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XXI

Als Frau von Montglat nach der Geburt des Dauphins das Amt der »Gouvernante des Enfants de France« übernommen hatte, war ihr nicht in den Sinn gekommen, wie zahlreich und buntscheckig die Kinderschar sein könne, für die sie alsbald die Verantwortung zu tragen haben würde. In einem Sinne wenigstens erfüllte Marie durchaus die Hoffnungen, die Heinrich in sie gesetzt hatte: indem sie ungeachtet der ewigen Zerwürfnisse und vielen Trennungen von dem Gatten in dem nicht sehr langen Ehestande sechs Kinder zur Welt brachte, drei Knaben (deren einer im frühen Alter, doch erst nach des Vaters Tode starb) und drei Mädchen. Dieses Rudel ehelichen Nachwuchses meist vor Augen zu haben, war Heinrich aber nicht genug. Er gesellte, sobald mit dem Dauphin der Anfang gemacht war, die drei Kinder der Gabriele dazu, die, weit älter als die ehelichen, bleiben sollten, bis es Zeit zur Verehelichung oder sonstigen Vorsorge für ihre Zukunft wäre. Auch das reichte Heinrichs weitem Vaterherzen nicht hin. Hatte er nicht noch zwei prächtige Nachkommen, deren Mutter Henriette war, und die er kürzlich hatte ebenso legitimieren lassen, wie zu Gabrielens Zeiten deren Kinder? Ob er durch Zwang oder neue Geldopfer die Herausgabe der Kinder bei Henriette erwirkte, wissen wir nicht. Doch nicht lange nach dem neuerlichen Zwist mit ihr holte er die Kleinen selber ab und brachte sie in den königlichen Kinderstall. Dort gediehen sie erfreulich, machten mit den anderen die Kinderkrankheiten durch und lernten mit ihnen, zugleich mit den Gebeten und einigen wenigen manierlichen Redensarten, die saftige Sprache des gemeinsamen Vaters. Nicht lange nach der Aufnahme der Verneuil-Kinder kam noch ein kleiner munterer Bastard namens Moret dazu, über dessen Entstehung bald berichtet werden soll. Der zur leiblichen Obsorge über die Kinder bestellte Arzt Hérouard hat über die Sitten und Gebräuche unter Heinrichs Nachwuchs Aufzeichnungen hinterlassen, die zeigen, daß diese ganze kleine Welt von früh an den Großen nachstrebte und mit dem ersten Gebrauch der Sprache auch schon den Rangunterschieden innerhalb der Buntscheckigkeit Ausdruck zu geben lernte. Da steht zum Beispiel, daß der damals vierjährige Dauphin beim Spiel mit den beiden Söhnen der Gabriele, die der Herr von Vendôme und der Herr Chevalier geheißen wurden, plötzlich sagte, er sei ein Königssohn. »Ich auch«, erwiderte Vendôme. »Sie?« »Jawohl, Monsieur, nennen Sie mich nicht Ihren Bruder?« »Ha, ha! Aber Sie sind nicht im Bauch meiner Mama gewesen wie ich. Wer ist Ihre Mama?« »Sie war die Frau Herzogin von Beaufort.« »Herzogin von Beaufort? Ist sie tot?« »Sie ist jedenfalls recht weit fort, wenn sie sich überhaupt noch herumtreibt«, bemerkte zartfühlend der jüngere Sohn Gabrielens dazu. – Die folgenden Äußerungen stammen aus einer Zeit, da der nachmalige Ludwig XIII. immerhin schon sieben Jahre alt war. Einer seiner Diener fragte ihn, ob er wolle, daß jemand zu ihm komme, und er antwortete, er wolle den Herrn Chevalier sehen. Ob er den Herrn von Vendôme nicht auch da haben wolle? »Nein.« »Warum nicht?« »Mit dem bin ich nicht so gut bekannt.« Auf die Bemerkung des Dieners, sie seien doch beide seine Brüder, erwiderte der Dauphin: »Oh, das ist eine Rasse von Hunden.« »Und Herr von Verneuil?« »Oh, das ist wieder eine andere Rasse von Hunden.« »Was für eine Rasse, Monsieur?« »Von der Frau Marquise von Verneuil. Da bin ich doch aus einer andern Rasse, mein Bruder Orléans, mein Bruder Anjou und meine Schwestern auch.« »Und welche ist die beste?« »Die meine, dann die von Bruder Vendôme und Bruder Chevalier, dann kommt Bruder Verneuil und dann der kleine Moret (den er niemals Graf nennen wollte), der ist der letzte, der kommt nach der Sch..., die ich eben gemacht habe.«

