Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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23.

Schweigend folgte ich dem Kerkermeister. Nachdem wir mehrere Gänge und Säle durchschritten hatten, kamen wir an eine enge Treppe, welche uns unter die Bleidächer, in das aus den Zeiten der venezianischen Republik her berüchtigte Staatsgefängnis führte.

Hier nahm der Kerkermeister meinen Namen in sein Register auf und schloß mich in die für mich bestimmte Zelle ein.

Die sogenannten Bleidächer bilden den oberen Teil des ehemaligen Dogenpalastes, der ganz mit Blei gedeckt ist.

Mein Zimmer hatte ein großes Fenster, mit einem furchtbaren Eisengitter, und lag nach dem Dache der St. Markuskirche hinaus, das ebenfalls von Blei ist. Über die Kirche hinweg sah ich in der Ferne das Ende der Piazza und auf allen Seiten eine Unzahl Kuppeln und Glockentürme. Der riesige Glockenturm von San Marco war von mir nur so weit entfernt, als etwa die Länge der Kirche beträgt, und ich konnte es hören, wenn Leute auf der Spitze desselben etwas lauter sprachen. Auch konnte man links von der Kirche einen Teil des großen Palasthofes und einen der Eingänge zu demselben sehen. In diesem Teile des Hofes war ein öffentlicher Brunnen, zu welchem fortwährend Leute kamen, um Wasser zu holen. Aber da sich mein Gefängnis in solcher Höhe befand, kamen mir die Menschen drunten so klein wie Kinder vor. und ich konnte ihre Worte nur unterscheiden, wenn sie laut schrien. So befand ich mich hier noch weit einsamer als in dem Kerker zu Mailand.

In den ersten Tagen stimmten mich die Sorgen wegen des Kriminalprozesses, der von der Spezialkommission gegen mich eingeleitet ward, recht traurig, und dazu wirkte das peinliche Gefühl der größeren Einsamkeit wohl noch mit. Zudem war ich noch weiter von meiner Familie entfernt, von der ich gar keine Nachrichten mehr hatte. Die neuen Gesichter, die ich sah, waren mir nicht gerade zuwider, aber sie beobachteten einen Ernst, der mich fast erschreckte. Das Gerücht hatte ihnen von den Unabhängigkeitsplänen der Mailänder und der übrigen Italiener eine übertriebene Vorstellung beigebracht, und sie meinten, daß ich einer von den strafbarsten Anstiftern dieses wahnsinnigen Unternehmens wäre. Mein geringer schriftstellerischer Ruf war dem Kerkermeister, seiner Frau, seiner Tochter, seinen beiden Knaben und sogar den beiden Secondini bekannt: alle diese mochten sich wer weiß was für eine Vorstellung von einem Trauerspieldichter machen, der eine Art Zauberer sein mußte!

Sie waren ernst, mißtrauisch, begierig, von mir näheren Aufschluß über meine Person zu erhalten; sonst aber zeigten sie sich äußerst zuvorkommend.

Nach den ersten Tagen wurden sie sämtlich milder gestimmt, und ich fand in ihnen gutmütige Leute. Die Frau war es, die noch am längsten die Haltung und Würde einer Gefangenwärterin beibehielt. Sie war ein Weib von etwa vierzig Jahren, mit einem äußerst mageren Gesicht, höchst wortkarg, zeigte auch nicht die mindeste Spur, daß sie irgendeines Wohlwollens gegen andere als gegen ihre Kinder fähig sei.

Sie brachte mir gewöhnlich den Kaffee, morgens und nach dem Mittagessen, ferner das Wasser, Wäsche und andere Dinge; in der Regel kamen mit ihr ihre Tochter, ein Mädchen von fünfzehn Jahren, nicht schön, aber mit mitleidvollem Blick, und ihre beiden Knaben, einer von dreizehn, der andere von zehn Jahren. Diese entfernten sich mit der Mutter wieder, und bevor die Tür abgeschlossen wurde, wandten sich die drei jugendlichen Gesichter noch einmal freundlich um, um mich anzusehen. Der Kerkermeister kam nur dann zu mir, wenn er mich in den Saal zu führen hatte, wo die Kommission sich zu meinem Verhöre versammelte. Die Secondini kamen selten, weil sie in den Polizeigefängnissen zu tun hatten, welche in einem der unteren Stockwerke lagen, und wo immer eine große Anzahl von Räubern saß. Einer von den Aufsehern war ein alter Mann, wohl über siebzig Jahre, aber noch rüstig genug für das ermüdende Geschäft, beständig treppauf, treppab in die verschiedenen Gefängnisse zu laufen. Der andere war ein junger Mann von vier- oder fünfundzwanzig Jahren und zeigte sich williger, von seinen Liebeshändeln zu erzählen, als auf seinen Dienst zu achten.


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