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Die größte Macht, welche die neuere abendländische Welt gesehen hatte, die Habsburgische, war zugleich mit der ihr wie von Natur gesetzten Gegenbewegung emporgestiegen, mit der Reformation. Indem die beiden habsburgischen Linien den größeren Teil eines Jahrhunderts lang alle Kräfte ihrer unerschöpflich scheinenden Menschenmassen und alle Schätze Amerikas, das »wie ein unserem Planeten angehängter Stern aufgetaucht war«, zur Niederwerfung des Protestantismus aufgewandt hatten, war diese ungeheure Macht von Jahrzehnt zu Jahrzehnt bröckliger geworden. Was Franz I. vergeblich angestrebt hatte, hatte Heinrich IV. in dem so anders gewordenen Europa nun, beinahe nebenher, erreicht. Mit der Erwerbung und Sicherung seines Königreiches, wozu auch der Sieg über Spanien gehört hatte, und indem er die Protestanten, aus deren Reihen er emporgekommen war, nicht bekämpfte, sondern in den Staat eingliederte, hatte er das zerrissene Land leidlich geeint und es zu einer wirklichen Macht gestaltet. Die oft erwiesene Kraft Frankreichs, sich schnell und kräftig aus tiefen Verwüstungen wieder zu erheben, klüglich nutzend und fördernd, war ihm diese Macht unter den Händen mit jedem Jahre gewachsen. Frankreich war über das erschöpfte Spanien und das innerlich entzweite Deutsche Reich emporgestiegen, so daß Heinrich sich in seinen letzten Regierungsjahren wahrhaft als der arbiter Europae fühlen konnte, dessen protestantische Staaten und Fürsten zu ihm standen, als dem natürlichen Führer gegen die habsburgischen gegenreformatorischen Bestrebungen. Aber Heinrich, der durch sein Schwert emporgekommene einstige Protestant, dem Toleranz in Glaubensdingen natürlichstes Regierungsprinzip war, ließ es an diesen Stützen nicht genug sein, die ihm die deutschen protestantischen Fürsten, »die Pfeiler seiner Außenpolitik«, England, die Niederlande und die Schweiz boten. Er war Katholik geworden, und der größere Teil seiner Untertanen war katholisch. So verlangte es ihn nach einem Rückhalte von ganz anderer Art.
Als Heinrich wieder zum Katholizismus zurückgekehrt war, hatte er einsehen müssen, daß er mit seinem Übertritte doch nichts gewonnen hätte, wenn ihm der Papst nicht die Absolution erteilte und ihn damit wieder in den Schoß der Kirche aufnähme. Er hatte zwar nicht, wie der deutsche Heinrich IV., selber eine bettlerische Bitt- und Pilgerfahrt unternehmen müssen, aber es hatte Demut und Zugeständnisse genug gekostet, bis er endlich vom Kirchenbann befreit war. Nicht viel mehr als zehn Jahre später hatte Heinrich, nach dem Tode Klemens' VIII., bereits die Wahl eines ihm und Frankreich geneigten Papstes durchgesetzt, eines Anverwandten Maries, des alten Alexander Medici, der Leo XI. genannt wurde, von dem aber die Papstgeschichte freilich nicht viel anderes zu berichten weiß, als daß er zu den Päpsten gehörte, die am allerkürzesten die Tiara getragen haben. Nach dieser Wahl konnte ein französischer Kardinal aus Rom an Heinrich schreiben: »Wenn es Gott gefalle, diesen Papst abzuberufen, würden wir dahin gelangen, uns völlig zu Herren des römischen Hofes und des Konklaves zu machen.« Damit war der einstige Exkommunizierte und Ketzer beinahe in die Stellung zum Papsttume gelangt, die vordem Philipp II. eingenommen hatte. Allerdings verhielt sich, wie bald darauf die Wirkung des gegen Venedig geschleuderten päpstlichen Bannfluches bewies, die Gewalt des nunmehrigen Papsttums zu dem vormaligen etwa bereits so, wie Heinrichs Katholizismus zu dem Philipps. Aber daß er den Mittler zwischen Venedig und dem Papste, sowie bald darauf den Friedensstifter zwischen Spanien und den Niederlanden machen konnte, zeigte, wo der König nun stand, der bei Antritt seiner Herrschaft nicht einmal ein Sechstel von Frankreich hinter sich gehabt hatte.
