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Die psychologischen Grundlagen der symbolischen Bedeutsamkeit eines Bildes können nur an den Werken primitiver Völker geklärt werden. Ohne uns von der Zeitfolge der verschiedenen Typen Rechenschaft zu geben, müssen wir wohl diese Hauptarten unterscheiden: 1. Das Idol ist selbst der Dämon, wird also personifiziert und im Besitz aller magischen Kräfte gedacht. Ein Stein, vielleicht menschenähnlich, ein Baum oder eine selbstgeschnitzte Figur gilt gleichviel. So persönlich wird dieser materielle Dämon aufgefaßt, daß er Mißhandlungen ausgesetzt ist, wenn er nicht leistet, was sein Besitzer sich von ihm versprach. 2. Das Bild ist ein Teil des Dargestellten, sei es Dämon oder Feind. Der schweift zwar umher, aber dennoch ist er im Bilde stets gegenwärtig. Was dem Bilde geschieht, geschieht ihm, den es repräsentiert. Hier wurzelt der Analogiezauber: schlage ich dem Bilde den Kopf ab, so verliert ihn kraft magischer Fernwirkung auch der Dargestellte. 3. Das Bild, selbst zwar nichts als ein Stück Holz oder Stein, das man durch geringe Bearbeitung kenntlich gemacht hat, wird bewohnt von der Seele des Dämons, des Ahnen u. a. Dabei ist die Weihe des Ortes oft entscheidend dafür, ob die Seele darin wohnt oder nicht. Als Teil des geweihten Ortes dient es dem Dämon zum Sitz – wird es von diesem Ort entfernt, so bleibt ein gleichgültiges Stück Holz übrig. Wesentlich ist in allen Fällen, daß Gefühls- und Vorstellungskomplexe in dem Naturobjekt oder Bild materiell verkörpert sind. Dies allein macht ihre Bedeutung aus, während die räumliche Gestaltung eines »Motivs«, sei es Mensch oder Tier, sekundär ist, oder gar, wie im dritten Falle, mit der magischen Bedeutung gar nichts zu tun hat. Die wird erst durch die Situation in ihm erweckt Am übersichtlichsten sind die Probleme des Zeichens als Bedeutungsträger immer noch dargestellt bei Th. W. Danzel, »Die Anfänge der Schrift«, Leipzig 1912..
Zum Symbol, d. h. zum Repräsentanten einer unabhängig von dem Bildwerk für sich bestehenden Macht, wird dieses erst im dritten Falle. Die Worte Idol und Symbol werden nicht ganz konsequent diesen verschiedenen Tatbeständen entsprechend verwendet. Das Idol ist, das Symbol bedeutet die magische Macht. Was man als Fetisch im strengeren Sinne bezeichnet, ist stets ein Idol. Nur für die primitive Denkweise gibt es Idole. Dagegen bleibt das Symbol mit geringen Abwandlungen lebendig bis heute und mit ihm die Analogiehandlung in Volksbräuchen und kirchlichen Zeremonien. Einer durch einseitige wissenschaftlich-kausale Bemühung festgelegten Denkweise kann es leicht entgehen, wie lebendig diese Überreste von magischen Vorstellungen noch heute in unbefangenen Köpfen sind. Voll bewußt sind sich dessen vorwiegend Menschen, deren Lebensgefühl in den Gestaltungen aller Künste zu gipfeln vermag. Ja erst die Bereitschaft, symbolmäßiges Denken über alle Erkenntnis hinaus zu retten, scheint den Zugang zur Sphäre der Gestaltung zu öffnen. Der Umkreis dessen, was wir unter Symbolbedürfnis oder Tendenz zu symbolischer Bedeutsamkeit verstehen, ist noch näher zu bestimmen. Es ist, psychologisch ausgedrückt, die Tendenz, Gefühls- und Vorstellungskomplexe, die ihrem Wesen nach nicht anschaulich sind, bei der anschaulichen Gestaltung zu meinen Daß diese übliche Begriffsbestimmung ganz äußerlich und unzulänglich ist, sei eigens betont. Es lag uns aber daran, die verwickelte Problematik des Symbolbegriffs gar nicht erst aufzurühren, da wir zu unserem Material noch keine Forschungen in dieser Richtung vorlegen können.. Der Beschauer kann also nicht, wie bei einem Abbild und beim Ornament, das Motiv einfach wahrnehmen, sondern er ist auf Vermittlung begrifflicher Erläuterungen angewiesen, sofern nicht konventionelle Symbole verwendet werden.
