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XXXVIII

Es gibt immer Narren und Toren, die sich ungebeten als Windmühlen von den Winden treiben lassen, die durch die Zeitalter wehen. Solch einer ging in diesen Maitagen durch die um des Krieges und der Krönungsfeierlichkeiten willen von vielen Menschen erfüllten Straßen von Paris. Es war ein großer, häßlicher Mensch von einigen dreißig Jahren, in abgetragenen Kleidern, der zuweilen mit sich selber redete und dessen Gesicht stets einen kindlichen und angestrengten Ausdruck trug. Er war Schreiber, Mönch und Schulmeister gewesen, hatte immer knapp neben dem Elend gelebt und es nicht beachtet. In diesem Jahre war er nun schon zum dritten Male aus dem heimischen Angoulême nach Paris gekommen. Jetzt ging er durch die Straßen, horchte auf die Reden der Leute und hielt sich besonders zu Gruppen, in denen Soldaten waren und wo vom Kriege geredet wurde. Da hörte er denn Äußerungen wie, daß der König nun zusammen mit allen Ketzern den Krieg gegen den Papst beginnen werde. Und wenn er in die Kirchen trat, was er täglich oftmals tat, klang es von der Kanzel nicht anders. Er glaubte alles. Denn »der Aberglauben gemeiner Leute rührt von ihrem frühen und allzu eifrigen Unterricht in der Religion her: sie hören von Geheimnissen, Wundern, Wirkungen des Teufels und halten es für sehr wahrscheinlich, daß dergleichen Sachen überall in allen Dingen geschehen könnten. Hingegen, wenn man ihnen erst die Natur selbst zeigte, so würden sie leichter das Übernatürliche und Geheimnisvolle der Religion mit Ehrfurcht betrachten, da sie hingegen jetzo dieses für etwas sehr Gemeines halten, so daß sie es für nichts Sonderliches halten, wenn ihnen jemand sagte, es wären heute sechs Engel über die Straße gegangen ...«

Zu jener Zeit sah man sich die Menschen noch nicht daraufhin an, was sie etwa denken, fühlen oder sonst Besonderes beherbergen mochten. Sie wurden gerade nur daraufhin abgeschätzt, ob sie jeweils brauchbar oder etwa im ganzen gefährlich seien. Und danach wurden sie behandelt. Was sonst in einem vorging, war, bis es zum Vorschein kam, seines Beichtvaters und seine eigene Sache. Wäre es anders gewesen, so hätten die königlichen Garden vor dem Louvre diesen Mann längst in Eisen gelegt, als er zu Anfang dieses Jahres sich immer wieder vor dem Palast herumtrieb und verlangte, zum Könige geführt zu werden, dem er – doch nur ihm allein – eine Sache von der allergrößten Wichtigkeit mitzuteilen habe. Wenn der Inhalt seines Gesichtes bedacht worden wäre, dann hätten sie sich nicht begnügen können, diesen Mann lediglich als bettelhaften Narren davonzujagen, als er dann nochmals aufgetaucht und auf der Straße dem Wagen des Königs entgegengelaufen und geschrien hatte: »Sire, im Namen unseres Herrn Jesu Christi und der geheiligten Jungfrau Maria muß ich zu Ihnen reden!« Man hatte ihn nicht reden, nicht die eine Sache sagen lassen, die sich in seinem Hirn eingenistet hatte, die ihn nicht mehr zur Ruhe kommen ließ, mit der er nun laut in den Straßen Zwiesprache hielt und die er zu den Priestern in den Beichtstühlen trug. Von denen aber mochte ihm auch keiner geantwortet haben: unser König führt nicht Krieg gegen den Papst. Wie er es aber sonst mit seinem Kriege hält, was gehts dich armen Hund an, solange du nicht selber Soldat bist? Was die Beichtväter ihm wirklich gesagt haben, war weder von ihnen noch von ihm zu erfahren. Aber Trost und Frieden kann es ihm nicht gegeben haben, denn er irrte weiter einsam und elend durch die Straßen und hatte seinen einen Gedanken auf dem Gesichte stehen. Es war noch immer ein Bohren und Fragen und kein wissentlicher Entschluß, als es ihn in seiner Verlorenheit nach einem greifbaren Ding zur Gesellschaft zu gelüsten begann. Dann sah er ein solches in einem Wirtshause, verbarg es und trug es davon. Es war ein Messer, dessen Fischbeingriff er bei einem Drechsler durch einen aus Hirschhorn ersetzen ließ. Dieses Messer trug er nun auf seinen Wanderungen durch die Hauptstadt mit sich herum, und es war mit ihm auf seinem letzten vergeblichen Fluchtversuche vor Paris und seinem Gedanken. Als er sich vor ihnen schon in Sicherheit glaubte, zog er es hervor und brach die Spitze der Klinge ab, wie um sich zu beweisen, daß der Gedanke doch kein Plan geworden sei. Aber der Beweis mißlang. Seine Füße trugen ihn wieder nach Paris. Bevor er aber die Stadt betrat, saß er lange am Straßenrande und schliff auf einem Steine seinem Messer eine neue feine Spitze an. Dann ging Franz Ravaillac, so hieß der rotbärtige Mann, in eine Herberge, nahm eine Kammer und begann Erkundigungen einzuziehen.

