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Während dieser tragischen Vorgänge war Milton aus Italien zurückgekehrt. Der Anblick fremder Länder, der Verkehr mit so bedeutenden und großen Männern hatten seinen Verstand gereift, seinen Gesichtskreis erweitert, aus einem Jüngling war ein Mann geworden. Die Zeit der müßigen Träumereien, des poetischen Schwärmens war für ihn vorüber, er sehnte sich nach einer ernsten und nützlichen Thätigkeit, nach einer andauernden und geregelten Beschäftigung. Zunächst beschloß er seinen längst gehegten Plan zur Ausführung zu bringen, er fühlte den Beruf in sich, Erzieher der Jugend zu werden. Die Stellung eines Lehrers war in damaliger Zeit weder allzu ehrenvoll noch Gewinn verheißend, dennoch schwankte Milton keinen Augenblick, sich dem Dienste der Menschheit zu weihen. Er bezog ein kleines und äußerst bescheidenes Quartier in der Nähe von St. Brides Kirchhof, dort unterrichtete er seine beiden Neffen, John und Edward Philipps, die Kinder seiner Schwester, so wie mehrere Knaben, die ihm anvertraut wurden. Seiner Aufgabe widmete er sich mit der uneigennützigsten Liebe und er befolgte dabei sein eigenes System, das die Frucht eines reiflichen Nachdenkens war. Nach seiner Ansicht sollte eine vollkommene Erziehung den Menschen fähig machen, alle Pflichten des Familien- und öffentlichen Lebens, des Krieges und des Friedens auf eine rechtmäßige, geschickte und edle Weise zu erfüllen. Die Grundsätze, welche ihn dabei leiteten, hat er in einer Stelle des »Verlorenen Paradieses« folgendermaßen ausgedrückt:
Zwar ist der Geist geneigt, geneigter noch
Die Phantasie zum zügellosen Flug,
Sie läßt nicht ab zu schweifen ohne Ziel
Bis durch
Erfahrung sie begreifen lernt,
Daß nicht Vielwisserei, gelehrter Kram
Von Dingen, die zum nützlichen Gebrauch
Untauglich, übermenschlich und geheim;
Vielmehr die Kenntniß nur von dem, was uns
Im Leben täglich kommt und nahe liegt
Der Anfang aller ächten Weisheit sei.
Was d'rüber ist, ist Rauch und leerer Schall
Oft baare Thorheit, die den reinen Sinn
Verwirrt, und uns in dem, was als Beruf
Und Lebenszweck vor Allem wichtig ist,
Unkundig, rathlos macht, uns selber fremd.
In dieser Weise entwickelte er den Geist seiner Zöglinge, indem er ihren moralischen Sinn beförderte, ihre Willenskraft weckte und sie zeitig mit ihren Pflichten und den Aufgaben des praktischen Lebens bekannt machte, ohne darüber ihre wissenschaftliche Ausbildung zu vernachlässigen. Trotz der Gewissenhaftigkeit, mit welcher Milton sein Lehreramt verwaltete, behielt er noch immer Zeit übrig, um sich an den großen Ereignissen und den Fragen der Zeit zu betheiligen. Er besaß nicht jene objektive Ruhe, oder vielmehr Gleichgültigkeit, um ferne von dem Treiben der Parteien dem Kampfe müßig zuzusehen und in poetischer Muße sich von der Außenwelt ängstlich abzuschließen. Die Zeit des Dichtens war für ihn vorüber, und das Leben machte andere, ernstere Ansprüche an ihn. Durch gründliche theologische und politische Studien vorbereitet, hielt er sich für berufen, das Stillschweigen zu brechen und mit Wort und That die Sache der Freiheit zu vertreten. Seit Straffords Tod und Laud's Verhaftung kam hauptsächlich die Stellung der bischöflichen