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Als Heinrichs Vermählung mit Marie Medici schon eine beschlossene Sache war und Henriette hatte einsehen müssen, daß sie den König nicht mehr würde davon abbringen können, hatte sie die erste offene Frechheit gegen ihn gewagt und ihn gefragt, wann denn seine »Bankierstochter« schon käme. Heinrich hatte ihr darauf geantwortet: »Sobald ich alle Huren von meinem Hofe weggejagt haben werde.« Ton und Inhalt dieser Frage und Antwort würden zu der Annahme verleiten, daß dem so ungleichen Paare diese Liebschaft nun auf gleiche Weise gänzlich verleidet gewesen sei und mit Henriettens unglücklicher Niederkunft und Heinrichs monatelangem Fernsein ihr natürliches Ende gefunden hätte. Heinrich hatte seine Erfahrungen mit Henriette gemacht, stand vor der Heirat mit einer Prinzessin, der er immer ungeduldigere und verliebtere Briefe schrieb – was sollte ihm Henriette nun noch, die nicht einmal mehr die Lockung des Unbekannten barg? Diese wiederum hatte den König kennen und nicht lieben gelernt, und im Gegensatze zu Gabriele hatte sich in den unerwünschten Umarmungen, wie das sehr sinnlichen Frauen geschehen mag, Groll und Widerwillen in ihr angesammelt, wozu dann noch die Empörung über das Im-Stich-gelassen-Werden dazugewachsen war. Nun Henriette von Heinrich sicherlich nicht mehr die Heirat erlangen konnte und überdies auch noch die recht bösartigen Unternehmungen in Gang gebracht hatte, die auf die Unmöglichmachung der Mediciheirat hinzielten, was hätte sie sich da noch davon versprechen können, dem König wieder gütlich zu nahen? Noch Geld? Das wäre ja durch einen geschickten Verkauf des Heiratsversprechens in Fülle zu erhalten gewesen. Was also, da es mit dem Königinnentraume doch wohl zu Ende sein mußte? Aber war es denn wirklich damit zu Ende? Gingen ihr nicht Rachsucht und Hoffnung wirr verfitzt durcheinander? Und wenn es am Ende nichts anderes würde, gab es doch schon Ehre und Macht genug, die Geliebte des Königs zu sein. Wie wenig sie Heinrich in den Monaten der Vertraulichkeit auch nach ihrem Geschmacke gefunden hatte: sie war die Tochter einer Königsmätresse und eines Mannes aus der ehrgeizigsten und intrigantesten Hofadelsclique. Der französische Hof war ihr der Inbegriff alles Lebenswerten, und wer immer der König sein mochte, ein Valois, der Bourbone oder am Ende Karl Emanuel oder der Großtürke – dem König nahe zu sein, beneidet und um Fürsprachen und Vergünstigungen gebeten zu werden, in den königlichen Schlössern wie in eigenen aus und ein zu gehen, das war ihr das Leben. Dazu auch noch die Genugtuung zu haben, den König, der zwar manchmal nach Knoblauch und sonst auch nicht gut roch, schikanieren zu können, ihn zu hintergehen, die Liebschaften mit hübschen, jungen Leuten von ihrer Art noch durch die Eifersucht des Königs gewürzt zu fühlen, darauf konnte man schwer verzichten. In ihrem bösmäuligen Kreise spottete sie über Heinrich, sein Äußeres, seine Ungepflegtheit, seine Gaskogner Derbheit. Die Ihren hatten immer alle Moden mitgemacht, alle Redensarten gebraucht, die »man« eben zu gebrauchen hatte, alle Sympathien gefühlt, die »man« eben zu fühlen hatte, sie waren abwechselnd für Katharina Medici, für Heinrich III., für Mayenne gewesen und waren jetzt nach außen »für« Heinrich, seit dieser auf dem Throne festzusitzen schien. Aber seine Person? Sie sammelten alles Gerede über ihn, lachten über seine zausigen Haare, rümpften die Nasen über seine verdrückten Wämser, das rostfleckige Kettenhemd, das er, weil er es in so vielen Schlachten getragen hatte, nun wieder angelegt haben sollte. Die Frauen dieses Kreises gaben Unsummen für Salben und Essenzen aus, verschrieben sich deren aus fernsten Ländern, zahlten jedem renommierten Quacksalber für ein neues Düftlein oder Schönheitsmittel den Preis von zwei guten, zugerittenen dreijährigen Pferden, sie aßen wahrhaftig Ambra, um möglichst auch im inneren Leibe wohl zu riechen – und doch, Heinrich, wie immer er sonst war, war der König, weiß Gott wie lang noch, aber er war es, und da es ohne König die Welt nicht gab, die sie brauchten, mußte man sich eben an Heinrich halten. Und Henriette hielt sich an ihn.