Wenn Marie sich aber auch der Aufnahme der nun einmal legitimierten Bastarde Heinrichs nicht widersetzt hatte, weil solches an vielen Höfen der Brauch war, so hätte sie doch niemals die Kinder der verhaßten Henriette zugelassen, noch gar deren Herbeiholung immer wieder verlangt, hätte es mit den Verneuil-Kindern in diesem Frühsommer des Jahres 1604 nicht schon eine besondere Bewandtnis gehabt, die aufs engste mit den sich mehr und mehr verdichtenden Gerüchten und halblaut besprochenen Neuigkeiten zusammenhing. Da hieß es, der König sei auf einer Jagd wie durch ein Wunder einem hinterrücks auf ihn abgefeuerten Schuß entgangen, dann wieder, gedungene Schnapphähne hätten ihm aufgelauert, seien aber vor seinem guten Degen gewichen. Heinrich selber wollte nichts von alledem zugestehen – aber er machte jetzt keine Einwendungen mehr gegen Maries vielfältige neue Vorsichtsmaßregeln. Mit den Verneuil-Kindern war nämlich eine Reihe von Dienstleuten gekommen, deren Aufnahme die Marquise zur Bedingung gemacht hatte. Nach allem, was man indessen immer unwiderlegbarer wußte, schien es Marie, der zudem genug düstere alte Medici-Geschichten in der Erinnerung saßen, durchaus wahrscheinlich, daß unter diesen Fremden welche dazu bestellt seien, ihr oder dem Dauphin oder dem Könige nach dem Leben zu trachten. Trotz dieser damit ins Haus gebrachten Gefahr aber war sie es zufrieden, die Kinder Henriettens unter den Augen zu haben und sich Tag für Tag davon überzeugen zu können, daß sie nicht fortgebracht und nicht außerhalb Frankreichs seien. Dumpfe Angst war in Marie, die wuchs, je mehr Heinrich sie zu beschwichtigen suchte, und die erst zur Ruhe kam, als alles so klar war, daß auch des Königs Umdeuten und Beschönigen daran nichts mehr zu ändern vermochte.

König Jakob I. von England, der von seiner großen Vorgängerin Elisabeth das Bündnis mit Frankreich geerbt hatte, war von einem Engländer aufgefordert worden, an einem Unternehmen mitzuwirken, das auf die Beseitigung des Hauses Bourbon und große Umwälzungen in Frankreich hinzielte. Obgleich die alten religionskämpferischen Ziele dieses Bündnisses sich für ihn überlebt hatten, hielt Jakob genug darauf, um sich in solche Verschwörung nicht einlassen zu wollen, zumal er dabei in eine Gemeinschaft mit Spanien geraten wäre, zu der es ihn, so unähnlich er sonst auch Elisabeth war, nicht genug lockte. So ließ er sich von dem Agenten alle Einzelheiten mitteilen und gab sie dann samt dem Namen des Mannes an Heinrich weiter. Die englische Geheimnachricht machte die Verhaftung dieses Thomas Morgan möglich. Die auf ihm gefundenen Briefschaften, sowie hernach seine eigenen Geständnisse, ergaben, daß er im Dienste d'Entragues und Spaniens stand. Heinrich schrieb in einem Briefe vom 22. Juni an seinen Botschafter in London: »... Es geschah mit dem Grafen von Auvergne und dem Herrn