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Die neue Arbeitswoche zeigte für Karl Sievers ein fröhliches und strahlendes Gesicht, wie noch niemals, wenn er auch seinen Beruf schon immer gern gemocht hatte. Wenn er auch selbständig in dem großen Wasserwerke noch nicht viel zu sagen hatte, so war er dennoch stolz auf sein Tun und fühlte die Verantwortung, die darin lag, daß er helfen konnte, anderthalb Hunderttausend von Menschen Tag für Tag mit reinem, hellem Wasser zu versorgen.
Nun aber schwebte über jedem Wochentage wie verklärend die Erinnerung an den Sonntag im Drömlinger Pfarrgarten, und in allem Spritzen und Rieseln und Wogen des Wassers hier und da sah er den seligen Glanz jenes Tages und hörte ein heimlich schönes Raunen wie aus dem sonnenwarmen Frühlingsgarten heraus. In Grete Rautenstrauchs Nähe wähnte er Stunde um Stunde zu sein, und ihr letztes Wort »komm wieder, Du Lieber!« war ihm mehr als alle Dichtung der Erde und der schönste Wohllaut aller Zeiten.
Mit jedem Tage wuchs sein Sehnen.
Sein Heiligtum war die Moosrose geworden, die ihm Grete zum Abschied gegeben hatte; in einem Fache seines Schreibtisches lag sie verschlossen, und morgens, mittags und abends betete er sie an.
Daneben lag das Wurstbrot, dem er nicht minder verehrungsvolle Gefühle entgegen brachte. Er hatte einen langen Rat mit sich gehalten, was mit der Reliquie zu beginnen sei. Sie verschimmeln zu lassen, das war zu schade; sie pietätlos zu verschlingen ging noch weniger an; deshalb machte er es so, daß er an jedem Abend, ehe er schlafen ging, nach einigen liebevollen Anreden an die Moosrose und das Wurstbrot zugleich, das Brot feierlich in die Hand nahm, mit andachtsvollem Schauer einen großen Bissen davon abbiß und mit Auskostung aller irdischen Wonnen aufaß. Er hatte das Mahl mit vorsichtiger Berechnung so eingeteilt, daß es für sieben Abende ausreichen mußte.
Schon am zweiten Abend freilich waren die Scheiben eingetrocknet und sperrten sich weit auseinander, so daß es aussah, als ob ein hungriger junger Star seinen gelben Schnabel weit aufriß. Die Mettwurstscheiben glänzten von Fett und Butter, und die Butter fing bald an, in der Wärme zu zerfließen. Das alles konnte jedoch die liebende Begeisterung des Glücklichen nicht mindern. Das Wurstbrot der Liebe wurde jeden Tag kleiner und härter und härter und setzte den gesunden Zähnen Karls einen wütenden Widerstand entgegen. Aber er überwand ihn und biß krachend und knackend seinen Bissen ab, den er mit zärtlichen Gefühlen möglichst langsam zermalmte. Ihm war es erwünscht, daß sich durch die Schwierigkeit das köstliche Mahl um so länger ausdehnte.
Am Donnerstag Abend durfte er zufällig sein Wasserwerk eine Stunde eher verlassen als gewöhnlich; er folgte dem Sehnen, das ihn trieb und drängte, und er ging auf die Drömlinger Trift und sah im Abenddämmern das grüne Dorf mit dem grünen Garten des Glückes selig und dankbar vor sich liegen.
Was die weitere Entwickelung der Angelegenheit bringen würde, daran dachte er in seinem Jugendsinne nicht ernstlich, denn es war ihm vorläufig völlig gleichgültig. Er hatte auch niemand, mit dem er darüber hätte sprechen können, niemand, den er um Rat fragen konnte. Seine Eltern waren vor einigen Jahren kurz hintereinander gestorben, und mit entfernteren Verwandten hatte er keine nähern Beziehungen angeknüpft. Er hatte es vorgezogen, allein und selbständig zu sein.
Seinen guten Bekannten von der Soldatenzeit her, oder denen von der Technischen Hochschule sich anzuvertrauen, – etwa dem leichtsinnigen Westphal oder einem andern, das lag ihm völlig fern. Eine solche Entweihung wäre ihm unmöglich gewesen.
