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20.
Polterabend

Die drei so gütig Beurteilten standen während dieses Gespräches ihrer Eltern noch auf dem Pfarrhofe. Gottfried trug einen städtischen Blumenstrauß und einen Brief, in eine Nummer der braunschweigischen Anzeigen dick und fest eingewickelt.

»Hört mal zu!« sagte er zu seinen Brüdern. »So geht das noch nicht. Das ist nichts. Es ist doch Polterabend in Drömlingen!«

»Ja«, sagte Gottlieb in fortgesetzt freudiger Erregung und versuchte unwillkürlich wieder den rechten Stiefel gegen die Stalltür zu schleudern; es ging aber leider nicht, weil er fest geschnürt war.

»Dabei müssen wir doch poltern!« sprach Gottfried weiter.

»Feste!« rief Gotthold, der als der verhältnismäßig begabteste Lärmmacher der Drei anzusehen war, obwohl sie alle auch hierin recht leistungsfähig waren; in der Erwartung, seine hohen Fähigkeiten heute ganz besonders verwerten zu können, zeigte er schon jetzt ein wildes Entzücken in seinem Gesichte.

»Wir müssen uns was mitnehmen, weil wir doch in Drömlingen nichts kriegen!« ordnete Gottfried an.

Nach kurzer, aber ergiebiger Beratung wurden zwei mittelgroße alte Säcke aus irgend einem Stalle gesucht und mit Teller- und Topfscherben aus der Müllgrube zum Teil angefüllt.

»Das ist immer noch nicht genug«, urteilte nach sachverständiger Schätzung der Älteste. »Für so eine, wie Rautenstrauchs ihre, für so ein feines Mäken muß ein viel, viel größerer Klappott geschmissen werden!«

Nach einigen spähenden Seitenblicken auf die Fenster und die Haustür ging die Polterabend-Kommission mit auffallender Stille und Vorsicht in den Keller.

»Hier is ne Masse«, sagte Gottfried und zeigte auf leere Flaschen aller Art, auf Töpfe verschiedenster Form.

Der kleine Gotthold bemächtigte sich sogleich eines Töpfchens, das einen großen Sprung zeigte; es weckte selige Erinnerungen in ihm, weil es jahrelang diensteifrig in der Schlafkammer der Kinder gestanden hatte. Seit längerer Zeit war es jedoch infolge Alters und wenig schonender Behandlung seitens der Benutzer invalide geworden.

»Nein, den nimmst Du nicht!« entschied jedoch Gottfried sofort mit feinem Taktgefühl. »So einer paßt nicht. Den läßt Du stehen. Den nehmen wir höchstens auf Deiner Hochzeit zum Polterabend. Hier sind andre genug«.

Gotthold sah den Grund des Verbotes nicht ein, fügte sich jedoch wie gewöhnlich.

Mehrere Küchentöpfe mit Sprüngen, sowie einige zerbrochene Weinflaschen wurden in die Säcke getan. Gotthold, der nach einem Ersatz für seinen ihm vorenthaltenen Liebling suchte, erwischte heimlich eine lange Steinflasche, die früher Apollinariswasser oder irgend einen andern heilsamen Säuerling beherbergt hatte; diesen dauerhaften, schweren Krug steckte er jedoch nicht in den Sack, sondern barg ihn heimlich in den weiten Brustfalten seiner Bluse, die sich infolge dessen erklecklich ausdehnte.

Diese weite Bluse, die an keinem Anzug Gottholds fehlte, war immer sein Trost und sein Stolz an allen Tagen seines jungen Daseins. Sie war seine Rüstkammer, sein Vorratsraum, sein Versteck für alles, und es grenzte an das Fabelhafte, was in diesen Blusenbeutel hineinging. Am Abend, besonders am Ende der Woche, schleppte er aber dann auch derartig, daß es einen Unbeteiligten erbarmen konnte. Steine von allen Arten und Größen, Nägel der verschiedensten Form, Bindfaden in wüstem Knäuel, Bücher, Papier, Bleisoldaten, Pferde und andere Spieltiere mit und ohne Fell und Beine, Blumen, Stroh, Heu und Holz, lebende und tote Tiere, zum Beispiel Mäuse und Maulwürfe, ganz besonders aber lebendige Frösche, für die er eine rätselhafte Vorliebe hatte, – alles konnte man in Gottholds Blusenbeutel finden. Auch andere seltsame Sachen, von deren Dasein ein gewöhnlicher Mensch überhaupt keine Kunde hat, barg er an seinem liebenden Busen und an seinem Leibe, die dadurch schließlich ganz ungeheuerliche Größenverhältnisse vortäuschten, von denen in Wirklichkeit keine Rede war, denn der jüngste Eggeling war, wie alle seine Geschwister, durchaus schlank und gerade gewachsen und hatte weder die Attribute einer Amme noch eines Oberamtmanns an sich aufzuweisen.