d'Entragues, daß genannter Morgan seine Praktiken handhabte, denen auf den Grund zu kommen und die gänzlich klarzustellen, ich daran bin. Schon haben der eine und der andere mir gestanden, daß J. B. von Taxis« (der frühere spanische Botschafter in Paris) »und sogar der dermalige Botschafter, der hier ist, ihnen das Wort und die Zusicherung des Königs von Spanien gegeben hätten, sie zu schützen und ihnen in ihren Affären zu helfen, nach meinem Tode, auf den, wie es scheint, dieser Plan hauptsächlich begründet war ...« Nun, dieser Plan bestand, kurz gesagt, darin, daß Heinrichs Heiratsversprechen an Henriette, dem König von Spanien übergeben, diesem einen Rechtstitel schaffen sollte, die dermaligen Herrschaftsverhältnisse in Frankreich als gesetzwidrig anzugreifen. Henriette sollte mit ihren Kindern in das spanische Flandern entweichen, wo unter dem Schutze des Erzherzogs Albrecht (der hernach wirklich zum Schützer einer von Heinrich geliebten Frau geworden ist) ihr Sohn zum rechtmäßigen Dauphin erklärt werden würde. Inzwischen sollten d'Entragues, Auvergne und ihre Mitverschworenen Heinrich und seinen Thronfolger beiseiteschaffen und damit den Spaniern das Zeichen geben, das endlich zu unternehmen, wozu es in Birons Zeit nicht gekommen war. Wie sich bald ergab, war in dem ganzen Plane nur die Beseitigung Heinrichs und seines Erben und die Erhöhung von Henriettens Sohn genauer gefaßt. Den Umsturz in Frankreich sollten die Spanier vom Mailändischen und den Niederlanden aus, die Savoyer von der italienischen wie der burgundischen Seite und der Herzog von Bouillon mit Hilfe des ihm anverwandten Pfalzgrafen bei Rhein von Deutschland her bewirken. Was die Verbündeten in Frankreich selber anlangt, »gab es von seiten der großen Herren keinerlei bindende Zusagen, lediglich Klagen, Unzufriedenheit und unbestimmte Versprechungen, die leichthin gegeben und von den Verschwörern mit einer souveränen Unvorsichtigkeit aufgenommen worden waren«.

Es ist vorher bemerkt worden, daß der König im Juli sein unseliges Heiratsversprechen zurückerhielt, und zwar wurde es Heinrich in einem Kristallbehältnis verschlossen »wie eine Reliquie« zugestellt. Nun waren zu gleicher Zeit eben all diese Dinge ans große Sommerlicht gekommen, und Marie konnte zufrieden sein. Was hatte es also mit dieser ganzen Verschwörung weiter noch auf sich, da sogar die Verneuil-Kinder nicht mehr zu den Spaniern gebracht werden konnten, weil ja, wie ein Landsmann Maries sich ausdrückte, Henrietten indessen die Ware aus der Bude davongetragen worden war?! Was Heinrich anlangt, gedachte er nicht mehr seiner so oft betonten Gerechtigkeit, die er an Biron geübt hatte. Die d'Entragues-Bande würde ihren heilsamen Schrecken nicht sobald aus den Knochen verlieren und sich künftig hüten, den Spaniern wieder auf den Leim zu gehen. Die Spanier ... das war es, woran er sich aller Welt gegenüber jetzt so gern gehalten und die er so gerne zu den einzig Schuldigen gemacht hätte. Kurz nach dem Ruchbarwerden der Geständnisse Morgans war Heinrich bei Henriette gewesen und hatte sie ausgefragt, was sie von alledem gewußt habe. Er hatte ihren Beteuerungen, sie hätte gar nichts damit zu schaffen gehabt, so gern geglaubt, daß er ihr die erbetene Vergebung für ihren Vater unter der Bedingung zusicherte, daß dieser ein offenes und vollständiges