Es ist kein Zeichen aufzufinden, das darauf schließen ließe, daß die Königin diese Triumphe – außer etwa die Wahl ihres Anverwandten zum Papste – mit besonderen Freudeäußerungen aufgenommen hätte. Eher ist anzunehmen, daß bei jedem Sichtbarwerden der wachsenden Macht Frankreichs sich in die Genugtuung, daß das ihr, ihren Kindern und Freunden zugute käme, dumpfe Regungen des Verdrusses gemengt haben mögen. Denn wie erbost sie auch über die mit Spanien ausgeheckten Verschwörungen gewesen war, weil Henriette darein verwickelt war, hatte diese Königin von Frankreich in ihrem krausen Denken doch an einer Einheit zweier Begriffe festgehalten, die sich in der übrigen Welt immer schneller und entschiedener voneinander zu lösen begannen: daran, daß Spanien und der Katholizismus gleichbedeutend seien. Und sie begriff, daß ihres Gatten wachsende Macht in irgendeiner Art auf Kosten dieses heiligen Spanien wuchs. Wie das alles zuging, verstand sie trotz eifriger Teilnahme an den Ratssitzungen nicht recht. Sie war auch oft schwanger und hatte mit der Hofpolitik so viele Sorgen. Heinrich, Sully und Villeroy erklärten ihr manches, aber jeder auf eine andere Art, bis sich ihr Unlust daran hängte, ein wenig gemildert einzig dadurch, daß mehr und mehr Geld in die Kassen kam und sie sich um plötzlich nötig werdende zehntausend Taler nicht mehr so abquälen mußte wie früher.
Zu seinem Glücke war der so unphantastische Heinrich auch frei von der Ichphantastik, die Eitelkeit heißt, von dem Lugen in den hexenhaften inneren Spiegelsaal, in dem der Eitle mit den verschönten oder entstellten Spiegelbildern des Ich lebt, die er sich, berauscht oder gequält, aus seinen vermeintlichen Wirkungen auf die Welt zusammenträgt. Er nahm seine Erfolge mit der Genugtuung über gut getane Arbeit hin und wußte: wenn der Papst und der Kaiser ihn ehrten, dann konnte er nach dem Stande der Welt, die huldigt, wo sie fürchtet, Furcht erwarten. Macht und Erfolg waren ihm nichts Äußeres, nicht wie ein neues Prunkkleid über seinen Schultern, sondern waren ein Teil seiner Wirklichkeit, waren er selber. Wie er ungespalten mit sich lebte und mit der Gegebenheit Ich auskam, ohne sie in Teilchen aus der Umwelt zusammenklauben zu müssen, so lebte er nun mit Macht und Triumph, und es blieb ihm erspart, meinen zu müssen, daß dadurch der Heinrich etwa in Marie oder Henriette oder sonst einem der ihm näheren Menschen ein anderer geworden sein könnte. Zu seinem Glücke erwartete er also nicht Liebe, Achtung oder Nachsicht, weil er dies und jenes geschaffen und erreicht hatte. Was er an Gefühlen von draußen erwartete, mußte, so meinte er, ihm zukommen, weil er er war, und da war freilich eine Verwundbarkeit, wenn auch eine bei weitem geringere, als die des Eitlen, der die ganze ihm erreichbare Welt mit seinem dünnhäutigen Selbst zu füllen versucht. Heinrichs Verwundbarkeit war die tragische des in sich beschlossenen Lebens, das der endwärts stürzenden Zeit nicht achtet und sich selber so fühlt und hat, wie es sich ehedem fühlte und hatte, als von draußen her alles noch Geschenk war und die Gaben schneller kamen als die Wünsche: wie damals, als die kluge, schöne Corisande den leichtfertigen Schürzenjäger und Habenichts Navarra über alle Maßen geliebt hatte. Zu seinem Glücke sah