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Hätte es einer unternommen, Heinrich zu erklären, daß die Jagd ein grausames Ding sei, so hätte ihn aus dem wettergegerbten Gesicht des Königs fassungsloses Erstaunen angesehen, dem schnell ein gewaltiges Lachen und etwa die Antwort gefolgt wäre, daß zur Zeit die Stelle eines Hofnarren nicht zu vergeben sei. Wie, die schöne Jägerei, die sogar einen heiligen Schutzpatron hatte, sollte grausam sein? Und warum denn? Glaube der Frager etwa, daß die niedrigere Kreatur, die keine Vernunft noch Überlegung habe, leiden könne wie der beseelte Mensch? Und sei ihr nicht ihr Schicksal darin vorgezeichnet, daß der Mensch seinen Jagdtrieb so gut habe, wie seinen Fleischhunger? Und seien in der göttlichen Natur nicht Wolf und Luchs, Marder, Fuchs und alles andere Raubzeug geduldet und zugelassen, die das Töten und Verschmausen anderer Wesen als Lebensaufgabe trieben, gar nicht zu reden von dem wilden Getier, das sich auch an Menschen vergreife? Im übrigen, der Frager lebe wohl von Wurzelwerk und Blättern (womit er ja wieder anderen Gottesgeschöpfen, den Pflanzen, Schaden antäte) und habe wohl noch nicht an sich selber erfahren, wie ein Hirschziemer, ein brauner Hasenrücken oder eine Rebhühnerpastete munde, welche dem Menschenleibe doch auch wieder Lust und Kraft zu nützlichem Tun gäben? Und man sollte etwa, weil man seine Pferde und Hunde und Falken liebte und liebkoste, der anderen Tiere schonen, bis sie zur Plage würden und kein Acker und Weinberg vor ihnen mehr sicher sei? Was für eine Narretei? Ebensogut konnte einer fordern, daß die Könige und Herren ins Elend gingen, weil es in der Weltordnung so war, daß andere im Elend waren. Alles hat sein Gesetz und seine Lust, Mensch und Getier, seine Freude und seinen Tod, und wo die einen ihre Langsamkeit und ihre schwächeren Sinne durch die Erfindungen ihres Witzes, durch Armbrust, Arkebuse oder die Schnelligkeit des sie tragenden Pferdes wettmachen, haben die anderen die Schärfe ihrer Sinne, die Eilkraft ihrer Beine. So etwa hätte Heinrich räsoniert, wenn er sich überhaupt herbeigelassen hätte, dem Lachen über solche unsinnige Behauptung ein Räsonieren folgen zu lassen. Denn wie er sich das Dasein ohne seine eigenen Eigenschaften kaum vorstellen konnte, so wäre es ihm ohne das Jagen so unausdenkbar gewesen wie ohne Frauen. Durch die Briefe seines ganzen Lebens gehen die Berichte von Jagden; selbst wenn der übermäßige Genuß von Austern oder Melonen ihn krank gemacht hatte, wenn er sich nach den schmerzhaften Anfällen seines wenig geheimnisvollen Harnleidens kaum dem Tode entgangen glaubte oder die Gicht ihn so quälte, daß ihm der Stiefel vom Bein geschnitten werden mußte: immer noch redete er und schrieb er sehnsüchtig von der nächsten Jagd. Seit die langen Kriege ein Ende hatten, die Überfälle und Handstreiche und Reiterstückchen, seitdem sein Degen in der Scheide saß und sein Helmbusch nicht mehr in den Handgemengen allen voran flatterte, wurde ihm die Jagd mehr und mehr zum Inbegriff kraftvoller Manneslust. Sie war nicht nur seine Flucht aus dem Wohnen unter festgefügten Dächern, aus Eheverdruß und Liebeszwist, aus all dem Stillsitzen und Ruhigliegen des Lebens, sie war das immer neue Abenteuer, sie war Schweiß und Herzpochen des Aufspürens und Verfolgens. Sie war die nie nachlassende Spannung beim Näherkommen oder Sichentfernen des hohen Lautes der Hunde, die Wild vor sich haben. Sie war das Vorwärtsfliegen auf dem Pferderücken, das Einsgewordensein mit der Schnelligkeit und der Gefährdung des jagenden Pferdes. Sie war die wunderbare Erregung an einem Waldrande, wenn das Ästebrechen sich nähert und die leise zitternde Hand die Arkebuse in die Richtung bringt, aus der das Wild hervorstürzen muß, vielleicht ein Hirsch, vielleicht ein Eber. Und dann die hundert Abenteuer der Falknerei, des Streifens durch Heiden und über die Sturzäcker auf das kleine Getier! Die fröhliche Müdigkeit hernach, die unerschöpflichen Gespräche über Ritte oder Schüsse, dieses unbeschreiblich köstliche Sich-leben-Fühlen! Aber wer nicht selber wenigstens eine Zeit seines Lebens, gegen alle Vernunft und aus allem Blute, ein Jäger gewesen ist, dem vermag kein Reden von der Jagd zu vermitteln, eine wie tiefe Leidenschaft das Jagen sein kann. Er denke jedoch, wie die Wilderer oft wohlhäbige und sonst untadelige Leute sind, die um dieser Lust willen die Freiheit, ja, das Leben wagen, und wie manche Landbesitzer der Jagd verfallen, wie sonst Menschen dem Trunke, so daß sie über dieser Gier zuletzt Weib und Kind und Besitz zugrunde richten. Wäre Heinrich nicht in einem Stande geboren worden, der von Alters her das Jagdrecht besaß, er hätte vielleicht einer dieser alles vergessenden Wilderer werden können. (Da wir schon bei den Konditionalen sind: dies scheint weit plausibler als Heinrichs eigene Behauptung, daß er, in einem anderen Stand geboren, als Dieb am Galgen geendet hätte.)