Geständnis ablege. Damit hätte es bei d'Entragues aber noch eine gute Weile gehabt, hätte nicht sein Stiefsohn Auvergne dem Könige das wirksamste Werkzeug gegen alles Leugnen in die Hand gegeben. Als dieser triste Sohn Karls IX., der ein Wollüstling voll grausamer Gier, dazu ein Fälscher, Falschspieler und sogar Falschmünzer gewesen war, Gefahr gewittert hatte, begab er sich schleunigst nach einem Orte, wo er sich in Sicherheit glaubte, und beantwortete den Befehl, vor dem Könige zu erscheinen, mit einem in alle Einzelheiten genauen schriftlichen Geständnisse. Demgegenüber half nun d'Entragues kein Leugnen mehr, und er bequemte sich schließlich, seine Schuld zu bekennen. Wäre es hierauf nach Heinrich gegangen, so hätte er Auvergne zwar festnehmen, aber dann Gnade walten lassen, damit die ganze Sache so schnell als möglich aus dem Gespräch und dem Gedächtnis der Menschen verschwinde. Aber Heinrich hatte es sich nicht vergeblich all die Jahre hindurch angelegen sein lassen, gegen die Verrottung im Rechtssinn und in der Rechtspflege anzukämpfen. Seine besten Diener ließen ihn nun fühlen, »daß das stumpfe Schwert der Justiz wieder eine Schneide hatte«. Nun hatten die Mitglieder des Rates, auch ohne Maries Einflußnahme, dem Könige wiederholt zu bedenken gegeben, daß in einer den Staat und die Dynastie so gefährlich angehenden Angelegenheit seine eigenen Untersuchungen und Verhöre keineswegs hinlänglich seien, sondern daß nach allem Herkommen das Parlament damit betraut werden müsse. Das war nun gar nicht nach Heinrichs Sinn. Denn nicht nur wußte er zu gut, wie eintönig diese Parlamentsurteile bei aller Kompliziertheit ihrer Verfahren ausfielen, sondern er hatte noch einen besonderen Grund, die Sache nicht oder wenigstens noch nicht aus der Hand geben zu wollen. Er mußte mit Henriette auf irgendeine Art ins reine kommen, und dabei galt es ihm weniger wichtig, wie weit sie in diese Verschwörung mit verstrickt sei, als wie sie es mit ihm gehalten habe und hielte. Denn der große Vernunftgläubige (der gesagt hatte, der Eindruck in der Welt, von dem er am meisten fürchte, daß er in die Herzen seiner Untertanen dringen könne, sei der, daß er sich von anderem als der Vernunft leiten lasse), der kluge Realist Heinrich wollte der Sprache der Tatsachen nicht glauben, ja sie nicht einmal hören. Da fing in ihm das unheimliche Zwiegespräch zwischen dem Engel und dem Tiere Pascals an, da war die Schwelle, an der ihm Macht und Vernunft und Freiheit zu Phantomen wurden, so daß er sich selber von seinen Vernunftgesetzen ausnahm. Henriette war die Gottesgeißel, die im Rhythmus seiner Sinne zuschlug, und sie war vortrefflich begabt und ausgewählt für dieses Amt. Sie hatte zu dem hübschen Gesicht, dem glatten Leibe und den jungen Brüsten noch das gefährlichere Lockmittel und die bösere Droge für den alternden, in den Verstand verliebten Mann, der immer zu der engstirnigen Ausländerin reden mußte: Witz und Schärfe des behendesten und nicht durch Skrupeln noch Mitleid beschwerten Intellekts. Sie war seine Scheherezade, die, ohne Märchensinn und Phantasie, die Welt umlügen, umreden und so ein bißchen aus der Unerbittlichkeit der Gesetze wegzaubern konnte, in der einzigen Art, die der »Vernünftige« sich gefallen ließ, weil ihr auch noch die andere Magie Helfershelferin war, die aus seinen Sinnen.