Heinrich in seiner nächsten Umwelt nicht nach den kleinen Wirkungen dessen aus, um dessentwillen ihn etliche Poeten schon – nicht nur einem erhofften und zweifelhaften Geschenke zuliebe – mit allerlei sehr großen Namen zu bedenken begannen. Er wußte ohne Trübsal und schwarzgallige Erwägungen: käme er heim von einem Zuge, auf dem er Indien erobert und den Spaniern ihre Goldländer abgenommen, hätte er dazu die Krone des Heiligen Römischen Reiches mitgebracht, so würde Marie doch auf Eleonora und Concini mehr hören als auf ihn, und Henriette hätte vielleicht statt des Guise, oder wer eben bei ihr an der Reihe war, einen anderen Liebhaber; und wenn ihm der Sinn nach einem neuen Mädchen gekommen wäre, würde das nur noch mehr Geld kosten. Er zankte mit Marie; sie fuhr mit Schreien, Schelten und Weinen oft bis in die Nacht fort, so daß er in all seiner Müdigkeit schließlich immer wieder aus dem warmen Bett fort ging. Mit Henriette gab es weiter auf eine gute Stunde deren fünf voll Hader und einer immer wieder erschreckenden plötzlichen Fremdheit. Das hatten diese Frauen eben in sich, neben dem anderen, worum man sie brauchte und gern hatte. Er deutelte nicht daran herum, redete nicht von Charakter und dergleichen, er genoß, wütete, war traurig, schüttelte es ab oder dachte es in kleine praktische Aufgaben um.
Daß Henriette, mochten auch die Freuden mit ihr spärlicher werden, ihm unentbehrlich war, wußte er, ebenso sehr wie, daß sie auf ihre Art an ihm hing – wie diese Art war, hütete er sich zu fragen, solange er es irgend vermeiden konnte. Wenn er auch oft genug über ihre Lieblosigkeit klagte, er brauchte sie und ließ sie gewähren und nahm ihre so verschiedenartigen Gaben hin, wie er heute die mit zwanzig Kräutern und achterlei Fleisch bereitete Pastete hinnahm, die ihm auf goldenem Teller im Hause Zamets gereicht wurde, und morgen nach dem Schweineschlachten in einem Bauernhause das in einem hölzernen Napf vor ihn hingestellte Gericht aus Mais und Blut, für das er eine lebenslange Schwäche hatte. Wenn es zuweilen unverständlich hart und lieblos herging, schrieb er es den Umständen zu, welche die arme Henriette vom Hofleben fernhielten, das sie doch so brauchte. Den Umständen, nicht Marie. Aber die hier zu bewältigende praktische Aufgabe war durchaus keine kleine. Daß nicht Bitten, Geschenke, Versprechungen und wilde Drohungen, daß kein Zuspruch seiner Freunde Marie dahinbringen könnten, die Verbannung Henriettens vom Hofe zurückzunehmen, hatte Heinrich auf die unbezweifelbarste Art erfahren müssen. Als aber Henriette weiter fortfuhr, ihn gar nicht oder übellaunig zu empfangen, ihn zu höhnen, daß jeder Bauer mehr Herr in seinem Hause sei als der König, und ihm immer mehr allen Spaß verdarb, nach dem es ihn sehr, sehr verlangte, entschloß er sich, einen Versuch zu machen, den er lieber vermieden hätte; nicht aus Stolz, sondern weil ihm die Berührung mit dem Pack, das ihm den Ehestand vergiftete und dem er doch um des lieben Friedens willen jede Weile ein Zugeständnis machen mußte, wie Gicht und Kolik war. Concini und Eleonora hatten es mit unermüdlichem Schüren und Wühlen dahin gebracht, Marie allmählich auch von ihren ihnen nicht holden Landsleuten abzusondern, sie hatten den Vertrauten des Großherzogs, den leidlich redlichen Giovannini, und etliche andere Florentiner, die ihrem Ausnützungsmonopol gefährlich werden konnten, in einem wahren Labyrinth von Intriguen zum Verschwinden gebracht und seither die unbeschränkte Alleinherrschaft über die Königin angetreten. Ihr Besitzstand