Von der Kindheit an, da die aus den Pyrenäen winters nach Navarra und Béarn herabgestiegenen Bären die erste gefährliche Lockung und sommers die roten und die grauen Rebhühner der Macchien die erste Beute gewesen waren, durch Krieg und Wirren und Liebe bis in die letzten Tage von Heinrichs Leben brannte dieses Jagdfieber. Und wer sich die Mühe nähme, in den Briefen und zeitgenössischen Aufzeichnungen die Mengen des zur Strecke gebrachten Wildes zusammenzuzählen und dazu die auf Jagden verbrachten Stunden schätzungsweise zu berechnen, käme auf Tausende und auf ein gut Stück Lebenszeit. Überdies ergäbe sich dabei eine Ahnung von dem heute unvorstellbar gewordenen Wildreichtum jener Zeit, da ungeheure Wälder und weites Heideland sich zwischen den menschlichen Siedlungen dehnten, und der Jäger nicht so viele waren, wie in dem heutigen Frankreich.
Wie die Leidenschaft für die Jagd, wuchs auch eine andere mit den Jahren mehr und mehr in Heinrich an, die für das Spiel. Er hatte nach der Edelmanns- und Soldatenart der Zeit von früh auf immer gerne ein wenig gespielt, hatte dann am Valoishofe eine wahre hohe Schule der Würfel- und Kartenspiele durchgemacht und hernach in den Zeiten seines Bettelkönigtums nicht selten die letzten Taler irgendwelcher schwer zusammengebrachter Hilfsgelder auf einen Einsatz gewagt. Das rechte schwelende Spielfieber begann aber erst, als schon verhältnismäßig viel Sicherheit in seinem Leben war. Männer anderer Natur hätten an seinem Platze wahrscheinlich nie genug Sicherheit empfunden, hätten das schwer erkämpfte Reich immer wanken, hätten immer den Mörderdolch drohen gefühlt und hätten in all den Verschwörungen und Herzenswirrnissen Gefahr und Abenteuer genug gehabt, um nicht noch unaufhörlich nach diesen Wagnissen und Gefahren suchen zu müssen, die das Spiel vorspiegelt oder ist. Heinrich aber, der Unbeschauliche, konnte von Tun und Erregung nur in anderem Tun und anderer Erregung ausruhen. Wie in allem, was er gelebt und genossen hatte, die Gefährlichkeit die Würze gewesen war, so konnte er dieses Gewürzes seiner Jugend auch nicht entraten, da ihm die Jahre stiller zu werden schienen. Halsbrecherische Hetzjagden waren nicht genug, nicht genug war die ewige Ungewißheit um Henriette. Er zwang nun so viel Welt und gab so viel Gesetz, daß er die Gesetze brauchte, denen er nichts anhaben konnte. So begab er sich immer öfter unter die Gesetze des Spiels. So sehr er sonst auf Gewandtheit hielt, genügten ihm die Ballspiele, die um hohe Einsätze gingen, immer weniger. Sie gaben wohl Leibesfröhlichkeit und die Genugtuung, daß man zuweilen noch gegen Jüngere gewann, und daß schöne Frauen zusahen und Beifall spendeten. Aber es ging ihm, dem eifrigen Lober der Vernunft, dabei allmählich zu vernünftig zu. Die rechte, herrlich gefährliche Undurchdringlichkeit der Gesetze gab es doch erst am Spieltische. Da geschah es, daß man sich abends, schon müde von vieler Arbeit, einem langen Ritte und vielleicht einer Liebesstunde, niederließ, für ein halbes Stündchen, wie man sich sagte – und dann gegen Morgengrauen mit wankenden Knien, zerschlagen, wie nach der langen Schlacht von Arques, und mit dröhnendem Kopfe aufstand und so viel Geld verloren hatte, daß man dafür ein ganzes Kloster hätte bauen können. Wie die meisten rechten Spieler spielte Heinrich mit wenig Glück. Es darf nicht verschwiegen werden, daß er ein recht unangenehmer Spieler war, einer von denen wohl, deren man bald satt ist, wenn sie nicht gerade so große Herren sind und einen Sully hinter sich haben, der tagsdarauf zahlt. Heinrich verlor oft, ja meist, und jedesmal hatte er dabei die gekränkte Heftigkeit derer, denen im Leben bisher alles gut ausgegangen ist und die überdies das Spiel als volle Lebenswirklichkeit nehmen. Er verlor, fluchte, zieh nicht selten einen