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10.
Olle Kamellen

»Wir hatten uns herzlich gern«, erzählte der Alte in der achtzehnten Geschichte, »ich und meine Luise. Aber, wie unser Gott das Weib nun einmal erschaffen hat, – man wisse, sie war ein wenig, wie man so mit Milde zu sagen pflegt, rechthaberisch, meine gute Luise, wie alle Menschen, die eigentlich nicht genug gelernt und nicht genug über sich nachgedacht haben. Da ich selbst ein wenig streitbar in meiner raschen Jugend war, in Worten und Werken, so zog gelegentlich ein böses Unwetter herauf, nach dem dann um so heller die liebe Sonne der Versöhnung schien. Graue Wolken zogen besonders oft in jener ersten Zeit unserer jungen Ehe auf, als wir ein blutjunges, liebliches Mägdelein in's Haus genommen hatten; sie sollte für meine Luise eine Unterstützung in den Werken des Haushalts sein. Rein war meine Seele, aber Gott weiß, warum, die Eifersucht kroch in Luises Herz.

Die Wahrheit soll gesprochen sein, – schöner, friedlicher und freundlicher als meine Luise, mit höherem Geist und zarterer weiblicher Anmut begabt war Luzie, die kleine Sylphide, der Zauber und Lichtschein unseres Hauses. Wer sollte mit solch' einem Wesen nicht fröhlich sein, wer sollte zu ihr nicht freundlich und gut sein? Niemand soll bestreiten, daß auch ein Landpfarrer ein Mensch ist, und ich im besondern war niemals ein Philister und möchte auch jetzt noch keiner sein, – und wenn Luise grollte, war ich mit Luzie fröhlich.

Und doch hat mir dieser Name drei schwere Tage meines Lebens verschafft! Ahnungslos, getanen Werkes froh, kam ich eines Sommersonntags, – es mochte dieselbe Jahreszeit sein wie heute, aus meiner Kirche. Luise war schon vor mir hinausgegangen, da ich noch ein Brautpaar zu trauen hatte. Zornig und weinend empfing sie mich.

»»Was hast Du?«« fragte ich gelassen und in der Sicherheit meines guten Gewissens.

»»Aus dem Hause muß sie, sofort aus dem Hause!«« rief Luise mit unzweifelhafter Lebendigkeit in Ausdruck und Stimme.

»»Wer muß aus dem Hause?«« fragte ich erstaunt.

»»Wer? Kannst Du noch fragen, Du Treuloser? O Du Heuchler, Du Scheinheiliger! Du wagst es, vor meine Augen zu treten, in Deinem schwarzen Gottesgewande?««

Karl lauschte mit unendlichem Vergnügen.

»Man wundert sich über den schwungvollen Ton meiner Luise? Keine Ursache. Sie las damals anhaltend Kotzebue und Müllner, auch Gerstenberg. Schuld und Sühne, Ugolino im Hungerturm und ähnliches. Oft mußten wir alle drei lesen und wir füllten uns bis oben an voll von Grauen und Romantik«.

»»Ich verstehe Dich nicht, Luise,«« sagte ich in vollkommener Harmlosigkeit.

»»Du wirst mich einst verstehen, wenn Du mich verloren hast, wenn es zu spät ist, Du Elender!««

Sie fing an, jämmerlich zu heulen, und ich stand da in meinem schwarzen Gottesgewande, wie sie es zu nennen beliebt hatte, und ich wußte nicht, was ich sagen oder tun sollte. Beruhigend nahte ich mich ihr.

»»Komm, liebe Luise,«« – sie schleuderte theatralisch die Hände von sich, mit denen sie vorher ihr tränenfeuchtes Angesicht verhüllt hatte.

»»Wage es nicht, mir zu nahen!««

»»Liebe Luise!««

»»Ich bin nicht Deine liebe Luise! Geh' nur, geh' nur zu Deiner – zu – – o! das ist mein Tod!««

Sie verhüllte wiederum ihre Jammermiene mit den Händen. Mein Wissen versagte, aber mein Ahnen half mir. Dies alles konnte nur mit unserer Sylphide Luzie zusammenhängen.

»»Aber so sprich doch!«« sagte ich so sanft als möglich, während sie schluchzte und jammerte wie eine Nachtigall, die irgend jemand heimtückisch und hinterwärts an den Schwanzfedern gepackt hat.