Zu jedem sehr starken Leben gehört wohl etwas von Süchtigkeit, sei sie auch nur im Phantasieren, im Jenseitsschwärmen oder in einer Zärtlichkeit für das Unmögliche gelegen. Heinrich hatte nichts von dem, noch suchte er den Rausch im Weine, welcher, wie unmäßig er ihn gelegentlich auch genoß, ihn nicht, wie den echten Trinker, in ein schönes oder schwermütiges künstliches Paradies abrückte, sondern ihn nur seine Wirklichkeit stärker fühlen ließ. So brach diese unausweichliche Mitgift an Irrationalem in seine heftigste Gier ein, in die erotische. Er wurde nicht, wie oft alternde Männer, vom Geschlechte selber versklavt, indem es ihn etwa nach immer neuen Mädchen gelüstet hätte, sondern er wurde süchtig nach »Liebe«. Und an dieser Unersättlichkeit der Seele, diesem über alles Maß hinaus Binden- und Gebundenseinwollen, diesem Toben gegen die Einsamkeit, wurde dem Fröhlichen, Starken und Gesunden, Macht und Vernunft zum Phantom. Wer würde es etwa wagen, einem so gewaltigen Schöpfergeist wie Balzac, der weltweite Phantasie mit der genauesten Kenntnis aller Arten von Menschendingen und Dingen überhaupt verband, etwas wie Schwachsinn vorzuwerfen, weil er hätte wissen müssen, wie es um Frau von Hanska und um ihn selber mit ihr bestellt war? Aber gegen Heinrich, der freilich noch viel »wirklicher« und eine recht andere Art von Schöpfermensch war, erheben gerade diejenigen solche Vorwürfe, die am meisten in den Lobpreisungen seiner Größe schwelgen; als ob diese seine Größe von der Art gewesen wäre, die Blaze de Bury mit seinem Ausspruch meinte: manche Menschen hätten ihr Genie so wie Elefanten ihren Rüssel! Diese Größe ist durchaus nicht in einem Sich-nicht-beirren-Lassen zu finden, denn er ließ sich wahrhaftig beirren und war mindestens zweimal nahe daran, sein ganzes Werk um seiner Leidenschaften willen zu gefährden, sie war vielmehr darin, daß er trotz und mit diesen Leidenschaften wurde und schuf, was die französischen Menschen durch die Jahrhunderte weiter tragen, jene Franzosen, die ihn nicht nur den Großen oder den Guten König Heinrich, sondern vor allem mit dem unübersetzbaren Beinamen »Vert-Gallant« nennen, der auf seine Liebessucht zielt.

Es verlangte Heinrich also gar nicht so sehr danach, zu wissen, wieviel Henriette mit diesem Komplotte zu tun gehabt hatte, das sein und seines Sohnes Leben und das Werk seines Lebens hatte zunichte machen wollen. Er wollte vielmehr wissen, was in Henriette war, was sich hinter diesen vielen Umarmungen, Zärtlichkeiten und verliebten Worten verborgen hatte und was hinter all dem getanen und gesagten Bösen. Was galten da Anklagen und Tatsachen der anderen? Es mußte etwas da sein, das sie an ihn heftete, so wie er an ihr hing, sonst wären sie beide nicht immer wieder zueinander gekommen. Was da war, tief drinnen in diesem Menschen Henriette, das wollte er, das mußte er wissen, darum ging es, nicht um ein Gerichtsverfahren, auf das alle um ihn aus waren.

