortriß, sondern die wunderbare Macht des Vortrags, verschmolzen mit dem ausdruckvollsten und edelsten Mienenspiel. Diese Stimme voll Seele und Gefühl weinte und schluchzte, hoffte und zagte, stieg zu dem höchsten Gipfel des Schmerzes empor und sank zu der tiefsten Verzweiflung herab. Kein Auge blieb thränenleer und die Künstlerin feierte den höchsten Triumph.

Lange noch, nachdem sie schon längst geendet hatte, herrschte eine lautlose Stille in dem Saale. Niemand wagte das Schweigen zu unterbrechen, denn es war den Anwesenden zu Muthe, als hätte sich etwas Gewaltiges begeben, als wären sie selber Zeugen eines ungeheuren Ereignisses gewesen. Nicht eine Fabel, oder eine Mythe glaubten sie gehört zu haben, sondern das Alles hatten sie mit erlebt, es hatte sich vor ihren eigenen Augen begeben und sie hatten daran Theil genommen. Erst nach einer längeren Pause kehrte die Besinnung zurück und die Wirklichkeit behauptete ihr Recht. Der Kardinal selbst gab das Zeichen zu dem folgenden Beifall, welcher wo möglich noch den vorangegangenen Enthusiasmus überstieg. Die südliche Lebendigkeit und Kunstbegeisterung der Italiener begnügte sich nicht mehr mit den gewöhnlichen Zeichen der Anerkennung. Männer und Frauen erhoben sich von ihren Sitzen und warfen Blumen, Ringe, Spangen und Diademe, was sie an Schmuck und Kostbarkeiten besaßen zu den Füßen der Sängerin. Diese indeß würdigte die reiche Spende kaum eines Blickes, sie verneigte sich und verschwand, um sich umzukleiden. Ein kleiner Diener, der einem Engel glich und ihr zur Seite stand, sammelte indeß den Tribut der Künstler in sorgfältig in einem zierlichen Körbchen.

Auch Milton war tief bewegt, er stand an einer Säule angelehnt und starrte der bezaubernden Erscheinung nach. Unnennbare Gefühle bestürmten seine Brust, es schien ihm, als hätte er erst jetzt die wahre Kunst kennen gelernt, als wäre Alles, was er früher gesehen, eitel und nichtig gewesen, kaum noch der Erinnerung werth. Alicens zarte und bescheidene Weiblichkeit, die rührende Frömmigkeit der blassen Tochter Galileis verschwanden vor dem Glanze dieser neuen Sonne, die ihm plötzlich aufgegangen war. Ein solches Weib hatte er nie zuvor geahnt, eine derartige geniale Frauennatur war ihm noch nirgends begegnet. Jetzt stand er vor einem Wesen höherer Art, vor einer bedeutenden Natur, einer Priesterin der göttlichen Kunst. In seine Begeisterung und Anerkennung mischte sich noch eine andere Empfindung, die Gestalt und selbst der Name der Sängerin erweckten in ihm alte, längst verschollene Erinnerungen. Ein Bild, das noch aus der Knabenzeit in seiner Seele schlummerte, tauchte von Neuem wieder auf und er gedachte unwillkürlich der seltsamen Begegnung mit der schönen Unbekannten im Garten des Kollegiums zu Cambridge.

Während er so seinen Gedanken und Träumen nachhing war die Sängerin zurückgekehrt, sie hatte die männliche Kleidung mit ihrem früheren weiblichen Anzuge vertauscht. Ein Schwarm von Bewunderern drängte sich um sie, wie sie geführt von dem Kardinal mit stolzen Schritten durch den Saal dahinrauschte. Sie kam immer näher und näher, bis sie dem Dichter gegenüberstand. Lebhaft unterhielt sie sich mit ihren Begleitern und der tiefe wohltönende Silberklang ihrer Stimme, den von allen Frauen Italiens die römischen besitzen, berührte Miltons Ohr; unwillkürlich schlug er seine Augen zu ihr empor, ihre Blicke begegneten sich und wie ein Blitz durchfuhr es ihn. Eine flammende Purpurröthe bedeckte sein zartes, fast weibliches Angesicht und auch die bleichen Wangen der Sängerin färbten sich dunkler.

– Wer ist der Fremde? fragte sie leise den Kardinal, auf dessen Arm sie sich lehnte.

– Erlaubt mir, Signora! antwortete dieser laut mit feinem Lächeln, daß ich Euch einen Jünger der Musen vorstelle, Signor Milton aus England, ausgezeichnet als Dichter, wie als Gelehrter.