Vorsichtig und schnell verließen jetzt die drei Sendboten mit ihrem Raube Keller und Pfarrhof und zogen rüstig den Weg nach Drömlingen, die Herzen von frohen Hoffnungen geschwellt. Die schweren Säcke, von denen Gottlieb und Gottfried je einen trugen, empfanden sie nicht als drückende Last; sie zeigten dadurch wieder die uralte Eulenspiegelweisheit, daß einem nur das schwer wird, was man nicht gern tut.

Gottfried hatte den Blumenstrauß und den Brief als das Leichteste edel und vornehm an den Kleinsten abgegeben, der nun mit fröhlichem Stolze einherzog, im sichern Besitze seiner Apollinarisflasche.

Sie erregten einiges Aufsehen, als sie so eilig durch das gute Dorf Ahlenstedt zogen; verschiedene Zurufe und Anfragen mußten sie über sich ergehen lassen. Die Ahlenstedter, jung und alt, waren ja das Seltsamste und Tollste von ihren Pastorenjungens gewöhnt, für die sie gemeiniglich eine große Zuneigung hegten, aber der heutige Anblick war ihnen doch zu zwecklos und zu verwunderlich erschienen!

»Wo willt Ji denn hen?« rief einmal der muntere Schlachter Krake, der ihnen schräg in den Weg kam.

»Wo wi henschicket sünd!« antwortete Gottfried diplomatisch.

»Wat hett Ji denn da up den Puckel?« rief ein anderer.

»Ulen und Kreihen« rief Gottlieb, der sich über das Gefrage ärgerte.

Nach diesen und ähnlichen kurzen Zwiegesprächen vermehrten sie ihre Schnelligkeit, um nur erst aus dem Dorfe herauszukommen. Geradezu wunderbar aber wurde ihre Schnelligkeit, als sie in nicht allzu großer Entfernung den Herrn Kantor erspähten, vor dessen etwaigen Forschungen und Fragen sie eine begreifliche Scheu hatten. Es gelang ihnen auch wirklich, ungesehen vorbeizuhuschen.

Am letzten Hause des Dorfes stand der fette Wilhelm Höltje, das Speckstück unter der Dorfjugend. Als er seine Feinde, die ihn neulich als Apachen geraubt, gefesselt und mit Pfeilen gespickt hatten, so schwer beladen und wie auf der Flucht heran- und vorbeieilen sah, glaubte er sich sicher und gefiel sich in höhnischen Zurufen und Wörtern, an denen ja der Sprachschatz eines niederdeutschen Bauernjungen so reich ist, wenn er auch gewöhnlichen Mitlebenden meist verborgen bleibt.

Von andern, wenig hoffähigen Ausdrücken abgesehen, vernahm man in schneller Aufeinanderfolge die Koseworte:

»Swineköpers! Bärentrecker! Tatern! Snurrbüdels!«

Und mit einem Fingerzeig auf Gotthold:

»Pingstosse!«

Gottfried hatte sich anfangs vorgenommen, den fetten Wilhelm heute ungestraft zu lassen. Er warf ihm nur einen Blick zu, der für später Schreckliches ankündigte. Als aber der Ruf »Pingstosse« ertönte, änderte er seinen Vorsatz, denn dieses Wort konnte nur auf seinen kleinen Bruder Gotthold mit dem Blumenstrauße gemünzt sein, und wenn man diesen lieben kleinen Kerl, der immer so mutig und folgsam war und mit großer Verehrung an seinem ältern Bruder hing, einen Pfingstochsen nannte, so konnte das Gottfried nicht dulden.

