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Gabriele war wieder schwanger, zum vierten Male. Heinrich, ein Krieger und Jäger nach seiner Natur, in dem die Zeugungsfreudigkeit der vielen Todeserfahrung die Waage hielt, sah, fröhlicher Erwartung voll, dem Menschwerden dieser neuen Frucht seiner Lenden entgegen, die ihm Gabriele, sein »schöner Engel« genannt, schenken sollte. Er trennte sich in solcher Zeit ungern von der Geliebten, die ihm in den hochbewegten Jahren immer schöner und lieber geworden war. Aber obgleich mancherlei Pläne in dem Könige umgingen und zu ihrer Verwirklichung Ernsthaftes ins Werk gesetzt worden war, Gabriele d'Estrées war, mochte er sie auch zur Herzogin gemacht und bei den feierlichsten Anlässen öffentlich an seiner Seite gehabt haben, doch nur die Geliebte, nur seine Buhlerin vor Gott sowohl, wie vor dem inneren Herzen der Menschen, über das sein königlicher Wille nicht Macht hatte. Daß er an Gott glaubte, ist sicher, wenngleich dieser Glaube von der Art gewesen sein mag, die das Scherzwort eines Zeitgenossen bezeichnet, der auf die Behauptung eines der Getreuen der Liga, Heinrich habe keinen Glauben, erwidert hatte: »Wie, keinen Glauben? Er hat mehr als andere, nämlich zwei, da er ja Katholik und Hugenott zugleich ist!« Mochte es also auch um seine unbezweifelbare Religiosität in ihm so aussehen, daß weder der Papst noch die kalvinischen Genfer Eiferer daran ihre reine Freude gehabt hätten: seit Heinrich sich vor bald sechs Jahren zum dritten Male und nun endgültig zum Katholizismus bekannt hatte, war er entschlossen, nach Fug und Brauch sich an die Kirche zu halten.
Es kam jetzt die österliche Zeit heran, und mit ihr standen die geistlichen Exerzitien bevor. So unlieb es Heinrich auch war, Gabriele in ihrem fortgeschrittenen Zustande von sich zu lassen: angesichts Gottes, mit dem er nun Zwiesprache zu halten hatte, und der Menschen, die ihn dabei sehen würden, war diese kurze Trennung unerläßlich. Mochte es die letzte sein, die ihm aus solchem Grunde auferlegt war! Heinrich beschloß, für diese Tage in Fontainebleau zu bleiben und Gabriele nach Paris zu schicken, damit sie dort ihre österliche Andacht halte und die Sakramente empfange. Er begleitete die Geliebte in ihrer Sänfte bis zu dem Schiffe, das sie in unterhaltlichster Gesellschaft in die Hauptstadt bringen sollte. Aber hier brach die sanfte blonde Gabriele in ein haltloses Weinen aus, hing sich immer wieder an den Hals des Königs und trug ihm schluchzend die Sorge für ihre Kinder auf. So sehr sie auch an kürzere und längere Trennungen von Heinrich gewöhnt sein mußte und so wenig sie sonst sich vor den Augen der Welt in ihren Gefühlsäußerungen gehen ließ (wie ihr königlicher Geliebter, der sich durch keines Menschen Gegenwart davon abhalten ließ, sie zu herzen und zu küssen, wann immer ihm danach zumute war), so wollte sie diesmal sich gar nicht in die kurze Trennung schicken und betrat das Schiff erst, als Heinrich sie dazu drängte.