Ehe der Dichter noch ein passendes Wort hervorzubringen vermochte, um der Künstlerin seine Bewunderung auszudrücken, wandte diese sich schnell an ihn.

– Ihr seid ein Engländer, ich kenne Euer Vaterland, dort lebte ich mit meinem Vater kurze Zeit. Ihr kommt mir bekannt vor, ich muß Euch schon irgendwo gesehen haben. Eure Züge erinnern mich an einen Jugendstreich.

– Ihr war't in Cambridge?

– Allerdings, erwiederte die Sängerin verwundert. Woher wißt Ihr das?

– Ihr habt den Garten des Kollegiums besucht, den sonst Frauen nur selten zu betreten pflegen. Irre ich mich nicht, so wart Ihr in Begleitung einer älteren Dame.

– Meine arme Mutter, sie ist todt, eine Heilige im Paradies; doch weiter, weiter, rief die Künstlerin ungeduldig.

– Dort lag ein Knabe im Schatten und schlief. Er hatte einen wunderbaren Traum, er glaubte einen Engel zu sehen, der sich zu ihm herniederbeugte und eine Rose niederfallen ließ.

– Der Knabe war schön wie Endymion, doch ich glaubte, daß er schlummerte, fügte die Sängerin lächelnd hinzu.

– Er schlief nicht, nur seine Augen waren geschlossen.

– Ach, der Schelm täuschte mich und ich ließ mich von meinem jugendlichen Muthwillen hinreißen und begleitete die Rose mit einigen Versen, die ich in der Eile niederschrieb. Hat der Knabe die Verse gelesen und behalten?

– Er hat sie für immer seinem Gedächtniß, sowie die ganze holde Erscheinung eingeprägt.

– Vielleicht kann Signor Milton uns die gewiß reizenden Strophen wiederholen, schaltete der Kardinal in heiterer Laune dazwischen ein.

– Ich weiß nicht, ob ich darf, entgegnete der Dichter mit einem fragenden Blick auf die Sängerin.

– Ich gebe Euch die Erlaubniß und werde mich freuen, wenn Ihr meinen ersten poetischen Versuch nicht vergessen habt.

– Milton erröthete von Neuem und vermochte vor innerer Bewegung nur stammelnd den ersten Vers zu sprechen.

Ihr holden Augen, Sterne dieser Erden –

– Ich sehe schon, sagte die Künstlerin, daß ich Eurem Gedächtnisse zu Hülfe kommen muß; die Strophen lauteten:

Ihr holden Augen, Sterne dieser Erden,
Wenn ihr geschlossen mich so tief verwundet,
Was soll aus mir, wenn ihr euch öffnet, werden?

– Brava, brava! rief der Kardinal galant. Ihr seid nicht nur zur Sängerin, sondern auch zur Dichterin geboren; so ist und bleibt Leonora Baroni in jeder Beziehung die erste Frau der Welt. Meint Ihr nicht auch, Signor Inglese?

Milton vermochte nicht in den leichten Ton mit einzustimmen, sein Herz war zu voll von dieser seltsamen Begegnung. So hatte er nicht nur geträumt, das Ideal seiner Jugend war kein eitles Gebilde der Phantasie, in schönster Verkörperung trat ihm die holde Wirklichkeit entgegen. Wie sollte, oder wie konnte er Worte für die Empfindungen haben, welche in diesem Augenblicke sein Herz durchströmten, die Sprache schien ihm zu arm für sein Gefühl, für all die Wonne, die er mit einem Mal empfand. Auch Leonora mochte wohl ahnen, was in dem Herzen des Jünglings vorging und sein Schweigen gefiel ihr besser als die banalen Lobsprüche, die ihr von allen Seiten gezollt, bereits zum Ekel geworden waren. Sie weidete sich an seiner Verlegenheit, aber nicht mit ihrem gewohnten Stolz und Uebermuth sondern mit einem milden Lächeln und einem sanften Blick aus ihren stammenden Augen. Nur der Kardinal spottete über den schweigsamen Dichter.

– Wie, Herr Poet, fragte er, Ihr habt kein Wort für das schönste Weib und die erste Sängerin Italiens? Bei Gott, wenn ich ein Dichter wäre, wie Ihr, so würde ich sie sogleich besingen.

– Die Signora bedarf meiner Lieder nicht, entgegnete Milton ernst. Der ganze Parnaß Italiens huldigt ihr, sie wird den ungeschickten Fremdling leicht vermissen.

– Wißt Ihr nicht, daß gerade das Fremde für uns Frauen einen besonderen Reiz hat.

– Ihr seid kein gewöhnliches Weib.