Bei der Krönung Maries am 13. Mai hatte Heinrich zum ersten Male wieder die Kathedrale von St. Denis betreten, in deren Eingang er siebzehn Jahre zuvor hingekniet war, um die Ketzerei abzuschwören und sich zum katholischen Glauben zu bekennen, damals, als er noch nicht viel anderes als ein Abenteurer mit einem großen Namen und einem guten Degen gewesen war und der König ohne Krone, der seine Hauptstadt nur von Ferne sehen durfte. Ob er des ungeheuren Werkes gedachte, das er in diesen siebzehn Jahren geschaffen hatte, da er nun »in andächtiger Versenkung« die lange Krönungsmesse hörte?

Dienstag, den 11. Mai, hatte Heinrich sein Programm für die folgenden Tage festgelegt: »Mittwoch werde ich in St. Denis schlafen und von dort am Donnerstag zurückkehren; Freitag werde ich Ordnung in meine Geschäfte bringen, Samstag einen Hirsch hetzen; Sonntag ist der Einzug meiner Frau, Montag die Hochzeit meiner Tochter Vendôme, Dienstag das Festmahl, und Mittwoch zu Pferd!«

Die Krönung, die ihn so lange in Paris zurückgehalten hatte, war nun durchlebt und auch die Heimkehr in die Stadt. Wäre es nur das andere auch! Fieber großen Aufbruchs war in ihm und machte ihm diese Nacht zum 14. Mai ruhelos. Etliche sagen, er habe ganz und gar nicht geschlafen und sei sehr übel dran gewesen, ja, er sei lange auf den Knien gelegen und habe gebetet. Dann aber habe er sich zu einem Tag wie alle anderen gezwungen, sich mit dem Kanzler, einem Gesandten und anderen unterredet, habe eine stille Messe gehört und sei ein wenig mit dem Dauphin im Tuileriengarten auf und ab gegangen. Mag sein, daß Bassompierres Bericht über seine Begegnung mit dem Könige am Vormittage dieses 14. Mai schon von den anderen Erfahrungen dieses Tages gefärbt ist. Er erzählt: Er und Guise hätten Heinrich auf dem Rückwege von der Messe erwartet, und sie hätten ein paar scherzhafte Bemerkungen gewechselt, nach denen Guise den König seiner verehrungsvollen Zuneigung versichert habe. Darauf habe Heinrich gesagt, sie kennten ihn jetzt noch nicht, aber er würde einen dieser Tage sterben, und dann würden sie erkennen, was er getaugt habe. »Ich sagte ihm dann: ›Mein Gott, Sire, werden Sie niemals damit aufhören, uns damit zu verstören, daß Sie uns sagen, Sie würden bald sterben? Es ist nicht gut, solche Worte zu sagen. Mit Gottes Hilfe werden Sie eine Menge langer und glücklicher Jahre leben. Es gibt auf dieser Welt kein Glück, das dem Ihren gliche: Sie sind erst in der Blüte Ihrer Jahre, in vollkommener Gesundheit und Kraft des Körpers, reicher an Ehren als irgendein Sterblicher, Sie genießen in aller Ruhe das blühendste Reich der Welt, werden von Ihren Untertanen geliebt und angebetet und haben in Fülle Güter und Geld, schöne Häuser, eine schöne Frau, schöne Geliebte, schöne Kinder, die heranwachsen. Was braucht es mehr, oder was haben Sie weiter noch zu wünschen?‹ Da begann er zu seufzen und sagte mir: ›Mein Freund, ich muß das alles lassen.‹« Unter den vielen Einzelheiten, die aus diesen Tagen aufbewahrt geblieben sind, heißt es zwar, der König habe die Damen, die er bei der Königin fand, zurückgehalten und mit tausend Närrischkeiten zum Lachen gebracht. Aber die Berichte nach der Art Bassompierres überwiegen: er sei ruhelos, erregt und verstört gewesen und habe einmal die Hand an die Stirne gelegt und gesagt: »Mein Gott, da drinnen habe ich was, das mich arg verstört.« Seine so wenig zu ihm stimmende Unentschlossenheit wurde aber am stärksten offenbar, als nachmittags die Zeit heranrückte, die er für eine Ausfahrt zum Besuche Sullys im Arsenal festgesetzt hatte. Immer wieder zögerte er, fragte laut oder im halben Selbstgespräch, ob er aufbrechen oder diese Fahrt nicht doch besser lassen sollte. Als er sich nach vielem Schwanken endlich doch zum Gehen entschlossen hatte, bot ihm der Gardekapitän Vitry Geleit an, das Heinrich mit der Bemerkung ablehnte, er habe sich fünfzig und mehr Jahre ohne Gardekapitän beholfen.