Kirche im Parlamente zur Sprache. Die Bischöfe trugen besonders die Schuld des Gewissenzwanges und der religiösen Bedrückung. Gegen ihre Anmaßung richtete Milton eine kleine Flugschrift, welche in eindringlicher Weise diese Uebelstände rügte und auf eine Reform in Glaubenssachen mit Entschiedenheit drang. Mit Begeisterung und Würde geschrieben, erregte seine Abhandlung das größte Aufsehen bei Freund und Feind. Es fehlte dem Verfasser nicht an Angriffen und Bewunderung. Mehrere Gegenschriften erschienen, denen Milton in angemessener Weise antwortete. Bald war der Name des Dichters auch als politischer Schriftsteller bekannt und berühmt. Die bedeutendsten Mitglieder des Parlaments, vor allen der jüngere Vane suchten ihn in seiner Zurückgezogenheit auf und wurden seine Freunde. Er erhielt die Aufforderung, die Rota zu besuchen, jenen politischen Club, der das Vorbild aller ähnlichen, späteren Versammlungen war. Als er daselbst erschien, sah er sich bald von einer Menge jüngerer und älterer Männer umringt, welche eifrig nach seiner Bekanntschaft und nach seinem Umgange strebten. Am engsten schloß sich ihm der tapfere und freisinnige Overton an, dem wir bereits früher in Haywood-Forst begegneten, wo er dem heimlichen Gottesdienste der Puritaner beiwohnte und mit seinem Schwerte den übermüthigen Thomas züchtigte. Er fühlte sich zu Milton hingezogen und der strenge Republikaner wurde für immer der Freund des Dichters.
Milton ließ sich jedoch keineswegs in das politische Getriebe über die Gebühr hineinziehen, er behauptete auch hier eine gewisse Selbstständigkeit. Die Partei, die er ergriff, war weder die des Parlaments, noch die der ausschweifenden Republikaner und der religiösen Schwärmer, sondern die der Freiheit, der gesunden Vernunft und der Gerechtigkeit. Mitten in diesen verschiedenartigen Bestrebungen und Arbeiten überraschte ihn der Besuch seines Vaters. Nach den herzlichsten Begrüßungen brachte der würdige Mann, um das Wohl des Sohnes besorgt, einen Gegenstand zur Sprache, auf den er bereits vielfach in seinen Briefen angespielt hatte.
Es dürfte wohl an der Zeit sein, sagte der Vater nach einigen einleitenden Worten, daß du dich um eine tüchtige Hausfrau umthust. Du kannst nicht länger ledig bleiben. Wenn du noch keine Wahl getroffen hast, so würde ich dir ein Mädchen nachweisen, das in meiner Nachbarschaft lebt und gewiß ein angemessenes Weib für dich wäre.
– Ich kann mich nicht so leicht entschließen, entgegnete der Dichter, eingedenk seines letzten Verhältnisses mit Leonora Baroni.
– Und doch möchte ich dich noch gerne vor meinem Tode versorgt sehen. Du hast das Alter bereits erreicht, wo es gut ist, daß der Mensch nicht mehr allein bleibt. Die Schwärmereien der Jugend liegen hinter dir und du wirst zu der Einsicht gekommen sein, daß nur in dem dauernden Verhältnisse einer gesegneten Ehe das Glück des Lebens liegt. Folge meinem Rath und zögre nicht länger, deinem alten Vater die Freude zu machen. Ich will nicht eher von London fortgehen, bis du dich entschließest, mit mir zu reisen und wenigstens das Mädchen, das ich dir bestimmt habe, kennen zu lernen. Gefällt sie dir nicht, so hast du wenigstens meinen Willen erfüllt und bist darum noch nicht gebunden.
