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Es ist durchaus glaubwürdig, daß Heinrich wirklich die Absicht gehabt hatte, seine Gemahlin in Marseille selber zu empfangen, nachdem es ihm endlich gelungen war, Henriette zu entfernen. Aber als die Vorbereitungen zur Reise schon in Gang waren, kamen Nachrichten, daß der Herzog von Savoyen einen äußersten Versuch zu unternehmen vorhabe, dem für ihn so unglücklich verlaufenen Kriege noch in letzter Stunde eine andere Wendung zu geben; er zöge Truppen zusammen und drohe, zum Entsatz seiner schon der Übergabe nahen Festung Montmélian heranzurücken. Das, zusammen mit dem Umstande, daß sich Heinrich seines Oberbefehlshabers keineswegs sicher fühlen mochte, läßt begreiflich erscheinen, daß die Fahrt nach Marseille aufgegeben und das Zusammentreffen mit Marie nach Lyon verlegt wurde. Marie aber hatte es als sicher und selbstverständlich erwartet, daß ihr König »im Soldatenkleide, mit dem Lorbeer neuen Sieges geschmückt«, ihr entgegeneilen werde. Als statt seiner im Hafen von Marseille vier in Scharlach gekleidete Konsuln, das Knie beugend, ihr die Schlüsseln der Stadt überreichten und der Kanzler Frankreichs ihr entgegentrat und ihr des Königs Bedauern und die Gründe seines Fernseins meldete, begriff ihre gerühmte Staatsklugheit gar nicht, daß Heinrich in einer vielleicht entscheidenden Stunde nicht hatte seine Armee verlassen können. Die Enttäuschung wurde ihr Kränkung und diese in ihrem allen Anlässen zur Bitterkeit so geneigten Gefühle zu einer ersten kräftigen Ehebitternis. Dazu kam, daß der für den Empfang vorgesehene große Pomp ihr erst nur sozusagen in unzusammengehörigen Stücken vor Augen kam, indem einander widersprechende Anordnungen heftige Verwirrungen angerichtet hatten, und anderseits, durch das verspätete Eintreffen Maries, die wirklich getroffenen Vorbereitungen zum Teile schon viel von ihrem ersten Glanz eingebüßt hatten. Nach den ungeheuerlichen Festlichkeiten in Florenz erschien dieser Empfang Marie recht dürftig, was wieder verdrossen vermerkt und bewahrt wurde. Eine Genugtuung war es immerhin, daß vier Kardinäle da waren, was sie daheim nicht gehabt hatte. Diesen und dem Kanzler übergab die Großherzogin am folgenden Tage ihre Nichte Marie und nahm eine in aller Form ausgestellte Empfangsbestätigung mit auf den Heimweg. Wie es heißt, war die Großherzogin nicht unfroh, dieser Nichte ledig geworden zu sein.
Die Reisevorbereitungen für den Zug von über zweitausend Pferden erwiesen sich schon auf dem Wege nach Aix als nicht besser getroffen denn die zum Empfang in Marseille, und Marie schickte von unterwegs einen ihrer Florentiner als Eilboten an den König, er möge doch die nötigen Befehle geben, damit die Reise mit weniger Schwierigkeiten von statten gehen könne. Nörglerisch vergrübelt, sah Marie die edle Anmut dieser alten Hauptstadt der Provence nicht, in der man sich heute noch solch einen Zug, durch die breite, platanenbestandene Hauptstraße kommend, vorstellen kann. In Avignon bemerkte sie immerhin schon, daß die Begrüßung festlicher und geordneter war, und hier empfing sie einen Abgesandten des Königs, der ihr meldete, daß die Festung Montmélian genommen sei. Je mehr der Zug sich Lyon näherte, desto würdiger erschienen Marie bereits die Empfangsfeierlichkeiten. In Valence ließ sie sich zu einer Handlung verleiten, welche die Italiener selbstverständlich finden mochten, angesichts derer aber die Franzosen je nach ihrer Natur entweder verlegen verstummten oder den Mund verzogen, um ein Lachen zu verbeißen. Der Generalpostmeister von Frankreich hatte selber Marie einen Brief Heinrichs überbracht; um ihm ihre Dankbarkeit dafür zu beweisen, gab sie ihm ein kunstvoll gearbeitetes emaillenes Waschservice, Krug und Becken, das ihr eine Stunde zuvor die Stadt Valence zum Geschenk gemacht hatte.
