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XV

Auf den neuen Pakt hin forderte Spanien von seinen heimlichen Verbündeten rasches und ausgiebiges Handeln. Indessen war Heinrich der Sohn geboren worden – nun sollten beide fort, Vater und Sohn, damit es mit dem verhaßten Stamme ein Ende habe, der die Protestanten geschützt hatte. Dann würden die in Italien gesammelten Truppen in Frankreich einrücken und mit den Savoyischen zusammen die Dauphiné, die Provence, Guyenne und die Bretagne nehmen. Biron hatte sein Land im Osten, und was übrigbliebe, würde noch seine Anwärter finden in diesem Frankreich selber, das zu einem Wahlkönigreiche gemacht würde, darin die großen Herren die Macht und ihr König nur den Titel hätte. Noch vor dem Ende des Sommers dieses Jahres 1602 sollten Heinrich und sein Sohn hinweggeräumt und die Zerstückelung Frankreichs begonnen sein. Biron hatte indessen ein paar Mächtige im französischen Adel gefunden (deren Namen an anderer Stelle genannt sein werden) und nutzte ihre Hilfe dazu, eine zu Anfang dieses Jahres aufflammende Volksbewegung zu schüren und womöglich den großen Aufstand daraus zu machen, der zwei Jahre zuvor nicht hatte ausbrechen wollen. Eine fünf Jahre vorher eingeführte drückende Abgabe war der Anlaß dieser Unruhen geworden, die im Limoger Lande und im Süden sich erhoben. »Da veröffentlichten Biron ... und seine Agenten, Heinrich wolle die Abgaben noch erhöhen, den Adel, den Klerus und den Richterstand ihrer Privilegien berauben, überall Zwingburgen errichten und als ein Despot regieren.« Heinrichs rasches Zugreifen, Strenge hier, Milde da und reichlich gegebene Versprechungen überall, machten jedoch der Empörung schnell ein Ende. Kaum war diese von den Verschwörern aufgebauschte Gefahr gebannt, schrieb Heinrich am 14. Mai aus Tours einen noch immer sehr freundschaftlichen Brief an Biron und lud ihn zu einer Zusammenkunft ein. Heinrich hatte es unterdessen verstanden, einen Gewaltstreich Birons unmöglich zu machen, indem er aus dessen Provinz Burgund Kanonen und Munition unter dem Vorwande hatte hinwegführen lassen, daß neues besseres Kriegsmaterial an deren Stelle kommen sollte. Heinrich wußte nun schon genau, woran er mit dem alten Freunde war.

Gerüchte von neuer Verschwörung waren seit Monaten zu dem König gelangt, ein paar Verdächtige waren festgenommen worden und hatten, peinlich befragt, kleines Stückwerk zutage gebracht. Die eigentliche genaue und unwiderlegliche Kenntnis jedoch kam ihm von Birons nächstem Verbündeten, La Fin. Dieser hatte die Briefe, die er nach Turin und Mailand und von dort zurückzubringen hatte, geöffnet, erst wohl, um über den Gang der Dinge in allen Einzelheiten unterrichtet zu sein und nicht am Ende selber ausgeschaltet zu werden. Ihn selbst betreffende verdächtige Äußerungen und ihm zugekommene Nachrichten von der Verhaftung unbedeutender Mitverschwörer hatten ihn jedoch gelehrt, daß er nach zwei Seiten hin auf der Hut sein müsse. Er hatte nun mit aller Vorsicht alle Briefe von und an Biron geöffnet, und da er zu seinen vielen Künsten auch die des Fälschers beherrschte, hatte er geschickte Kopien an Stelle der Originalbriefe weitergegeben, diese aber sorglich bewahrt. Da aus diesen Briefen nur allzu klar hervorging, daß Biron sich durch seine Freundschaft mit La Fin so wenig in der Ausführung seiner Pläne hindern lassen würde, wie durch die mit Heinrich, fand sich La Fin, der gewiß nicht allzusehr von Gewissensskrupeln geplagt sein mochte, aller Pflichten gegen den allerseits Untreuen ledig. Er ging zum Könige und machte seinen eigenen Handel, bei dem er die Briefe, Pläne und sonstigen Beweisstücke auslieferte.