So gedrängt, willigte Milton in den Vorschlag seines Vaters ein und reiste mit ihm nach der Heimath, um seine zukünftige Gattin zu sehen. In der Nähe des elterlichen Hauses wohnte der wohlhabende Gutsbesitzer Richard Powel, dessen Tochter Mary ein blühendes Mädchen von neunzehn Jahren dem Dichter wohlgefiel. Sie war schlank gewachsen und ihr rosiges Gesicht von einer Fülle blonder Locken umgeben, vereinte manchen anmuthigen Reiz mit jugendlicher Frische. Sie war nicht ohne Bildung und schien ein heiteres lebenslustiges Temperament zu besitzen. Auch in ihren schönen Augen fand die zarte, geistige Schönheit des Dichters um so mehr Gnade, da sie von dem lebhaftesten Wunsche beseelt wurde, so schnell als möglich unter die Haube und aus ihrer ländlichen Umgebung in das geräuschvolle Leben Londons zu kommen. Als ächte Tochter Evens liebte sie Putz, Zerstreuungen und Vergnügungen aller Art, die sie sich in Hülle und Fülle von einer Heirath nach der Stadt versprach. Ihre muntere Laune und ein natürlicher Mutterwitz ließen Milton manchen Fehler der Erziehung und Gewohnheit übersehen und über eine gewisse sinnliche Anmuth entging ihm der eigentliche Mangel an Tiefe des Herzens und des Geistes, die ihr fehlten.
Eine Art von Resignation, welche sich seiner Seele bemächtigt hatte, erleichterte den Abschluß dieses Bündnisses. Seine Frauenideale waren ihm zum Theil durch eigene, zum Theil durch fremde Schuld zerronnen. Alice lebte in Wales an der Seite Carbury's als dessen Gattin und er hatte seit seiner Rückkehr nach England keine Nachricht mehr von ihr erhalten; sie war für ihn verloren und zwar, wie er sich selber eingestehen mußte, durch seine unzulässige Aufopferung. In Leonora Baroni hatte er eine lichte Künstlernatur kennen gelernt, die ihn jedoch als Weib nicht befriedigen konnte. Jetzt war er herabgestimmt und zu der Erkenntniß gekommen, daß Schwachheit das Erbtheil des Frauengeschlechtes und kein Weib ohne Gebrechen sei.
Das heitere Leben in Foresthill und der freundliche Empfang, der ihm hier zu Theil wurde, ließen jedoch derartige Gedanken nicht zur vollen Klarheit gelangen. Es herrschte ein lustiger Ton unter dem Dache Richard Powels. Die Tische brachen fast unter der Last der Speisen und an Wein und gutem Ale war kein Mangel. Das Haus war in der ganzen Nachbarschaft für gastfrei bekannt, es fehlte nicht an jungen Leuten und alten Zechern, welche das Mahl mit ihren Spässen und manchem guten Witze würzten. Rothnasige Squires mit ihren Söhnen aus der Nachbarschaft, heruntergekommene Cavaliere, die gerne auf Kosten anderer Leute schmarotzten, hatten sich zahlreich, geladen und auch ungeladen, eingefunden. In der weiten Halle saß die fröhliche Compagnie um den großen Kamin, in welchem ein ganzer Wald zu lodern schien. An dem Feuer wurden Aepfel gebraten, welche man zischend in das schäumende Bier warf. Unter lautem Gelächter ergötzte sich das junge Volk mit Pfänderspielen, wobei mancher Kuß von den rothen Lippen halb geraubt, halb gegeben wurde, während die Alten in mächtigen, weitbäuchigen Stühlen von vergangenen Tagen sprachen und alte Geschichten auftischten.
Hier fand man noch das alte, lustige England wieder voll ausgelassener Fröhlichkeit und übermüthigen Humors, bis hierher war noch nicht der Streit und Lärm der Parteien gedrungen. Man ließ den König leben und kümmerte sich wenig oder gar nicht um Politik. Das harmlose Leben gewährte dem Dichter eine angenehme Zerstreuung und nach der Aufregung, die er in London zurückgelassen, that ihm die ländliche Stille unendlich wohl. Er wollte nur wenige Tage verweilen und aus den Tagen wurden Wochen, die er auf diese Weise in Mary's Gesellschaft zubrachte, sie nahm seine Werbung freundlich auf und folgte ihm nach Ablauf eines Monats als seine Gattin nach London. Dort fand sie sich jedoch bitter enttäuscht, statt des geräuschvollen Lebens, das sie erwartete, sah sie sich auf die bescheidene Wohnung eines jungen Gelehrten und auf den Umgang mit diesem und seinen wenigen Freunden und Schülern beschränkt.
