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Heinrich IV.
Privatbesitz

Einleitung

Im Jahre 1599, bei dem dieses Buch zu erzählen anfängt, war Heinrich IV. sechsundvierzig Jahre alt. Er war zehn Jahre zuvor von dem Letzten des Hauses Valois, Heinrich III., zum Erben der französischen Königskrone ausersehen worden. Dies war in einem Feldlager geschehen, denn der letzte Sohn der Katharina von Medici war in der Belagerung seiner Hauptstadt Paris begriffen gewesen, als ihn das Messer des verhetzten Mönches Clément getroffen und er sterbend den bourbonischen Vetter von Navarra zu seinem Nachfolger ernannt hatte. Diese Nachfolge, die Heinrich IV. aus den Händen des erkaltenden Liebhabers hübscher Jünglinge und traurigen Muttersöhnchens der Katharina empfing, war nicht viel mehr als die Erbschaft eines von aller Welt in Frage gestellten Rechtsanspruches und Titels gewesen, um den es weit mächtigere Bewerber gab. Selbst das wichtigste Zubehör dieser Erbschaft, das Belagerungsheer vor der abtrünnigen Hauptstadt des in vielfachem Aufruhr entbrannten Landes, war nur zum Teil zu dem neuen Könige übergegangen. Heinrich, der sich damals selber den König ohne Krone, den Feldherrn ohne Geld und den Gatten ohne Frau genannt hatte, hatte dieses schwere Erbe angetreten. Es hatte Krieg geheißen, Krieg gegen die gewaltige Liga, der die meisten Katholiken Frankreichs sich angeschlossen hatten, Krieg gegen die damals noch unerschöpflich scheinenden spanischen Goldströme, gegen Kirchenbann und Papstwillen. Aber Heinrich hatte fast von Kindheit an Krieg geführt. Und was den Herrn von Navarra und Béarn, von dem es am Hofe der Katharina von Medici geheißen hatte, seine Nase sei größer als sein Königreich, und das Haupt der Reformierten Frankreichs nicht geschreckt hatte, sollte nun den kriegserfahrenen und vielgewandten gereiften Mann schrecken, da es um solchen Einsatz ging, um Krone und Reich des heiligen Ludwig für das Haus Bourbon?!

Diese Jahre dann, voll von Kämpfen und Listen, von schrittweisen Bodengewinnen, teuer erkauften Anhängern, dem Übertritt zum Katholizismus, der Einnahme von Paris durch List und dem allmählichen Wirklichwerden dieses Königtums, hätten den Erzähler wohl zum Berichte verlocken können. Aber dann hätte diese ganze Henriade neu erzählt werden müssen von den Anfängen an, da der Sohn dieses unbedeutenden geckenhaften Anton von Vendôme und der tapferen Johanna aus dem Hause Albret (in dem generationenlang schon die Frauen klug und führerhaft gewesen waren) noch der bloßfüßige, barhäuptige südländische Junge gewesen war, der vom Großvater wie ein Hirtenjunge gehalten und mit Schwarzbrot und Knoblauch genährt wurde. Von jener Zeit also, da das Haus Valois noch in Söhnen und Töchtern blühte und keiner daran hätte denken können, daß Heinrich von Navarra je auf den Thron Frankreichs gelangen würde, auf den in diesen Jahren noch siebzehn Anwärter nähere Rechte hatten als er. Ja, es hätte für etliche Bände vom Umfange dieses unsrigen zu erzählen gegeben, wäre man der Lockung gefolgt, dieses ganze Leben Heinrichs IV. aufzuzeichnen und das riesige Material nach unserer heutigen Art von Tatsachenbetrachtung und vor allem von Menschenverständnis zu sichten und zu deuten. Aber weil der Darsteller dieses Stückes Lebensgeschichte um des Menschen willen zum Geschichtserzählen kam, mußte er den (ihm zwar von Anfang bis zum Ende interessanten) Menschen Heinrich doch dort zu fassen suchen, wo er am deutlichsten, am wesenhaftesten und am stärksten zugleich als Mensch und als historische Figur sichtbar wird. So hieß es nach Geschmack und Gaben das Unternehmen vorerst einschränken (immer mit einer kleinen Hoffnung, daß es vom Schicksal gewährt sein möge, später einmal Heinrichs Jugendgeschichte und die Epopöe seines abenteuerreichen Aufstieges zu erzählen). Dem vom Verfasser öfters ausgesprochenen Glauben, daß ein jedes Menschenwesen sein ihm gemäßestes Lebensalter habe, stellt sich Heinrich immer wieder als das Bild dar, das das französische Gefühl von ihm liebend bewahrt: als der gereifte Mann, der – maßlos im Tun wie im Genießen – früh ergraut, doch bis zuletzt als der große König im weißen Barte, der Mann, der Vater, zeushaft kraftvoll und listig bleibt, und der im Großen wie im Schwachen sich schon in dem früh reifenden Jünglinge angekündigt hatte.

