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6.

Derartige Scenen wiederholten sich setzt öfters und Milton schrieb nicht mit Unrecht den Grund dieses erhöhten Bekehrungseifers der Anwesenheit Sir Digby's zu. Dieser blieb in Rom und verfolgte von hier aus mit großer Umsicht und Schlauheit seine Pläne, welche nichts geringeres bezweckten, als die katholische Kirche in England durch List oder Gewalt wieder herzustellen. Er war ein willkommener Bundesgenosse dem Orden der Jesuiten, der in jener Zeit in vollster Blüthe stand und eine unermüdliche, vor keinem Mittel zurückschreckende Thätigkeit entwickelte. Der talentvolle Dichter. dessen Bedeutung immer mehr anerkannt wurde, blieb von den Jesuiten nicht unbeachtet; sie glaubten in ihm mit der Zeit ein treffliches Werkzeug für ihre weit ausgedehnten Pläne heranzubilden. Deshalb setzten sie auch alle Hebel in Bewegung, um ihn für sich zu gewinnen. Der Kardinal Barberini begünstigte diese Anschläge und fuhr ununterbrochen fort, ihm die größte Aufmerksamkeit zu schenken, er ließ es nicht an Versprechungen und lockenden Aussichten fehlen, versteckt deutete er an, daß es nur an Miltons Willen läge, um eine hervorragende und einflußreiche Stellung zu erlangen. Auch die Liebe stand im Dienste des mächtigen Ordens, die Leidenschaft, welche Leonora Baroni dem Dichter eingeflößt hatte, entging seinem Scharfblick nicht und wurde nur dazu benutzt, um die Beute desto sicherer zu ködern. So von Netzen und Schlingen aller Art umringt, hätte Milton unterliegen müssen, wenn ihn nicht seine Liebe zur Freiheit und die gesunde Natur gerettet hätte. Ein schwerer Kampf stand ihm jedoch bevor; täglich wiederholten sich die Angriffe und Auftritte, die Künstlerin setzte alle ihr zu Gebote stehenden Reize und Talente in Bewegung, um ihn zu dem gewünschten Abfall zu bewegen. Bald schmollte sie mit ihm, bald überhäufte sie ihn mit den süßesten Schmeichelworten und Lieblosungen; Lächeln und Thränen, Bitten und Drohungen, das ganze Arsenal weiblicher Verführungskünste setzte sie für ihre Zwecke in Bewegung. Milton fühlte die Gefahr, welche ihn täglich mehr bedrohte; seine Kraft war erschöpft und um jeder ferneren Versuchung zu entgehen, beschloß er Trennung, wenn auch nur auf kurze Zeit, von der er für sich und Leonora den besten Einfluß erwarten durfte.

Nur mit Gewalt riß er sich von der Geliebten los, die ihm durchaus folgen wollte, doch durch das feierliche Versprechen, so bald als möglich zurückzukehren, bewog er sie von ihrem Willen abzustehen. Längst schon hatte er den Plan gehegt, Neapel und wo möglich auch Griechenland zu besuchen, jetzt gelangte dieser zur Ausführung. In Begleitung eines treuen Dieners trat er die Reise an, von der er sich Zerstreuung und Beruhigung versprach. An einem schönen Frühlingstage verließ er Rom und die Geliebte, bald befand er sich in der öden Campagna. Trostlos dehnte sich die dürre, braune Wüste vor seinen Augen aus, höchstens von einer zerfallenen Wasserleitung oder einem Trümmerhaufen unterbrochen. Stundenlang ritt er ohne einem andern Menschen zu begegnen, als dem wilden Schäfer der Campagna in zottigem Pelze gehüllt, die Füße mit einem rohen Ziegenfell bekleidet und das sonnverbrannte Haupt mit dem spitzen Filz bedeckt. Um so ungestörter konnte der Dichter seinen Gedanken nachhängen. Zuweilen ergriff ihn wieder das Gefühl seiner alten Leidenschaft mit aller Macht, so daß er nach dem Zügel griff und im Begriff stand, sein Roß nach dem so eben erst verlassenen Rom zurückzulenken und in die Arme seiner geliebten Leonora zu eilen. – Am ersten Abend langte er in Albano an, aber weder die klassischen Erinnerungen, welche sich an den Namen Alba longa knüpften, noch die berühmte Schönheit der dortigen Frauen vermochten seine sehnsüchtige Trauer zu verscheuchen. Am nächsten Morgen, als er gestärkt erwachte und seinen Weg fortsetzte, begann die reizende Natur ihren gewohnten Zauber wieder aus ihn auszuüben. – Kaum eine Viertelstunde mochte er geritten sein, als er an den Rand des tiefen Kraters gelangte, dessen Tiefe das Becken des Albaners See bildet. Immergrüne Eichen und Ulmen von riesiger Größe und Stärke füllten die steile Schlucht aus und bekränzten das kühn geformte Ufer. Auch die überall zerstreuten Denkmäler des Alterthums erregten seine Aufmerksamkeit; in idyllischer Umgebung suchte und fand er das Grab des großen Pompejus und der Geist des Dichters beschäftigte sich mit den gewaltigen Kämpfen, welche dem Untergange der Republik vorangegangen waren. Tausend Schritte weiter lag das Monument der Horalier, eine sonderbare Ruine, deren uralte Mauern an den hier stattgefundenen Kampf ihn mahnten. In dem köstlich gelegenen Ariccia gedachte er der Zeiten, wo Horaz hier verweilte und fern von dem Lärm und Treiben der Hauptstadt sich in ländlicher Zurückgezogenheit den Freuden eines behaglichen Stilllebens überließ. Auf jedem Schritte, den er weiter that, begegnete Milton einer großen historischen Erinnerung, vor der seine eigenen kleinen Erlebnisse verschwinden mußten, von denen sein Geist gestärkt einen höheren Aufflug nahm. Bald schimmerte das blaue Meer ihm aus der duftigen Ferne entgegen und der Anblick desselben erfüllte seine Seele mit unnennbarem Entzücken.