Er hatte sein Leben bisher allein getragen, nun konnte er auch sein Liebesglück allein tragen.
Außerdem gab es für ihn bei dieser Geselligkeit zu viel Alkoholpoesie und zu viel Tabaksdunst, und das wollte zu seiner gesunden Frische des Geistes und des Leibes nicht mehr passen.
Am Sonnabend Abend ging er mit hohen und hoffenden Gedanken schlafen; es war ihm, als ob er ein mächtiger Gott sei, der am nächsten Tage Tausende der herrlichsten, buntesten und duftigsten Blumen aufblühen lassen könne, Blumen, deren Pracht die Seele und die Sinne betäubt und selig trunken macht. Vorher aber hatte er das letzte Stück von dem vertrockneten Wurstbrote gegessen, das die ganze Woche hindurch neben der verwelkten Moosrose gelegen hatte. Es war steinhart geworden, aber seine Zähne arbeiteten in freudiger Andacht, und wenn sie nicht von eisenfester Härte gewesen wären, so wären sie an dem harten Drömlinger Brote der Liebe zersprungen.
Einmal in der Nacht wachte er auf, ganz gegen seine Art und Gewohnheit. »Grete!« sagte er halblaut und lauschte unwillkürlich, als ob ihm eine Antwort werden müsse.
War es nicht, als ob es draußen rauschte, leise und raunend? Er hörte es deutlich, denn das Fenster stand weit offen. Es rieselte auf den Blättern und auf dem Dache, so zauberhaft leise, als wenn gedämpfte Geigen ganz, ganz leise und eintönig gestrichen werden. Sein Ohr, das überall Leben und Schönheit trank, hörte leicht diese wundervolle Naturmusik. Dazu sang irgendwo in einer Ecke des Gartens ein Vogel ein paar verträumte Laute, und das klang, als wenn über die leisen Geigen hinweg ein paar Flötentöne fliegen, die selbst nicht wissen, wohin sie gehören, die umherflattern, als ob sie verirrt und verflogen seien.
Ja, es war ein leiser Regen, ein stiller Sonntagsmorgenregen.
Das erste frühe Grau huschte über die Stadt, ganz rasch und flüchtig.
Das zarte Regenlied sang den Lauschenden wieder in Schlaf, und als er wieder erwachte, schlug es von einem nahen Kirchturme sechs Uhr.
Es regnete immer noch, und ein jagender Wind hatte sich aufgemacht; er schüttelte die Regentropfen von den grünen Zweigen und fuhr in den feuchten, leeren Sonntagsmorgenstraßen der Stadt umher wie ein Nachtschwärmer, der nicht nach Hause finden kann.
Niedrig flogen und zogen die Wolken am trüben Himmel, und als Karl spähend hinaufsah und seine liebe Sonne suchte, erschienen ihm die Wolken wie riesige, spielende und jagende graue Mäuse, die schnell in schattenhaftes Nichts zerflossen und immer von neuen Scharen verfolgt und abgelöst wurden.
Wie sollte Karl Sievers in den Drömlinger Pfarrgarten kommen, wenn keine Sonne schien?
Dasselbe dachte auch Grete Rautenstrauch, als sie um dieselbe Stunde aus ihrem Kammerfenster sah und mit ihren Sehnsuchtsgedanken zu dem eilte, den sie am vorigen Sonntage geküßt hatte. Und sie wußte selbst noch nicht so recht, wie und woher das geschehen war.
Karl Sievers aber eilte im Regenrocke und mit grünem Lodenhute durch das nasse Rieseln und Rauschen, durch den feuchten Wald und über die Pfützen der Straße, indem er Gretes Worte gedachte: »Geh' in die Kirche!« Damit konnte doch nur die Drömlinger Kirche gemeint sein.
Grete ging unterdessen die Stufen zu Großvaters Giebelstübchen hinauf und klopfte mit neckender Schüchternheit an die Tür.
»Man trete ein! Schaust so freundlich aus, Gretelein! Hat man einen Wunsch?«
»Es regnet heute, Großvater.«
»Man hat diese seltsame Naturerscheinung richtig beobachtet«, lachte der Alte und blies Morgenwolken durch das offene Fenster.