Gleich nach der Hochzeit nahm Milton seine früheren Studien und Beschäftigungen wieder auf, indem er seiner jungen Frau die Sorge um das Hauswesen überließ. Damit war Mary keineswegs zufrieden, überhaupt entsprach weder die Ehe, noch das Leben in London ihren hochgespannten Erwartungen. Sie hatte von Festen, Tänzen, Vergnügungen und Zerstreuungen aller Art geträumt, aber die Hauptstadt war nichts weniger als derartig gestimmt. Die Schauspielhäuser standen leer oder waren geschlossen, Flöten und Geigen verstummt, die beliebtesten Volksbelustigungen außer Mode gekommen. Weder Bärenhetzen, noch Hahnenkämpfe fanden Zuschauer und Circus und Arena trauerten verlassen. Dafür füllten sich die Kirchen mit einer eifrigen Menge, welche den beliebten Kanzelrednern andächtig lauschten. Je strenger diese gegen die bisherigen Vergnügungen eiferten, desto größeren Beifall fanden sie. Männer und Frauen legten ihre seidenen Gewänder, allen Schmuck und Putz ab und kleideten sich in einförmiges Schwarz oder Braun. Aus schwärmerischer Ueberzeugung oder aus Heuchelei, weil die puritanische Partei immer mächtiger wurde, legten sie ihr Gesicht in fromme Falten, entsagten sie den Freuden der Welt. Oeffentliche Gelage und Bälle waren ein Greul in den Augen der Gottseligen und selbst ein erlaubter Scherz galt als eine Sünde. Die Straßen Londons boten meist einen traurigen Anblick dar und tägliche Unruhen und Aufstände versetzten die Gemüther in Angst und Schrecken. Unheimliche Gerüchte wurden erfunden und ausgesprengt, um die allgemeine Verwirrung zu vermehren. Die Häupter der Volkspartei begünstigten aus nahe liegenden Gründen diese Unordnungen, fortwährend erheuchelten sie eine durchaus nicht vorhandene Furcht vor den Anschlägen ihrer Gegner, deren sie allerlei Pläne zum Sturz des Parlaments und der Verfassung bald mit Recht, bald mit Unrecht zuschoben.
Für Billy Green gab es jetzt zu thun. Der schlaue Bursche war förmlich als besoldeter Spion und Angeber angestellt, und stattete täglich seinem Gönner Pym Bericht ab. Er hatte um mehr Vertrauen einzuflößen, ganz und gar das Wesen und den Anzug seines frommen Puritaners angenommen. Er ließ sich die Haare rund scheeren, trug einen spitzigen Hut, vertauschte das gestickte, bunte Wamms mit einem braunen Wollenrock und der weiße Halskragen war mindestens zwei Ellen breit. In gebückter Stellung, mit gesenkten Augen und gefalteten Händen schlich er in der Nähe des Parlaments herum, um stets bei der Hand zu sein. Mit vielem Glücke ahmte er seine Vorbilder nach, er nahm eine gleißnerisch heilige Miene an und bemühte sich, seine Gespräche mit frommen Redensarten und Bibelstellen zu spicken. In dieser neuen Gestalt erschien er täglich mit theils wahren, theils falschen Nachrichten, die er sich gut bezahlen ließ. Wenn es ihm an Stoff fehlte, so machte er sich kein Gewissen daraus, mit seiner reichen Phantasie und Erfindungsgabe dem Mangel abzuhelfen. Er hatte eine förmliche Gesellschaft aus Leuten von ähnlichem Schlage wie er selbst gebildet, um im Nothfalle gleich Zeugen zur Hand zu haben, die seine Aussagen bestätigten und die sogar im Schwören eine große Fertigkeit erlangt hatten.
