Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierter Teil

XXXIV

Diese Erzählung hat mit einem Abschiede begonnen, mit dem von Gabriele, die im Jahreszeitenkreise Heinrichs der lange, gute Sommer gewesen war. Nun es gilt, den letzten Teil dieses Lebens zu erzählen, muß wieder ein Abschied zu Anfang stehen. Denn nicht nur ist alles Ausreifen und Sichneigen des Daseins Abschied, von am Wege bleibenden Freunden, von geschafftem Tun und unwissentlich von dem, was still und unwiderruflich aus Leib und Seele dem Tode voran fortgeht, – damit in der Späte noch etwas heiß und heftig geschehen könne, wird ihm Platz geschaffen. Und was noch an Wärme und an später Farbigkeit in der Lebenslandschaft ist, drängt sich zusammen um das eine, das noch kommen will, noch immer.

Wie auch alles mit Henriette gewesen und geworden sein mochte, sie war zehn Jahre lang die Geliebte gewesen, von ihr waren Heinrich die stärksten Erwartungen und Illusionen, Erregungen, Freuden und Bitternisse gekommen. Um ihretwillen hatte er sein Leben und sein Reich gefährdet, um sie war ihm die schale Ehe zu Essig und Galle geworden. Um sie hatte er schlimme Pakte mit der Wahrheit, der Gerechtigkeit und seiner eigenen Vernunft machen müssen. Er hatte sich damit abfinden lernen müssen, daß Henriette ihn betrog, daß ihre so lockende gescheite Lustigkeit nur allzuoft auf seine Kosten ging und daß es auch noch in den besten Zeiten um die Liebe zu ihm mehr denn zweifelhaft gestanden hatte. Er hatte sich abgefunden, hatte zehn Jahre lang immer wieder nach ihr verlangt, nach ihrem schönen, immer gewandteren, immer mehr um seine Zärtlichkeitsgeheimnisse wissenden Körper, nach ihrem Lachen und Lachenmachen. Die Auseinandersetzungen, Zwistigkeiten und Zerwürfnisse, wie schlimm und hoffnungslos sie manchmal auch gewesen sein mochten, hatte er allmählich so hinzunehmen gelernt, wie Maries Übellaunigkeit, die Gichtschmerzen nach zu viel Burgunderwein oder die Gräten beim Fisch. Er hatte ihr immer wieder zugute gerechnet, daß ihre Stellung schwierig genug, daß Marie eine böse Rivalin und schließlich er selber auch kein allzeit getreuer Liebhaber gewesen war. Was seine eigenen Liebschaften anging, so hatten die freilich kaum oder nur für eine kurze Weile seine Neigung zu Henriette beeinträchtigt. Es waren ihrer in den Jahren auch immer weniger geworden, sogar der munteren Mädchen, deren er früher oft etliche jede Woche wie Zuckerbrötchen verschmaust hatte. Und wenn ihm eine gefallen hatte, eine von Familie, hatte er längst nicht mehr den Aufwand an Gefühl, Poesie und Zahlungsbereitschaft aufgebracht, wie noch für die kleine Bueil, die zu ihrer runden Summe und dem Grafentitel immerhin noch ein von dem guten Malherbe »inspiriertes« Poem bekommen hatte. Auch mit dem Legitimieren der noch erschienenen Sprößlinge solcher kurzer Liebschaften war er weitaus vorsichtiger geworden. Die jungen Damen bekamen ihr Sümmchen, etwa noch ein Schmuckstück, und wurden verheiratet, wenn sich einer dazu fand, oder in einem guten Kloster geborgen, was sie ja schließlich nicht an ewige Keuschheit band. Der Liebschaften waren in der Tat weniger und weniger geworden, es kam kaum noch eine aufs Jahr, soweit überliefert ist – und es wäre überliefert, wenn deren mehr gewesen wären, denn Heinrich hielt es mit der Diskretion nicht anders als sonst die Edelleute seiner Zeit. Etwa wie der Guise, der einem Freunde von einer neuen Eroberung erzählte. Als Guise merkte, daß ein paar Tage später der Freund noch immer nichts davon weiter erzählt hatte, stellte er ihn mit den Worten: »Es scheint, daß Sie mich nicht mehr gern haben, sonst hätten Sie mein Abenteuer auch anderen berichtet.