Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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85.

Im anstoßenden Kerker, den einst Oroboni innegehabt, befanden sich jetzt Don Marco Fortini und Herr Antonio Villa. Der letztere, früher stark wie ein Herkules, litt das erste Jahr viel Hunger, und als er dann mehr zu essen bekam, hatte er keine Kraft mehr zu verdauen. Langsam schmachtete er hin, und erst als es mit ihm zum äußersten gekommen war, erreichte er, daß man ihm eine luftigere Zelle zuwies. Die scheußliche Atmosphäre eines engen Grabes hatte ohne Zweifel sehr schädlich auf ihn eingewirkt, wie es bei allen anderen der Fall war. Aber die von ihm erbetene Abhilfe war nicht ausreichend. In jener großen Zelle brachte er nur noch einige Monate zu, dann aber starb er nach wiederholten Blutstürzen.

Hilfreich stand ihm sein Mitgefangener D. Fortini zur Seite und auch der Abt Paulowitsch, der von Wien herbeieilte, sobald man erfahren, daß sein Zustand lebensgefährlich wäre. Obwohl ich mich nicht so eng an ihn angeschlossen hatte als an Oroboni, so betrübte mich doch sein Tod auf das tiefste. Ich wußte, daß seine Eltern und seine Braut ihn zärtlich liebten! Er für seine Person war mehr zu beneiden als zu beklagen; aber die armen Hinterbliebenen! ...

Auch in den Bleidächern war er mein Nachbar gewesen; Tremerello hatte mir einige Gedichte von ihm und ihm welche von mir gebracht. Ein tiefes Gefühl herrschte manchmal in diesen seinen Versen.

Nach seinem Tode schien er mir noch teurer geworden zu sein als im Leben, da ich von den Wachen vernahm, wie furchtbar er gelitten hatte. Der Unglückliche konnte sich, obwohl er durchaus religiös war, in den Tod nicht ergeben. Im höchsten Maße empfand er die Schrecken dieses letzten furchtbaren Schrittes, darum pries er den Herrn oft und rief unter Tränen aus: »Ich vermag meinen Willen nicht mit dem deinigen in Einklang zu bringen, dennoch möchte ich es gern tun; wirke du dies Wunder in mir!«

Die Sündhaftigkeit Orobonis besaß er nicht, aber er suchte ihm nachzueifern und versicherte, daß er seinen Feinden verzeihe.

Gegen Ende dieses Jahres (es war 1826) hörten wir eines Abends auf dem Gange ein schlecht unterdrücktes Geräusch von Schritten. Unsere Ohren hatten allmählich eine außerordentliche Übung darin erlangt, tausend Arten von Geräuschen zu unterscheiden. Eine Tür ward aufgeschlossen; wir erkennen, daß es die ist, wo der Advokat Solera saß. Eine zweite Tür wird aufgemacht: es war die von Fortinis Gefängnis. Aus einigen ganz leisen Stimmen heraus unterscheiden wir die des Polizeidirektors. – Was wird es geben? Eine Inspektion zu so später Stunde? Und weshalb?

Aber bald darauf kamen sie von neuem auf den Korridor, da hörte ich die liebe Stimme des braven Fortini: »Ach, ich armer Mann! verzeihen Sie gütigst; ich habe ja einen Band meines Breviariums vergessen.«

Dann lief er flink zurück, um den Band zu holen, und schloß sich der Schar wieder an. Die Tür zur Treppe ging auf, wir hörten ihre Schritte bis an das unterste Ende; wir begriffen, daß die beiden Glücklichen begnadigt worden waren; und obwohl wir bedauerten, ihnen nicht folgen zu dürfen, so waren wir doch herzlich darüber erfreut.


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