Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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74.

Die Anstrengung, die ich machte, um die Sakramente mit geistiger Aufmerksamkeit zu empfangen, schien meine Lebenskraft zu erschöpfen; aber statt dessen verhalf sie mir dazu, daß ich mehrere Stunden lang in einen tiefen Schlaf versank, der mich erquickte.

Ich erwachte etwas erleichtert, und da ich Schiller und Kral neben mir sah, ergriff ich ihre Hände und dankte ihnen für ihre Sorgfalt.

Schiller sprach zu mir: »Mein Auge ist darin geübt, Kranke zu beobachten: ich wollte wetten, daß Sie nicht sterben.«

»Meint Ihr nicht, daß Ihr da eine schlechte Aussage über mich macht?« versetzte ich.

»Nein,« entgegnete er; »das Elend des Lebens ist groß, das ist wohl wahr; aber wer es mit edler Gesinnung und mit Demut erträgt, gewinnt immer dabei, solange er lebt.« Nachher fügte er hinzu: »Wenn Sie am Leben bleiben, so hoffe ich, wird Ihnen in den nächsten Tagen eine große Freude bereitet werden. Haben Sie nicht darum gebeten, Herrn Maroncelli sehen zu dürfen?«

»Ach, so oft schon bat ich darum, und stets vergebens; kaum wage ich mehr, es zu hoffen.«

»Hoffen Sie, hoffen Sie es, mein Herr! und wiederholen Sie Ihre Bitte!«

Wirklich sprach ich sie an jenem Tage aufs neue aus. Der Oberinspektor antwortete mir gleichfalls, ich dürfte es hoffen, es sei – fügte er sogar hinzu – wahrscheinlich, daß Maroncelli mich nicht bloß sehen könnte, sondern daß er mir sogar zum Krankenwärter und für die Zukunft zum unzertrennlichen Gefährten gegeben werden würde.

Da nämlich die Gesundheit von allen, die Staatsgefangene waren, mehr oder weniger untergraben war, so hatte der Statthalter ein Gesuch nach Wien gerichtet, daß wir zwei und zwei zusammengelegt werden könnten, damit einer dem anderen als Beistand dienen könnte.

Ich hatte auch um die Gnade gebeten, den Meinigen ein letztes Lebewohl schreiben zu dürfen.

Gegen Ende der zweiten Woche trat in meiner Krankheit eine Krisis ein, und dann ging die Gefahr vorüber.

Schon fing ich an, wieder aufzustehen, da öffnet sich eines Morgens die Tür, und ich sehe den Oberinspektor, Schillern und den Arzt feierlich eintreten. Der erstere eilt auf mich zu und sagt mir: »Wir haben die Erlaubnis, Maroncelli Ihnen zum Gefährten zu geben, auch dürfen Sie einen Brief an Ihre Eltern schreiben.«

Die Freude benahm mir den Atem; der arme Inspektor hatte im Drange seines Herzens jede Rücksicht der Klugheit beiseite gesetzt und hielt mich jetzt für verloren.

Als ich die Besinnung wiedererlangt hatte und mich der vernommenen Erlaubnis erinnerte, bat ich, man möchte mir eine so große Wohltat nicht länger vorenthalten. Der Arzt gab seine Einwilligung, und Maroncelli ward in meine Arme geführt.

Ach, welch ein Augenblick war dies! »Du lebst!« riefen wir beiderseits aus. »O Freund! O Bruder! Welch glücklichen Tag erleben wir noch! Gott sei dafür gepriesen!«

Zu unserer Freude jedoch, die grenzenlos war, gesellte sich ein Mitleid ohne Grenzen. Maroncelli konnte, da er mich so eingefallen sah, weniger betroffen sein als ich: er wußte, welch schwere Krankheit ich durchgemacht hatte. Ich aber, auch wenn ich daran dachte, was er gelitten, hätte mir ihn nicht so gegen früher verändert vorstellen können. Er war beinahe nicht wiederzuerkennen. Sein einst so schönes, so blühendes Aussehen war von Schmerz, von Hunger, durch die schlechte Luft seines düsteren Kerkers vernichtet!

Doch der Umstand, daß wir uns sahen, daß wir uns hörten und daß wir endlich vereint waren, richtete uns auf. Ach, tausend Dinge hatten wir uns mitzuteilen, uns ins Gedächtnis zurückzurufen, uns zu wiederholen! Wie süß ist es, gemeinsam zu klagen! Welche Übereinstimmung in allen Gedanken! Welche Befriedigung, hinsichtlich der Religion uns im Einklänge zu finden, immerhin beide – Unwissenheit und Roheit – zu hassen, sonst aber gegen keinen Menschen Haß zu hegen und die Unwissenden und Rohen zu bemitleiden und für sie zu beten!


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