Partner des Betruges, versuchte gelegentlich sogar selber kleine Schliche und Kniffe anzuwenden, blinzelte schlau, wenn er ertappt wurde, schlug sich auf die Schenkel und lachte wie ein gaskognischer Viehhändler, verlor, tobte und versuchte sein Kniffchen das nächste Mal wieder. Bassompierre, einer seiner häufigsten Spielpartner, hat eine Reihe von Erlebnissen mit dem Könige aufbewahrt. Daß er selber von Heinrich Summen gewann, mit denen man zu jener Zeit einen ganz ansehnlichen Krieg hätte führen können, schien er, der ein glücklicher Spieler war, als so selbstverständlich zu betrachten, daß er ihrer nur nebenbei Erwähnung tut. Er scheint übrigens auch nichts besonderes daran gefunden zu haben, daß er einmal, als er mit Heinrich beim Spiele saß, unter den als Mindesteinsatz vereinbarten Goldpistolen plötzlich eine Menge halber Pistolen entdeckte, die nur vom Könige kommen konnten. Er las die halben Goldstücke sorgfältig heraus, warf sie den Dienern zu, und ersetzte sie durch ganze aus seiner Tasche. Er erzählt aus dem Jahre 1608: »Der König kam zu Pfingsten aus Fontainebleau nach Paris, und eifersüchtig auf das gute Leben, das wir da führten, wollte er auch sein Teil daran haben. Während Seine Majestät in Fontainebleau war, war bei mir sehr hoch gespielt worden. Ich hatte einen portugiesischen Handelsmann namens Duarte Fernandez dazugebracht, der für alle Einsätze gutstand und denen, die ihm Geld oder Pfänder zu seiner Sicherheit gaben, die Spielmarken lieferte. Es waren acht oder zehn ehrenwerte Leute aus der Stadt von der Partie und vom Hof die Herren von Guise, von Créquy und ich ... Der König wollte, daß sie allesamt täglich in den Louvre kämen, um mit ihm zu spielen, mochte es nun im Louvre sein oder bei Herrn von Roquelaure oder bei Zamet.« Eine Weile später berichtet Bassompierre dann, daß Heinrich selber einen Portugiesen zu gleichem Amte gefunden hatte und daß es seitdem in Fontainebleau gewaltig hergegangen sei mit dem Spielen: »Es verging kein Tag, an dem es nicht zumindest zwanzigtausend Pistolen Verlust und Gewinn gegeben hätte. Die niedrigsten Spielmarken galten fünfzig Pistolen, die größeren fünfhundert, so daß man auf einmal mehr als fünfzigtausend Pistolen in solchen Marken in der Hand halten konnte. Und als der König nach Paris zurückkam und von da nach Saint-Germain, fuhr er mit demselben Spiele fort, wobei Pimentel« (der Portugiese) »mehr als zweihunderttausend Taler gewann ...« Es sind eine Menge von Billetten an Sully erhalten, die den Auftrag geben, eine tagsvorher gemachte Spielschuld zu bezahlen. Die darin genannten Summen sind oft gewaltig. Von Gewinnen hingegen wird selten genug berichtet, und die wenigen bekannten sind verhältnismäßig gering. Wenn man l'Estoile und den neuaufgefundenen Memoiren von Villegomblain glauben wollte, so hätte sich Heinrichs Spielleidenschaft allmählich ganz Paris mitgeteilt. Liest man aber andere zeitgenössische Berichte, so läßt man sich gerne überzeugen, daß Heinrich sich kaum von den meisten Edelleuten seines Hofes, noch von den Emporkömmlingen, die es dem Adel gleichtun wollten, unterschied. Sie alle spielten und spielten hoch und immer höher, seit die neuerschlossenen Wohlstandsquellen ihnen schneller die Taschen füllten, als sie sich hatten an die neuen Reichtümer und die noch junge Sekurität des Besitzes gewöhnen können. Vom Adel kam die Spielwut über das Großbürgertum und von hier auf die Straße und unter die kleinen Leute. An Straßenecken, unter Kolonnaden, wie denen des Palais Royal, wo damals die vielen politischen und sonstigen Flugschriften feilgeboten wurden, taten sich Spieltische auf. Der arme Teufel trug seinen Wochenlohn hin, und man sah auf der Straße vornehme Herren erst den Inhalt ihrer Börse, dann einen kostbaren Ring oder eine Kette verlieren. Wer einen