« Derselbe Guise hatte sich ungewöhnlich lange um eine Dame des Hofes bemühen müssen, so daß die ganze Hofgesellschaft schon über sein nicht erhörtes Werben lächelte. Als er endlich die erste Nacht mit der Dame verbrachte, begann er sich gegen Morgen unruhig im Bett hin und her zu werfen. Auf ihre Frage, ob ihm nicht wohl sei und was er denn habe, erwiderte er: »Ich möchte gerne schon aufgestanden sein, damit ich den anderen davon erzählen kann.« Ebenso also hielt es Heinrich mit seinen Abenteuern – man kann daher sicher sein, das kaum eines davon der Vergessenheit anheimgefallen ist. Henriette nun wußte die kleinen Zerknirschungen Heinrichs während und nach solchen Ausflügen seiner neugierigen Sinnlichkeit wohl auszunutzen. Da sie aber davon in keinem anderen Gefühl als etwa dem eitlen Selbstbewußtsein getroffen war, begnügte sie sich nach einer ihrem Prestige schuldigen Szene für gewöhnlich mit dem Lächerlichmachen der schnell aussterbenden jungen Rivalin oder mit höhnischen Ratschlägen, Heinrich möge mit seiner Manneskraft haushälterischer umgehen – und dann war alles wie vorher und immer: Spaß und Bitterkeit, wirr gemischt, so daß Heinrich niemals voraussehen konnte, wessen er gewärtig zu sein hatte. Hier war wohl der immer neue Reiz Henriettens für ihn, in dieser Unberechenbarkeit, die ihn nie zu Ruhe und Sicherheit kommen ließ, in dieser kleinen stetigen Gefährlichkeit, die wie Würfel- oder Kartenspiel war. Er kam unvermutet, sie lächelte und strahlte, alle kleinen Dinge rundum wurden ihr zu fröhlichen Geschichtchen, und die Stunden liefen fort wie der Wein aus dem Glase. Ein andermal rief sie ihn, er meldete sich an, kam und fand die Freundin so vieler Jahre, die Mutter seiner Kinder, fremder als alle Fremden. Ja, die Unsicherheit, das aprilhafte Spiel der Launen, das hätte wohl immer seinen Reiz behalten, wenn die schlechten Launen und die Fremdheiten nicht so vereisend gewesen wären, wenn ein winziges Bändchen von Vertrautheit auch dann noch zu spüren gewesen wäre, ein Inselchen der Gemeinschaft wenigstens an den Horizonten dieser ganz kalten Schlechtigkeit geschimmert hätte. Heinrich hatte gegen Vernunft, Stolz und Würde an Henriette festgehalten, war nach allen Zerwürfnissen, nach jedem bewiesenen Vertrauensbruch wiedergekommen und hatte sie in die Arme genommen, beinahe als ob nichts von all dem Harten und Schlechten wahr gewesen wäre. Aber dieses Beinahe wurde von Mal zu Mal stärker, das »Als-ob« angestrengter. Henriette fühlte sich des alten Liebhabers so völlig sicher, daß sie sich immer mehr gehen und, wenn ihr danach zumute war, ihn nur noch höhnischer ihre Gleichgültigkeit fühlen ließ. Sie hatte sich damit abgefunden, daß dieser Mann nun wohl für immer da sein würde, sie duldete ihn, weil er der König war und etwas Glanz von seiner Gloriole auch an sie abgab, von Zeit zu Zeit redete sie auch ganz gern mit ihm, denn er war ihr bestes und dankbarstes Publikum, aber sich von ihm in ihrer übrigen Lebenseinrichtung stören zu lassen, fiel ihr längst nicht mehr ein. War er mürrisch, so war er es eben. Drohte er mit einem Bruch, so mochte er drohen oder, wenn es ihm beliebte, auch wieder einmal beleidigt sein. Er würde schon wiederkommen, und alles würde immer so weitergehen, solange er lebte. Das muß verblümter oder deutlicher, je nach ihren Launen, in ihren Briefen ebenso zu lesen gewesen sein, wie in ihrem ganzen Verhalten zu Heinrich. Aus dem Jahre 1608 ist ein Stoß von Briefen Heinrichs an Henriette erhalten: es sind die letzten, die er an sie geschrieben hat. Liest man diese Brieffolge mehrmals, so vermeint man, zu ihren Zärtlichkeiten, ihren Berichten vom Taggange, ihren immer häufigeren Vorwürfen über Lieblosigkeit, die andere Stimme mitzuhören, die sehr biegsame, ein wenig scharfe und spitze Stimme einer Frau, in deren Wesen es sagt: ich habe nie wirklich gewollt und habe mehr als genug von dem allen! Wozu denn die Erregung? Du wirst schon wieder freundlich sein und wiederkommen!