»Täuw!« rief er und setzte schnell seinen Sack zu Boden. Der fette Höltje drehte sich entsetzt um und riß aus, so schnell es dieser menschliche Fettmolch vermochte. Gegen Gottfrieds märchenhafte Schnelligkeit und Springfähigkeit konnte er jedoch nichts ausrichten.

Mit einem wilden Satze hatte ihn der Pastorsjunge ereilt und hing ihm am feisten Specknacken, den er mit einer schnellen Anzahl von nachdrücklichen Stößen bedachte. Außerdem bekam Wilhelm zum Schlusse einige Tritte gegen den so sehr harmonisch gerundeten Teil, auf den er sich danach setzte, um sich schmerzvoll klar zu machen, daß es stets gefährlich sei, mit den drei Pastorenjungens anzubinden, auch wenn sie schwer bepackt im Laufschritt vorbeieilten.

»Ole Piepwost!« rief Gottlieb dem geknufften Höltje noch zu, als sie schon wieder in Reih und Glied weiter eilten.

Auf dem Feldwege, den sie als nächsten Verbindungspfad zwischen Ahlenstedt und Drömlingen einschlugen, mäßigten sie ihre strebsame Eile. Sie hatten das Gefühl, als ob sie ihre Freiheit recht auskosten und tief eindringend genießen müßten. Außerdem schleppten sie wirklich schwer an ihren Säcken, und Gotthold trug mit Fassung an seiner heimlichen Apollinarisflasche, denn es war ein heißer Spätherbstnachmittag.

Es war und blieb ein merkwürdiger Aufzug, auf jeden Fall, man mochte die Sache ansehen wie man wollte.

Sie vertrieben sich die Länge des Weges mit scherzhaften, belehrenden und aufklärenden Gesprächen, an denen es bei ihrer vielseitigen Veranlagung niemals Mangel gab. Besonders seitdem sie von ihren Eltern auch der Teilnahme an ernsteren Gesprächen gewürdigt wurden und nicht mehr, wie sonst, bei jeder Frage mit den Worten abgewiesen: »Dumme Frage«, oder: »das verstehst Du nicht«, »das weiß ich nicht«, forschten sie noch mehr als sonst nach ihrer frischen Kinderart in Welt und Leben umher.

»Polterabend weiß ich jetzt, was das ist«, sagte Gotthold.

»Na natürlich«, fiel ihm Gottlieb in die Rede. »Das ist Klappott smieten und feste Hoch schreien!«

»Was ist denn Hochzeit?«

»Das kommt nach dem Klappottschmeißen, aber erst den andern Tag«, erläuterte Gottlieb.

»Wie geht denn das, Hochzeit, was wird dabei gemacht?« forschte der Kleinste weiter, weshalb Gottfried das Wort ergriff:

»Hochzeit ist, wenn einer sich eine Frau heiraten muß, und dann gibt es Essen, und dann kriegen sie Kinder.«

»Na ja«, sagte der Kleinste vollkommen befriedigt.

»Rautenstrauchs ihre hat morgen Hochzeit«, erklärte Gottfried weiter.

»Wen hochzeitet sie denn?«

»Das weiß ich nicht. Vater sagt, er ist bei'n Wasser angestellt. Er hat schon immer Sonntags so in Rautenstrauchs Garten rumgestromert, weil daß er ihr heiraten wollte. Er ist auch mal auf'n Schiffe gesegelt, da so rum, wo die Wilden sind« – – –

Gottfried machte eine Handbewegung, die zu gleicher Zeit großartig und gönnerhaft war und fuhr fort:

»Mit denen hat er sich mächtig rumgefechtet!«

»Is er einen feinen Kerl?« mischte sich Gottlieb dazwischen.

»Wird er wohl sein. Rautenstrauchs ihre nimmt sich keinen schlechten. Eigentlich wollte ich ihr mal nehmen, aber« – – wieder die großartige Handbewegung, soweit es der Scherbensack erlaubte – »ich kriege auch noch ne andere. Feines Mädchen ist sie aber doch!«

Sie kamen jetzt auf ihrem Polterabendmarsche an einen schmalen Graben, der an seinem tiefen Boden in dünnen Streifen klares Wasser führte, das über frische Brunnenkresse und Moos hinwegfloß.