Erstaunen, Kopfschütteln, Unmut und alle Arten des Ausdrucks von Mißbilligung kamen jetzt rundum gar nicht mehr zur Ruhe. Der Kanzler Bellièvre (der früher einmal dem Könige gesagt hatte, er solle es sich zweihunderttausend gute Taler kosten lassen, und wenn's gar nicht billiger ginge, sogar dreihunderttausend, um die Dame Verneuil zu verheiraten und loszuwerden) redete jetzt offen davon, daß das Kopfabschneiden hier das einzig gerechte Verfahren sei. Die Königin wütete: wenn Heinrich schon sein eigenes Leben und seine Krone für nichts achte, so dürfe er doch um der Kinder und ihretwillen diese Aufrührer und Mordplaner nicht weiter so gewähren lassen und dergleichen. Heinrich entzog sich immer wieder ihrem erbosten Wortschwall mit Vertröstungen, Ausflüchten oder Zornausbrüchen, in denen zuweilen etwas aufklang, als ob Marie an alledem die Schuld trüge. Daß er ihr endlich das verdammte Heiratsversprechen an Henriette verschafft hatte, war ihr nicht genug gewesen, denn es war ihr zu Ohren gekommen, die Verneuil habe sich gerühmt, noch einen Haufen von Briefen des Königs zu haben, deren einer sogar mit seinem Blute geschrieben sei, aus welchen ihr Recht klar hervorginge. Heinrich müsse den Schuldigen schonungslos den Prozeß machen lassen, verlangte die Königin und forderte der Rat. Er dürfe keine Zeit mehr verstreichen lassen, denn nun habe sich zu aller Bosheit der d'Entragues auch noch die Rachsucht gesellt. Daß dem so sei, leugnete Heinrich nicht, ja er gab sogar zu, er halte Henriette jetzt für wohl imstande, ihm in einer zornigen Aufwallung nach dem Leben zu trachten, darum wolle er sie im Augenblicke lieber nicht sehen. Das Ganze aber seien eben doch Machenschaften der Spanier gewesen, sie seien die Hauptschuldigen und nicht jene, die sich hatten von ihnen ködern lassen. In einem nach Florenz gesandten Geheimbericht Giovanninis steht: »Aber die Liebe, die an ihm zehrt, erhält ihn in dem Wunsche, wieder mit ihr zusammen zu sein, und er legt mehr Wert darauf, nicht ihren Groll zu erregen, als auf die Rettung seines eigenen Lebens und seiner Ehre. Er gibt zu verstehen, daß sie, wenn er die Sache dem Parlament zur Führung übergäbe, so wütend werden würde, daß er sein Leben nicht mehr als sicher ansehen könne, falls er bei ihr wäre: und er hat doch unaufhörlich den Wunsch, sich mit ihr wieder zusammenzufinden.«

So stand es also um Heinrich. Wenn auch im Laufe dieses Sommers nicht wenige aus seiner Umgebung zu glauben anfingen, daß die Marquise von Verneuil ihre Rolle ausgespielt habe, so wußte diese selber, trotz allem, was in diesen Monaten geschah, daß sie zwar vielleicht des Königs Gunst, aber gewiß nicht seine Liebe noch ihre Macht über ihn verlieren könne. Je mehr der drohenden Zeichen wurden, desto unbekümmerter wiederholte sie in Worten und Briefen, für sie brauche keiner bange zu sein; was immer sich begebe, sie werde mit dem König schon zurechtzukommen wissen. Was die Verschwörung selber anging, geschah allerdings – von offenen Drohungen der königlichen Räte abgesehen – erstaunlich wenig, ja, im Grunde gar nichts, was einer Stellungnahme zu den abgelegten Geständnissen und den allseits bekanntgewordenen Tatsachen gleichgekommen wäre. Denn was jetzt sich ereignete und neuen, prächtigen Skandal ergab, hatte zwar mittelbar mit Henriette oder ihrer Stellung, aber ganz und gar nichts mit irgendwelchen auf die Verschwörer bezüglichen königlichen Entscheidungen zu tun. Heinrich nahm eine neue Geliebte, nicht etwa heimlich und nebenbei, sondern mit großem Aufwand in jedem Sinne. Ein Fräulein aus dem Hofstaate der Prinzessin von Condé, ein mehr durch Jugend, hübsche Züge und einen wohlgeratenen Körper, als durch sonderliche Gaben des Verstandes