Heinrich IV.
Quelle: Wikipedia

Solcher Betrachtungsweise aber, die diesen Menschen in der ihn am meisten ausdrückenden Zeitspanne darstellen möchte, wies sich dieses Jahr 1599 als ein so gewaltiger schicksalhafter Einschnitt im Leben dieses königlichen Mannes, daß unser Stück Geschichte natürlich hier anzuheben hat. Dem Zeitpunkte unseres Anfangs ist das Jahr vorangegangen, in dem Heinrichs – und Frankreichs – größter und furchtbarster Gegner, Philipp II. von Spanien, starb und sein ungeheures, doch zerrüttetes Reich einem unfähigen Erben ließ, und das Jahr 1598, da Heinrich zum ersten bedeutsamen Friedensschlusse seit Jahrzehnten, dem von Vervins, gelangte und das erste große Toleranzedikt der neueren Geschichte erlassen konnte, das von Nantes, das – nicht viele Jahrzehnte nach jenem deutschen »Cujus regio, illius religio« – einen neuen Geist am Ende dieses von Religionskämpfen zerfleischten Jahrhunderts wirkend zeigt. Von dieser Zeit an datiert die Geschichtsschreibung das große Aufbauwerk des nunmehr in seiner Königsmacht gefestigten Heinrich, dieses Werk, um dessentwillen im französischen Volke eine sehnsuchtsvolle Zärtlichkeit für den Bon Henri weiterlebt, ein Gefühl von einem allzu kurzen goldenen Zeitalter, in dem es einmal ums »Volk« gegangen sei. Schließlich fiel in eben dieses Jahr 1599, das wir uns als Anfang gesetzt haben, ein für Heinrichs männlich-menschliches Leben höchst bedeutsames Ereignis, das zu nennen wir jedoch dem ersten Kapitel unserer Geschichte vorbehalten.

Ehe wir den ein wenig schwermütigen Bericht von diesen nicht sehr vielen Jahren Lebens beginnen, die der sechsundvierzigjährige Heinrich noch in dem sehr geliebten Lebenslichte gehen durfte, meinen wir den Leser recht vorzubereiten, wenn wir ihm das Äußere dieses Mannes so andeuten, wie es in den vielen aufgezeichneten Erinnerungen an ihn dargestellt ist.

Heinrich IV. war von mittlerer Größe, hatte einen wohlgebildeten, muskulösen Körper, der dank den vielen soldatisch verbrachten Jahren und seiner bis zuletzt nicht nachlassenden Leidenschaft für die Jagd und die edelmännischen Spiele des Ringelstechens und Ballwerfens, trotz der zeitüblichen pantagruelischen Unmäßigkeit in Essen und Trinken, nie seine sehnige Schlankheit verlor. Sein Kopf wird als etwas zu groß im Verhältnis zum Körper geschildert. Er war blond, ergraute aber früh, und sein Bart war gegen die Jahrhundertwende schon weiß. Heinrich hatte eher kleine blaue Augen, deren Ausdruck oft wechselte, und die meist ein wenig gekniffen waren, wie die von Menschen, die viel im Freien gelebt haben. Die Nase war groß, stark gebogen, der Mund, durch den Bart ein wenig verdeckt, war breit, starklippig, ein sinnlicher, gutgeschwungener Mund, der gern lachte, öfter auf eine undurchsichtige Weise lächelte, wie überhaupt dem südlich-beweglichen Mienenspiel dieses Gesichtes nachgesagt wird, daß es, außer in den stärksten, aber stets schnell unterdrückten Affekten, oft etwas Unerratbares gehabt habe. Schön war die große, gewölbte, furchige Stirn, die aus dem zum Verstecken neigenden bärtigen Gesicht mit den breiten Backenknochen und den hageren Wangen hoch und kühn hervortrat. Heinrichs Bewegungen waren rasch, gewandt, ins Gespräch mit Freunden und Frauen mischten sich oft die Hände mit ausdrucksvollen südländischen Gebärden. Wo es nicht um Prunk und Repräsentieren ging, war seine Kleidung – auch als er schon mehr als ein Wams und ein Hemd zu eigen hatte, wie damals, zu Anfang seines Königtums –, mehr als einfach, zur Vernachlässigung neigend, wozu ihn die spartanisch-großväterliche Erziehung wie die Jahrzehnte des Lebens in Feldlagern gleicherweise stimmten. Das mag als eine einleitende Umrißzeichnung genügen.

Nachdem solcherart der Held eingeführt und der Zeitpunkt genannt ist, an dem diese Geschichte anhebt, wäre hier wohl der Platz gewesen, etwas über den menschheitsgeschichtlichen Schauplatz, über Lebensart und Umstände, Denkweisen und alles sonst, was einer Zeit ihr Gepräge gibt, soviel auszusagen, daß der Leser sich bewußt wäre, wohin er sich begibt, wenn er das erste Kapitel zu lesen beginnt. Hätte aber der Verfasser solches ausführen wollen, so wäre er genötigt gewesen, ein gut Teil seines Buches in die Einleitung zu setzen, und – was gleicherweise gegen seinen Erzählerwillen gegangen wäre – er hätte abstrakt und allgemein vorwegnehmen müssen, was doch erst mit seinem Helden zusammen Zeitgestalt werden soll. So sei es an diesen einleitenden Worten genug, und unser Stück Lebensgeschichte mag ihr Erzählen anheben von der Fröhlichkeit und Kraft, der Klugheit und Torheit eines hohen Männerdaseins.


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