»Du kannst heute gewiß nicht in den Garten gehen, lieber Großvater!«
»Beim Zeus, Du könntest recht haben!«
»Sagtest Du nicht gestern, Du wolltest in die Kirche gehen, wenn es regnete?«
»Nicht, daß ich wüßte! Man wird sich verhört haben!«
»Ganz gewiß, Großvater, Du wolltest heute in die Kirche gehen.«
»Warum? Hat Dein Vater einen besonders feierlichen cantus firmus vorbereitet, hat er sich eine neue Liturgie eingeübt? Hat er irgend etwas Besonderes zu sagen?«
Grete antwortete nicht. Sie besann sich und lachte leise. Jung und fröhlich stand sie vor dem Alten, wie eine Lilie, die dicht vor einem alten, verwitterten Weidenstamme blüht, dem der Frühling nur noch einige schwankende grüne Gerten mühsam aus der Rinde treibt.
Und dann suchte sie mit ihren offenen jungen Augen die guten alten Augen und lenkte sie nach ihrem Wunsch und Willen.
»Bitte, Großvater, Du gehst heute in die Kirche!«
»Warum?«
»Bitte!«
»Ich will doch wissen, warum?«
»Bitte!«
»Warum?«
»Das sage ich Dir ein anderes Mal.«
Er lachte und schüttelte den Kopf.
»Was Grete will, das will Gott! Ich habe es all mein Lebtag gern gehabt, wenn mich ein Mädel freundlich ansah. Ich bin nie ein Mucker und ein Philister gewesen. Also ich will tun, was Du verlangst, und ich werde in die Kirche gehen. Wenn es denn einmal vielleicht doch auf die guten Werke ankommen soll, dann habe ich eine noch höhere Nummer aufzuweisen.«
Karl Sievers merkte auf seinem Wege nicht viel von dem Regen. Es war eine schwere, weiche Sommerluft, und die Erde und alles auf ihr, was wuchs, trank langsam den feinen Regen.
Karl hatte so viel Sonne und lachendes Licht in seiner Seele, daß es hundert Regentage hintereinander nicht hätten verdunkeln können.
Als von der Drömlinger Kirche her das kurze Vorläuten ertönte, ging er schon auf dem weichen Feldwege hinter dem Pfarrgarten und blickte sehnsüchtig nach der Lindenlaube, aus der heute kein verheißungsvoller Dampf aufstieg. Er dachte immer an den letzten Sonntagabend.
Wie würde es heute werden?
Immer klang es ihm im Herzen nach: »Komm wieder, Du Lieber!« »Geh' in die Kirche!«
Vom Feldwege kam er in die breite Dorfstraße hinein, an einer langen Reihe von Bauernhöfen vorbei, deren Wohnhäuser mit der Giebelseite nach der Straße schauten und deren Höfe von hohen alten Mauern umgeben waren; von da ging er, an der Mühle vorbei, auf den alten Kirchhof, der längst nicht mehr benutzt wurde. Nun stand er vor der alten, steingrauen Kirche und ging gleich darauf mit scheinbarer Sicherheit hinein, als ob das sein allsonntäglicher Weg sei.
Er merkte, wie alle Anwesenden in der Kirche die Köpfe nach ihm drehten und ihn anspähten; ein einsamer Fremdling war hier ein seltener Gast.
Wohin sollte er sich setzen?
Da, gerade vorn rechts, auf der vierten Bank vom Eingange aus war viel Platz. Rechts in der Ecke saß nur ein einzelner, wackerer Mann von gesetztem Alter, mit dunkelbraunrotem, rundem, glattem Gesichte. Ein mächtiges Gesangbuch lag vor ihm, das sicher schon älter als hundert Jahre war. Karl setzte sich mit liebenswürdiger Keckheit neben den Landmann, der ihn, wie er meinte, etwas merkwürdig und mißtrauisch ansah und sich hörbar räusperte.
Karl besah sich jedoch gleichmütig das ebenso riesengroße Gesangbuch, das auf seinem Platze lag. Es roch sehr alt, und die Buchstaben darin waren fast so groß wie die eines Firmenschildes. Die älteste alte Frau hätte ohne Brille darin lesen können.