Der drittletzte dieser Briefe lautet: »Sie haben sich in Ihrem Briefe getäuscht, denn Sie sagen, ich sei wohl Ihr liebes Herz, aber Sie seien nicht das meine. Ich habe Ihnen niemals etwas weggenommen, doch Sie haben mich alles dessen beraubt, wessen Sie konnten: das ist etwas, worauf es keine Antwort gibt. Strengen Sie Ihren Geist nicht an, eine zu suchen, es taugt mehr, zu schweigen, als etwas zu sagen, was nichts taugt. Was mich angeht, so liebe ich Sie so wert, daß ich mir selber nichts gelte. Ich schwöre es Ihnen, meine teure Liebe, aber denken Sie nicht, mich mit Steinen nähren zu können, nachdem Sie mir Brot gegeben hatten; überlegen Sie mein Alter, meinen Rang, meinen Geist und meine Neigung, und Sie werden tun, was Sie jetzt nicht tun. Leben Sie wohl, mein Alles, und eine Million Küsse.« In dem nächsten Briefe steht: »Ihre schönen Worte sind bei mir wohl aufgenommen, wenn ihnen die Taten vorangehen, aber wenn sie nur da sind, um Ihre Verfehlungen zu decken, so nehme ich sie als betrügerisch auf ... Seit langem war ich nicht so übel erbaut von Ihnen, wie ich es jetzt bin; ich glaube aber, daß Sie sich darum nicht scheren ...« Und dann noch ein Brief: »Nicht Trägheit ist es, die Sie ohne Nachrichten von mir läßt, sondern der Glaube, den fünf Jahre mir wie mit Gewalt eingeprägt haben: daß Sie mich nicht lieben. Ihre Taten sind während dieser Zeit so sehr das Gegenteil Ihrer Worte und Briefe und – sagen wir noch mehr – der Liebe gewesen, die Sie mir schulden, daß endlich Ihre Undankbarkeit meine Leidenschaft erdrückt hat, die länger widerstanden hat, als die irgendeines anderen es gekonnt hätte. Wenn Sie sich zurückerinnern, wieviel Kümmernisse ich davongetragen habe, müssen Sie darüber Bedauern empfinden, sofern Ihnen auch nur ein wenig Zuneigung geblieben ist. Ich habe eines mit Gott gemeinsam, daß ich nur die Bekehrung, nicht den Tod verlange. An Ihnen liegt es, klar und deutlich« (im Original »französisch«) »darüber zu sprechen, was ich stets sehr gerne hören werde, da das die Sprache meiner Vorliebe ist. Wenn Sie den Teufel im Leibe haben, bleiben Sie, wo Sie sind; wenn Sie aber von irgendeinem guten Teufel besessen sind, kommen Sie nach Marcoussis, wo man einander näher ist und die Taten sich besser erkennen lassen.«

Dieser Brief ist der letzte, den Heinrich an Henriette gerichtet hat. Sie mochte ihn aufgenommen haben, wie viele ähnliche andere, mit einem Achselzucken und einem Verziehen ihres hübschen Mundes – und auf den zweifellos nicht lange ausbleibenden nächsten Brief gewartet haben. Die Annahme liegt nahe, daß Heinrich, wie so oft früher, zu Henriette zurückgekehrt wäre, wenn nicht geschehen wäre, was geschehen ist. Doch solche Vermutung ist nicht unsere. Wir glauben vielmehr, daß dieses nun angekündigte Geschehnis sich hätte gar nicht so ereignen können, wenn dieser Brief nicht wirklich ein Abschied gewesen wäre.

Wir wissen, daß Heinrich die Geliebte so vieler Jahre noch manche Male zufällig in Gesellschaften gesehen hat und dann und wann mit ihr zusammengetroffen ist, um über die Kinder und die Vermögensdinge sich zu besprechen. Es sind auch noch ein paar spaßig-bösartige Aussprüche Henriettens über die nachherigen Ereignisse im Leben des Königs erhalten. Wir wissen aber auch, daß Heinrich Henriette ohne Empfindsamkeit wiedergesehen hat und mit keinem Wort mehr an das Gewesene gerührt hat, das zehn Jahre seines Lebens herbstlich durchglüht und durchstürmt hat. Von Henriette, von der auch wir nun Abschied nehmen, wird aus späterer Zeit wenig mehr berichtet. Sie wurde mehr und mehr von den Freuden der Liebe zu denen der Tafel hingezogen und am Ende ungeheuerlich fett, so daß sie kaum mehr ihr Haus verließ und immer weniger Menschen sah, die noch hätten von ihr berichten können.


 << zurück weiter >>