wuchs, aber schneller noch trieben die Ansprüche, und das Füllhorn mußte stets bereit sein. Concini war Majordomus der Königin geworden. Dann starb der erste Stallmeister und Marie erwirkte ihm dieses hohe Amt, was ein Schritt weiter zum Marschalle von Frankreich war, der er eines Tages sein würde, wonach er das vormalige Amt für ein gewaltiges Stück Geld verkaufte. Und das unrechte Gut gedieh, und das Mundwerk hatte einen goldenen Boden. Von diesen beiden nun, die mehr und mehr Hirn und Wille Maries geworden waren, erhoffte sich Heinrich die Hilfe in seinen Nöten. Widerwillig redete er Concini bei jeder sich bietenden Gelegenheit an und sagte ihm mit seiner lebenslang geübten Geschicklichkeit Schmeichelhaftes. Als einmal von dem Palaste gesprochen wurde, den Concini sich indessen aus Maries Ersparnissen erbaut hatte, sagte Heinrich, er wolle dieses gepriesene Wunderwerk florentinischen Geschmackes mit eigenen Augen sehen, und lud sich bei Concini zum Essen ein. Eine nach Florenz gesandte Geheimdepesche berichtete darüber: »Der König lobte die Anlage des Hauses in italienischer Art und die sehr reichen Möbel, mit denen es ganz angefüllt ist. Und bei Tisch hatte er die Fülle und Vornehmheit des Silberzeugs gelobt, das für welchen großen Fürsten immer hingereicht hätte.« Es hatte noch seine gute Weile, bis dieses Opfer seine Wirkung tat, und Eleonora und Concini in der Tat bei Marie erwirkten, daß Henriette wieder bei Hof erscheinen durfte. Als das dann aber nach langem Mühen und Harren und vielen Bitternissen endlich erreicht war, lag für Heinrich kein Glück mehr darin, ja, kaum noch eine rechte Freude, denn es war ihm etwas geschehen, das Henriette aus der feiertägigen Welt, in der die Geliebten dem Liebenden wandeln, abgerückt hatte. Doch bis dieses späteste Herbstgewitter über ihn hereinbrach, dieser kurze heftige Astern- und Chrysanthemenfrühling vor dem Dunkel, hatte er noch sein Stück Liebes- und Kummerweg mit Henriette zu gehen, von dem viele erhalten gebliebene Briefe und Billette Zeugnis ablegen. Ein paar Stücke daraus seien hier als Spiegelscherben in die zu Ende gehende Erzählung dieser Liebe eingesetzt, damit sie das sich ändernde Licht und die sich verwandelnde Landschaft um Schreiber und Empfängerin zeigen. Im Oktober 1606 schrieb Heinrich an Henriette: »... Ich habe eben Medizin genommen, um munterer in der Ausführung aller Ihrer Wünsche zu sein. Das ist meine größte Sorge, denn ich denke an nichts, als wie Ihnen zu gefallen und Ihre Liebe zu bestärken, was der Höhepunkt meiner Glückseligkeit ist ... Es ist schön hier, aber überall, außer bei Ihnen, wird mir die Zeit so sehr lang, daß ich es nicht aushalten kann. Finden Sie ein Mittel, daß ich Sie allein sehen und, bevor die Blätter fallen, Sie sie von unten sehen lassen kann ...« Einen Tag darauf: »Mein liebes Herz, ich habe gestern mit sehr viel Vergnügen zwei Hirsche gekriegt. Gestern abends habe ich die Komödianten spielen gesehen und bin dabei eingeschlafen: es war Mitternacht, als sie aufhörten. Ich war so müde, daß ich Ihnen nicht mehr schreiben konnte. Ich bin erst um elf Uhr aufgestanden, fühle mich aber Gottlob sehr wohl ... Seien Sie versichert, mein Herz, daß ich Sie aus meinem ganzen Herzen liebe und mit mehr Leidenschaft als je zuvor. Auf diese Wahrheit hin küsse ich Ihnen eine Million mal die schönen Augen.