Am dritten Dezember, einem Sonntage, zog die Königin endlich feierlich in Lyon ein. Sie wurde in einer Sänfte unter einem Baldachin getragen. Die Geistlichkeit, der Gouverneur der Stadt, die höchsten Richter und der ganze Adel zu Pferd kamen ihr entgegen, ebenso die Konsuln und Vertreter der verschiedenen Nationen. »Die Straßen waren voll Gedränges und die Fenster von Menschen erfüllt, die Häuser mit Bildgeweben und Goldstoffen behangen und mit Teppichen oder gestreiften Tüchern geschmückt; jeder hatte sein Bestes getan, das seinige zum Gepränge beizutragen. Die Königin wurde voll Fröhlichkeit von der Bevölkerung dieser Stadt aufgenommen, die so viele Beziehungen zu Italien und insonderheit zu Toskana unterhielt, und sie erschien ihren neuen Untertanen als schön und würdevoll. Der Einzug fand erst zu recht später Stunde statt ... und überall waren Lichter in die Fenster gestellt worden und zahlreiche Bürger waren mit Fackeln ausgezogen.« Die Königin nahm im erzbischöflichen Palaste Quartier, und hier empfing sie von fremden Gesandten und französischen Anordnungen so viele Huldigungen, daß darüber fürs erste ihre Übellaunigkeit wich.
In der Stadt Lyon also, die kurz zuvor den nach Kräften stattlichen Einzug Henriettens gesehen hatte, erwartete Marie den König. Auf demselben prächtigen Schiffe, mit dem Heinrich seine Geliebte weggeschickt hatte, machte er sich auf den Weg zu seiner Gemahlin. Mit dem Falle des Forts Sainte-Cathérine war der Krieg nun wirklich zu Ende, und Heinrich konnte sich getrost beeilen, die Frau endlich zu sehen, die schon an die zwei Monate seine Gattin war. Am 7. Dezember hatte er an Marie geschrieben, er werde mit dem ersten Morgengrauen aufbrechen, um Sonntag (den 10. Dezember) am Morgen in Lyon eintreffen zu können; das sei die größte mögliche Beschleunigung und dazu dränge ihn die äußerste Begierde, sie zu sehen. Gerüchte jedoch waren bis zur Königin gedrungen, daß der König bereits tagsvorher anlangen würde. So war es ohne sein Wissen um die Überraschung geschehen, die er sich vorgesetzt hatte. Marie, die ja von dem verfrühten Kommen des Gatten nicht wissen durfte, geriet, als der frühe Dezemberabend nur erst zu dämmern anfing, in eine von Viertelstunde zu Viertelstunde sich steigernde Unruhe und Erregung und war, als sie sich endlich zur üblichen Zeit zum Abendessen setzte, schon in einem solchen Zustand der Überreiztheit, daß sie kaum noch kleine Bissen von den vielen Schüsseln nahm und auch die nicht durch den wie verkrampften Schlund brachte.