Mit Hülfe eines Spießgesellen, der ein heruntergekommener Schneider war und Beale hieß, hatte Billy Green eine neue Verschwörung entdeckt, nachdem die erste sich so einträglich ihm erwiesen. Die beiden Ehrenmänner machten dem Parlament die Anzeige, daß sie auf einem Spaziergange ins Freie eine Anzahl unbekannter Männer gesehen und belauscht hätten, welche mit der gefährlichsten Verschwörung umgingen. Hundert und acht Meuchelmörder wären gedungen, um die hundert und acht Lords und Gemeinen zu ermorden, für jeden Lord sollten zehn Pfund und für jeden Gemeinen vierzig Schillinge bezahlt werden. – Billy und sein Freund nahmen keinen Anstand, ihre Aussagen zu beschwören. Neue Verhaftungen und meist Unschuldiger waren die natürliche Folge von dergleichen falschen Angebereien, die in einer Zeit der allgemeinen Aufregung nur allzuleicht Glauben finden.
Endlich schien auch Karl aus seiner Apathie zu erwachen. Erschreckt über die Fortschritte, welche das Parlament täglich machte, müde der Concessionen, die er bereits bewilligt und gereizt von dem Widerstand, den er trotzdem erfuhr, ließ er sich seiner Natur gemäß zu einer Gewaltmaßregel hinreißen, welche den noch in der Asche glimmenden Bürgerkrieg zur hellen Flamme anfachte und der von den traurigsten Folgen begleitet war. Mit einem Schlage wollte er sich der Häupter der Volkspartei bemächtigen. Zu diesem Zwecke schickte er den königlichen Staatsanwalt Herbert in das Parlament, um den Lord Kimbelton und die fünf Mitglieder des Unterhauses, Hollis, Sir Arthur Hazlerig, Hampen, Pym und Strode des Hochverrathes anzuklagen. Er ließ sie beschuldigen, die Fundamentalgesetze des Königthums und der Regierung angegriffen, die Majestät und ihr Ansehen beim Volke untergraben und beleidigt zu haben, daß sie ferner nach Willkürherrschaft gestrebt, mit den Schotten im Einverständniß diese zu einem Einfall in England aufgefordert und außerdem an verschiedenen Aufständen gegen die Regierung Theil genommen hätten. Groß war das Erstaunen und die Entrüstung der Versammlung, welche durch diesen Schritt ihre eigene Freiheit und Existenz bedroht sah, doch es blieb ihr kaum Zeit, sich von dem ersten Eindruck zu erholen. Dem Staatsanwalt auf dem Fuße folgte ein bewaffneter Beamte, der die fünf Mitglieder von dem Hause forderte, er wurde mit einer ausweichenden Antwort zurückgeschickt. Unterdeß sandte Karl Boten aus, um die Fünf zu suchen und zu verhaften. Ihre Zimmer, Schriften und Koffer wurden durchsucht und versiegelt. Das Parlament begnügte sich gegen diese Maßregel als einen Bruch seiner Privilegien zu protestiren und forderte das Land zum Schutz seiner Vertreter auf. Der König noch mehr gereizt durch diesen Widerstand, beschloß in eigner Person in das Haus zu kommen und die Angeklagten in seiner Gegenwart ergreifen zu lassen.