Daß Heinrich diesem zu erwartenden Kinde mit so starkem Gefühle entgegensah, hatte noch seinen besonderen Grund. Es war einige Zeit zuvor ein Leiden, das sich in geringerem Maße des öfteren schon in den letzten Jahren gezeigt hatte, recht peinigend bei ihm aufgetreten. Wenn wir die früheren und späteren Berichte darüber vergleichen, wird es wahrscheinlich, daß diese oftmalige, immer als neu bezeichnete Erkrankung eine und dieselbe Folge eines seiner vielen flüchtigen Liebesabenteuer gewesen sei. Letzthin nun hatte ein Arzt, wohl ein wenig von Gabriele beeinflußt, verlauten lassen, es sei nicht ausgeschlossen, daß diese »Unbequemlichkeit« den König fürderhin daran behindern möchte, noch Kinder zu haben. Diese Drohung, die Heinrich bis in die Lebensmitte traf, wurde zwar hernach durch einen glücklichen kleinen Eingriff abgewandt. In diesen Monaten aber hing sie verdüsternd über dem Könige, dessen Gefühl Umarmen und Zeugen als eins empfand. Und über die Schwermut seines Leibes hinaus ging diese Gefährdung den Herrscher an, der er nun schon ganz geworden war, den Ersten des Hauses Bourbon, der die Krone Frankreichs trug und sie weitergeben wollte an ein stolzes, starkes Geschlecht, damit es sie weitertrage in die undurchforschbaren Fernen vieler Zukunft hinein. Wie, dachte er dann oft, und Gabriele half ihm zu diesen Gedankengängen, wie, wenn er wahrhaftig keinen Erben seines Thrones und keine königlichen Prinzen mehr sollte zeugen können, wäre es dann nicht doch noch das Beste, sich an die schon vorhandenen Kinder Gabrielens zu halten, für die er ja manches getan hatte, und sie samt ihrer Mutter vor der Welt dorthin zu stellen, wo sie seinem Herzen nach bereits standen? Er liebte Gabriele, er begehrte sie immer neu, und sie wurde ihm von Jahr zu Jahr schöner. Ihre närrische Leidenschaft für den Herzog von Bellegarde, die weit in die Zeit mit Heinrich hineingereicht und ihm viel Zürnen und schmerzlich eifersüchtige Händel bereitet hatte, war längst erloschen. Sie lebten fast schon wie ein Ehepaar. Warum also nicht Gabriele, die, wieviel Klatsch auch rechtens um ihren Anhang ging, doch aus gutem französischem Adelsstamme war? Ja, die d'Estrées und Sourdis hatten allesamt damals die Kleine mitverkuppelt und saftigen Nutzen daraus gezogen – aber wer hätte das nicht getan unter all den Klatschmäulern, hätte er eine junge Anverwandte ins Bett des Königs bringen können? Mit den zu gewärtigenden Widerständen unter den Prinzen von Geblüt oder von Seiten der Regierungskörperschaften zu rechnen, schien Heinrich wenig wichtig. Mit Widerständen von jeglichem Ausmaße im eigenen Lande fertig zu werden, hatte er in diesen zehn Jahren wahrlich gelernt! Aber es gab ein Hindernis anderer Art, das hinwegzuräumen nicht in seiner Macht stand: er war verheiratet gewesen und war es nach dem Gesetze noch, obgleich diese Ehe schon beinahe zwei Jahrzehnte lang nur noch ein Wort war, das weder Margarethe noch ihn weiter belastete, noch ihnen beiden das Gefühl völliger Freiheit beeinträchtigt hätte. Die Tatsache dieser Ehe selber wäre Heinrich wohl für immer längere Zeiträume schon aus seinem so gegenwartsgeneigten Sinne geschwunden, wären ihre Anfänge nicht so ungeheuerlich gewesen und seine Hochzeit mit Margarethe von Valois nicht zu der Bluthochzeit und Bartholomäusnacht geworden. Die hübsche, kluge, zu allen schönen Spielen des Geistes und des Leibes begabte Margarethe, von der ihr Bruder, König Karl IX., damals gesagt hatte, wenn er seine Schwester Margot dem Prinzen von Navarra gäbe, gäbe er sie zugleich allen Hugenotten des Königreiches, war aus Eigenem wie unter der Führung der tragischen Matriarchin Katharina von Medici, ihrer Mutter, allmählich aus