Boule-Tisch auf einer heutigen französischen Kirchweih gesehen hat, kann sich ein Bild davon machen, wie es um diese vielen kleinen Spielhöllen zuging, die sich von Paris in die Provinzstädte verbreiteten und sich nicht nur wie heute auf die paar Jahrmarktstage beschränkten. Wenngleich Heinrich auch nie an seine eigenen Verfehlungen dachte, sooft nach den Gesetzen der Zeit gegen Ehebrecher ein Todesurteil gefällt wurde, hier scheute er sich doch, gegen die Spielepidemie die Abhilfen anzuordnen, die von ihm oft genug gefordert wurden. Zwar wetterten die Kanzelredner gegen die neue Pest, und verblümt bekam auch der König sein Teil dabei ab, aber Heinrich war sein halbes Leben lang so kräftig und unverhohlen von allen Kanzeln gescholten worden, daß solche versteckte Anklagen ihm wenig anhaben konnten. Er ließ deren weit deutlichere gewähren und lachte vom Herzen über Pasquillen und Schmähschriften, in denen seine Fehler und Liebesgeschichten lächerlich gemacht wurden, er lachte im Theater, bei den Stücken, welche die Geldgier, die Kabalen und die wüste Geilheit seines Hofes verhöhnten, er lachte noch, wenn Höflinge und große Damen die Einkerkerung der Komödiendichter und selbst der Komödianten verlangten. Wie hätte er sich da über ein paar Kanzelredner erbosen sollen, die ja im Grund die Wahrheit sagten? Spielte er etwa nicht gern und hoch? Und was das Spielen auf den Straßen und in den neuerstehenden Spiel-»Akademien« anlangte, so ging es da wohl toll genug zu. Aber da die Gesetze keine strikten Verbote enthielten und die Kirche deren nicht erzwingen konnte, wie gegen Ehebruch, Blutschande und dergleichen, so ließ er die Leute gewähren, wie sich selber. Er spielte – und weil er in seinen Lastern wie in seinen Tugenden stets so kräftig und so unreflektiert nur »Ich« wußte, hatte er dem Spiele gegenüber, wie in seinen Liebschaften, das bestmögliche Gewissen, nämlich gar keines. Er sagte nie: Ich spiele, weil ich verdrossen, unglücklich, enttäuscht, müde oder sonst dergleichen etwas bin. Er spielte, weil er spielen wollte, und wenn er sonst noch einen Grund dafür anzugeben beliebte, so galt der gerade für diesen oder jenen Abend. Er spielte, wie er war und wie er alles tat, »aus ganzem Herzen, aus ganzem Gemüte und aus allen seinen Kräften«. Die Nachricht, die seinem ihm noch gewährten Leben die tiefste Erschütterung brachte, ereilte ihn am Spieltische. Ehe er sich aber völlig seinem Kummer überließ, zählte er seine Spielmarken und gab sie einem Nachbar zur Verwahrung, damit er gleich weiterspielen könne, wenn ihn die Lust dazu etwa doch ankäme.
Er spielte, gewann ein wenig und verlor viel, und er fluchte, schlug auf den Tisch, daß die Einsätze tanzten, und genoß Verlust und Gewinn mit der gleichen herrlichen Erregung des rechten Spielers, dem es ja nicht um Gewinn, sondern um das Spiel geht. Mürrisch schrieb er morgens seine Billette an Sully, die die Bezahlung des gestrigen Vergnügens verlangten. Dann ging er in den übervollen Tag hinein, entschied und schlichtete, dachte kleine, scharf gefaßte Einzelheiten zu größeren Ordnungen zusammen, ließ sie zu lebendiger Wirkung auf Millionen Menschen werden, hatte Papst und Kaiser, den Sultan und was es sonst an Mächten und Kräften gab und die Länder und Meere in seinem Ratszimmer gegenwärtig, schaltete mit alledem, auf und ab gehend, seine Entschlüsse »wie aus der Muskete feuernd«. War aber der Tag, in dem zu den Staatsgeschäften auch noch Marie und die Kinder, die Fürsorge für seine Bauten, irgendein Liebeshandel, Briefe, ein Ballspiel und ein Jagdritt Platz finden mußten, war solch ein überfüllter Tag um und das Abendessen verzehrt, dann begann die Unrast wieder, bis er am Spieltische saß und diese Unruhe Form und Gesetz im Spiele hatte. Er brauchte jetzt ja auch schon immer weniger Schlaf.