Ehe jedoch sein Plan zur Ausführung kam, war derselbe verrathen und die betreffenden Volksvertreter gewarnt. Die Gräfin von Karlisle, die frühere Geliebte Strafford's, hatte seit dem Tode des Grafen, dessen Untergang sie der Schwäche des Königs nicht mit Unrecht beimaß, ein heimliches Einverständniß mit den Häuptern der Volkspartei angeknüpft. Die geistreiche und schöne Frau besaß einen ungebändigten Stolz, verbunden mit dem größten Hang zur Intrigue. So lange Strafford der größte Mann in England war, hing sie fest und treu an ihm und ihr Ehrgeiz fühlte sich durch seine Liebe und seine Huldigung geschmeichelt. Nach seinem Tode warf sie ihre Netze nach Pym, als dem einflußreichsten Leiter der Volkspartei, aus. Wie das Glück, folgte sie stets dem Sieger und wandte ohne Reue und Scham dem Besiegten den Rücken. Als Hofdame der Königin war sie von allen Plänen des Hofes unterrichtet und sie nahm keinen Anstand, ihre neuen Günstlinge von der ihnen drohenden Gefahr zu unterrichten.
Der König begab sich, umgeben von einem zahlreichen Gefolge und von zweihundert mit Hellebarden bewaffneten Wachen in das Parlament. Vor den Thoren ließ er seine Begleiter zurück, und er selbst schritt allein mit bedecktem Haupte durch die Hallen. Bei seinem Erscheinen erhob sich die ganze Versammlung, um ihn zu begrüßen. Der Sprecher verließ seinen Stuhl, auf dem sich der König niederließ. Nachdem er Platz genommen, hielt er folgende Anrede:
– Gentlemen! ich bin in der That bekümmert wegen der Veranlassung, die mich hergeführt. Gestern habe ich einen Offizier gesandt, um einige Männer von Euch zu verlangen, welche wegen Hochverraths angeklagt worden sind. Statt mir zu gehorchen, ließt Ihr Euch entschuldigen. Ich muß Euch hier erklären, daß kein König Eure Privilegien sorgfältiger beachten kann, als ich, aber für Verräther giebt es kein Privilegium. Deswegen bin ich selbst gekommen, um Euch zu sagen, daß ich diese Männer haben muß, wo ich sie finde. Wie ich sehe, sind die Vögel ausgeflogen, ich erwarte aber, daß Ihr mir sie schicken werdet, sobald sie wiederkehren. Ich gebe Euch das Wort eines Königs, daß ich niemals die Absicht habe, gewaltthätig gegen sie zu verfahren, sondern nur auf dem gesetzmäßigen Wege, einen andern kenne ich nicht. Und nun, da die Gelegenheit mir geeignet scheint, wiederhole ich nochmals meine frühere Versicherung, daß ich Alles, was ich zum Besten meiner Unterthanen bisher gethan und bewilligt habe, auch getreulich zu halten gedenke.
Nachdem der König geendet hatte, ließ er seine Blicke herumschweifen, als suchte er die fünf abwesenden Mitglieder, dann fragte er den Sprecher, ob keiner von den Angeklagten zugegen wäre. Dieser antwortete ausweichend, indem er auf die Kniee fiel.
– Ich bin nur der Diener des Parlamentes und habe weder Augen, zu sehen, noch eine Zunge, um zu sprechen, darum möge Eure Majestät mir verzeihen, wenn ich Ihre Fragen nicht beantworte.
Das ganze Haus befand sich in der höchsten Aufregung und als der König unverrichteter Sache wieder fortging, erhob sich der laute Schrei: Unsere Privilegien, unsere Privilegien!
Am Abend begaben sich die angeklagten Mitglieder, um ihre Furchtlosigkeit zu zeigen, in die City. Die Bürger waren die ganze Nacht unter Waffen. Mancherlei Volk, welches dazu gemiethet war, oder vielleicht aus eigenem Antriebe, rann durch die Straßen und schrie, daß die Cavaliere kommen würden, um die Stadt anzuzünden und daß der König an ihrer Spitze stünde. Billy Green mit einem Haufen von Lehrlingen und Gesellen zog bewaffnet von einem Stadttheil zum andern und vermehrte den Tumult. Er begegnete mehreren verabschiedeten Offizieren und Anhängern des Königs, mit denen er Händel anfing.
– Nieder mit den Cavalieren, mit den Bluthunden! schrie er laut.