Der Bauersmann musterte fortgesetzt seinen fremden Nachbar.
»Warum wohl«, dachte Karl, »sieht er mich so an? Vielleicht, weil ich keinen langen schwarzen Rock anhabe, wie er? Mein nasser Mantel gefällt ihm nicht. Schadet nichts.«
Er nickte dem rotbraunen Gesichte freundlich zu, ohne Gegenliebe zu finden.
»Mit übertriebener Höflichkeit tut sich dieser Mann keinen Schaden«, dachte Karl, nahm das dicke Gesangbuch in beide Hände, wobei eine gewisse Kraftentwickelung nötig war, und fing an, darin zu blättern und sich über die Buß- und Klagegesänge zu freuen. Dem Nachbarn entlockte sein Tun ein fast drohendes Räuspern. Karl aber setzte sein Blättern fort und hatte fortgesetzt sein Vergnügen an den kindlichen Reimereien, die er gerade aufschlug, und die ihm die altertümlichen, guten und gütigen Gesichter ihrer Verfasser deutlich vor Augen führten.
Inzwischen läutete es, und neben anderen Drömlingern kam auch ein auffallend großer und breiter Bauersmann, älter als sein Nachbar zur Rechten, aber ebenso rotbraun. Er setzte sich, indem er den Fremdling mit höchstem Erstaunen betrachtete, knackend und wuchtig dicht neben ihn, so daß die Bank seufzte und stöhnte. Karl hatte zuerst gedacht, er wolle sich auf ihn setzen. Der Gewaltige war offenbar asthmatisch, denn er schnaufte bedeutend, und sein Räuspern war mit allerlei unheimlichen Nebentönen vermischt.
»Wunderlich, daß mich diese beiden immer ansehen und sich dann räuspern«, dachte Karl, dem doch zuweilen etwas betreten zu Sinne wurde. »Habe ich denn irgend etwas Merkwürdiges an mir? Ich wüßte nicht, was das sein könnte.«
In seiner Not griff er wieder nach dem Gesangbuche und las und blätterte. Da räusperte sich der neue Nachbar zur Linken derartig laut, daß Karl an einen Löwen denken mußte, dem man ein Stück Fleisch wegnehmen will, das bestimmt ist, ihn vor dem Verhungern zu retten. Karl dachte einen Augenblick über seine unbekannten Sünden nach und beschloß dann, sich durch nichts anfechten zu lassen. Nachdem Pastor Rautenstrauch und mit ihm der alte Großvater Schulte erschienen waren, der sich in eine Art Loge neben der Kanzel setzte, begann der Gottesdienst und nahm seinen regelrechten Fortgang. Die beiden guten Landleute neben Karl sangen, als ob sie sich für eine ganze Woche vollständiger Stimmlosigkeit entschädigen müßten, und Karl fand, daß sie recht kräftige Stimmen hatten, dagegen mit der Tonfolge nicht sehr genau und gewissenhaft umgingen. Es schien eigentlich mehr eine Art Kriegsgesang zu sein, den sie von sich gaben, und von christlicher Milde und Ergebenheit war nichts zu merken.
In der Pause, während die Orgel flötete, sahen die Stimmgewaltigen den Fremden an und räusperten sich dabei donnernd.
Daß der eine, der Ältere, der Asthmatikus, während der Predigt einschlafen konnte und dabei träumte, er müsse einen Baum im Walde umsägen, konnte Karl nicht recht begreifen, denn Pastor Rautenstrauchs Predigt war wirklich nicht zum Einschlafen eingerichtet. Es war klares, gutes, schmackhaftes Brot, und für die recht passend, denen es zugedacht war. Es war eine deutsche Dorfpredigt, bei deren Anhören man wirklich wähnte, durch ein Dorf zu gehen, oder durch fruchtbare Wiesen und Felder, oder in den Gemeindewald, wo knorrige Eichen stehen. Es war nichts darin von schlaffen Palmen und orientalischer Weichheit und Schwüle, nichts von unklarer Schwärmerei und morgenländischer Demut. Eichen rauschten in herbem Winde schön und traulich, nicht säuselte ein laues Lüftchen durch matte Palmen. Nichts von israelitischer Rechthaberei war darin, nichts von jenem Auserwähltheitswahn, der das Recht zu haben glaubt, die Seelen der ganzen Erde in trübselige Fesseln zu legen.