Die Trauung Marie Medicis mit Heinrichs Stellvertreter war für den 5. Oktober festgesetzt, und die Königin sollte sich gleich nach den Vermählungsfeierlichkeiten auf den Weg nach Frankreich machen. Nach der Eroberung des größeren Teils von Savoyen war Heinrich in der ersten Hälfte des September in Grenoble. Hier erhielt er die Nachricht, daß die Marquise von Verneuil nur noch wenige Meilen von Grenoble entfernt sei und ihn dort erwarte. Heinrich machte sich mit einem kleinen Gefolge (in dem Bassompierre war, der dieses Zusammentreffen erzählt) zu dem unerwarteten und unerwünschten Wiedersehen auf den Weg. Er war übelster Laune, die sich schon in den ersten Minuten der Begegnung dröhnend entlud. Da Henriette alles eher als sanftmütig war, hätte dieses Wiedersehen beinahe damit geendet, daß der König den Befehl gab, satteln zu lassen. Da legte sich Bassompierre ins Mittel. Und Henriette war nach der langwierigen Genesungszeit von der Geburt nur noch hübscher geworden. Als Heinrich erst einmal zu toben aufgehört hatte und Henriette ihm zulächelte, war von Wegreiten schon keine Rede mehr; und so blieb er denn die Nacht mit Henriette, führte sie anderen Tags mit nach Grenoble und nahm sie nach einem achttägigen Aufenthalt von hier nach Savoyen mit.
Jetzt war alles Vergangene vergessen. Henriette strahlte, nahm wie eine Herrscherin die Huldigungen der Offiziere, der Stadtoberhäupter und der Gastgeber des Königs entgegen, der sich in den folgenden Wochen kaum länger als ein paar Tage von ihr trennte und ihr dann die zärtlichsten Briefe schickte. Daß er aber darob die einmal in Gang gekommene Korrespondenz mit Marie Medici auch nicht unterbrechen konnte, versteht sich aus dem Zeitpunkte, an dem unsere Erzählung angelangt ist. Denn seit dem 5. Oktober war Marie Heinrichs Gattin und Königin von Frankreich, und wenig über einen Monat danach sollte sie in Marseille landen. Schon im Juli hatte Heinrich an die unbekannte Braut geschrieben (und das ist der Brief, von dem im vorigen Kapitel die Rede war): »Mit vieler Befriedigung habe ich von Frontenac Nachrichten von Ihnen empfangen; er hat mir getreulich Ihre Vorzüge geschildert, und obgleich diese sonst auch recht bekannt sind, habe ich seinen Worten mehr als denen irgendeines anderen Glauben schenken können, da er mein Wesen so sehr kennt, daß ich selber mich nicht besser kenne. Er hat Sie so dargestellt, daß ich Sie nicht nur liebe, wie ein Gatte eine Frau lieben soll, sondern wie ein leidenschaftlicher Diener eine Herrin liebt. Das ist der Titel, den ich Ihnen bis Marseille geben werde, wo Sie ihn gegen einen ehrenvolleren eintauschen werden. Ich werde keine Gelegenheit mehr vorbeigehen lassen, um Ihnen zu schreiben und Sie zu versichern, daß mein heftigster Wunsch ist, Sie zu sehen und bei mir zu haben. Glauben Sie mir das, meine Herrin, und daß mir jeder Monat wie ein Jahrhundert dauern wird. Ich habe heute morgens einen Brief von Ihnen auf französisch bekommen; wenn Sie ihn ohne Hilfe geschrieben haben, sind Sie darin schon eine große Meisterin ...