Vor dem Einsteigen in die sehr große Karosse ließ er das Wagendach niederschlagen und legte den Mantel ab, unter dem er ein Schwarz in Schwarz gestreiftes Atlaswams trug. Unter den Sieben, die mit ihm in dem Wagen Platz nahmen, waren ein paar alte Waffengefährten, die Marschälle Roquelaure und La Force, und es war auch der Herzog von Épernon unter ihnen, den Heinrich nie recht gemocht hatte und der aus einem der süßen Jünglinge Heinrichs III. ein gezierter ältlicher Geck geworden war. Es war gegen dreiviertel Vier, als der Wagen sich in Bewegung setzte. Die Vorbereitungen zu Maries Festtag erfüllten bunt und lärmend die Stadt, und in der warmen Maisonne kamen die Menschen in Scharen, um sich die entstehenden Triumphbogen und sonstigen Herrlichkeiten anzusehen. Auch der König schaute um sich. Dann fragte er plötzlich, welchen Tag man schriebe, murmelte etwas und schwieg wieder, bis der Kutscher, dem nicht das Arsenal, sondern eine unterwegs dahin gelegene Örtlichkeit als Fahrtziel angegeben worden war, dort angelangt, von neuem fragte, wohin er fahren solle. Wieder nannte der König nicht das Arsenal, sondern eine weitere Stelle auf dem Wege.

Unter der Menge, die sich bei der Ausfahrt der königlichen Karosse vor dem Louvre angesammelt hatte, war auch der Mann mit den Gedanken gewesen, der mit dem rötlichen Bart und den tiefliegenden Augen, in denen jetzt auch ein wenig Trunkenheit glomm. Aber keiner hatte ihn beachtet, und er folgte dem Wagen. Noch waren der Gedanke Ravaillacs und der König Heinrich IV. von Frankreich durch ein gut Stück Welt voneinander getrennt. Aber das wurde mit jedem Schritte der Pferde kleiner, denn von dem Augenblicke an, in dem der Besessene seine Verfolgung der Karosse begonnen hatte, half ihm alles. Erst war das Wagendach zurückgeschlagen worden, damit der Blick auf den wachsenden Festschmuck von Paris frei sei. Diesem zuliebe wieder waren die erregten Menschenmassen in den Straßen. Dann bog die Karosse auch noch in die mittelalterlich enge Rue de la Ferronnerie ein. Und hier, wo schnelles Fahren sich von selber verbot, geschah es nun gar, daß ein Heuwagen die Straße verstopfte und die Lakaien nicht mehr auf den Trittbrettern stehen bleiben konnten, sondern trachten mußten, auf einem kleinen Umwege der Karosse vorauszukommen, um sie nach dem Hindernisse wieder erreichen zu können. Es war dies vor einem Hause, das »zum pfeildurchbohrten Herzen« hieß. Dreiundvierzigmal war Heinrichs Leben von Mördern bedroht gewesen. Als der vierundvierzigste nun sprang Franz Ravaillac auf die königliche Karosse und stieß zweimal schnell nacheinander sein Messer in die linke Seite des Königs. Einer im Wagen schrie: »Was ist denn?« Und Heinrich hauchte: »Es ist nichts, nichts.« Dann strömte schon aus der geöffneten Ader schnell das Blut aus den gebahnten Wegen des Leibes fort in das letzte Abenteuer, in die Sekunden des Entsetzens der Kreatur vor dem Endenmüssen, und dann kam wohl gleich das tapfere: »Das ist es also!« Und der nach innen fallende Blick muß den Gott gesucht haben. Den Gott, der um dieses Augenblickes willen den lebenslangen Dienst fordert und dessen Gegendienst nun anfangen mußte, damit das schöne, schöne Leben seinen andern Weg anheben könne.

