Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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64.

In Wahrheit, wenn die Strafe sehr hart und ganz dazu geeignet war, uns zu erbittern, so hatten wir doch zur selben Zeit das seltene Glück, daß alle, die wir zu sehen bekamen, gute Menschen waren. Erleichtern konnten sie uns unsere Lage durch nichts sonst als allein dadurch, daß ihr Benehmen gegen uns wohlwollend und achtungsvoll war; aber ein solches legten auch alle gegen uns an den Tag. Wenn in dem alten Schiller einige Rauheit steckte, wie wurde sie durch den Edelmut seines Herzens aufgewogen! Selbst der arme Kunda (so hieß der Sträfling, der uns das Mittagbrot und dreimal jeden Tag Wasser brachte) suchte uns seine Teilnahme bemerkbar zu machen. Zweimal in der Woche fegte er uns das Zimmer aus. Als er eines Morgens wieder bei mir rein machte, benutzte er den Moment, wo Schiller sich zwei Schritte von der Tür entfernt hatte, und hielt mir ein Stück Weißbrot hin. Ich nahm es nicht an, drückte ihm aber herzlich die Hand. Dieser Händedruck rührte ihn. Er sagte mir in schlechtem Deutsch (er war ein Pole): »Mein Herr, Sie kriegen hier so wenig zu essen, daß Sie sicherlich Hunger leiden.«

Ich versicherte ihm das Gegenteil, allerdings versicherte ich etwas, das nicht zu glauben war.

Da der Arzt sah, daß keiner von uns diese Art von Speisen vertragen konnte, die man uns in den ersten Tagen gegeben hatte, setzte er uns alle auf die sogenannte Viertelsportion, das heißt auf die Lazarettkost. Diese bestand aus drei leichten Süppchen für den Tag, einem Stückchen Hammelbraten, so klein, daß man es auf einmal herunterschlucken konnte, und etwa drei Unzen Weißbrot. Da meine Gesundheit sich allmählich besserte, wuchs der Appetit, und diese Viertelsportion war nun wirklich allzu klein. Ich versuchte, zu dem Essen der Gesunden zurückzukehren, aber dabei war kein Vorteil, denn ich empfand solchen Ekel, daß mir unmöglich war zu essen. So war ich gezwungen, bei der Viertelsportion zu bleiben. Länger als ein Jahr empfand ich, welche Qual der Hunger verursacht. Und diese Pein empfanden einzelne meiner Leidensgefährten oft noch in größerem Maße, da sie, kräftiger als ich, auch gewöhnt waren, reichlichere Nahrung zu sich zu nehmen. Von einigen derselben weiß ich, daß sie sowohl von Schiller wie von zwei anderen zu unserem Dienst bestimmten Wächtern und selbst von dem guten Kunda Brot erhielten.

»In der Stadt erzählt man sich, daß die Herren zuwenig zu essen bekommen,« sagte mir eines Tages der Barbier, ein junger Mensch, welcher unserem Chirurgen als Gehilfe diente.

»Das ist sehr wahr,« antwortete ich offen.

Am nächsten Sonnabend (er kam jeden Sonnabend zu uns) wollte er mir heimlich ein großes Stück Weißbrot zustecken. Schiller tat so, als bemerkte er es nicht. Wäre ich meinem Magen gefolgt, so hätte ich es angenommen, aber ich blieb fest und schlug es aus, damit der arme Junge nicht in Versuchung käme, das Geschenk zu wiederholen, was ihm auf die Länge der Zeit beschwerlich geworden wäre.

Aus demselben Grunde wies ich auch Schillers Gaben zurück. Öfters brachte er mir ein Stück gekochtes Fleisch und bat mich, ich möchte es essen, dabei versicherte er, daß es ihn nichts koste, daß es übriggeblieben wäre, er wüßte nicht, was er damit machen sollte, er würde es wahrhaftig anderen geben, wenn ich es nicht nähme. Ich würde mich darüber hergemacht haben, um es zu verschlingen, aber wenn ich es annahm, würde er nicht alle Tage den Wunsch gehabt haben, mir etwas zu geben?

Nur zweimal, wo er mir einen Teller Kirschen, und einmal einige Birnen anbot, riß mich der Anblick dieser Früchte unwiderstehlich fort. Nachher bereute ich es, sie genommen zu haben, denn gerade von da an hörte er nicht auf, mir dergleichen anzubieten.


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