« Und im selben Monate schrieb Heinrich noch vertraulicher: »... seine« (Karl Emanuels nämlich) »ganze Hoffnung ist, mir irgendwelche Schlechtigkeiten anzutun, aber Gott wird mich davor beschützen, erstlich um Ihretwillen, dann um meiner Untertanen willen. Ich habe die Kur mit dem Wasser von Pougues gemacht und mich sehr gut darauf befunden, gestern bin ich damit zu Ende gekommen. Wie Sie die Erhaltung meiner Gesundheit wünschen, so wünsche ich Sie Ihnen und empfehle Ihnen die Ihre, auf daß wir nach Ihrer Ankunft ein schönes Kind machen können, das unsere Freunde lachen und unsere Feinde weinen macht. Frontenac sagte mir bei seiner Ankunft, daß Sie etliche Vorbilder für die Art zu haben wünschen, auf die man sich in Frankreich kleidet. Ich schicke Ihnen angezogene Puppen, und mit dem Herrn Großstallmeister werde ich Ihnen einen guten Schneider senden. Ich beginne, Ihnen freimütig zu schreiben, tun Sie ein gleiches, denn wir sind nun durch ein Band gebunden, das nichts als der Tod trennen kann. Entschließen Sie sich, meine schöne Herrin, mir einen Gunstbeweis zu geben, denn einzig von Ihnen will ich einen solchen in diesem Kriege tragen. Ich schließe mit dieser Bitte, die mir zu erfüllen ich Sie anflehe, und ich werde Ihnen dafür hunderttausendmal Ihre schönen Hände küssen.« Dieser Gunstbeweis, den Heinrich erbat, war ein Überbleibsel des Rittertums, ein Band nämlich von der Auserwählten, das man sichtbar trug. Und der König trug das seine in dem Feldzuge. Henriette war damals ja schon so fern gewesen und schien von der unbekannten Braut mit jedem Tage mehr in die Vergangenheit gedrängt zu werden, und die Ungeduld, diese Braut zu sehen und zu umarmen, wuchs mit jedem Tage heftiger in ihm. Ob Heinrich Maries Band dann weitergetragen hat, als Henriette wieder da war, ist nicht bekannt. Daß aber seine Sehnsucht nach der Vereinigung mit der Gemahlin in diesen mit Henriette verbrachten Liebeswochen nur immer stärker zu werden schien, zeigen die Briefe an Marie bis zu ihrer Ankunft. In einem von ihnen, just am Tage nach dem Wiedersehen mit Henriette geschrieben, steht zum Beispiel: »Ich wünsche mir Ihre Gegenwart mehr als alles auf der Welt.« Bis zur Erfüllung dieses Wunsches verging ja nun keine lange Zeit mehr. Und Heinrich genoß mit dem besten Gewissen von der Welt das Zusammensein mit der hübschen Henriette, die jetzt ihren Ehrgeiz dareinsetzte, ihn mit Witz und Geist und ihres Leibes Lockungen und Erfüllungen recht zu bezaubern, um sich seiner auch für die Zukunft zu versichern und wohl auch, um ihm den Geschmack an dieser »Bankierstochter« möglichst zu verderben. Es gibt einen Brief an sie, vom 11. Oktober datiert, der Zeugnis von ihrem Erfolge ablegt: »Mein liebes Herz, ich war so früh aufgebrochen, um die Übergänge, von denen ich Ihnen mitgeteilt habe, zu erkunden, daß mir das bis zu dieser Stunde die Genugtuung hinausgerückt hat, Ihre Nachrichten zu erfahren, da ich erst nach meiner Rückkehr Ihren Bedienten angekommen fand. Ich habe Ihren Brief tausendmal geküßt, da es Sie selber nicht sein konnten. Zweifeln Sie nicht, daß ich Ihnen eine Menge zu sagen finde, wir sind zu gut miteinander, als daß es anders sein könnte. Ich werde es Ihnen durch meine rasche Rückkehr beweisen ... Ich breche morgen auf und hoffe, Ihnen Freitag so nahe zu sein, daß ich Sie des Versprechens gemahnen kann, das Sie mir beim Weggehen gaben, für den Fall, daß ich ohne Gepäck ankäme; aber genug geredet für einen, der so durchnäßt ist wie ich. Guten Abend, Herz, mein Herz, ich küsse und küsse Dich wieder eine Million mal.« (Von dieser Anzahl von Küssen wich er schon Corisande und Gabriele gegenüber selten ab und blieb ihr auch später seiner Frau und ein paar anderen gegenüber treu.)