Es fragt sich nun, wie denn diese symbolische Bedeutsamkeit am Werk in die Erscheinung tritt; ob man im unmittelbaren Eindruck sie schon erfühlt und ob bestimmte Qualitäten eines Bildwerkes darauf hinweisen. Die Erfahrung lehrt – und die theoretische Begründung davon ist leicht – daß bei reiner Abbildetendenz eine solche Sonderbedeutung recht selten ist und meist eine klägliche künstlerische Mißgeburt zur Folge hat. In einem Blumenstück, einem Porträt, einer Landschaft wird man dergleichen nicht suchen. Je naturnäher das Werk, um so unwahrscheinlicher ist symbolische Bedeutsamkeit. Treten dagegen Kombinationen von Formen oder bekannten Objekten auf, die aus der gewöhnlichen Erfahrung nicht geläufig sind, so muß in dem Gestalter irgendein seelischer Vorgang sich zugetragen haben, aus dem diese Kombination entsprang. Er meint etwas mit seinem Werk, das nicht anschaulich darin liegt, sondern nur von Wissenden erschlossen werden kann. Dies kann außer symbolischer Bedeutung aber auch noch eine einfache Beziehung auf äußere Geschehnisse oder innere Erlebnisse sein. Jedermann kennt die Spruchbänder, die vor allem in mittelalterlichen Kunstwerken aus dem Munde der dargestellten Personen hervorzugehen scheinen, sich formal als bewegte Kurve in das Liniengefüge des Blattes einordnen, aber die Hauptaufgabe haben, Gedanken oder Ausrufe direkt in Sprachform dem Beschauer zu übermitteln. Sie sind also Träger rationaler Inhalte und steigern die Bedeutung der Szene über den Eindruck hinaus, den die Zeichnung allein zu erwecken vermöchte. In anderen Beischriften, wie z. B. Benennungen von Personen, Glossen des Autors, bis zum Vers, der die Zeichnung ihrer Selbständigkeit beraubt und sie zur Illustration macht, variiert sich diese rationale, dem reinen Gestaltungsvorgang nicht zugehörige Komponente.
Wenn wir auf diese Weise einfache rationale Sinndeutung und symbolische Bedeutsamkeit zusammenstellen, so geschieht dies, weil sie allerdings den eigentlichen, rein formal analysierbaren Gestaltungskomponenten als psychologisch völlig andersgeartete Phänomene gemeinsam gegenüberstehen. Sie weisen hinaus aus der rein anschaulichen Sphäre der Gestaltung, der auch sämtliche Ausdrucksphänomene angehören, auf Zusammenhänge, die wesentlich unanschaulich sind. Nämlich auf das Ursprungsgebiet des Seelischen in seiner ganzen Mannigfaltigkeit, die zumal alles Gefühlsmäßige umfaßt. Dieses nun läßt sich nicht darstellen im strengen Sinne, sondern nur symbolisch repräsentieren, indem etwa der Rhythmus der Linien, das Verhältnis der Formen, die Symbolik der Farben uns Gefühlserlebnisse vermitteln. Dabei mögen konventionelle Symbole verwendet oder auch ganz abstrakte Ausdrucksträger gesucht werden. Die wahre Bedeutung des Symbolbedürfnisses für die Gestaltung erblicken wir jedenfalls erst in der Verschiebung des Akzentes unter den Gestaltungskomponenten. Zu seinem Wesen gehört, daß es reine Abbildung zurückdrängt, Ordnungssysteme hervorlockt. Konvention in der Formensprache, rhythmische Feierlichkeit, Vorherrschen abstrakter geometrischer Elemente, kurz alles, was vom individuellen Bildwerk fortweist auf verpflichtende Gesetzmäßigkeiten, das wird betont.
Wo symbolische Bedeutung herrscht, wird das Werk Träger dieser Bedeutung und verliert seinen Selbstzweck. Schon bei den Bildwerken der Primitiven mußten wir betonen, wie die magische Beziehung von so überragender Wichtigkeit ist, daß der ungeformte Stein so gut wie die Statue den Dämon verkörpern kann. Die magische Weihe macht ihn ja dazu, nicht die Bearbeitung. Er ist nur Zeichen für das, was er bedeutet. Hier liegen nun, was endlich allgemein klar zu werden beginnt, die Wurzeln der fixierten Zeichensymbolik und aller Schriftzeichen. Das symbolische Bild wird zum Merkmal für magisch-religiöse Vorstellungen, für Gegenstände und deren Eigenschaften. Im Dienste eines Mitteilungsbedürfnisses endlich (das wohl künftig nicht mehr als Veranlassungsgrund rationalistisch mißdeutet werden kann) wird aus solchen symbolischen Zeichen eine ganze Bilderschrift, Satzschrift, Wort-, Silben- und Buchstabenschrift. Dieser kurze Hinweis diene dazu, der Beziehung von Bild, Symbol und Schrift in unserem Schema ihren Ort anzuweisen.