»Zeig' mal Deinen Blumenstrauß her, Gotthold«, ordnete Gottlieb an, »die vertrocknen sonst. Ich will sie mal einstippen.«

Er besorgte das sehr gründlich, schwenkte den Strauß danach aus und bespritzte dabei sehr ausgiebig die Gesichter seiner Brüder, die nichts dazu sagten. Prüfend besah er sich dann noch die Blumen.

»Das ist eigentlich garnichts. Viel zu klein, und lauter Stadtblumen. Ist nichts für Rautenstrauchs ihre. Die ist doch kein Stadtaffe! Da müssen, ganz andere Blumens noch zu, und viel größer muß er werden. Gib nochmal her. Wir pflücken noch was dazu.«

Sie legten die Scherbensäcke ab, schwärmten aus und suchten, was der Spätsommer auf dem Felde, an den Grabenrändern und nachher im Drömlinger Walde noch hergab. Als der Strauß bereits zu einer wahrhaft unmenschlichen Größe angewachsen war, wurden noch kleine und große Eichen- und Buchenzweige hinzugefügt, und Gottfried befahl wie immer, wenn er etwas gebrauchte, von dem er wußte, daß es Gotthold sicher bei sich hatte:

»Zieh Dir mal einen langen Bindfaden aus dem Leibe!«

Gotthold drehte sich vorsichtig um, damit das süße Geheimnis seiner Steinflasche nicht verraten würde, und zog sich den gewünschten Bindfaden »aus dem Leibe«, denn er hatte das Wichtigste aus seinem Alltagsanzuge in vorsichtiger Ahnung des Kommenden schnell und heimlich in die Sonntagsbluse gesteckt.

Gottfried band den Mammuthstrauß zusammen und der Kleinste hatte gewaltig daran zu schleppen; Speckhöltje würde wieder seine boshafte Freude an ihm gehabt haben.

Drömlingen war erreicht. Die Sendboten gingen nach Möglichkeit um das Dorf herum und auf Schleichwegen zum Pfarrhofe, aber ein Bauer, der sie kannte, rief ihnen dennoch die übliche Frage zu:

»Wo willt Ji denn hen?«

»Klappott smieten«, antwortete Gottfried nachdrücklich, und der Bauer – es war sogar einer von den würdigen Kirchenverordneten, derselbe, der Karl Sievers damals an dem Regensonntage in der Kirche so liebevoll auf den Fuß getreten hatte – lachte unmäßig, wobei er dachte:

»Wat düsse drei Ahlenstedter Slüngels woll wedder in Koppe hätt!«

Im allgemeinen kamen sie aber unbehelligt auf den Pfarrhof und näherten sich mit sachkundigen Blicken der Steintreppe an der Haustür. Sie merkten, daß da etwas zu machen sei. Gegen diese Steine ließ sich herrlich Klappott schmeißen. Es mußte über alle Maßen schön gehen.

Die Scherbensäcke wurden hingestellt und vorsichtig entleert; die Eggelings machten sich in angemessener Entfernung von den Steinstufen einen richtigen Aufbau. Gottfried kommandierte:

»Jetzt los!«

Ein wahnwitziges Klirren, Krachen und Poltern hob an, gegen Stufen und Haustür flogen die Teller, Töpfe und Flaschen. Die Ahlenstedter arbeiteten mit wilder Begeisterung, und es war über alle Maßen schön. Die reinste Freude glänzte ihnen aus den jungen Gesichtern.

Plötzlich erschien Großvater Schulte mit dem Ausdruck fröhlichsten Entsetzens auf dem Hof, mit mächtigen Dampfwolken vom Garten aus nahend.

»Daß dich der Kuckuck! Die Ahlenstedter!« rief er in den Lärm hinein, der sich bei seinem Anblick auffallend mäßigte. »Als Polterabendgäste! Der Laubfrosch, der Bergmann und der Eiermann!«

Auch aus einem Fenster über der Haustür im ersten Stockwerke schauten zwei lachende Gesichter heraus; es waren Karl und Grete, die Gefeierten. Bei ihrem Anblicke befahl Gottfried von neuem:

»Nochmal los!« und das Getöse begann mit verstärkter Kraft. Man hätte wähnen können, die allerneueste Symphonie in einem großstädtischen Konzerte zu hören, wenn es auch nicht ganz so schlimm war.