»»Nein, ich spreche nicht, nachdem Du gesprochen hast, nachdem Du meine Schande in der heiligen Kirche, von Deiner Kanzel herab öffentlich verkündigt hast, von der Kanzel, auf der Du nur Tugend und Sittsamkeit predigen solltest!««

»»Aber das tue ich doch, liebe Luise!««

»»O Du Heuchler, Du Scheinheiliger, der Du Gottes Wort als Deckmantel für Deine – Deine – Deine«« – –

Hier konnte sie offenbar das rechte Wort nicht finden, und, hülfsbereit wie ich immer war, sah ich mich veranlaßt, ihr aus meinem größeren Sprachschatze zu helfen, indem ich sagte:

»»Schandtaten benutzest!««

Sie faßte diese liebevolle Unterstützung leider ganz falsch auf. Erst sah sie mich eine Weile wie entgeistert starr an, was sie vor kurzem im Theater gesehen hatte, dann lief sie weg und rief:

»»Das ist zu viel! Er gesteht alles ein! Und er verhöhnt mich auch noch!««

Mit einem langgezogenen huuuuh, das wie ein Nachtwächterhorn klang, zog sie klagend in ihre Stube, während ich mich mit der Gemächlichkeit meines guten Gewissens des schwarzen Rockes entledigte, wobei mir sonst »Luzi« zu helfen pflegte. Was konnte Luise vorhaben? Ich wußte es nicht. Vielleicht übte sie sich nur im Theaterspielen. Kotzebue, Müllner und Gerstenberg waren ihr zu Kopfe gestiegen. Ich verlor meinen Gleichmut nicht und rief: Fräulein Luzi! Luzechen! Wie das so meine Art war. Als Antwort hörte ich von neuem Luises langgezogenes »Huh«. Der Nachtwächter war offenbar in der höchsten Not; es brannte irgendwo. Aus der Küche kam jetzt, zierlich und leicht schreitend wie immer unsere Luzi. »»Herr Pastor? Sie riefen?«« hauchte sie.

»»Ja. Wissen Sie denn nicht, warum Luise so – so«« – –

»»Ach ja, Frau Pastor ist sehr aufgeregt.««

»»Warum denn nur?««

»»Ja, ich wäre eine Schlange, hat sie zu mir gesagt, eine grünlich schillernde, schöne Schlange!««

Wir lächelten uns jetzt vorsichtig an, und ich sagte, mehr zu mir selbst, aber doch laut genug:

»»Unglaublich! Unser liebes Luzechen eine Schlange! Noch dazu eine grünlich schillernde!««

»»Huh!«« ging es wieder aus der offenen Stubentür heraus. Luise lauschte offenbar trotz ihres wilden Schmerzes sehr genau und beantwortete die schlimmsten Stellen unserer Gespräche mit ihrem mahnenden Nachtwächterrufe.

»Fräulein Luzie half mir gewandt beim Ausziehen meines Gotteskleides, und ich konnte nicht umhin, in aller Ehrbarkeit den Gegensatz zwischen ihr und meiner guten Luise deutlicher zu empfinden, als es vielleicht gerade nötig war. Als das Fräulein wieder in die Küche zurückhuschte, rief ich dankbar hinterher: Danke herzlich, liebes Fräulein Luzi, für Ihre große Freundlichkeit!

Ein entsetzliches Huh erscholl als Quittung. Diesmal war es so schauerlich, daß mir doch etwas ängstlich zu Sinne wurde. Als mich Luise näher kommen hörte, schloß sie die Tür und schob den Riegel vor. Ich hörte es heftig knacken und war nicht sehr betrübt darüber.«

Pastor Schulte schwieg ein Weilchen und rauchte heftig. Durch die Wolken hindurch sah Karl Sievers die fröhlichen alten Augen schimmern.

»Die Geschichte ist doch noch nicht zu Ende, Herr Pastor?«

»Behüte! Noch lange nicht. Wenn man weiter hören will? Das Mittagessen begann in düsterer Stille. Luise hielt in der linken Hand das Taschentuch, in der rechten ließ sie kunstvoll den Löffel zittern. Ich aß meine Suppe mit recht behaglichem Hunger, während Luzechen ziemlich schüchtern löffelte. Luise ballte ihr Tränentuch zusammen und hob mit schwerem Seufzer den halb gefüllten Löffel. Gleich darauf aber ließ sie ihn kraftlos wieder sinken und hauchte: »»Ich kann nicht!««

»Mir schmeckt die Suppe recht gut; besonders die Klößchen darin sind vorzüglich, liebe Luise!« sagte ich beruhigend. Sie führte das Tuch an die Augen und vor den Mund:

»»Empörend, fast roh, diese Gleichgültigkeit gegen meine Seelenpein!««

»Kotzebue!« dachte ich.