Auch einen Reisegefährten hatte Milton gefunden. Nicht fern von Terracina traf er im Schatten einer jenen mächtigen Bäume einen Einsiedler, der hier während der Mittagssonne seine Siesta hielt, neben ihm weidete ein bescheidener Esel mit Lebensmitteln, den frommen Gaben der Gläubigen, beladen. Die senkrecht herabschießenden, brennenden Sonnenstrahlen ließen auch den verschmachteten Dichter mit seinem Begleiter und den müden Thieren Schutz und Schatten suchen. Er stieg deshalb vom Pferde herab und begrüßte den Eremiten, der ihn freundlich einlud, an seiner Seite Platz zu nehmen. Der Einsiedler war ein alter, freundlicher Mann, mit milden, offenen Zügen. Ein silberweißer Bart reichte ihm bis auf die Brust und verlieh ihm bei aller Einfachheit ein ehrwürdiges Aussehen.

– Willkommen im Grünen! rief er schon von Weitem Milton heiter zu. Wenn Ihr meinen Palast theilen wollt, so seid Ihr ein gerne gesehener Gast, denn trotzdem ich ein Einsiedler bin, liebe ich doch die Gesellschaft und eine muntere Unterhaltung.

– Ihr habt da ein schönes Haus, scherzte der Dichter, in denselben Ton eingehend. Euer Palast übertrifft Alles, was ich in Rom gesehen.

– Das will ich meinen, den haben auch keine Menschenhände gebaut. Das grüne Dach ist so lustig und kühl, wie es kein Baumeister auf Erden schaffen kann und die Aussicht findet ihres Gleichen nicht. Seht Euch nur um und Ihr werdet mir beistimmen.

Milton ließ seine Blicke umherschweifen und mußte seinem freundlichen Wirth beipflichten. Dort glänzte das blaue Meer im goldenen Sonnenschein, hier erhoben sich die phantastischen Gipfel des Gebirges. Einen besonderen Reiz erhielt noch die wild romantische Landschaft durch die kleinen Gärten, welche zwischen den vereinzelten Häusern an dem Felsen wie bunte Teppiche hingen und die nackten Wände lieblich bekleideten. Orangen- und Citronenbäume schwebten an den Abgründen und neigten sich unter der Last ihrer goldenen Früchte, dazwischen blühten Pfirsiche und Mandeln in sanften Farben. Die einsame Palme erhob sich schlank wie eine Säule zum Himmel empor und entfaltete ihre phantastische Krone, an die Zauberwelt des Orients gemahnend. Das dunkle Grün der schwarzen Zypressen und Pinien schattete sich malerisch ab gegen das erste zarte Laub der Pappeln und silbernen Weiden. Unzählige Sträuche, mit Blüthen bedeckt, worunter die würzige Myrte, schossen aus jedem Spalt hervor, während der nackte Feigenbaum mit seinen wunderlich verrenkten Armen klimmend von einer Felsenstufe zu der anderen emporzuklettern schien. Das Alles war von zauberischer Wirkung, getaucht in den Sonnenglanz eines südlichen Himmels.