Alles hat schließlich ein Ende, so hatten es auch die Ahlenstedter Scherben. Immer wieder aufgelesen, immer wieder geschleudert, waren sie nun so klein geworden, daß es sich nicht mehr lohnte, damit zu arbeiten.

Jetzt hielt Gottfried seine Rede, auf die er sich unterwegs vorbereitet und die er seinen Brüdern angekündigt hatte. Sie lautete:

»Das Brautpaar lebe hoch!«

Wie schönes, reines Silber klangen die hellen Knabenstimmen, und der Größte schickte einen goldenen Huldigungsblick hinauf nach Grete Rautenstrauch, daß sie sein helles Leuchten wohl fühlte.

Das Hochrufen wollte kein Ende nehmen, und jetzt war Gottholds rechte Zeit gekommen. Er zog aus seines Busens reinem Heiligtume die Steinflasche und schleuderte sie mit unbegreiflicher Sicherheit und Gewalt gegen die Haustür. Ein herrliches, berauschendes Paukensolo, ein dröhnendes, ungeheuerliches:

»Bumm!«

Es hätte einen Beethoven beschämen können.

Die Flasche blieb heil, vorläufig auch noch die Haustür.

Mit glühender Begeisterung hatte Gotthold nach einer Sekunde seinen Steinkrug wieder in der Hand.

Wiederum:

»Bumm!«

Fast noch erhabener und gewaltiger als das erste Mal. Der Höhepunkt der Symphonie. Gotthold wußte sich vor Seligkeit nicht zu lassen. Das war endlich ein Ton nach seinem Herzen! Er holte zum dritten Male aus. Das Brautpaar oben lachte in seliger Heiterkeit und wußte vor Freude nicht wohin.

Da fühlte der Werfer einen sanften, festen Griff an seinem Genick.

»Junge«, rief Großvater Schulte, »halt! Die Haustür! Daß Du nicht dem Pastor die Haustür zerdonnerst, Du jugendlicher Jupiter tonans. Wenn's nicht anders geht, dann lasse man lieber die alte Stalltür dran glauben!«

Dabei lachte der köstliche Alte, daß er fast das Rauchen vergaß.

Gotthold, zuerst ein wenig erschrocken, machte sofort eine Wendung nach links und wütete mit dem heiligen Apollinaris gegen die Stalltür. Noch dreimal gelang ihm der Beethovensche Paukenknall, dann zerschellte die Flasche; aber auch die dünne, morsche Stalltür hatte genug. Sie litt an schweren Wunden, von denen sie sich nie wieder erholte.

Das Brautpaar war von seinem Ausguck heruntergekommen, um sich die reizvollen Persönlichkeiten aus Ahlenstedt in der Nähe zu besehen. Sogleich überreichte Gottfried mit edlem Anstande, wenn auch übermäßig gerötetem Gesichte den Mammuthstrauß.

Karl und Grete versuchten ihre andauernde Heiterkeit zu zügeln, aber es gelang ihnen schlecht. Großvater kam ihnen deshalb zu Hülfe.

»Herrlich, sinnbetörend ist Euer Strauß! Ein vollkommenes Modell von so einem Pastorenjungen, ins Blumige übertragen. Jungens, laßt Euch umarmen! Ihr seid ja mehr wert als Geld und Gut!«

Er zog sie alle drei zu sich heran und drückte ihre blonden Köpfe an seinen Leib, wobei Gotthold schnell die Gelegenheit benutzte, ihm eine tüchtige Prise Sand in seinen offenen Pfeifenkopf zu streuen, weshalb die Pfeife unmittelbar danach erlosch.

Die gute Raucherseele hat aber nie erfahren, wie diese Störung seines Dampfbetriebes zustande gekommen war.