Der Aufenthalt der Andächtigen in der Kirche zeichnete sich durch wohltuende Kürze aus. Als Karl zugleich mit den beiden Rotbraunen von der weiß angestrichenen Holzbank, die erleichtert aufzuatmen schien, sich erhob und unwillkürlich nach Pastor Schultes Ausguck hinschaute, bemerkte er, wie ihm jener lebhaft und freundlich zunickte und an Stelle der Pfeife, mit der er leider kein Rauchopfer in der Kirche bringen konnte, mit dem Finger nach dem Sammtkäppchen stieß. Karl verbeugte sich dankend, was die beiden Drömlinger nicht verstanden; sie dachten, er wolle sie foppen, und dieser Glaube entlockte ihnen noch einmal ein letztes, dröhnendes Räuspern. Dann drängte sich das eine der Ungetüme plötzlich an ihm vorbei und trat ihn mit seinen Sonntagsstiefeln aus Versehen heftig auf den Fuß, wofür sich Karl mit einem gelinden Stöhnen und der gedachten Bezeichnung »Stoffel« bedankte. Gleich darauf bat er jedoch ebenso still ab, denn er sah ein, daß es nicht recht sei, die kirchliche Gastfreundschaft also zu lohnen, auch wenn sie, wie in diesem Falle, nicht gern gegeben war.
In der Kirchentür hatte ihn Pastor Schulte eingeholt, während Pastor Rautenstrauch, einigen sehr vernehmbaren kindlichen Klagelauten nach zu urteilen, noch damit beschäftigt war, einen hülflosen Säugling zu taufen.
»Man schätzt offenbar unser gutes Drömlingen! Will man hier eine Wasserleitung bauen? Will man sich hier ansiedeln? Dann hat man sich« – dabei fing der gute Alte laut an zu lachen – »sogleich auf den einem geachteten Gemeindemitgliede gebührenden Platz gesetzt« – –
Karl Sievers wollte allerlei erklären, fragen und antworten, aber der Redselige ließ ihn nicht zu Worte kommen; er nahm ihn unter den Arm und zog ihn mit dem Rufe »mitgegangen, mitgehangen«, aus der Kirche. »In dem Regen läßt man niemand heimgehen. Sie müssen sich im Hause des Pastor loci zeigen, als –« er lachte wieder laut, »als neuer Kirchenverordneter von Drömlingen.«
»Wieso«, fragte Karl, und ihm dämmerte etwas.
»Einfach, sehr einfach! Man hat sich unverzagt und keck auf die heilige Bank gesetzt, mitten zwischen die Kirchenverordneten; auf eine Bank, die sonst jedem gewöhnlichen Menschen versagt ist. Stoßt an, kühne Tat lebe!«
Jetzt wurde sich Karl klar über die Blicke der Rotbraunen, über ihr Schnaufen und Räuspern, und über den vielleicht doch nicht ganz absichtslosen Fußtritt zum Schlusse. Vielleicht hatte er sogar dem Asthmatischen sein angestammtes Familiengesangbuch weggenommen! Er erschrak noch nachträglich über sein in aller Harmlosigkeit begangenes Sakrilegium.
Grete Rautenstrauch stand in der Haustür und empfing die Ankommenden. Als Großvater Schulte das unendlich vergnügte und beglückte Gesicht seiner Enkelin sah, kam ihm erst eine Ahnung, dann eine plötzliche Erkenntnis, warum er heute durchaus hatte in die Kirche gehen sollen.
»Ich bringe ihn schon wieder mit, heute jedoch durch eine andere Tür«, rief der alte Herr. »Man scheint beiderseits recht damit einverstanden zu sein, was mir eine gewisse Beruhigung ist. Vorläufig aber gehört er mir. Erst am Nachmittag werde ich ihn dem Allgemeinwohle, dem Moloch des Familienlebens opfern. Herr Wasserwerk, man komme jetzt mit mir in meine Giebelstube«.
Karl und Grete gaben sich die Hand, und der Händedruck war fest und lange; dabei sahen sie sich an mit sittsamer Fröhlichkeit.