– O, wie schön ist euer Vaterland! rief Milton entzückt seinem Begleiter zu.

– Nun, hab' ich nicht Recht, entgegnete der Eremit mit freundlichem Lächeln, giebt es einen schönern Palast mit einer herrlicheren Aussicht auf der ganzen weiten Welt, und wohin ich komme, besitze ich einen ähnlichen.

– Ihr seid ein reicher Mann, scherzte der Dichter, und fast möcht' ich Euch beneiden.

– Das will ich meinen, daß ich ein reicher Mann bin. Seit ich nichts auf Erden mein nenne, besitze ich erst die ganze Welt. Könnt Ihr mir dies Räthsel lösen?

– Ich verstehe Euch und Ihr seid auch nebenbei, wie ich sehe, ein großer Philosoph.

– Um Gottes Willen sprecht nicht so laut, denn die Philosophie steht bei uns nicht im besten Geruche. Laßt uns lieber von etwas Anderem reden. Ihr scheint aus weiter Ferne zu uns gekommen zu sein.

– Ich komme aus England.

– Ihr seid also vermuthlich ein Ketzer.

– Es würde mir Leid thun, wenn Euch darum meine Gesellschaft minder angenehm wäre.

– Im Gegentheil, Ihr gebt mir ja die schönste Gelegenheit, ein verirrtes Lamm auf den rechten Weg zurückzuführen.

– Guter Vater! ich fürchte nur, daß alle Eure derartigen Versuche vergeblich sind.

– Dann will ich mir die Mühe ersparen Im Grunde genommen, was geht es mich an? Wenn Ihr durchaus nicht selig werden wollt, so ist das Eure Schuld. Wir können doch darum eine kurze Strecke mit einander gehen und wenn Ihr kein anderes Nachtquartier habt, so steht Euch meine kleine Klause zu Gebote.

Mit diesen Worten erhob sich der Einsiedler von dem Rasen und zäumte den Esel auf, auch Milton rüstete sich zum Aufbruch. Beide setzten ihren Weg gemeinschaftlich fort und fanden, je länger sie mit einander verkehrten, desto größeres Wohlgefallen aneinander. Der Einsiedler entwickelte in der Unterhaltung einen klaren, scharfen Verstand mit einem heiteren und milden Sinn gepaart. Er kannte die Welt und sein Urtheil war meist treffend und dennoch mild und nachsichtig. Ueber sein früheres Leben behauptete er ein tiefes Stillschweigen, nur so viel ging aus seinen Worten und seinem ganzen Benehmen hervor, daß er den besseren Ständen einst angehört und keine unbedeutende Stellung in der Welt eingenommen haben mußte. Auch zeigte er eine keineswegs vernachlässigte Bildung und er citirte im Verlaufe des Gesprächs häufig klassische Stellen der alten Schriftsteller und der besten Dichter seines Vaterlandes.

Als Milton sich ihm als einen Poeten zu erkennen gab und einige seiner lateinischen Verse vortrug, nahm der Einsiedler den lebendigsten Antheil an seinen Leistungen.

– Ihr seid ein ganzer Dichter, sagte er, und darum will ich Euch, da Ihr nach Neapel reis't, eine Empfehlung an einen trefflichen Herrn mitgeben, der selbst der beste Freund des unsterblichen Tasso war, dessen herrliche Gesänge Ihr sicher kennt. Armer Tasso!

Der Eremit schien gegen seine sonstige Gewohnheit durch die Erinnerung an den Sänger des befreiten Jerusalems traurig gestimmt.

– Ihr scheint Tasso selbst gekannt zu haben? fragte Milton seinen Reisegefährten, der ihm immer interessanter erschien. Könnt Ihr mir von seinen Schicksalen etwas mittheilen?