Heinrichs Leben fortgewachsen, seitdem er damals vom Pariser Hofe entflohen war. Sie hatte ihm kein Kind geboren und hatte selber von der Ehe mit dem Ketzer nicht viel mehr Freude erfahren als der Gatte, den sie, knapp am Tode vorbei, in die Gefangenschaft am Valoishofe gebracht hatte. Nach Schmach und Fährnissen jener Zeit voll Katharinas harter Familienpolitik, war Margarethe dann als Gefangene in das Schloß in der Auvergne gekommen, wo sie seither lebte und allmählich einen kleinen, wild verschuldeten Liebeshof geschaffen hatte, an dem sie es, nun bald fünfzig Jahre alt, weitertrieb, wie einst im Louvre oder in der Béarner Hofhaltung, nur daß sie seit dem Tod der Mutter beinahe unpolitisch geworden war. Aber sie lebte und war vor Kirche und Gesetz Heinrichs Gemahlin, und sie wußte, daß sie es so lange bleiben könne, bis sie selber es recht oder vorteilhaft fände, es nicht mehr sein zu wollen. Botschaften und Briefe von Seiten des Königs waren an sie ergangen, Bitten und Anerbietungen, in die Scheidung zu willigen. Aber, wie sie es auch sonst mit der Lebenswürde und dem Begriff von Hoheit gehalten haben mochte, sie war ein letztes Reis des Hauses Valois, das in 261 Jahren Frankreich dreizehn Könige gegeben hatte. Und der gutmütig verspottete kleine König Heinrich von einst, von dessen Navarra die Spanier längst schon nur noch den Streifen Nieder-Navarra übrig gelassen hatten, war dem Gefühl der Valois-Tochter ein anderer geworden, seit er die Krone des heiligen Ludwig trug. Mochte er buhlen und seine Bastarde mit Herzogtümern und Titeln schmücken – Prinzen von Geblüt sollten sie nicht werden, so lange sie, Margarethe von Valois, es verhindern konnte! Und mochte die kleine d'Estrées, die jetzt von Bettesgnaden die Herzogin von Beaufort hieß, auch an des Königs Seite fahren und tafeln, und mochten sogar Prinzessinnen von Geblüt sich so weit erniedrigen, ihr bei Festmählern Waschbecken und Handtuch zu reichen – sie, Tochter Heinrichs II. und Schwester dreier Könige, würde sich nicht dazu hergeben, das Bettschätzchen Heinrichs IV. Königin von Frankreich werden zu lassen. Margarethe war nicht einmal empört, sie schrieb Gabrielen sogar gelegentlich hübsche Briefe, und sie hatte gelacht, als man ihr die allerorten umlaufende Geschichte erzählte, daß Heinrichs Liebling, Caesar, Gabrielens Erstgeborener, dem der König seines eigenen Vaters Titel und Herrschaft von Vendôme verliehen hatte, des hübschen Bellegarde Sohn sei. Und daß Heinrich das geahnt haben müsse, sonst hätte er sichs nicht im letzten Augenblicke doch noch überlegt, dem Kinde den Namen Alexander zu geben, den er ihm zugedacht hatte; denn Bellegarde hatte die Würde des Großstallmeisters – des Grand-Écuyer inne, der in der Hofsprache schlechthin Le Grand hieß, was den König befürchten ließ, man würde diesen angezweifelten Sohn künftig Alexandre le Grand nennen. Margarethe hatte zuerst aufs Bestimmteste abgelehnt, in eine Scheidung zu willigen; und sie hatte erst dann – um sichs mit dem Könige nicht zu verderben, eine Art Vollmacht aus der Hand gegeben, als es ihr sicher schien, daß der Papst trotzdem Nein sagen würde. Nun hatte Heinrich die Hoffnung, den Papst zu einer Annullierung der längst nicht mehr bestehenden Ehe zu bestimmen. Wäre es um Andere gegangen, so hätte Heinrichs Wort in Rom, ebenso wie beim Klerus oder den Parlamentsgerichtshöfen Frankreichs, dazu hingereicht, wie etwa damals, als über seinen Auftrag die neunzehnjährige Gabriele mit dem bankerotten Edelmann Liancourt verheiratet und diese Scheinehe baldigst auf Heinrichs Wunsch aufgelöst wurde, wegen Impotenz dieses Liancourt, der doch aus erster Ehe elf, nach anderen Berichten sogar vierzehn Kinder gehabt hatte.