Als Heinrich diese Beweise noch nicht vor Augen gehabt, hatte er wie früher den einer neuen Verschwörung Verdächtigten durch Freundschaftszeichen und neue Vergünstigungen von seinem Tun abzubringen gesucht. So hatte er ihn, ehrenvollst empfohlen, an die Königin Elisabeth von England als außerordentlichen Gesandten geschickt. In London hatte Elisabeth Biron eines Tages aus einem Fenster den auf dem Tower zu warnender Schau gestellten Kopf des Grafen Essex gezeigt, der ihrem Herzen der Nächste gewesen war und den sie doch hatte als Verräter hinrichten lassen. Aber nicht Ehrung noch Warnung hatten Gewalt über Biron zu erlangen vermocht. Nun rief ihn Heinrich, sich zu verantworten. Der König wußte jetzt, was gewußt werden konnte, er kannte die Namen der hochadeligen Mitverschwörer und ihre Pläne und Ziele. Und er hatte seine Anordnungen getroffen. Sechstausend Schweizer waren in Birons Provinz Burgund geschickt worden, dessen feste Plätze entwaffnet waren. Der Aufruhr war niedergeworfen und die gefährlichen Großen des Landes sahen sich überwacht und wagten nichts mehr. Biron sollte kommen und sein volles Geständnis ablegen, nicht damit Heinrich noch Neues erführe, nein, damit er dem endlich reumütigen Freund vergeben und ihn wiedergewinnen könne. Biron aber zögerte, im unklaren darüber, was der König alles wüßte. Erst dringlichere, befehlende Aufforderungen brachten ihn endlich auf den Weg nach Fontainebleau. Am 13. Juni schrieb Heinrich an Sully: »Mein Freund, unser Mann« (Biron) »ist gekommen, er spielt recht sehr den Zurückhaltenden und den Vorsichtigen. Kommen Sie eilig, damit wir uns darüber beraten, was wir zu tun haben ...« Diesem Briefe waren mehrere Unterredungen mit Biron vorausgegangen, in denen der König vergeblich gemeinsam gelebtes Leben heraufzurufen und an das Gefühl des Freundes zu rühren versucht hatte. Biron war der Meinung, der König wisse nichts Bestimmtes, und als Heinrich in ihn drang, durch ein offenes Geständnis die Vergebung zu erlangen, erwiderte er immer wieder, er wisse nicht, was er gestehen solle. Es wird erzählt, La Fin habe Biron bei einer flüchtigen Begegnung in Fontainebleau – wohl um die Rache ganz zu haben – zugeraunt, er solle den Mund halten, man wisse nichts. So betrachtete Biron Heinrichs Drängen als Falle und schwieg. Sully erzählt, der König habe ihn ankommen gesehen, seine Hand ergriffen und gesagt: »Sehen Sie sich den Marschall an, mein Freund, da haben Sie einen unglücklichen Menschen. Das ist eine große Geschichte. Ich habe Lust, ihm zu verzeihen, alles, was geschehen ist, zu vergessen und ihm ebensoviel Gutes zu tun wie nur jemals. Er dauert mich, und mein Herz läßt sich nicht dazu bringen, einem Manne Übles zu tun, der Mut hat und der mir so lange gedient hat und mir so vertraut gewesen ist. Aber meine ganze Besorgnis ist, wenn ich ihm vergeben habe, daß er das weder mir noch meinen Kindern, noch meinem Staate vergibt. Denn er hat mir niemals irgend was gestehen wollen, und er ist mit mir wie ein Mensch, der etwas Schlechtes im Herzen hat. Ich bitte Sie, sprechen Sie mit ihm; er ist Ihr Anverwandter und tut, als ob er Ihr Freund wäre, obwohl er Sie in seiner Seele wunderbar haßt, und dies um so mehr, als er sagt, Sie hätten ihn mit Ihren schönen Worten betrogen. Aber nichtsdestoweniger hören Sie nicht auf, zu ihm wie aus offenem Herzen zu sprechen, jedoch mit Verschwiegenheit und auf eine Art, daß er daraus nicht beurteilen könne, daß wir alles wissen und genugsam Beweise gegen ihn haben, um ihn zu überführen; denn er glaubt, wir wüßten nichts ... Wenn er sich Ihnen auf Ihre Reden hin und auf die Gewißheit meines Wohlwollens, die Sie ihm geben werden, eröffnet, versichern Sie ihn, daß er in aller Zuversicht mich aufsuchen und alles bekennen kann, was er gedacht, gesagt und getan hat, derart, daß er mir nichts verhehle und daß ich ihm aus gutem Herzen verzeihe, worauf ich Ihnen bei meiner Treue mein Wort gebe.«

