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Der Mängel dieser Arbeit wird sich nicht leicht jemand klarer bewußt sein als der Verfasser. Darum sei in dies Vorwort einige Selbstkritik geflochten.
Zwei methodisch reine Lösungen unseres Themas gäbe es: einen naturwissenschaftlich beschreibenden Katalog der Bildwerke nebst einer klinischen und psychopathologischen Darstellung der Fälle. Oder aber eine durchaus metaphysisch verankerte Untersuchung über den Vorgang der bildnerischen Gestaltung. Darin würden die psychologisch erschlossenen Ausnahmewerke und die ihnen zugrunde liegenden Ausnahmezustände als eine Spielart menschlicher Entäußerung in ein Gesamtbild des Seins unter dem Begriffe eines ursprünglichen Gestaltungsdranges eingeordnet, hinter dem nur noch ein allgemeines Ausdrucksbedürfnis als triebhafte Grundlage zu finden wäre. Kurzum, eine solche Untersuchung stünde völlig jenseits von Psychiatrie und Ästhetik im Reiche phänomenologisch erschauter Seinsformen. – Was zwischen diesen beiden reinen Lösungen liegt, muß notwendig Stückwerk sein und sich gegen die Gefahren der Zersplitterung ständig wehren. Reine Materialüberlieferung, novellistische Ausmalung des Details, Prinzipienfragen, das sind die Klippen. Leicht wären sie zu vermeiden, wenn man sich einer festen Methodik bedienen könnte. Aber die Probleme eines neuen, wenigstens nie ernsthaft bearbeiteten Grenzgebietes trotzen jeder Methodik eines Fachgebietes. So blieb, mit der Einsicht, daß wir die ideale Bearbeitung dieses Gebietes noch nicht zu leisten vermögen, Materialsammlung und Beschreibung aber keinen geistigen Eigenwert in sich tragen, nur eines übrig: im Hinblick auf die letzten metaphysischen Wertungen einstweilen aller fachmäßig oder durch die Tradition einzelner Kulturkreise begründeten Wertungen sich zu entäußern. Indem man nicht als Verteidiger irgendeines Standpunktes auftritt, begibt man sich zwar des Beifalles jeder Partei und fordert verschärfte Kritik heraus. Da aber hier wirklich nichts bewiesen und nichts gelehrt werden soll, so schien es wichtiger, sich möglichst reiner Unvoreingenommenheit zu befleißigen und die methodischen und weltanschaulichen Hintergründe so offen durchblicken zu lassen, daß jedermann sich über die »persönliche Gleichung« des Verfassers klar sein muß.
Wie sorgsam aber das Werten im Geiste irgendwelcher Normen vermieden wurde, so wird doch dem Kundigen kaum entgehen, daß diese oft anarchisch anmutende Hingabe an Kleinstes wie an Größtes im Namen des einen Leitbegriffes »Gestaltung« dennoch auf neu zu errichtende Normen hinblickt. Zu so weitausholender Darstellung gab vielleicht gerade den stärksten Antrieb die Vorausschau auf eine Zeit, die sich wieder um Normen bemühen wird. Die könnten vor doktrinärer Enge bewahrt werden, wenn sie sich auch an diesen neuen Bildwerken erproben müssen. Sollen wir den Angelpunkt unserer Betrachtungsweise noch näher bezeichnen, so erinnern wir an Tolstojs Auffassung der Kunst, der es entsprechen würde, wenn wir hinter der ästhetisch und kulturell zu bewertenden Schale des Gestaltungsvorganges einen allgemein menschlichen Kernvorgang annehmen. Der wäre in seinem Wesen der gleiche in der souveränsten Zeichnung Rembrandts und in dem kläglichsten Gesudel eines Paralytikers: Ausdruck von Seelischem. Vielleicht muß man der ästhetischen und kulturellen Zugänge zu Gestaltetem völlig sicher sein, um zu verstehen, wie jemand alles Wertens ledig solchen äußersten Wertgegensätzen bedingungslos sich hinzugeben vermag. Denn beileibe nicht dürfte man eine pharisäische oder banausische Auslegung des Satzes dahinter suchen: es ist hier kein Unterschied – –.
Heidelberg, Oktober 1921.
Dresden-Weißer Hirsch, Februar 1923.
Der Verfasser.