Danach wurden die Ahlenstedter Sendboten im Garten aufs reichlichste bewirtet, und es war tatsächlich auffallend, wie gut sie es verstanden, sich mit Kuchen und Schokolade auseinanderzusetzen. Als sie satt waren, machten sie keine Versuche nach Hause zu gehen, sondern sie erprobten, wie es sich im Drömlinger Pfarrgarten spiele lasse. Großvater Schulte trennte sich nicht von ihnen, und Karl und Grete sahen ihnen in ihrem stillen Glücke lange fröhlich nach.

Blickten sie in die Zukunft? Ahnten sie vielleicht schon, wieviel Schönheit und Kraft, Wahrheit und Gesundheit in fröhlichen, spielenden Kindern über die Erde hinströmt in unendlich reicher Lebensquelle? Wußten sie schon, daß es die höchste Weisheit und die höchste Kunst ist, dieses schöne Wachstum zu erkennen und es nicht zu stören, sondern ihm freie Wege zu weisen und es treu zu behüten vor Abgründen und Lügen?

In einem spielenden, frohen, gesunden Kinde liegt alle Weisheit und Schönheit der Gegenwart; in ihm schimmert der hoffnungsreichste Glanz aller Zukunft; in ihm geht die wahre Weltgeschichte mit sichern Schritten vorwärts; nicht jene unechte, kleine, verlogene Weltgeschichte, die da wähnt, am Ende allen Strebens und aller Entwickelung angekommen zu sein, weil sie in ihrem törichten Wahn mit dem Höhepunkte begonnen hat, um immer tiefer zu sinken statt höher zu steigen.

Es war schon fast dunkel geworden, als die drei Eggelings mit vollem Magen und leeren Säcken den Rückweg antraten. Nur Gotthold hatte seinen Blusenbeutel mit Kuchen nachdrücklich gepolstert, sodaß er der Gefahr, auf dem Heimwege Hungers zu sterben, durchaus entrückt war. Grete hatte mit kundigem Blicke seine Schwäche erspäht und ihn zu rücksichtslosem Einheimsen ermutigt, so daß auch dieser kleinste der drei jetzt vollkommen im Banne dieses guten, fröhlichen und schönen Mädchens lag und noch bis zuletzt die schalkhaft-gläubigen Augen nicht von ihr losreißen konnte.

»Wenn sie morgen in die Kirche geht, müssen wir wieder her. So im weißen Kleide, – wißt Ihr, wie das aussieht? Das müssen wir sehen. Wir stellen uns hinter die Mauer, und dann kucken wir,« sagte Gottfried unterwegs.

Die andern nickten nachdrücklich, und nach einer Weile fragte Gotthold:

»Gibts dann auch wieder was zu essen?«

»Wer denkt immer an so was! Nein, morgen wollen wir gar nichts haben«.

Gotthold konnte jedoch noch nicht von dieser Frage loskommen, die ihn sehr wichtig dünkte:

»Was essen die denn morgen, wenn gehochzeitet wird?«

»Alles, was fein ist. Braten und so, und Eingemachtes«.

Gottlieb erklärte nach einer sinnenden Pause:

»Auf meiner Hochzeit gibt es blos Nudelsuppe, so recht dick; ganz dick müssen die Nudeln sein, und meine Frau muß sie selbst machen. Ich esse ganz allein eine Schüssel voll!«

Gottfried äußerte sich gleichfalls zur Sache:

»Auf meiner Hochzeit gibt es Kohlpudding, und dann noch Rhabarber!«

Er war mit zwei Gerichten, die er liebte, schon anspruchsvoller.

Der kleine Gotthold musterte die beiden Brüder verstohlen mit verächtlichen Blicken. Er wußte etwas besseres als sie. Er wußte, was ihm mit seiner eigenartigen Geschmacksrichtung am besten mundete; er wußte genau, wofür er eine schnurrige und eigentlich anerkennenswerte Vorliebe hatte. Er bekam es etwa alle drei Wochen in ziemlichen Mengen von der vorsorglichen Mutter, schön grünlich-gelb mit Wasser angerührt, um regelmäßige Störungen seines Lebens- und Leibesbetriebes wieder in Ordnung zu bringen.

»Auf meiner Hochzeit«, sagte er mit großer Sicherheit, »kriegt jeder einen großen Teller voll Brustpulver!«


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