Sully erzählt dann weiter, wie er versuchte, Biron zum Sprechen zu bringen. Er hatte keinen besseren Erfolg dabei als Heinrich selber, denn kühl, ja anmaßlich, behauptete Biron, seit der ihm in Lyon gewährten Vergebung fühle er sein Gewissen ganz rein. Als Sully dem Könige von dem Mißlingen seines Versuches berichtet hatte, sagte dieser: »Sie sehen, daß Sie nichts aus ihm herauszubringen imstande waren; das habe ich immer gesagt, daß er entschlossen ist, mir nicht zu verzeihen, wieviel Verzeihung, Güter und Ehren ich ihm auch zuteil werden ließ, denn er hat sich zu sehr von seinen eitelkeitserfüllten Hoffnungen, ein Herrscher zu werden, hinreißen lassen.«

An diesem Abende, wie an so vielen früheren, war Biron mit wenigen Vertrauten zur königlichen Tafel zugezogen. Heinrich hatte bestimmt, daß nachher, wie übrigens meist, gespielt werden und die Königin daran teilnehmen solle. Während die anderen sich an den Spieltisch setzten und sogleich mit hohen Einsätzen begannen, hatte Heinrich sich mit einem der Tischgenossen zum Schachspiel niedergelassen. Aber es hielt ihn nicht lange dabei, er ging auf und ab, schüttelte den Kopf, redete undeutlich vor sich hin »wie einer, dem etwas schwer aufs Herz drückt«. »Die Königin auf der andern Seite und die, welche mit ihr spielten, bemerkten wohl, daß der Marschall Biron in Sorgen war und daß sein Geist zu einem anderen Gedanken als dem seines Spieles getragen war, denn recht oft irrte er sich, und etliche Male, als er gewonnen hatte, vergaß er, sein Geld zu nehmen ... Was seine Sorgen noch vermehrte, war, daß während des Spiels ein Edelmann ... der mit ihm an den Hof gekommen war, mit ihm ganz leise redete und, wie es heißt, ihn warnte, daß er eine Vorbereitung sähe im Zimmer und im Saale, wo jetzt Leibgarden seien, was für gewöhnlich nicht so wäre.«

Nach Mitternacht gab der König das Zeichen zur Beendigung des Spieles und zum Aufbruch. Über diesen Moment nun widersprechen die Berichte einander. Am glaubhaftesten ist der, daß Heinrich den sich verabschiedenden Biron zurückgehalten und gefragt habe, ob er ihm denn nichts zu sagen hätte. Und als Biron wieder den Ton gekränkter Unschuld annahm, habe der König ihn mit den Worten gehen lassen: »Mit Gott, Baron Biron!«

Im Vorzimmer schon legte Vitry, der Kapitän der Leibgarde, Biron die Hand auf die Schulter, erklärte ihn als Gefangenen des Königs und forderte dem mit wortreichen Berufungen auf seine Verdienste sich Verwahrenden den Degen ab. In der gleichen Nacht wurde einer der Meistbelasteten unter den Mitschuldigen gleichfalls im königlichen Schlosse verhaftet, es war Henriettens Halbbruder, der Graf von Auvergne.

Weder während des mit größten Vorsichtsmaßregeln vollzogenen Transports, noch in der Bastille, noch selbst vor den Richtern glaubte Biron an den ganzen Ernst des Geschehens, noch wollte er begreifen, daß Heinrich seine Hand von ihm abgezogen hatte. Er meinte vielmehr, man wolle ihn einschüchtern, um ihm Geständnisse zu entlocken, und selbst gegen die Anklagen, die angesichts der von seiner Hand geschriebenen Beweisstücke immer schwerer widerlegbar wurden, fand er in seinem beweglichen Verstande die Kunst und die Hilfsquellen zu einer Verteidigung, die Poirson eines der besten Stücke französischer Beredsamkeit nennt. Doch all sein Verstand gab ihm nicht ein zu erkennen, daß von diesen hundertsiebenundzwanzig Rechtsgelehrten, die seine Richter waren, nur Gerechtigkeit nach den Gesetzen zu erwarten sei, und daß einzig noch der König ihn vor ihrem Spruche retten könne. Sein Vertrauen in seine eigene Wichtigkeit auf Erden und seine Verbundenheit mit den Schicksalsmächten war so groß, daß die immer grellere Wirklichkeit nicht weiter als eben bis in die Apparatur seines Verstandes drang. Biron wurde einstimmig der Verschwörung gegen die Person des Königs, der Unternehmungen gegen den Staat und der mit Staatsfeinden geschlossenen Verträge schuldig erklärt und zur Strafe der Enthauptung auf dem Grèveplatz in Paris verurteilt. Noch als das Todesurteil schon ausgesprochen war, las Biron eifrig in astrologischen Almanachen, und seine Äußerungen von Kummer, seine testamentarischen Verfügungen und Reden über das Vergangene schienen weiter aus dem abseits arbeitenden Verstande zu kommen und sich nicht auf ihn selber zu beziehen.