– Zum Teufel mit den Rundköpfen und den schurkischen Puritanern! tönte die Antwort.
Von Worten kam es zu Thaten, die Lehrjungen schwangen ihre mit Eisen beschlagenen Knüppel, die Cavaliere zogen ihre Degen und bald entstand ein allgemeines Handgemenge. Während aber das Volk und die Höflinge sich die Köpfe blutig schlugen, hielt es der schlaue Bursche für gerathen, sich aus dem Getümmel fortzustehlen und Andere den Strauß ausfechten zu lassen, den er angezettelt.
Am nächsten Morgen entschloß sich Karl einige Nachgiebigkeit zu zeigen, um die allgemeine Aufregung zu beschwichtigen. Er ließ den Lord-Major kommen und befahl ihm, den Stadtrath zu versammeln. Um zehn Uhr Morgens begab er sich, nur in Begleitung weniger Lords nach Guildhall, wo der Stadtrath versammelt war. Diesem sagte er, daß er die ihm zur Last gelegten Mißverständnisse beklage, daß er ohne Wachen gekommen sei, um zu zeigen, wie sehr er die Londoner Bürgerschaft liebe und ihr vertraue. Er habe einige Mitglieder des Parlaments wegen Hochverraths angeklagt, gegen die er nur auf legalem Wege verfahren wolle, deshalb hoffe er, daß die Stadt ihnen keinen Schutz gewähren würde.
Seine Herablassung ging so weit, daß er einen der Sheriffs und zwar den ihm am wenigsten geneigten, zur Tafel einlud, dennoch fand sein Benehmen nicht den gewünschten Beifall. Als er durch die Straßen Londons fuhr, tönte ihm von allen Seiten das Geschrei entgegen: Die Privilegien des Parlaments, die Privilegien des Parlaments!
An einer Ecke saß ein alter Mann, es war der strenge Henderson. Beim Nahen des Königs richtete der eifrige Puritaner sich empor und rief mit lauter Stimme. Zu deinen Zeiten, Israel! Es war das Geschrei der aufrührerischen Juden, womit sie ihren übel berathenen König Rehabeam empfingen. Karl erschrak vor der fanatischen Wuth, welche ihm aus den wilden Blicken Henderson's entgegenblitzte.
– Wer bist du? fragte er den Puritaner.
– Ein Diener des Herrn, entgegnete der finstere Henderson, der gekommen ist, um dich zu warnen. Mene, mene Tekel!
Der König gab dem Kutscher den Befehl, schnell fortzufahren, um dem Volksgedränge zu entgehen, aber fortwährend verfolgte ihn die dumpfe Warnungsstimme Henderson's, das Mene, mene Tekel. Erschöpft langte er in seinem Palaste an, wo er in ein dumpfes Brüten versank. – Unterdeß hatte das Parlament den Beschluß gefaßt, daß die fünf angeklagten Mitglieder im Triumph ihre Sitze wieder einnehmen sollten. Zu ihrem Schutze wurde die Stadtmiliz, unter Anführung des Major-General Skippon, aufgeboten. An der Spitze dieser bewaffneten Bürgerwehr und unter dem Jauchzen des Volkes hielten sie ihren Einzug in Westminsterhall. Die Themse war mit unzähligen Booten bedeckt und alle Fahrzeuge hatten festliche Flaggen aufgezogen. – Um den König noch mehr einzuschüchtern, wurde von dem Parlamente der Weg der Petitionen eingeschlagen. Auch hier hatte Billy Green seine Hände im Spiel, er besaß eine außerordentliche Fertigkeit im Sammeln und Anfertigen von Namensunterschriften. An der Spitze seiner Lehrjungen überreichte er dem Parlament eine Petition mit sechstausend Namen, worin die Unterschreiber sich verpflichteten, ihr Leben und ihr Blut für die Freiheit des Landes und des religiösen Bekenntnisses hinzugeben. Viele wußten freilich nicht, was sie unterzeichnet hatten und