Verschüchtert legte nunmehr auch Fräulein Luzie den Löffel hin, damit ihr nicht auch der Vorwurf empörender Roheit gemacht werde.

Jetzt fing ich an, mich zu ärgern. Unser sonst so schönes, gemütliches Sonntagsmittagsessen! Ich verschluckte vor Arger drei Klöße hinter einander, was meine Luise wiederum mit der Bemerkung »empörend« begleitete.

Mit meiner Ruhe war es vorbei. Jede Pastoralsymphonie hat ihr Allegro, gelegentlich auch ihr Allegro furioso.

»Nein, es ist nicht empörend, wenn mir diese vortreffliche Suppe gut schmeckt!« rief ich. »Empörend aber ist es, wenn sich eine christliche Hausfrau also benimmt! Wenn ich den ganzen Vormittag Gottes Wort gepredigt habe, will ich mich mittags wenigstens satt essen. Und wenn ich sechs Klöße esse, nein, wenn ich zwanzig esse, so ist das nach meiner Meinung noch lange nicht so empörend, als wenn man mir das nicht gönnt und mir hier eine Theatervorstellung aufführt.«

Ich merkte, wie Luise nun doch einen kleinen Schreck bekam. Wenn ich so laut sprach wie jetzt, dann wurde sie etwas ängstlich, denn sie wußte, ich konnte bei fortgesetzter Reizung dann wirklich sehr zornig werden.

»»Ja, es ist gut; ich will also schweigen. Schweigend will ich mein Leid und meinen Jammer erdulden,«« sagte sie mit tragischer Tiefe.

»Höre endlich auf mit deinem verdammten Kotzebueton!« rief ich. »Fräulein Luzi, jetzt will ich noch drei Klöße essen, nun erst recht! Nein, bitte geben Sie mir noch vier!« Luise zuckte schwer verletzt zusammen und gab sich offenbar Mühe, leichenblaß auszusehen, was ihr bei ihrer sonst recht gesunden Natur nicht gelingen wollte. Deshalb versuchte sie etwas anderes. Sie stand auf, nahm ihren Teller und ging zum offenen Fenster.

»»Ich bin satt,«« sagte sie und schüttete den Inhalt ihres Tellers auf den Hof. Ich hörte, wie die Hühner sich darüber hermachten. Der Hahn war über die schönen Klößchen vor Freude ganz aus dem Häuschen.

Jetzt war es mit meiner künstlichen Ruhe vorbei:

»Gut,« rief ich sehr laut, »wenn die verehrte Hausfrau satt ist, können wir alle zusammen satt sein. Sie können den Tisch abdecken, Fräulein Luzie.«

Fräulein Luzi machte ein äußerst unglückliches Gesicht und rührte sich nicht. Jetzt fing auch sie also noch an, ungehorsam zu werden. Man wundere sich nicht, junger Freund, über das, was ich nun tat. Ich war damals rasch mit Worten und Taten, und leider Gottes jach zum Zorn. Ich sprang auf und rief:

»Nun, dann werde ich das Abräumen besorgen! Aber gründlich!«

Bei allen vier Zipfeln faßte ich das Tischtuch, nahm es samt Suppenschüssel, Tellern und allem Gerät und warf die ganze Bescherung durch das Fenster auf den Hof zwischen die kreischenden und flatternden Hühner. Die Suppe triefte auf den Fußboden durch das Tischtuch, und ein Klößchen rollte traurig in die Ecke, seiner eigentlichen Bestimmung verloren.

Entsetzt liefen Luise und Luzi von dannen, denn sie mochten wohl denken, mir sei plötzlich mein Verstand verloren gegangen.

Ich sagte mich bis auf weiteres vollständig von den beiden los, ließ mir meine sämtlichen Mahlzeiten oben auf meine Stube bringen und sprach mit niemand. Ich war der grollende Löwe.

Das dauerte bis Dienstag.

Am Mittwoch vormittag schien man sich unten versöhnt zu haben, denn ich hörte Lachen und Singen herauftönen, was mich mit Ärger und Neid erfüllte, denn ich war ebenfalls so gern fröhlich, und im Grunde harmonierten wir alle drei so prächtig miteinander, bis zu jenem unsinnigen Sonntage, dessen Ereignisse immer noch nicht aufgeklärt waren. Wenn ich nur wenigstens gewußt hätte, was Luise vorgehabt hatte!