In den Anfängen seiner Einführung in die dunklen Wissenschaften hatte Biron einmal ein Gespräch mit einem Schwarzmagier gehabt, der – so erzählte er hernach selbst – ihn ermahnte, sich vor einem Manne aus Dijon, der burgundischen Hauptstadt, in acht zu nehmen, welcher Mann ihm von hinten einen Streich versetzen und ihn töten würde. Der Mann, der ihm dann am 31. Juli sagte, sein Haar sei zu lang, war aus Dijon. Auf die Bitten der Familie war zugestanden worden, daß das Todesurteil nicht vor allem Volke vollzogen wurde. So war der Richtblock in der Bastille aufgerichtet worden. Erst als Biron ihn sah und den Henker, begriff er. Auch Essex, der nicht, wie Biron, ein großer Held gewesen war, mochte bis zuletzt seine Hoffnungen bewahrt haben. Aber als er nichts mehr zu hoffen sah, hatte eine sanfte Würde seinen Abschied begleitet. Aus Biron aber brach das fassungslose Nichtglaubenwollen hervor, und mit Flüchen, Betteln und elendem Drohen schob er das Unabwendbare hinaus. Zweimal schon war er, nachdem er sich selbst die Augen verbunden hatte, beinahe hingekniet gewesen. Aber wieder streifte er die Binde von seinen Augen, sprang auf und sah nach dem Richtschwerte, um es dem Henker zu entreißen und sich damit einen Weg durch die Wachen zu bahnen. Dann fielen ihm Aufträge an allerlei Leute ein, dazwischen klagte er über Heinrichs Härte und fluchte; er flehte die Soldaten an, ihm einen Schuß aus einer Arkebuse zu geben, und nahm dann nochmals und abermals von den Anwesenden Abschied. Doch als er sich zum dritten Male die Augen verband, holte der Henker so schnell zum Schlage aus, daß er Biron traf, ehe er noch hingekniet war.

Heinrich hatte geglaubt, nach so viel Langmut auch das letzte Fäserchen der Freundschaft für Biron aus seinem Herzen gerissen zu haben und nun ohne Bedauern der Gerechtigkeit gedenken zu können, die er dem Verräter, um des Staates und seiner eigenen Sicherheit willen, hatte endlich widerfahren lassen müssen. Und Gerechtigkeit wäre Birons Tod ja nach jeglichen Königes und vielen Volkes Sinn gewesen, hätte gleiches Gesetz auch weiter gewaltet gegen andere Verräter. Daß aber nicht lange danach ein höchst parteiisches Gefühl es ihm verwehrte, gegen einen anderen Menschen gleiche Gerechtigkeit zu üben, trübte Heinrich dann doch die Sicherheit in seinem Urteil über den alten Gefährten. So kam es, daß er beinahe erbost war und mit Tadel nicht sparte, wenn er hörte, daß der oder jener für Birons Seelenheil hatte Messen lesen lassen. Lange später pflegte er als eine Bekräftigungsformel zu sagen: »Das ist so wahr, wie daß Biron ein Verräter gewesen ist.« Als ob er es sich selber immer neu hätte bekräftigen müssen, daß dieser Tod unvermeidlich gewesen war, während andere sich hatten wohl vermeiden lassen. Aber das führt in ein noch trübseligeres Stück von Heinrichs Geschichte, das seine Vorbereitung braucht, ehe es erzählt werden kann. So sei dieses Kapitel Biron mit der Erwähnung beendet, daß Heinrich die nach dem Urteile beschlagnahmten Güter des Gerichteten der Familie zurückgab, und daß Spanien und Savoyen sich beeilten, ihre Glückwünsche zur Errettung aus großer Gefahr übermitteln zu lassen.


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