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21.
Das Glück und das braune Buch

Im Drömlinger Pfarrhause saß man an jenem Vorabend in stiller Zufriedenheit und leise lachendem Glück. Die Alten erzählten von vergangenen Zeiten, wie es an ihrem Vorabend war und wie es dann wurde. Als das Dunkel kam, ging Karl seinen Weg in die Stadt; er schwebte wie in einer großen, hellen Lichtwolke von Glück und Hoffnung.

Er dachte nur an seine Grete, und sie dachte nur an ihn, und mit diesen Gedanken schliefen sie einen köstlichen Schlaf bis in den sonnenklaren Septembermorgen.

Dann kam für Karl der köstliche Frühweg nach Drömlingen, wo ihn Grete empfing in ihrer blühenden Schönheit, der heute ein wenig ernste Zurückhaltung beigesellt war.

Wunderlich zog alles Äußerliche an ihnen vorüber:

Der Gang zum Standesamte durch das ganze Dorf, wo an den Straßen überall fröhliche Dorfkinder mit Blumensträußen standen. Manche Blume flog vor die Füße der »Grete Pastor«, die sie alle so lieb hatten.

Der alte Großvater Peggau suchte erst eine Viertelstunde lang seine Hornbrille, ehe er als Standesbeamter die schwerwiegenden Paragraphen vorlesen konnte.

Wie schön war die stille Trauung in der lieben alten Dorfkirche, wo der Vater Rautenstrauch so köstliche Vaterworte an seine Kinder richtete, in denen nichts erwähnt wurde von Jehovah und dem Volke Israel, nichts von Hosiannah und Hallelujah, nichts von Belohnung und Strafe, von Sünde und Schuld, von Erlösung und Buße und Demut, nichts von Gnade, Ducken und Winseln und nichts von dem ganzen weichlichen orientalischen Getue und Gehabe aus Mesopotamien und Umgegend.

Wie eine frohe Verheißung erschienen dann plötzlich die drei köstlichen Gesichter der Ahlenstedter Pastorenjungens über der Mauer, strahlend von unmäßiger Fröhlichkeit und glückseligem Staunen, ihre frohen Huldigungen bringend.

Ein fröhliches, einfaches Mahl, ohne Gäste, vereinte alle am glückseligen, sonnigen Nachmittage im Garten; es war eigentlich wie immer, wenn Karl im Pfarrhause war.

Großvater war ebenso heiter als an jenem Sommertage des vergangenen Jahres, als er seine Laute geholt hatte. Sie war lange still gewesen, aber heute durfte sie nicht ruhen.

»Frau Grete!« rief er, »hole die Laute, damit mein altes, frohes Herz sich aussingen kann an diesem köstlichen Tage, für den ich meinem Schöpfer danke, daß ich ihn gesehen habe!«

Und es klang in rührender Schlichtheit und Einfachheit durch den Spätsommergarten, in dem hier und da weiße Sommerfäden flogen.

Seltsam und wunderlich saß er da, der Alte, trank aus seinem Weinglase und wurde immer fröhlicher.

»Soll ich ein ganz lustiges, dummes, altes Lied singen?«

Er zupfte zuerst ein wenig an den Saiten und begann:

»Sagt mir an, was schmunzelt ihr?« ... ...

Alle fünf lachten, als das lange Lied zu Ende war, und Karl fragte, von wem das Lied stamme.

»Kennst Du es nicht? Nein, wie solltest Du es kennen! Es ist der Reigen von unserm Karl Maria von Weber – man singt ihn sonst nicht mehr. Es mag ja wohl schönere und stolzere Liederblüten geben, die man an Hochzeitstagen singen kann; aber besser ist dieser Reigen immer noch als das, was das Volk jetzt in den großen Städten singt« – – –

Am Abend, als es dunkel wurde, regte es sich geheimnisvoll auf dem Pfarrhofe. Auf dem schmalen, grünumwachsenen Pfade, der von der Straße auf den Hof führte, kam es leise heran mit brennenden Fackeln, und ein klangreicher Männerchor erscholl. Der dörfliche Gesangverein wollte der Pastorsgrete seinen Gruß bringen, und fröhliche und ernste Lieder, etwas rauh und derb gesungen, klangen in den warmen Spätsommerabend hinein.

Karl und Grete standen oben am Fenster eng beieinander und schauten in die flammenden Fackeln.

Es waren ihre Hochzeitsfackeln.

Der Pastor sprach ein paar kurze Worte des Dankes, und langsam verschwanden die Lichter.

Dunkel aber wurde es dennoch nicht.

In der ganzen Nacht schien der Mond mit wunderbarer Helligkeit. Im ganzen Hause, im Pfarrhofe und im Garten ging ein süßes, heiliges Rauschen und Flüstern umher wie von einem geheimnisvollen, unbegreiflichen Glücke, das größer war als alle Kunst und alles Wissen der Welt.

Ein unverbesserlicher Schwärmer war Karl Sievers aber dennoch: als die ersten Sonnenstrahlen am andern Morgen in Grete Sievers' Kammerfenster schienen, fielen sie auf das braune Goethebuch, das im Fensterbrette lag.


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