« Bald aber klingt wieder ein anderer Ton auf: »... Sie werden aus dem Briefe, den ich Ihnen gestern geschrieben habe, ersehen haben, daß mein Mißvergnügen nur aus meiner Liebe zu Ihnen herkam. Meine Neigung und alle meine Entschließungen drängen mich dermaßen dazu, daß es großer Anstrengungen der Undankbarkeit bedurfte, mich darin zu erschüttern. Doch wünsche ich wohl, sowie ich nichts tun will, das Ihnen mißfällt, auch von Ihnen nichts zu empfangen, was mir Unzufriedenheit bringen könnte ...« Am nächsten Tag dann wieder: »Mein Alles, ich gedachte, Ihnen heute abend als Kammerdiener zu dienen, aber wir haben uns beim Ballspiel auf eine Partie eingelassen, bei der es um ein tüchtiges Stück Geld geht. Das hätte mich nicht zurückgehalten, wenn ich gedacht hätte, daß Sie mich gebraucht hätten. Ich hoffe also morgen früh Ihre Vorhänge zu öffnen und Ihnen zu beweisen, daß ich Sie mehr liebe als jemals ...« Wieder ein paar Tage später: »... denn außer Ihrer Gegenwart oder Ihren Nachrichten gibt es für mich so wenig Freude, als es Heil außerhalb der Kirche gibt. Seien Sie Dienstag unbedingt in Marcoussis; und wenn es Ihnen recht ist, in Villeroy zu essen, sorge ich dort für einen guten Schmaus und komme dann mit Ihnen nach Marcoussis; wenn ich Ihnen die Hälfte meines Wagens leihe, wird der Ihrige entlastet, und zu Hause dann leihen Sie mir zum Tausch die Hälfte Ihres Bettes ...« Dann, wohl nach einer das Zusammentreffen hinausschiebenden Ausrede Henriettens: »Heute morgen bin ich von Ihrem Briefe aufgeweckt worden, der mir diesen Tag glücklicher machen und mich in gute Laune bringen wird. Dennoch bereiten Sie mir Mißvergnügen, wenn Sie mir die Befriedigung, Sie zu sehen, auf später verschieben wollen, aber ich werde Ihnen darin nicht glauben. Verschieben Sie Ihren Aderlaß mir zuliebe, und wenn er Ihnen nötig ist, überlassen Sie es mir, Ihnen die Ader zu öffnen. Ich weiß nicht, wer Ihnen gesagt hat, daß ich unseren Sohn gezüchtigt habe, denn das ist nicht geschehen ...« Dann, rührend genug zu lesen, wie, nach acht Jahren und all den Erfahrungen, Heinrich noch immer von sich auf Henriette schließt: »Mein liebes Herz, Sie erhalten bei Ihrem Erwachen diese Zeilen, die Ihnen den ganzen Tag fröhlicher machen werden. Ich urteile nach mir, der ich es erfahre, sobald ich irgendein Zeugnis Ihrer Zuneigung erhalte. Ich habe eine recht schöne Komödie gehört, aber ich habe mehr an Sie als daran gedacht, und jetzt gehe ich schlafen und wünsche Sie herbei ...« Dann noch zwei kurze Bruchstücke aus knapp aufeinander folgenden Briefen, die gegen Ende des Jahres 1606 geschrieben worden sind, da das Unmaß der gegen den strengen Winter genommenen Medikamente, der fetten Gänse und des Würzweines, sich wieder fühlbar machte: »Es schneit hier stark und die Galanterien rühren sich mir in den großen Zehen, sie sollen mich aber nicht hindern, morgen den Hirsch zu hetzen, wenn sie mir nicht stärker werden ...« – »Die Gicht mindert mich dermaßen herab, daß ich nur dann, wenn es heute besser geht, hoffen kann, Sie wenigstens morgen zu sehen. Ich meine, Sie sollten heute nicht aufbrechen. Legen Sie es mir nicht als Faulheit noch als einen Mangel von Gefühl aus, wenn ich im Schreiben an Sie träge war. Ich bin krank gewesen, und wenn ich auch glaube, daß Sie mich gar nicht lieben, lasse ich doch nicht ab, Sie eine Million mal zu küssen.« Unter den Briefen guten Einvernehmens, die im nächsten Jahre schon immer seltener werden, steht in dem folgenden kurzen Billett ein scherzend melancholisches Einbekenntnis, das Antwort auf manches Höhnen Henriettens über seine Liebesabenteuer und einen Namen gibt, mit den sie ihn eines Tages genannt hatte und der »Kapitän Möchtegern« (Capitaine bon-vouloir) lautete: »Mein liebes Herz, wir haben eben hier zu Abend gegessen und sind recht betrunken. Ich werde Sie morgen sehen, bevor Sie nach Paris aufbrechen, und Sie herzen, nicht wie ich es sollte, sondern wie ich es kann ...