Es war acht Uhr vorbei, als Heinrich im erzbischöflichen Palaste ankam, im Feldgewande, die Stiefel voll von Straßenkot. Der Königin flog sogleich die Nachricht zu, und sie erhob sich vom Tische und kehrte in ihre Gemächer zurück. Der Weg dahin führte sie durch eine Galerie, und hier hatte Heinrich sich hinter etlichen seines Gefolges verborgen aufgestellt, um Marie vorbeikommen zu sehen und zu betrachten. Dann aber trat er hervor und hieß den Großstallmeister an die Tür pochen, die die Königin eben geschlossen hatte – »und an diesem Lärm und Eintritte und wahrscheinlich auch an etwelchen Rufen ›Es lebe der König‹ wurde er sogleich von der Königin erkannt, und sie kam bis nahe der genannten Tür Seiner Majestät entgegen und verneigte sich sehr tief zum Gruße und Empfange«. Der König nahm sie in seine Arme, zog sie aus der Verneigung empor und küßte sie mehrere Male »auf alle Seiten des Gesichtes«. Dann umarmte Marie ihn, und sie sahen einander an, die junge Frau, deren Farben im Kerzenlichte nur noch hübscher erschienen, obgleich sie gegen den Brauch der Zeit nie Schminke und Puder auflegte, und der Mann im weißen Barte. Als das Reden anfangen sollte, erhob sich die unerwarteteste Schwierigkeit, denn trotz ihrer hübschen französischen Briefe verstand Marie das Französische noch sehr schlecht und sprach es kaum, während Heinrich vom Italienischen gerade nur so viel begriff, als er Anklänge ans Französische und öfter an die heimische Gaskogner Sprache vernahm. Dann erfolgten ein paar Vorstellungen; und um Marie eine Freude zu machen, fragte Heinrich nach Eleonora Galigai, von der er wußte, daß sie bei der Gattin hoch in Gunst stand und vor deren Mitkommen nach Frankreich ihn sein Instinkt so sehr gewarnt haben soll. Als die unscheinbare, eher häßliche Galigai erschien, begrüßte er sie auf die alte französische Art, indem er sie auf beide Wangen küßte.
Da es nun mit dem Reden nicht recht vorwärts gehen wollte, meldete sich bei Heinrich kräftig der Hunger. Er ging mit etlichen der angesehensten Florentiner zu dem indessen vorbereiteten Abendessen. Auf dem Wege dahin äußerte er seine Genugtuung darüber, Marie viel schöner gefunden zu haben als auf den Bildnissen. Und er, der ein so großer Menschenkenner war, wo es um Männer ging, setzte entzückt hinzu, er entdecke an ihr Züge, die auf Festigkeit des Charakters und Vernünftigkeit schließen ließen. Die Florentiner bemerkten nachher, daß der König, während er schnell und kräftig aß und trank und zwischendrein an jeden von ihnen freundlich das Wort richtete, doch eine große Würde gehabt habe.
Der Herzogin von Nemours, die aus dem Hause Este stammte und Italienisch sprach, hatte der König, bevor er sich zum Nachtmahle begab, gesagt, er wünsche, noch diese Nacht mit der Königin, seiner Gemahlin, zu schlafen, und die Herzogin möge sie darauf vorbereiten. Während mehrere Berichte mitteilen, Marie habe das Verlangen des Königs freundlich, ja demütig aufgenommen, gibt es ein neu veröffentlichtes Beweisstück ganz gegensätzlicher Art. Danach habe sich Marie darauf berufen, daß ihre Ehe ja erst nur der Form nach geschlossen worden und noch nicht von dem päpstlichen Legaten gültig eingesegnet sei, dessen Kommen man abwarten müsse. Da habe ihr der König ein Schreiben des Papstes vorweisen lassen, des Inhalts, daß die Florentiner Trauungszeremonie hinreichend sei; daraufhin sei Marie blaß und kalt wie Eis geworden, so daß man sie im Bette mit allen heißen Tüchern nicht habe erwärmen können.
Aber Heinrich setzte seinen Willen durch. Es findet sich zwar die Behauptung, Marie habe ihn vor Kälte und Angst schaudernd empfangen und habe in der Nacht mehrmals erbrochen, sei es aus Überspannung der Nerven, sei es »von dem sehr kräftigen Geruche des Königs«. Über den Morgen nach dieser ersten Nacht jedoch lauten fast alle Berichte gleich. Der Florentiner Arzt sagte, »daß alles endlich sehr gut vorbeigegangen sei, daß der König eine große Genugtuung geäußert habe und die Königin wohlgemut sei«. Da es aber zu den Eigentümlichkeiten der Zeit gehörte, Diskretion in Liebesdingen weder zu erwarten noch zu üben, ist recht glaubhaft, daß Heinrich die Äußerung wirklich getan hat, die ein italienischer Bericht vermerkt: »Der König sagt, daß seine Gemahlin und er beide ganz gefangen gewesen seien, er davon, daß er sie schöner und anmutiger gefunden habe, als er sie sich gedacht hatte, und sie, so schien ihm, davon, daß sie ihn jünger gefunden habe, als sie erwartet und nach seinem weißen Barte hatte glauben können.« Von diesem Morgen wird noch ein kleiner bezeichnender Zug berichtet, den wir als eine Vorbereitung auf eine Fülle ähnlicher hierher setzen. Der toskanische Gesandte Vinta erzählt, Marie habe einen Jungen bei sich gehabt, den sie herzte und liebkoste und der den eintretenden König Papa nannte. Es war dies der erstgeborene Sohn Gabrielens, Cäsar von Vendôme. Und wie Heinrich die Gattin solcherart so bald zu einer Vorgängerin in seiner Liebe in Verbindung brachte, so tat er es noch am selben Tage zu einer viel näheren, indem er nämlich Marie zu einem Ausflug auf das schöne Schiff führte, auf dem so kurz zuvor alle Welt Henrietten gesehen hatte.