Um die Mittagszeit wartete ich vergeblich auf meine Atzung; aber kein Luischen und kein Luzechen kam. Wollten sie mich etwa aushungern?

Nach einer halben Stunde fing die Klingel an heftig zu tönen; sie wurde immer dann geläutet, wenn ich in einer dringenden Angelegenheit herunter kommen sollte.

»Aha«, dachte ich, »sie wollen Dich fangen! Sie läuten, damit Du zum Essen hinunterkommst. Bitte, läutet so viel ihr wollt!«

Das taten sie wirklich. Es schallte, daß es kaum auszuhalten war. Ich öffnete leise die Stubentür und hörte Luise und Luzi unten im Flur kichern. Reizend, ganz reizend klang es. Außerdem roch es betörend nach Spargel und Kalbsschnitzeln, wofür ich eine gewisse Leidenschaft hatte. Macht nichts. Ich wurde nicht schwach. Verstärktes Läuten. Die Ohren gellten mir. Ich schlich wieder zur Tür. Sie knarrte trotz meiner Vorsicht. Luise mußte es gehört haben. Sie rief leise und flötend, geradezu betörend: »»Wimme!«« Ich heiße eigentlich Wilhelm, aber wenn sie es recht gut mit mir meinte, nannte sie mich »»Wimme.««

»Ruf' Du nur«, dachte ich, »ich traue Dir nicht!«

Wenn nur der Spargel nicht gewesen wäre, und die gebratenen Kalbsstückchen! Das alles konnte das lange Stehen nicht vertragen.

Es läutete wieder eine lange Nacht.

»»Herr Pastor!«« rief Fräulein Luzi.

Nein, ich komme nicht, dachte ich. Wenn ich nur nicht solchen Hunger gehabt hätte! Ich hatte mich drei Tage lang noch nicht ein einziges Mal satt gegessen. Es schmeckt nicht, wenn man so allein ißt. Ich ging unruhig auf und ab. Das ewige Klingeln machte einen förmlich wahnsinnig.

Nein, ich komme nicht! Ich gebe nicht nach!

Übrigens gab es heute zum letzten Male Spargel. Es war schon Juli, und der heutige war noch vom 26. Juni her im Garten aufgehoben. Ich hatte gesehen, wie Fräulein Luzi ihn eingrub.

Ob ich doch hinunterging? Sie bringen mir nichts, das ist sicher. Schade um den Spargel! Wer weiß, ob er im nächsten Jahre so gut gerät.

Jetzt gingen die beiden Weiber zum Sturm über. Sie läuteten und rissen an der Glocke, unaufhörlich, minutenlang; mitunter schienen sie vor Lachen nicht weiter zu können. Dazwischen riefen sie:

»»Wimme, Wimme!«« und »»Herr Pastor, lieber Herr Pastor!««

»»Liebster Wimme!««

»»Liebster Herr Pastor!««

»»Lieber alter Wimme!««

»»Lieber alter Herr Pastor!««

»»Liebes, gutes Wimmechen!««

»»Liebes, gutes Pastorchen!««

Das war einfach nicht mehr auszuhalten! Was sollte aus mir und aus dem köstlichen Spargel werden?

Es war förmlich rührend, dieses zärtliche Rufen meiner Luise! Und dann Luzechen als liebenswürdiges, entzückendes Echo! Es war doch eine völlig unchristliche Härte, die ich da zeigte. Außerdem hörten sie nicht auf zu läuten, tatsächlich nicht. Es war kein Ende abzuhören. Und dieses zärtliche Rufen da unten nahm ebenfalls kein Ende.

Ich machte mich stark und ging an die Treppe. Ich wollte als Hausherr diesen lärmenden Unfug verbieten.

Ich zeigte ein äußerst finsteres Gesicht, obgleich gerade wieder ein köstlicher Duft aus der Küche kam, zwischen dem ich jetzt auch noch Zwiebackspudding entdeckte!

Das fehlte noch! Hatte sich denn heute alles verschworen?

»»Ich bitte mir Ruhe aus!«« donnerte ich.

»»Oh!«« rief Luzi scheinbar erstaunt. »»Sehen Sie, da ist er, der liebe, gute Herr Pastor!««

»Schlangenbrut«, dachte ich, »ihr sollt mich nicht fangen. Ich bin gewappnet gegen Eure Verführungskünste«.