Es ging also alles aufs prächtigste. Der Krieg war so gut wie gewonnen, Heinrich hatte seine reizende Geliebte wieder, die nie zärtlicher tat und bessere Laune zeigte als jetzt, und er erwartete in angenehmster Spannung die Gattin, die unterwegs nach Frankreich war. Heinrich hatte beinahe vergessen, daß er die Königin am Ende nicht gut würde sozusagen an der Seite Henriettens empfangen können. Doch bevor er der Angekommenen gegenüberzutreten brauchte, wurde er unliebsam gemahnt, daß dieses idyllische Stück endenden Krieges, wie dieser selber, keine Dauer mehr hatte.
Der Kardinal Aldobrandini, der als Legat seines päpstlichen Oheims die Trauung in Florenz eingesegnet hatte, hatte auch die Mission übernommen, als Heinrichs Vermittler den Friedensschluß zu fördern, und war unterwegs nach Savoyen. Als er nur noch zwei Tagereisen von dem als Zusammenkunftsort vorgesehenen Chambéry entfernt war, begannen die angesehensten Ratgeber in den König zu dringen, er möge befehlen, daß die Marquise von Verneuil sich doch unverweilt davonpacke, da er sich sonst ins Unrecht und in Schande bringe, wenn er sie länger bei sich behielte. Damit war nicht nur das Idyll, sondern für eine Weile auch alle Behaglichkeit für Heinrich zu Ende.
»Denn da geschah es, daß die größten Zwistigkeiten und Zänkereien zwischen dem Könige und genannter Marquise wieder anhoben: indem sie ihn nicht verlassen, sondern besagtem Herrn Legaten und aller Welt die Versprechungen sehen lassen wollte, die er ihr gegeben hatte, und damit ihr Recht zur Geltung bringen wollte, da nach ihrem Dafürhalten diese hinreichten, die kürzlich zu Florenz geschlossene Ehe für nichtig erklären zu lassen und ihn zu nötigen, daß er sie eheliche. Der König fand sich solcherart genötigt, die Unzukömmlichkeiten und das Aufsehen zu verhindern, welche besagte Marquise mittels der genannten Versprechung machen konnte ... Seine Majestät hatte nun von ihr und gleichsam in der Öffentlichkeit alle grausamsten Schimpflichkeiten und Unwürdigkeiten auszustehen, welche eine rasende Frau nur einem Manne sagen könnte, der unter ihr steht. Aber endlich beschwichtigte er diesen halb tollwütigen Sinn durch hübsche Versprechungen und tat ihr so schön, daß er sie zu dem Entschlusse vermochte, von Chambéry aufzubrechen, um nach Lyon zurückzukehren und hernach nach Paris, sobald sie erführe, daß die Königin daran sei, im genannten Orte anzukommen, indem es kein gutes Ansehen habe, daß sie weiter hierbleiben solle, wenn die Königin ankäme. Um sie noch sänftiglicher geneigt zu machen, geleitete er sie eine Tagereise weit und brachte sie hier zu dem Wasser eines gewissen Sees namens Le Bourget, der, mit dem Rhonefluß vereint, nach Lyon geht, wohin er hatte ein gedecktes und recht hübsch geschmücktes Schiff besonders bringen lassen, welches ihm die in der Stadt Lyon hatten herstellen lassen; auf diesem trennten sie sich und versicherten einander ihrer Neigung durch die absonderlichsten Bezeugnisse, welche die Liebe hervorzubringen vermag, und solcherart trennten sie sich mit großem Kummer und unterhielten sich hernach durch Briefe und gewöhnliche Kuriere jeden Tag; und die genannte Marquise wandte sich gegen Lyon und der König kehrte gegen Chambéry zurück.«
Hurault, der dies zu berichten weiß, verschweigt aber, daß Henriette ansehnliches Gefolge um sich vereinigt und sich bei Tag in halb offener Sänfte hatte nach Lyon tragen lassen, recht wie eine Königin, gerade in die Stadt, die erfüllt war von den Vorbereitungen zum Empfange der Königin, und daß dies viel übles Gerede hervorgerufen hat, welches dann auch der Königin zu Ohren kam. Nun aber diese sich dem Schauplatze unserer Erzählung, in der sie schon so oft genannt und noch nicht gezeigt worden ist, so sehr nähert, ist es an der Zeit, der Unbekannten Gestalt und Raum zu geben.