Im übrigen war Heinrich sehr verliebt in seine junge Frau. Er hatte, wie man noch heute in der Gaskogne sagt, mit ihr Ostern vor dem Palmsonntag gefeiert. Am 17. Dezember aber wurden sie dann doch getraut, mit großer Feierlichkeit, und Heinrich sah entzückt das heftige Erröten Maries, als ihr die Königskrone aufs Haupt gesetzt wurde. Daß dies nicht eigentlich eine Krönung im vollen Sinne gewesen sei, kam ihr erst viele Jahre später zu Bewußtsein, und brachte sie dann dazu, die unheilvolle rechte Krönung zu fordern.
Dieser ersten, großen königlichen Festlichkeit, die Marie in Frankreich erlebte, folgten in diesen Wochen dann so viele kleinere, daß der Monat, der von der Trauung bis zur Unterzeichnung des Friedens mit Savoyen verging, wie ein langes Fest war, wie nur diese Menschen mit ihren robusten Sinnen, ihren starken Mägen und der unvorstellbaren Widerstandskraft der Nerven deren zu feiern verstanden. Reiche Geschenke wurden ausgetauscht, Heinrich übergab Marie die mitgebrachte sehr kostbare Diamantenkette, der Kardinal-Legat schenkte dem König zwei edle Pferde und zwei Bilder italienischer Meister und der Königin spanische Handschuhe, Rosenkränze, ein Heiligenbild und etliches andere, wozu sich reichliche Gaben von Abordnungen aller Stände gesellten. Heinrich aber war erst in einer wahren Ekstase der Freudigkeit, als er im Januar von Marie hörte, daß sie mit größter Wahrscheinlichkeit schwanger sei. Da so das Fruchttragen sich ankündigte, wurde die Freude des Mannes eine andere. Er war überdies, auch nach der Befestigung seines Königtumes und als er endlich, zum ersten Male seit der Kindheit, im Louvre und den Königschlössern ein Zuhause gefunden hatte, nie so recht seßhaft geworden. In Jagdausflüge, plötzliche Reisen, überraschende Besuche von Städten und Schlössern hatte sich seine Rastlosigkeit verkleidet. Diese Monate Feldzugs mochten die vielen Jahre kriegerischen Nomadentums, in denen er nirgends gewohnt hatte, wieder stärker heraufgerufen haben, so daß nun in die erste Stillung der Liebe zu Marie schon etwas von Beengung durch diese eine Stadt Lyon kam und in die Sättigung von dem langen Feste der Hunger nach anderem.
Da war Paris wieder heftig in seinem Gefühle, Paris mit all dem königlichen Tun, mit der wunderbaren Vielheit von Aufgaben und Genüssen, Paris, in dem bald das ganze große vielgestaltige Frankreich, wie ein Leib in einem Hirne, da sein sollte. Und jetzt fiel Heinrich auch Henriette wieder ein, und er begann ihr zu schreiben.
Maries nunmehriger Zustand war Grund genug, ihr eine langsame und bequeme Reise nach der Hauptstadt nahezulegen. So brach Heinrich allein auf, und er erreichte Paris schneller als die Eilkuriere der Zeit, nämlich in sechs Tagen, und er begab sich nach kurzem Aufenthalte im Louvre nach Fontainebleau, wo weniger Augen auf ihn gerichtet waren, und dann nach dem Landsitze Verneuil.