Demütige und flehende Briefe waren, den gewandtesten und in Rom bestgelittenen Gesandten anvertraut, an den Papst abgegangen, und manche Vorteile waren der Kurie in Aussicht gestellt worden, um den Widerstand des Oberhauptes der Christenheit gegen solche Legitimierung eines Ehebruches und seiner Früchte zu überwinden. Heinrich rechnete nun mit einem so baldigen Erfolg seiner Bemühungen, daß er Gabrielen gegenüber von einer gewiß nur noch kurzen Dauer der Wartezeit hatte sprechen können. Es waren auch bereits allerlei Vorbereitungen für eine nahe Eheschließung im Gange, und Gabriele hatte mit stolzer Sicherheit ausgesprochen, daß nur noch Gott oder der Tod sie verhindern könnten, Königin von Frankreich zu werden. Zu dieser Sicherheit stand der nicht enden wollende, jammervolle Abschied von Heinrich dann in seltsamsten Gegensatz, als Gabriele sich jetzt auf den Weg nach Paris machen sollte, um dort ihre österlichen Exerzitien abzuhalten.
Wo es um die Hochgestellten und Mächtigen der Erde geht, fehlt es bis in unsere Tage nicht an Leuten, die allerlei Vorkommnisse der Welt, wie in den Tagen des Mythos, Homers und noch Virgils, Vogelflug, Opferrauch, Unwetter, Erdbeben und Sternzeichen, als Vorbedeutungen und Ankündigungen auf Ereignisse im Leben solcher über die namenlosen Massen Stehenden ansehen möchten. Wenn wir den ersten Historiographen Heinrichs IV., Perefixe, lesen, der ein hochgelehrter Bischof war, so finden wir, wenn auch an die Art der damals neu wirkenden antiken Historiker und Dichter angelehnt, mannigfache Bezüge zwischen allerlei Zeichen des Himmels und der Erde und dem Leben Heinrichs und etlicher seiner bedeutendsten Zeitgenossen hergestellt. Der vielbelesene Protestant l'Estoile, dessen Tagebücher ein Glücksfall ohnegleichen für die Kenntnis jenes uns fern gerückten Zeitalters sind, führt immer wieder solche geheimnisvolle Verbindungen zwischen Ereignissen und Personen auf. Ihm, den wir oft zu nennen haben werden, ist der nachfolgende kurze Bericht entnommen, der dort als eine Begründung für Gabrielens übergroßen Schmerz bei diesem Abschiede angeführt wird: »Etliche Tage zuvor hatten der König und sie (Gabriele), da sie zusammen lagen, je einen höchst bemerkenswerten Traum im Hinblick auf das, was seitdem geschah, welche Träume sich einer auf den anderen bezogen. Es geschah, daß die genannte Herzogin träumte, sie sähe ein großes Feuer, welches sie ergriff und was sie nicht hindern konnte, worauf sie aus dem Schlafe mit großem Entsetzen auffuhr. Und sie wollte auch den König aufwecken, der von der Jagd müde war und ihr sagte, sie möge ihn lassen, was sie denn auch tat und sich ganz sachte von seiner Seite erhob und fortging in ihr Kleiderzimmer, um sich bei einer ihrer Kammerfrauen auszuweinen, die sie recht liebte. Als sie darauf sich wieder zu Seiner Majestät gelegt hatte, träumte dem Könige, daß er sie sterben sähe, und er wachte auf und erzählte ihr seinen Traum, und sie erzählte den ihrigen dem Könige. Lange Zeit zuvor schon war sie von Nekromanten überzeugt worden, daß sie nicht lange leben werde, und sie war oft abseits gegangen, um zu weinen. Einer unter jenen hatte ihr gesagt: daß sie mit der Spitze ihres Fingers an die Erfüllung ihres Planes rühren würde, doch daß ein kleines Kind sie daran hindern würde, dahin zu gelangen. Das betrübte sie bis in die Tiefe ihres Herzens, denn all ihr Wunsch war, wenigstens als Königin von Frankreich zu sterben.«
Es ist nicht berichtet, wie Heinrich diesen Gründonnerstag und Karfreitag verbracht hat, noch ob dieser Traum ihm Besorgnisse eingeflößt hat. Mit solchen Zeichen und Vorbedeutungen hielt er es auf eine wunderliche Weise, indem er sich über nicht wenige unter ihnen herzlich lustig machte, während er andere, die gleich glaubhaft oder unglaubhaft waren, beinahe ernst nahm. Wobei es ihm jedoch geschehen zu sein scheint, daß er etliche solcher als Schicksalsbotschaften ihm dargebrachte Warnungen gerade dann mißachtete, wenn die Folge erwies, daß auf sie zu hören, zu seinem Heile gewesen wäre. Dazu mag hier schon angemerkt werden, daß Heinrich, wie tief klug er auch war und wie sehr er die neu heraufkommende Vernünftigkeit seines Zeitalters liebte und mit seinem religiösen Gefühle in Einklang zu bringen verstand, etwas Naturhaft-Unvernünftiges in seinem Wesen hatte, das sich jeder Voraussicht entzog und das wohl mit zu seiner Kraft gehörte und seinen großen Reiz und seine Gefährlichkeit ausmachte.
