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XXVII

Als Heinrich noch der Prinz von Béarn, dann der König von Navarra, der Führer der aufrührerischen Protestanten und selber ein Aufrührer gegen das angestammte Königshaus gewesen war, hatte er, ebenso wie später in den Kämpfen seiner ersten Königsjahre, von zwei Seiten her die Adelsmacht als Gegenpart des Königtums erlebt. Hundertfünfzig Jahre immer neuer Kriege, mit ihrer Rechtlosigkeit und Verwilderung, mit fremden Heeren im Lande und mit Königen, die nie Zeit noch Machtmittel gefunden hatten, eine dauerhafte Ordnung zu begründen, hatten aus kleinen Herren vielfach große und aus großen beinahe Könige gemacht. Erst die langen Kämpfe mit England, dann die Gleichgewichts- und die Religionskriege hatten es dahingebracht, daß die letzten Valois nur noch aus dem jeweiligen Paktieren mit Adelsgruppen hatten einige Macht schöpfen können. Nachdem Heinrich mit Waffengewalt und großen Geldopfern die Unterwerfung der großen Herren der Liga erzwungen und erkauft hatte, begann er mit Erlässen und Gesetzen, mit Truppenaufgeboten, wie mit Verleihung von Pfründen und Hofämtern, einen zähen Kampf gegen alle gefährliche Unabhängigkeit des Adels. Die Verschwörungen, die mit Bouillons Unterwerfung ihr Ende gefunden hatten, waren das letzte Aufbegehren der großen Herren gewesen, die durch Gesetze, wie das über die Abschaffung der Erblichkeit der Gouverneursämter, von nun an der Hoffnung beraubt sein sollten, gegen das Königtum aufzustehen und ihm etwas von seiner Macht abtrotzen zu können. Ein anderes und dringliches Ding war es dann gewesen, mit den Massen der kleineren Edelleute zurechtzukommen. Heinrich liebte sie, verstand sie, fand seine eigene Art in vielen von ihnen wieder und wußte zudem, wieviel er der Tapferkeit derer verdankte, die in den hoffnungslosen Zeiten bei ihm ausgeharrt hatten. Doch für Dankbarkeit hatte er wenig Sinn, und schon die großen Herren der Liga hatten am Ende für ihre Feindschaft besseren Lohn von ihm erhalten als die Freunde und Kameraden, durch deren Hilfe er der Liga Herr geworden war. Wäre es aber auch um sein Gefühl anders bestellt gewesen, so hätte er doch angesichts der Menge von Adligen, deren jeder sich von der königlichen Dankbarkeit für alle Zukunft ein sorgloses Leben versprach, entschließen müssen, diesen täglichen Bittstellern, Lungerern und Duellanten zu sagen, daß der Staat sie nicht ernähren könne noch wolle, sondern daß sie vielmehr zusehen sollten, ihm zu nutze zu sein. Perefixe sagt von diesen Adligen: »Nachdem sie sich dann weit über ihren Kredit hinaus in Schulden gestürzt hatten, lagen sie entweder auf den Geldtruhen des Königs oder auf dem Buckel des armen Volkes ... Der König, der solcher Zuchtlosigkeit steuern wollte, erklärte seinem Adel laut genug, er wolle, daß die Herren sich daran gewöhnten, ein jeglicher von seinem eigenen Gut zu leben, und zu diesem Ende wäre es ihm sehr recht, da man ja nun des Friedens genieße, daß sie hingingen, um nach ihren Häusern zu sehen und Befehl zu geben, so daß ihre Ländereien wieder zu Ertrag kämen ... Zu gleicher Zeit lobte er die, die sich einfach trugen, und lachte über die anderen, die, wie er sagte, ihre Mühlen und ihr geschlagenes Holz auf dem Leibe trugen.« Damit erreichte er, freilich unter manchen Härten, daß jene unter den Pfründensuchern und Geschenkheischern, die noch Güter im Lande hatten, allmählich auf diese verwahrlosten und verfallenden Besitztümer zurückkehrten, und Olivier von Serres, Heinrichs weiser Berater in den Dingen der Seidengewinnung, wie hernach der Landwirtschaft überhaupt, mahnte die Zögernden: es sei allezeit die Ehre der Edelleute von Frankreich gewesen, auf dem Lande zu wohnen und in die Stadt nur zu gehen, wenn es der Dienst des Königs erheische oder dringliche Geschäfte dort zu besorgen seien. Von der Not gedrängt, begannen dann immer mehr unter den Edelleuten, diesen wie viele andere praktische Ratschläge Serres' zu befolgen. Sie gewöhnten sich ans Landleben, mehrten von Jahr zu Jahr den Ertrag ihrer Güter und wurden so unversehens aus vergeuderischen Schmarotzern zu Mitschaffern am Wohlstand des Staates.