– Versteht Ihr auch zu schmeicheln? Zur Strafe sollt Ihr mich jetzt besingen und zwar in einem Sonnet, aber nicht in Eurer rauhen Sprache, sondern in meiner eigenen.

– Und das nennt Ihr eine Strafe? fragte der Kardinal.

– Ich erwarte morgen Euer Gedicht und Euch selbst in meiner Wohnung. Auf Wiedersehen!

Milton verneigte sich vor der Sängerin, welche bald darauf die Gesellschaft verließ. Auch er verweilte nicht länger, nachdem der schöne Magnet verschwunden war, der ihn besonders fesselte. Träumend irrte er durch die nächtigen Straßen der Siebenhügelstadt. Es war eine herrliche Sommernacht, an dem dunkelblauen Himmel flammten die goldene Sternen mit einem Glanz, wie ihn nur der glückliche Süden kennt. Das silberne Mondlicht verklärte die unzähligen Kuppeln, Thürme und Ruinen. Sein Weg hatte ihn von dem Palaste Barberini nach dem Monte Pineio geführt. Von dem Hügel herab genoß er die herrliche Aussicht auf dies Gewimmel von mächtigen Palästen, herrlichen Kirchen, Säulen und Obelisken, welche in magischer Beleuchtung wie ein Märchenbild erschienen. Zu seinen Füßen lag der spanische Platz mit seinem bunten Menschengewimmel, das in solcher Entfernung leise verklang und sich harmonisch mit dem Gemurmel der rauschenden Springbrunnen vermischte. Zuweilen nur wurde das Stillschweigen durch den girrenden Ton einer Guitarre oder Mandoline unterbrochen, zu der ein Verliebter mit wohltönender Stimme Ritornelle sang. Leise flüsterten die lauen Lüfte in den Wipfeln der grünen Pinien und nur die dunklen Zypressen blieben lautlos und regten sich nicht. Die Seele des Dichters versank in jene süße Träumerei, welche nirgends so leicht den Wanderer beschleicht als in der ewigen Roma, wo Vergangenheit und Gegenwart, Tod und Leben sich wunderbar nahe berühren und zusammenstießen. Vergessen waren all die alten Leiden und Kämpfe, versunken die früheren Tage mit ihren vielfachen Qualen und Schmerzen; nur hier und da ragte noch eine Erinnerung an sie, wie eine einsame Säule oder eine Ruine unter dem Gewirre neuer Empfindungen und Gefühle hervor. Wie hier wuchernder Epheu und frisches Rebengrün, Schutt und Trümmer rings umkleideten, so grünte auch in dem Herzen des Dichters die Hoffnung eines künftigen Glückes auf den Ruinen der Vergangenheit. Was bedeuteten seine Leiden neben dem Geschick des ewigen Roms, seine Trauer neben der dieser Niobe unter den Städten? Sie hatte ihre besten Söhne sterben gesehen, an Cäsars Leiche geweint und den Fall der Republick überlebt; sie war von ihrer einstigen Größe herabgestürzt, die frühere Herrscherin des Weltalls von Barbaren gestürmt und geschändet worden, ihre Kinder waren entartet und beugten den stolzen Nacken unter dem Sclavenjoch; und doch schwebte noch immer ein heiteres Lächeln um ihre Lippen und ihr Auge glänzte in frischer Lebensluft.

Sollte der Mensch allein, seinem Schmerze ewig nachhängen und seine Trauer nie vergessen? Das Leben bietet tausendfachen Ersatz und wenn eine Blume verwelkt ist, blüht die andere nur um so schöner auf. Die Welt ist so reich und herrlich, und selbst die Vergänglichkeit bietet nur einen neuen Reiz. Das alte Rom ist untergegangen und ein anderes an seine Stelle getreten, statt des Heldenthums strahlt die Kunst, statt des Schlachtenrufs tönt das Lied des Sängers und die Stärke ist der Armuth gewichen.

Leben, lieben, genießen und glücklich sein, darnach sehnt sich das menschliche Herz zu allen Zeiten.

Solche Gedanken wehten dem Dichter die lauen, wollüstigen Lüfte zu, rauschten in dem flüsterndem Laube, murmelten die flüchtigen Wellen des Springbrunnens, schwebten in dem dämmernden Mondenlicht.

– Leben und lieben! wiederholte er leise, als er den Hügel verließ und die monumentale Doppeltreppe niederstieg, welche in kunstreichen Bogenwindungen zu dem spanischen Platz ihn niederführte, wo das Volk in später Nacht noch jubelnd sich des Daseins freute.


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