Die Männer sprangen aus dem Wagen und ergriffen Ravaillac, der sein blutiges Messer noch weiter in der Hand hielt. Sie hätten ihn getötet, wenn Épernon sie nicht daran gehindert hätte. La Force aber sah, daß der König tot war und bedeckte ihn mit seinem Mantel. Die Karosse jagte zum Louvre zurück, und Heinrichs Leichnam wurde auf das Bett getragen, auf dem der Lebendige seine letzte Nacht durchwacht hatte. Jemand sprengte Weihwasser über ihn.

Die Regentin und ihre Räte versuchten noch für eine Weile die Behauptung aufrechtzuerhalten, der König sei nur verwundet. Aber Paris fühlte, daß dieses Herz aller Herzen nicht mehr schlug. Und, so sagt Malherbe, es sei im Volke nie zuvor so geweint worden wie damals. Und es hob eine lange Klage in dem Lande an, wie die in einem anderen Weltalter, die um den großen Pan gewesen war.

Ravaillac ging durch alle Folterqualen, ohne Mitschuldige anzugeben. Es sind ihm deren alle Arten angedichtet worden, von Marie bis zu den Spaniern und von Henriette bis zu allen Großen der Zeit und nicht zuletzt den Jesuiten. Mag auch sein Gedanke aus anderen Hirnen gekommen sein, aus seinem Hirn ist er Plan und Tat geworden. Voltaires Argumentationen sind überzeugender, als alle ergebnislos gebliebenen historischen Forschungen. Denn kein Anstifter hätte ihn so bettelarm gelassen, daß er sein Mordmesser stehlen mußte und daß bei seiner Ergreifung nur ein paar Heller auf ihm gefunden wurden. Und, was bei solch einem Gläubigen schwer genug wiegt: als ihm vor der Hinrichtung als einem Ungeständigen die Absolution verweigert wurde, bat er den Priester, sie ihm bedingt zu gewähren, so daß sie vor Gott nur gelte, wenn er allein die Tat begangen habe. Ehe seine lange Todesqual – er wurde von Pferden zerrissen – anhob, sah er mit fassungslosem Erstaunen die Wut der den Richtplatz erfüllenden Menschenmassen, die ihn gern mit eigenen Händen zerrissen hätten, ihn, der die Welt von einem Feinde Gottes, der Kirche und des Volkes befreit zu haben glaubte.

Heinrichs Leichnam wurde einbalsamiert und in der Königsgruft von St. Denis beigesetzt, wohin erst kurz zuvor der Leib seines ermordeten Vorgängers, Heinrichs III., gebracht worden war. Sein Herz aber erhielten nach seiner Verfügung die Jesuiten, dieses Herz, das nach der Ärzte Aussagen klein und straff wie das eines Jünglings gewesen ist. Es wurde in seiner Kapsel erst in der Pariser Jesuitenkapelle zur Schau gestellt und dann mit einem großen Gefolge von Edelleuten nach La Flèche gebracht, in die mit Heinrichs Beihilfe dort neuerbaute Jesuitenkirche.

Nach mehr denn hundertachtzig Jahren wurden während der Revolution die Königsgräber in St. Denis aufgerissen. Heinrichs Leichnam wurde so frisch und unversehrt gefunden, daß von seinem Gesichte die Maske abgenommen werden konnte, die seine unvergeßlichen Züge bewahrt.

Heinrich IV.
Privatbesitz

Der Dauphin wurde als Ludwig XIII. zum Könige ausgerufen, und Marie führte für ihn die Regentschaft. Eine ihrer ersten selbständigen Handlungen – als noch Heinrichs Leichnam im Louvre lag – war, daß sie den Arzt Duret rufen ließ und ihn sogleich zu ihrem Leibarzte ernannte, einen Mann, der Heinrich so widerwärtig gewesen war, daß er ihn nicht in seiner Nähe hatte dulden wollen. L'Estoile schreibt über den Abschnitt seiner Erinnerungen, der von der nun beginnenden Regentschaft Marie Medicis erzählen soll, die Worte: »Vae terrae, cuius rex puer est.« (Wehe dem Lande, dessen König ein Knabe ist.)

 


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