oder des Charakters ausgezeichnetes Wesen, hatte Heinrich bei mehreren flüchtigen Begegnungen gut gefallen. Wäre dieses Fräulein von Bueil anderen Standes gewesen, so hätte sie ihm wohl nach einigen Bemühungen der Freund Zamet durch eine Kupplerin in sein Haus bringen lassen, und die Kleine wäre durch einen Halsschmuck und ein Stück Geld bald beschwichtigt und recht geehrt gewesen, daß der König sich ein paarmal zu ihr herabgelassen hatte. Aber die kleine Bueil, unter dem Schutze der Prinzessin von Condé, wußte vom ersten Augenblicke an, was des Königs wohlgefällige Blicke wert sein konnten, denn sie kannte Henriettens Laufbahn zu gut. Doch da sie weder die Gaben Henriettens, noch eine Familie wie die d'Entragues zu Ratgebern und Helfern hatte, kam der König bei dem vorausgehenden Feilschen ein wenig glimpflicher davon. In dem Briefe vom 4. Oktober wurden von Sully nur fünfundachtzigtausendfünfhundertundvier Livres zur Auszahlung an das Fräulein von Bueil verlangt. Als danach die Prinzessin von Condé plötzlich den Versuch machen wollte, ernsthafter über die Tugend des ihr anvertrauten Mädchens zu wachen, gab ihr Heinrich übellaunig und laut zu verstehen, sie möge erst auf ihre eigene Tugend achten, ehe sie sich der einer andern annehme. Er ließ den Erzieher des jungen Prinzen Condé kommen, »der jede Nacht mit der Prinzessin schlief«, und dröhnend ging der königliche Unmut über den Mann nieder, der mit der Sache gar nichts zu tun hatte. Schließlich bekam auch noch der junge Prinz sein Teil davon ab, der bei dieser Gelegenheit zum ersten Male erfuhr, wie unangenehm der gute Oheim Heinrich werden könne, wenn ihm in einem Liebeshandel etwas in die Quere kam. Nachdem der Kaufpreis für das Mädchen ausgehandelt worden war, wurde auch gleich ein gefügiger Gatte gefunden, der seinen Teil von dem Gelde abbekam und sich verpflichtete, die ihm Angetraute nur durch Hergabe seines Namens zur Frau zu machen. Diesen Namen vertauschte Heinrich alsbald mit einem glänzenderen, indem er das Fräulein von Bueil zur Gräfin von Moret machte. Bedenkt man, daß Gabriele Herzogin, Henriette Marquise und die Neue nur Gräfin geworden war, so ist ihr dadurch schon der Platz in der Rangordnung unter Heinrichs Mätressen zuerteilt – und auch der ist zu hoch genommen; doch weniger als Gräfin durfte nach Heinrichs Selbstachtung die Kebse oder Nebenfrau welchen Grades immer kaum werden.

Wie ernst es der kleinen Bueil selber mit den Widerständen und dem Wehren gegen das ihr zugedachte Glück gewesen war, ist um so schwerer zu erraten, als sie hernach außer einigen Äußerungen von Anmaßung und kleiner Schlechtigkeit kaum Züge geoffenbart hat, die sich zu einer Gestalt zusammenfügen ließen. Henriettens Feinde ließen es sich jedenfalls angelegen sein, das Mädchen schnell umzustimmen. Selbst die Königin beherrschte ihre Eifersucht, die bei ihr freilich stets nur verletzte Eitelkeit war, da sie endlich hoffen konnte, daß es jetzt mit ihrer Feindin Henriette ein Ende haben werde. Was aber Heinrich selber anlangt, so ist aus der Freudlosigkeit seiner Ehe und der nunmehrigen Unzugänglichkeit Henriettens, zusammen mit seiner Natur, dieses Verlangen nach einem neuen Mädchen zu erklären. Dennoch möchte sich der Verdacht regen, ob nicht auch sein eigentlicher Gefühlszustand und diese zu einer Entscheidung drängende Verschwörungsangelegenheit ihr Teil an der so laut und sichtbar gemachten Erhebung der kleinen Bueil zur Mätresse en tître gehabt haben. Denn war nun Henriette vor den Augen der Welt und vor allem vor denen der Königin nicht mehr seine Geliebte, dann konnte er ja ... nun, dann konnte er eben handeln, wie er in der Folge gehandelt hat.


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