« Doch dann kommen wieder die Szenen und Auseinandersetzungen, die Vorwürfe, die von Mal zu Mal heftiger werden und von denen ein Brief wie der folgende ein Bild gibt: »Ich habe Ihren Brief erhalten. Es ist wahr, daß wir sonntags beschlossen hatten, eine Stunde darauf zu verwenden, uns das Leben auf eine Art einzurichten, die uns mehr Zufriedenheit brächte, als Ihre Undankbarkeit und Ungleichmäßigkeit uns seit vier Jahren erlaubt hat. Zu diesem Zwecke kam ich Montag am Morgen hin, doch statt mich mit guter Miene zu empfangen, haben Sie gleich begonnen, mir zu sagen, warum ich schon in aller Frühe gekommen sei und daß sich einer von uns beiden getäuscht haben müsse. In Wahrheit war ich es, denn ich erwartete mir nicht so grobe Worte, denen bald danach noch schlimmere folgten; denn Sie brachen mit der Höflichkeit derer, die man in ihrem Hause besuchen kommt, und sagten mir die Worte: ›Ich beschwöre Sie, besuchen Sie mich niemals mehr; ich habe nie anderes als Übles von Ihnen empfangen.‹ Ich erwiderte Ihnen: ›Gnädige Frau, überlegen Sie wohl, ich verdiene eine solche Behandlung nicht!‹ Sie antworteten mir: ›Das ist ganz und gar beschlossen.‹ Ich antwortete Ihnen ohne Zorn: ›UrteiIen Sie für unsere Kinder, wer unrecht hat. Ihnen müßte man sie ans Herz legen, denn wenn ich nicht gutherzig wäre, täten Sie ihnen das Schlimmste an, was Sie können.‹« Die sich aufdrängende Vermutung, daß das der letzte Brief sein müsse, scheint durch ein kurz darauf geschriebenes Billett Heinrichs an Sully bestätigt, in dem er berichtet, er sei im Bösen mit Henriette auseinandergekommen. Aber blättert man weiter, so klingt es bald wieder ganz anders: »Mein Herz, ich freue mich höchlichst, zu denken, daß ich Sie samstags sehen werde ... Entschließen Sie sich, mich bei meiner Ankunft recht zu herzen und mir Schmeicheleien zu sagen: denn ich bin jetzt vierundfünfzig Jahre alt! Ich gehe nun schlafen, weil es ein Uhr ist und ich mein Geld verloren habe. Gute Nacht, mein Herz ...« Dann ist eine Weile zwischen Liebesworten von den Röteln des Sohnes der beiden die Rede, von einem totgehetzten Hirsch und vom Spiel in fast jedem Briefe, von Henriettens Geschäften und Interessen und, wie zwischen einem guten Ehepaare, von den Kindern, einem Klistier, das der kleine Sohn bekommen hat, und den kleinen Dingen des königlichen Tages, einer abermaligen Niederkunft der Königin, und es klingt fast nach Stillerwerden und guter Vertraulichkeit, und zehn Jahre, nachdem Heinrich Henriette zum ersten Male gesehen und gekauft hatte, schrieb er ihr: »... Ein Hase hat mich bis zu den Felsen von Malesherbes geführt, wo ich empfunden habe, wie süß es ist, vergangener Freuden zu gedenken. Ich habe Sie in meine Arme gewünscht, so wie ich Sie damals gesehen habe. Gedenken Sie dessen, wenn Sie meinen Brief lesen; ich bin sicher, daß diese Erinnerung an die Vergangenheit Sie alles Gegenwärtige verachten lassen wird, zumindestens möge es so mit Ihnen sein, wenn Sie die Wege beschreiten, auf denen ich so oft zu Ihnen gekommen bin ...« Mit dieser Rückschau Heinrichs mag es ein Bewenden haben. Die nicht wenigen nachher noch geschriebenen Briefe bringen nichts Neues mehr zum Bilde dieser Liebe dazu. Was von ihnen noch anzuführen ist, muß seinen Platz in einem anderen Kapitel finden, wohin es nach seiner Zeit und seinem Sinn im Leben Heinrichs gehört.