Es ist anzunehmen, daß Heinrich auch in diesen Tagen zwischen den Bemühungen um Gebets-Innigkeit und christkatholische Frömmigkeit so an Gabriele gedacht hat, wie er ihrer in all den Jahren gedachte, seit er damals, noch der Condottiere seines vielbefehdeten Königtums, in das nur allzu gastfreie Haus der d'Estrées gekommen war. Ein ganzer langer Frühling mit aprilenen Schauern und mailicher Lebenssüße und ein üppiger Frühsommer blühen aus den vielen, vielen verliebten, schmollenden, bettelnden und immer neu verzauberten Briefen, die Heinrich an Gabriele geschrieben hat, oft deren mehrere an einem Tage. Wenn auch das noch heute lebende kleine Lied »Charmante Gabrielle ...«, das Heinrichs Namen trägt, von ihm, wie er selber sagte, nur »diktiert« gewesen ist und in Wahrheit von Malherbe stammte, es bedarf weder dieses noch anderer kleiner, ihm halb zugeschriebener Poeme, um in dieser Liebe des Mannes auf der Lebenshöhe zu dem schönen jungen Wesen so viel Poesie zu finden, als man nur immer suchen mag. Gabriele hatte in Heinrichs Gefühlen eine, wie man zu sagen pflegt, »würdigere« Vorgängerin gehabt: die Gräfin von Grammont, durch Herkunft und Ehe den beiden größten Häusern von Heinrichs Heimatsprovinzen Navarra und Béarn angehörig. Sie war durch sieben Jahre, voll Krieg und immer längerer Trennungen und immer mehr verliebter Abenteuer, Heinrich erst die um ihrer exzentrischen Klugheit und ihres sicheren Geschmacks willen bewunderte Geliebte gewesen, dazu die getreue Helferin seines Aufstieges, die zuverlässige Ratgeberin, ja, sie hatte aus eigenen Mitteln Truppen für ihn ausgehoben. Für die Größe von Heinrichs Liebe zu ihr wird angeführt, daß er nach siegreicher Schlacht einen weiten Weg zu ihr geeilt sei und ihr die Trophäen seines Sieges zu Füßen gelegt habe, anstatt den geschlagenen Feind zu verfolgen und die flüchtende Armee völlig zu vernichten. Die Heinrich diesen Minnedienst in solcher Stunde zu schwerem Vorwurf machten, bedachten freilich nicht, daß dieser verliebte Ritt zu seiner Corisande, wie er die Gräfin Grammont zu nennen pflegte, ihm ein willkommener Vorwand hätte sein können, den Sieg über den König von Frankreich, mit dem er sich ja doch eines Tages würde verständigen müssen, nicht über die Maßen auszunützen. Corisande also, die in den sieben Jahren von der wirklichen Geliebten immer mehr zur Adressatin vieler Beteuerungen und treueschwörender und herzensverlegener Briefe geworden war, hatte zu ihren großen Verdiensten um Heinrich beträchtliche Nachteile: daß er immer länger fern von ihr lebte und daß sie ein gut Stück älter war als er. Heinrich, der als Dreizehnjähriger schon für achtzehn gehalten worden war, und in dessen Leben es viele, viele Frauen gegeben hatte, war an die Vierzig gewesen, da Gabriele völlig Corisandes Platz eingenommen hatte, ein vierzigjähriger Südländer, nicht ausgebrannt etwa, aber doch schon dort, wo das Entzücken an der Jugend ein beträchtlich Teil der Liebe wird. Es war etwas vom Patriarchen oder Kalifen in ihm, etwas Biblisch-Mittelländisches in seinem Gefühl für Frauen: er hätte nun schon keine mehr verlassen, die er geliebt hatte, sofern sie fruchtbar gewesen war. Aber Liebe und Jugend gehörten zusammen, und neue Jugend hätte den Liebesplatz erfüllt. Wäre es nach ihm gegangen, so hätte sich Altes und Neues herrlich miteinander vertragen. Er war stets tief erstaunt, wenn eine Geliebte eifersüchtig oder verdrossen über eines seiner Abenteuer war. Deren hatte es auch in Gabrielens Zeiten dann und wann gegeben, dennoch war die blonde, blauäugige Gabriele mit ihrer sanften Fröhlichkeit die Geliebteste unter den Geliebten geworden, und nun war Heinrich bereit, gegen den Willen von Volk und Adel, von Freunden und von allen, denen Größe und Ehre des Königtums am Herzen lagen, Gabriele zur Königin von Frankreich zu machen.