– Erlaßt mir die traurigste Erinnerung meines Lebens. Seine Geschichte ist die des Genius, der sich selbst verzehrt, um die Welt mit seinem Lichte zu erleuchten. Ich lernte ihn in Rom kennen, als er krank mit gebrochenem Körper und Geiste auf dem Siechenbette in dem Kloster St. Onofrio darniederlag. Aber selbst in dieser verfallenen Gestalt erschien er mir noch immer wie einer jener Tempel des Alterthums, dessen Ruinen und zertrümmerte Säulen Zeugniß ablegen für seine frühere Schönheit und Herrlichkeit. Doch Ihr sollt seinen besten Freund Baptista Manso, Marchese de Villa, kennen lernen und ich bin überzeugt, daß Ihr mir stets darum Dank wissen werdet.

So gelangten die Reisenden in angenehmer und abwechselnder Unterhaltung in ein freundliches Thal, hier stand, von immergrünen Eichen und Birkensträuchern umgeben, die Hütte des Einsiedlers. Vor der Thür rieselte aus dem vulkanischen Gestein ein frischer Quell und das Bild des Erlösers begrüßte an der Schwelle den Wanderer. Der freundliche Eremit lud den Dichter ein, ihm zu folgen und beeilte sich als gastfreier Wirth, ein einfaches Abendbrod ihm aufzutischen. Nach dem Essen saßen Beide auf der Rasenbank und genossen die liebliche Kühle der Nacht. Die Sterne funkelten an dem dunkelblauen Himmel in goldenem Glanz und der silberne Mond beleuchtete ein irdisches Paradies. Unwillkürlich nahm das Gespräch eine ernstere Wendung an und berührte jene Fragen, welche tief in der Zeit lagen. Auch Italien hatte seinen Antheil an den religiösen Kämpfen der Reformation genommen und Philosophen und Denker hervorgebracht, welche wie Giordano Bruno die Kühnheit ihrer Ansichten auf dem Scheiterhaufen büßen mußten. In den unzugänglichen Thälern Piemonts lebten die Nachkommen jener Waldenser, welche schon im Mittelalter sich gegen Rom aufgelehnt und die heilige Schrift zur Richtschnur ihres Glaubens genommen hatten. – Diese Verhältnisse berührte der Eremit mit milder Schonung und Toleranz, auch er war von der Nothwendigkeit einer Kirchenverbesserung durchdrungen, da er noch besser als Milton die Gebrechen des Katholizismus kannte. Besonders richtete sich sein Eifer gegen die Jesuiten, welche er als ein Haupthinderniß und als Hemmung jedes nothwendigen Fortschrittes bezeichnete. Dabei aber billigte er eben so wenig die Reformation, die er nur für eine bedauernswerthe Spaltung hielt.

Als Milton diese Ansicht von seinem Standpunkte aus bekämpfte und in rücksichtsloser Sprache gegen Rom zu Felde zog, warnte ihn sein Wirth mit wohlmeinenden Worten.

– Nehmt Euch in Acht und bewahrt Eure Zunge. Ich selber kann den Widerspruch vertragen und halte Eurer Jugend manches unbedachte Wort zu Gute. Die heilige Inquisition aber versteht keinen Spaß und der Orden Jesu hat die feinsten Ohren und die längsten Arme. Ihr seid in Italien, das heißt von Spionen umringt. Die Glaubenskerker sind tief und ihre Mauern so stark, daß Eure Klagen ungehört verhallen. – Ich zürne Euch nicht, denn in vielen Dingen theile ich Eure Meinung, nur wünsche und liebe ich den Frieden. Noch gebe ich nicht die Hoffnung aus, daß diese unseligen Streitigkeiten friedlich enden werden. Peccatur intra et extra muros, von beiden Seiten ist gefehlt und gesündigt worden. Rom hat die billigen Wünsche der Völker nicht gehört und diese haben sich eigenmächtig losgerissen. Diese unglückselige Spaltung bringt Niemand Heil. Darum hoffe ich, daß sie früher oder später mit einer Versöhnung enden wird. Vorläufig aber wollen wir mit gutem Beispiele vorangehen, und uns in Friede und Eintracht die Hände reichen.

So sprach der Eremit zu seinem Gast und seine Handlungsweise entsprach seinen Worten, willig theilte er sein Lager aus trockenem Laube mit ihm und der Ketzer schlief neben dem frommen Katholiken. Am nächsten Morgen brach Milton wieder auf, um seine Reise nach Neapel fortzusetzen. Der freundliche Einsiedler ließ es sich nicht nehmen und begleitete seinen jungen Freund noch eine weite Strecke. Zum Abschiede händigte er ihm den Brief an den Marchese de Villa, den Freund Tasso's ein.


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