War es schon schwer genug, alle des Landlebens entwöhnten, in den Kriegen unstet gewordenen Herren, die zudem noch von der Gier nach dem Luxus und den Abwechslungen von Paris verdorben worden waren, zu fruchtbarem Tun zurückzuführen, so schien es lange fast unmöglich, das Gleiche mit den weit größeren Massen der einstigen Landbevölkerung zu erreichen, die in die Städte gekommen waren, weil sie ihr Stück Erde verloren hatten und dort verelendet waren. Mit dem Verelenden ging es in diesen Zeiten sehr schnell. Die Bauern, die noch ihre Scholle hatten, konnten selbst in friedlichen Läuften und ohne Mißernten nicht hoffen, Ersparnisse irgendwelcher Art zu machen, denn die Höhe der Abgaben ließ ihnen immer nur das Lebensnotwendigste. Verloren sie ihr bißchen Vieh, brannte ihnen das Haus mit den paar Gerätschaften oder die Scheune mit Nahrung und Saatgut nieder, dann war auch gleich das schwärzeste Elend da. Denn Sachen waren selten und kostbar, so daß sich in keiner dieser Familien auch nur ein kleiner Bestand von verkäuflichen oder beleihbaren Gegenständen sammeln konnte und alle die in die Städte Wandernden das neue Leben mit keiner anderen Habe als mit den paar Lappen begannen, die ihre Blöße deckten. Es ist in einem früheren Kapitel der vielen Tausende von Bettlern Erwähnung getan worden, die es in Paris gab. Diese, deren viele winters in ihren Unterschlupfen als erfrorene Klumpen gefunden wurden, die alle Seuchen durch die Stadt schleppten und deren erste Opfer waren, die sich zu Hunderten vor Häusern einfanden, wo deren fünf oder zehn gespeist wurden, die ihre halbwüchsigen Töchter für einen Laib Brot verkauften, die die Gefängnisse füllten und denen die Henkersknechte fluchten, weil aus ihrer Habe nicht ein paar Pfennige zu lösen waren: alle diese Besitzlosen, Heimatlosen waren einmal Bauern gewesen. Doch nicht nur die Opfer der Kriege, der Mordbrennerbanden waren unter diesen Elenden. Nicht wenige von ihnen waren nach Gesetz und Recht von ihrem Acker vertrieben worden, aus dem sie Brot für sich und andere erarbeitet hatten. Wurde durch Hagelschlag oder Überschwemmung ihre Ernte zerstört, so hieß es Geld leihen, das bei der Unsicherheit der Verhältnisse und der allgemeinen Geldknappheit nur zu ungeheuren Wucherzinsen gegeben wurde. Und die beinah unvermeidliche Säumigkeit der Rückzahlung hieß auch schon, daß der Gläubiger die Hand auf Vieh und Zugtiere, ja, auf die Ackergerätschaften selber legte. War es nicht ein Wucherer, so waren es die Eintreiber der Abgaben, die nahmen, was sie fanden, und dabei nach Leben oder Tod der des Nötigsten Beraubten nicht fragten. Die aber zogen in die Städte, bettelten, hungerten und verkamen. Aus den neuen Äckern kam der Wald wieder hervor, dem sie abgerungen worden waren, und über die alten krochen die Brombeerranken. Heidekraut und Farren verwuchsen auf ihnen, Moos und Ungeziefer verdarben die noch stehengebliebenen Obstbäume, und unter den faulenden Strohdächern zerbröckelten Hütten und Ställe. Zu diesen entwurzelten Bauern hatten sich auch Tausende von kleinen Handwerkern gefügt und das Elendsheer vergrößert, solche, die in den verfallenden Dörfern und Weilern ihr Auskommen nicht mehr gefunden hatten, und mehr noch solche, denen entweder der Krieg Haus und Werkstatt zerstört oder denen Handwerkzeug und Arbeitsmaterial gepfändet worden waren.