Gabriele war in Paris im Hause Zamets abgestiegen, eines ungeheuer reichen Mannes, dessen Namen man in der kleinen Geschichte der Zeit immer wieder begegnet. Dieser Zamet war italienischer – toskanischer – Herkunft, soll Sänger gewesen und, wie viele Toskaner, zur Zeit Katharinas von Medici nach Paris gekommen sein. Er hatte sich dort allmählich außer dem ungeheuren Vermögen eine gesellschaftliche und auch sonstige Machtstellung erworben, hatte den König zum Freunde und die Prinzen und großen Herren jeden Augenblick zu Gast, und zu ihm kamen die fremden Fürstlichkeiten und Gesandten alle, die Paris in dieser Zeit sah. Gabriele aß also bei Zamet, hörte dann die Gründonnerstagsandacht in der kleinen Sankt-Antonius-Kirche und erging sich hernach in Zamets Garten. Hier brach sie ganz plötzlich zusammen. Aus Ohnmacht und Krämpfen erwachend, verlangte sie, in das Haus ihrer Tante Sourdis gebracht zu werden. Und da fingen die qualvollen Krämpfe abermals an, überdauerten die Geburt des toten Kindes, und jede Pause brachte elendere Schwäche. Das schöne Gesicht verzerrte sich immer grausiger, und als das Herz endlich einhielt, war es, als ob der letzte Krampf in dem Körper und dem völlig entstellten Gesicht wohnen geblieben wäre.
Am Karfreitage noch waren Boten an den König nach Fontainebleau gesandt worden, die ihm die schwere Erkrankung der Geliebten meldeten. Gabriele habe immer wieder nach ihm geschrieen, erfuhr er; so machte er sich auf nach Paris. Doch auf halbem Wege kamen ihm Freunde entgegen, die ihn beschworen, sich nicht das Bild der unrettbar Verlorenen durch die schaurige Entstellung des nicht mehr erkennbaren Gesichtes zerstören zu lassen. Da sie wohl befürchteten, Heinrich möchte ihr und den Kindern zuliebe den Spruch des Papstes vorwegnehmen und sich mit der Sterbenden trauen lassen, drangen sie so inständig in den König, daß er sich endlich umstimmen ließ und nach Fontainebleau zurückkehrte. Von Gabrielens Schreien nach ihm wurde ihm hernach nichts mehr erzählt, nur daß sie anderen Morgens gestorben sei; die Leicheneröffnung, die vorgenommen wurde, da das Gerücht von Vergiftung sich schnell verbreitete, habe das Bild einer Schwangerschaftserkrankung ergeben (jener nämlich, die wir heute Eklampsie nennen). Dieses Gerücht von Vergiftung wurde übrigens für Viele auch durch das Ergebnis der Leicheneröffnung nicht widerlegt; man wußte nur zu gut aus den Tagen der Katharina Medici, daß es unauffindbare Gifte gäbe und daß auch die auffindbaren gegebenenfalls von bedrohten oder gekauften Ärzten nicht festgestellt würden. Aus jenen Tagen der Katharina, da Gift ein alltägliches Mittel gewesen war, sich Lästiger oder Gefährlicher aller Art zu entledigen, kam es auch, daß etwelche den Zamet, als den einzigen in Frage kommenden Italiener, beschuldigten, er habe im Interesse des Großherzogs von Toskana (welches Interesse später verständlich werden wird) Gabrielen den Weg zum Throne abgeschnitten. Der schönen Gabriele, die noch nicht sechsundzwanzig Jahre alt gewesen war und keinem was zuleide getan hatte, trauerten wenige nach. Die umlaufenden schlimmen Spottgedichte flüsterten sich viele schon zu, als sie einander im Eingang der Trauerkapelle begegneten, darin Gabriele schwärzlich verzerrten Gesichtes aufgebahrt lag.