waren auch keineswegs gesonnen, sich beim Worte nehmen zu lassen. Auch die Frauen wußte der verschmitzte Bursche aufzuregen. Eines Tages erschien er mit mehreren tausend Frauen, an deren Spitze eine ihm befreundete Brauersfrau von ansehnlichem Umfange stand. Das stattliche Weib, das mit ihrem schwarzen Bärtchen in dem rothgedunsenen Gesicht eher einem Manne ähnlich sah, verlangte in ihrem Namen, sowie in dem ihrer Mitschwestern, vorgelassen zu werden, um eine Petition zu übergeben. In dieser drückten die Bittstellerinnen ihren Abscheu vor dem Papismus und dem Prälatenwesen in den stärksten Ausdrücken aus. Sie sagten darin, daß sie gezwungen wären, dem Beispiele der Weiber von Tekoah zu folgen und daß sie gleiche Rechte mit den Männern verlangten, weil Christus auch sie mit seinem Blut erlöst und für beide Geschlechter dieselbe Liebe bewiesen habe. – Pym empfing die Bittstellerinnen vor den Thüren des Hauses. Ein feines ironisches Lächeln zuckte um seine Lippen, als er der Brauerin für ihren Eifer dankte.
– Gute Weiber! sagte er mit erheuchelter Freundlichkeit, kocht und wascht für Eure Männer, solltet Ihr jedoch noch Zeit übrig behalten, so betet für das Wohlergehen des Parlaments.
Die Frauen entfernten sich mit dem lauten Rufe: es lebe Pym, es lebe das Parlament!
Karl's letzte Hoffnung unter solchen Umständen blieb noch das Oberhaus, eine Anzahl von Pairs war ihm treu ergeben und bekämpfte die Angriffe der Gemeinen gegen die Autorität des Königs. Die Volksführer ließen es sich daher angelegen sein, die öffentliche Meinung gegen die Lords zu richten und deren Ansehen zu erschüttern. Jede Opposition gegen das Unterhaus wurde von ihnen als ein« Verbrechen betrachtet. Dabei bedienten sie sich der Einschüchterung durch die müßige Menge, welche auf ihren Wink bereit war, derartige Freunde des Königthums zu verhöhnen und selbst zu verhindern, ihre gewohnten Sitze einzunehmen. Sowohl Pym wie Hollis predigten den Grundsatz, daß das Volk nicht im Ausdrücke seiner Wünsche und Meinungen beschränkt werden dürfte. Besonders aber war die Königin ein Gegenstand ihres Hasses, sowohl wegen ihres katholischen Glaubens, als auch wegen ihrer Thätigkeit und ihres Muthes, sie wurde mit Schmähungen überhäuft und als die Ursache aller vorhandenen Uebelstände zum Theil wohl mit Recht bezeichnet. Unter diesen Verhältnissen faßte sie den Plan, England zu verlassen und in Holland eine Zuflucht zu suchen. Um jedoch Zeit zu den nothwendigen Vorbereitungen zu gewinnen, rieth sie dem Könige selbst zu neuen Concessionen. Je nachgiebiger dieser jedoch sich zeigte, desto größer wurden die Ansprüche der Opposition, die sich so steigerten, daß sie zuletzt ein Gesetz einbrachten, durch welches der Oberbefehl und die Verwendung der bewaffneten Macht dem Könige genommen und auf das Parlament, oder vielmehr auf dessen Anhänger im Heere übertragen werden sollte. Karl weigerte sich, diesem Gesetze seine Billigung zu geben und da die Gefahr für ihn täglich wuchs, so faßte er den Entschluß, London zu verlassen und seine Residenz nach York zu verlegen. Hier erließ er ein öffentliches Manifest gegen die Anmaßungen des Parlaments, das auch seinerseits sich zum Kampfe rüstete.
Der Bürgerkrieg war somit erklärt und bald fiel dem Schwerte die blutige Entscheidung der großen Zeitfrage zu.