Dem abzuhelfen, schien anfangs beinahe hoffnungslos, und war doch unerläßlich, sollte Frankreich werden, was Heinrich nach seiner Natur von ihm verlangte, ein gesundes, kräftiges Land. Es war alles da, nur verschüttet, ungeheure Schätze waren in dieser Erde, nur wie vor den Feinden vergraben, gewaltige Kräfte lebten in den Muskeln, den Werkzeugen und den Hirnen der Bewohner, nur ungenutzt träg geworden, des Ansporns der Hoffnung entwöhnt. Denn endlich hängen sich die Menschen noch an ihr Elend, hegen ihre Unvernunft und lieben deren magere und schlechte Früchte mehr als die üppigen, aber ungewissen, die aus Anstrengung zu neuer Ordnung kommen könnten.

Der Beginn wurde mit einer gründlichen Schau in das ganze Wesen und Unwesen der Wirtschaft, in Besteuerung und Ausgaben und auf die Herkünfte aller Erträge getan. Da erwies sich gleich zu Anfang, daß sich viele Zehntausende von Adeligen und Großbürgern mit allerlei Kniffen seit Jahren allen Abgaben entzogen hatten. Das gab einen gewaltigen Zuschuß zu den Staatseinnahmen, um dessentwillen die kleinsten Leute es dann leichter haben konnten. Daraufhin wurden den Bauern und Handwerkern die Steuerschulden erlassen, und zugleich wurde gesetzlich verfügt, daß von nun ab Vieh, Zugtiere, Ackergerät und Handwerkzeug unpfändbar sein sollten. Die Zinsen für Darlehen wurden auf ein tragbares Maß herabgesetzt, und alles darüber verfiel als Wucher strenger Strafe. Gestüte wurden eingerichtet, wo wieder aufs Land zurückkehrende Bauern die nötigen Pferde erhalten konnten. Jahr um Jahr fand Heinrich, in seiner immer genaueren Kenntnis der ländlichen Lebensverhältnisse, neue kleine Hilfen und Erleichterungen, die den Wiederangesiedelten weiterbringen und die noch Zaudernden zur Bodenbearbeitung verlocken sollten.

Daß Heinrich kein Bücherleser war, ist schon gesagt worden. Er hatte sich zwar eine Bibliothek anlegen lassen; aber nach einem Besuche in ihr sagt L'Estoile, die Einbände darin taugten meist mehr als der Inhalt. Wenn von Heinrich also berichtet wird, daß er Monate hindurch in einem Buche täglich gelesen habe oder sich daraus habe vorlesen lassen, so ist das für ihn ein bedeutungsvolles Ding gewesen und hat sich wie alles, was seinen Verstand erfüllte, auch auf die Menschen und das Land ausgewirkt. Dieses Buch war Olivier von Serres' »Theatrum Agriculturae«, ihm zugeeignet und in der Eindringlichkeit seiner Darstellung, der Fülle der Beobachtungen und der klaren Vernünftigkeit der Schlußfolgerungen und Hinweise auf Nutzanwendungen wie für Heinrich geschrieben. Aus diesem Werke, das ein ganzes Leben kluger Erfahrungen an der Natur zusammenfaßt, schöpfte er nicht nur eine Erweiterung und sinnvolle Verbindung seiner eigenen Kenntnisse, sondern vor allem die Überzeugung, daß die französische Landwirtschaft nicht nur von allen Schäden gesunden, sondern sogar ertragreicher werden könne, als sie es je zuvor gewesen. Daß in dem epochemachenden Werke von Serres, das in Heinrich seinen idealen Leser gefunden hatte, zum ersten Male in Frankreich auf den Hopfen, der neuerdings in England gezogen wurde, zur Verbesserung des im Norden so wichtigen Bieres und – bedeutsamer noch – auf die Bedeutung der Zuckerrübe hingewiesen wurde, sei hier angemerkt.