Während diese Zerstörung eines jungen Menschenwesens nicht nur dem Hofe, sondern ganz Paris als ein rechtzeitiges Eingreifen Gottes erschien, der ja das größte Interesse am Ehebett des französischen Königs haben mußte, und es darob doppelte Osterfreudigkeit und von der Seele her genüßliches Schmausen der Osterschinken und gebratenen Lämmer gab, hatte Heinrich sich in Fontainebleau eingeschlossen. Er hatte Trauer angeordnet und selber angelegt und hatte das schwarze Kleid bewahrt und es nicht, dem alten Brauche der französischen Könige gemäß, nach dem Begräbnisse gegen das violette Trauerkleid vertauscht.
Heinrich war jetzt fast sechsundvierzig Jahre alt, und alles Jünglingswesen, das aus den noch ungefestigten Jahren des großen Glücksspiels in ihm weiter wirkte, hatte den sieben Liebesjahren mit der nun Hinweggenommenen die Sehnsucht zur reifen Erfüllung gegeben. Gabriele war ihm Alles gewesen, was eine Frau einem Manne seiner Art und seines Alters sein kann. Heinrich hatte ein besonderes, sehr klares Verhältnis zum Tode, wie es nur die sehr tapferen, wagemutigen Menschen haben können, die öfters schon den kalten Hauch verspürt hatten und die das Leben mit aller Sinnenfreudigkeit und aller Lust zur Erfüllung einer großen Aufgabe lieben. Er klagte nicht. Es war nur eine schaurige Leere in seinem Leibe, die große Öde nach einem jäh zu Ende gegangenen Lebenszustande. Die schöne Liebeswelt war untergegangen, in der das, was wir Seele heißen, in Blut und Samen dichtet und Zeugung in seliger Schwermut des Lebens- und Todesgesetzes geheiligt voll ist. Heinrich wußte damals, was mit Gabriele zu Ende war – der Brief an seine Schwester zeigt es. Er schrieb:
»Meine liebe Schwester, ich habe mit vieler Tröstung Ihren mir überbrachten Brief empfangen. Ich bin solcher recht bedürftig, denn meine Betrübnis ist ebenso unvergleichlich, wie es der Anlaß war, der sie mir schafft. Die Trauer und das Klagen werden mich bis zum Grabe begleiten. Jedoch, nachdem Gott mich zum Herrn für dieses Königreich und nicht für mich selber gemacht hat, werden alle meine Sinne und Fürsorgen nur noch zu dessen Weiterbringung und Bewahrung angewandt werden. Die Wurzel meiner Liebe ist tot, sie wird nicht wieder sprießen. Aber die meiner Freundschaft wird immer für Sie grünen, meine liebe Schwester, die ich eine millionmal küsse.
15. April 1599, zu Fontainebleau.
Henry.«
Heinrich wußte damals, was ihm in seinem Lebensganzen geschehen war – aber er vergaß es, wie die vergessen, die weiterleben wollen und es, so gut es geht, auf die eine Art wollen, die sie als die ihre erfahren haben. Denn, wie sehr einer auch im Tun und Schaffen, im Welt-Erkennen und -Bewältigen wachsen mag, wer vermöchte, wenn die Jugend vorbei ist, seine Triebe anders umzugestalten als indem er sie ausreißt? Aber wer vermöchte auch nur das?