Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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93.

Endlich reisten wir von Wien ab, und bis Bruck konnte ich es aushalten. Da fing das Asthma von neuem an heftig zu werden. Wir riefen den Arzt: es war ein gewisser Herr Jüdmann, ein Mann von vielem Anstande. Er ließ mir zur Ader, brachte mich ins Bett und verordnete wieder Akonit. Nach zwei Tagen ward auf meine dringenden Bitten die Reise fortgesetzt.

Wir kamen durch Österreich und Steiermark, gelangten nach Kärnten, ohne daß etwas vorfiel; aber als wir in geringer Entfernung von Klagenfurt das Dorf Feldkirchen erreicht hatten, siehe, da kam ein Gegenbefehl an. Wir sollten hier verweilen, bis eine neue Verfügung eingetroffen wäre.

Ich überlasse es dem Leser sich vorzustellen, wie unangenehm uns dieser Zwischenfall war. Zudem machte es mir Verdruß, derjenige zu sein, der seinen Gefährten so viel Unbequemlichkeiten verursachte: daß sie nicht schnell in die Heimat zurückkommen konnten, daran war meine unselige Krankheit schuld.

Wir hielten uns fünf Tage in Feldkirchen auf, und hier tat der Kommissar sein möglichstes, um für unsere Erholung zu sorgen. Es war hier ein kleines Theater von einer herumziehenden Truppe, dahin führte er uns. Einen Tag verschaffte er uns das Vergnügen an einer Jagd teilzunehmen. Unser Wirt und einige junge Leute aus der Gegend mit dem Besitzer eines schönen Forstes waren die Jäger; und wir schauten von einer bequemen Stelle aus der Lustbarkeit zu.

Endlich traf ein Kurier von Wien ein, welcher dem Kommissar den Befehl brachte, uns nun an unseren Bestimmungsort zu bringen. Meine Gefährten und ich jubelten über diese glückliche Nachricht, zur selben Zeit aber zitterte ich, weil für mich der Tag herannahte, der mir alles Unglück enthüllen würde; wo ich erfahren würde, daß ich weder Vater noch Mutter hätte und irgendein anderer von den Meinigen nicht mehr am Leben sei! Und meine Traurigkeit nahm zu, je näher wir den Grenzen Italiens kamen.

Auf jener Seite bietet der Eintritt in Italien für das Auge nichts Anziehendes, man steigt vielmehr aus den herrlichen Gebirgsgegenden des deutschen Landes über ein weites, unfruchtbares und reizloses Gebiet in die italienische Ebene hinab, so daß Reisende, welche unsere Halbinsel noch nicht kennen und dorther kommen, oftmals darüber lachen, sich eine so glänzende Vorstellung davon gemacht zu haben, und durch diejenigen hintergangen zu sein befürchten, von denen sie diese Gegenden so sehr haben rühmen hören.

Die Rauhigkeit des Bodens trug dazu bei, meine Traurigkeit zu vermehren. Da ich unseren Himmel wiedersah, Gesichtern von Menschen begegnete, die nicht mehr jene nördliche Bildung hatten, da ich auf jeder Lippe unsere Sprache hörte, ergriff mich eine sanfte Wehmut; aber es war eine Rührung, die mich mehr zum Weinen als zur Freude stimmte. Wie oft bedeckte ich mir im Wagen das Gesicht mit den Händen, tat, als ob ich schliefe, und weinte. Wie oft schloß ich nachts kein Auge und lag in Fieberhitze, dann flehte ich bald die heißesten Segenswünsche auf mein süßes Italien herab und dankte dem Himmel, ihm wiedergegeben zu sein; oder ängstigte mich, daß ich von Hause keine Nachrichten hatte, oder träumte von allerhand Unheil; bald dachte ich, daß ich in kurzem genötigt sein würde, mich, und vielleicht für immer, von einem Freunde zu trennen, der so viel mit mir gelitten und mir so viele Beweise brüderlicher Liebe gegeben hatte!

Ach! so viele Jahre einer Grabesnacht hatten die Lebhaftigkeit meiner Empfindungen nicht geschwächt! aber diese Lebhaftigkeit neigte sich so wenig der Freude und so sehr dem Schmerze zu!

Wie gern hätte ich Udine und jenes Wirtshaus wiedergesehen, wo jene zwei edlen Männer sich für Kellner ausgegeben und uns heimlich die Hand gedrückt hatten!

Wir ließen jene Stadt links liegen und fuhren weiter.


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