»»Ach, mein Wimme, komm doch!««

»»Ach, mein Herr Pastor, kommen Sie doch!««

Wenn nur dieses Echo nicht gewesen wäre. Wie sie dastand, so lustig und mit rosigen Wangen; und wie Luise aussah, so fröhlich und gesund, gar nicht mehr wie Kotzebues Verzweiflung, Schuld und Sühne.

Ich blieb immer noch an der Treppe stehen.

»»Sehen Sie, wie freundlich er schon aussieht, der gute Herr Pastor!«« sagte Luzechen, der Racker, jetzt so laut zu meiner Luise, daß ich es hören mußte.

»»Ja, der gute, treue Wimme!««

»»Ja, der gute, treue Herr Pastor! Zu reizend sieht er aus!««

»»Komm doch, liebes Wimmechen!««

»»Kommen Sie doch, liebes Herr Pastorchen!««

So ging es unaufhörlich, und dabei zogen sie inzwischen die Glocke. Wenn die eine nicht mehr konnte, wurde sie von der andern abgelöst.

Drei Hände streckten sich mir flehend entgegen, und die vierte riß am Glockenzuge. Junger Freund, ich habe Ihnen schon einmal gesagt, auch ein Landpfarrer ist ein Mensch, zumal dann, wenn er Hunger hat – – – ohne daß ich es eigentlich wollte, war ich die halbe Treppe hinab. Das Notklingeln wurde zum Triumphgeläute.

»»Lieber Wimme!««

»»Lieber Pastor!«« jauchzten sie unten.

Als ich noch drei Stufen von ihnen entfernt war, zogen mich vier Hände noch weiter hinab, und ich lag in ihren Armen. Luise gab mir einen Kuß, den ich gewissenhaft erwidern mußte. Ich teilte mehrere Küsse aus, wobei ich merkte, daß dazwischen mindestens einer war, der ganz anders schmeckte als die aus Luises bekannter Quelle. Mindestens ebenso gut! Auch bemerkte ich, daß sich Fräulein Luzie plötzlich zurückzog.

Feierlich wurde ich in die Eßstube geleitet, und Luzechen holte das köstliche Mahl aus der Küche herein.

Zwischendurch kam auf mein Fragen die Erklärung.

»»Fräulein Luzie hat mir heilig versichert, es sei nichts zwischen Euch beiden.««

»Nein, wahrhaftig, das ist es ganz gewiß nicht. Wie kamst Du auf diesen Gedanken?«

»»O, lieber Wilhelm«« – sie wurde aufs äußerste feierlich, was jedoch zum Glück nicht lange anhielt, »»weißt Du nicht, was Du am letzten Sonntag auf offener Kanzel vor der versammelten Gemeinde gesagt hast?««

»Nein, das weiß ich nicht!«

»»Wirklich nicht?««

»Nein, wirklich nicht.«

»»Du ahnst nicht, wohin es führen muß, wenn man so etwas in der Kirche sagt. Du weißt nicht, zu welchen Mißdeutungen das führen muß!««

»Nein, ich sage Dir ja, ich weiß es nicht! Quäle mich nicht so, ich habe solchen Hunger!«

»»Du hast gesagt«« – – –

Sie stockte.

»Was habe ich gesagt?«

»»Das Schönste, was wir haben, das ist – –«« sie stockte wieder.

»Was ist es denn?«

»»Das ist – das ist – – das ist das Evangelium – – Du hast Dich versprochen – – das ist das Evangelium Luzi!««

Jetzt verstand ich und lachte laut.

»»Was sollen die Leute davon denken? Jeder muß denken, Du liebst Fräulein Luzi und hast ihren Namen immer auf der Zunge.««

»Und das dachtest auch Du?«

»»Ja, das dachte ich!««

Fräulein Luzi kam mit dem Spargel herein.«

Pastor Schulte hörte auf zu sprechen und hüllte sich wieder in dichtere Dampfwolken. So umzogen seinen Geist auch die fernen Wolken der Vergangenheit, der Erinnerung, die dem fröhlichen, klaren, gesunden Alter so lieb sind.

»Ist die Geschichte zu Ende?« fragte Karl Sievers.

»Gewiß! Was will man noch hören? Mein Evangelium Luzi war wirklich reizend, aber meiner Luise bin ich deshalb doch nicht untreu geworden. Unser Luzechen hat nachher einen Pastor geheiratet, und der ist jahrelang mein guter Freund und Nachbar gewesen. Er ist schon gestorben. Gott segne ihn, und unser Luzechen, die noch lebt, wenn ich auch nichts mehr von ihr höre.«


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