»Durch Geduld und Stracks-vor-mich-Hingehen besiege ich die Kinder dieses Jahrhunderts«, hatte Heinrich von sich gesagt, da er noch König von Navarra gewesen war. Diese Geduld und Zähigkeit, zu denen Instinkt, Wille und Vernunft zusammenwirkten, und an die keine Erschütterung seines Menschendaseins rührte, dieses Nichtnachlassen im einmal Begonnenen brachten es dahin, daß es mit der französischen Landwirtschaft über alle Hoffnungen und Erwartungen hinaus aufwärts ging. Das Erreichte war freilich kein goldenes Zeitalter, wie es den hernach aus härteren Zeiten Zurückblickenden erscheinen wollte und wie es in der in Frankreich berühmten Stelle aus den Memoiren des Michael von Marolles steht, aus der ein Stück anzuführen wir uns nicht versagen können: »Ich sehe im Geiste mit einem Vergnügen ohnegleichen die Schönheit des Landes von damals vor mir; es scheint mir, daß es fruchtbarer war, als es je seitdem gewesen ist, daß die Wiesen schöner grünten als jetzt und daß unsere Bäume damals mehr Frucht trugen. Es gab nichts Süßeres, als das Gezwitscher der Vögel zu hören, das Brüllen der Rinder und die Gesänge der Hirten. Das Vieh wurde in Sicherheit auf die Weide getrieben, und die Ackersleute brachen die Schollen um, um ihr Saatkorn auszustreuen, das ihnen jetzt nicht mehr die Steuereinheber noch die Kriegsleute raubten. Sie hatten das Nötige an Hauseinrichtung und Nahrungsvorsorge, und sie schliefen in ihren Betten.« Marolles spricht dann, in einer rechten bukolischen Elegie, vom Anblick der kräftigen Erntearbeiter, ihren Mählern im Schatten der Birnbäume, dem Erntefest, zu dem auch die Adeligen geladen waren. Wir nehmen noch ein kleines Bild aus seinen Aufzeichnungen: »Wenn die guten Leute die Hochzeit ihrer Kinder zurüsteten, war es ein Vergnügen, deren Ausstaffierung anzusehen; denn außer den schönen Gewändern der Braut, die aus nichts weniger als aus einem roten Kleide und einem Kopfputze, bestickt mit falschem Flitterwerk und Glasperlen, bestanden, waren die Eltern in ihre blauen, wohlgefältelten Kleider gewandet, die sie aus ihren von Lavendel, getrockneten Rosen und Rosmarin durchdufteten Truhen gezogen hatten; ich sage Männer sowohl wie auch Frauen, denn sie nannten ein Kleid ihren in Falten gezogenen Mantel, den sie über ihre Schultern legten und der einen hohen und geraden Kragen hatte, wie der Mantel mancher Mönchsorden; und die Bäuerinnen mit säuberlichem Kopfputz erschienen dazu in ihren zweifarbigen Miedern ... Es gab Musik von Dudelsäcken, Flöten und Oboen, und nach einem üppigen Mahle dauerte der ländliche Tanz bis zum Abend. Man klagte nicht über die unmäßigen Abgaben, ein jeder bezahlte seine Steuer in Heiterkeit, und ich erinnere mich nicht, davon reden gehört zu haben, daß damals vorbeiziehende Kriegsleute in einer Pfarrgemeinde geplündert oder gar ganze Provinzen verheert hätten, wie man es hernach nur allzuoft von der Gewalttätigkeit der Feinde erlebt hat.«

Nein, kein goldenes Zeitalter zwar, wie sehr es auch aufwärts ging, denn »Heinrichs Regierung war kostspielig«. Es gibt auch noch in der besten Zeit genug Äußerungen, wie die des freimütigen Marschalls von Ornano, des Gouverneurs von Guyenne, der dem Könige warnend von der Verelendung in seiner Provinz und den Steuerlasten spricht. Aber hätte ein Mensch aus der Vogelschau im Jahre 1595 sich Frankreich besehen und ins Gedächtnis eingeprägt, und hätte er das Land fünfzehn Jahre später wiedergesehen, so wäre ihm die ganze Oberfläche wunderbar verändert erschienen. Zu den Flußläufen, über die nun allerorten Brücken geschlagen waren, hatte sich ein weites Netz von Kanälen gesellt, auf denen Barken und Flöße dahinzogen, Felder und Weingärten hatten sich mit ihren klaren Linien ins Ödland, in Wälderbuchten und auf die Hügelhänge gelegt. Kirchtürme und Häuser ragten, wo Steinhaufen und ein paar Hütten gewesen waren, und Straßen führten, von Bäumen gesäumt, von Ort zu Ort durch das ganze große Land; ohne Soldatengeleit zogen die Lastwagen der Händler zu den Märkten, und in den Häfen war ein fröhliches Kommen und Ausfahren von Schiffen.


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