Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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84.

Dreimal trafen Personen hohen Ranges aus Wien bei uns ein, um unsere Kerker zu inspizieren und sich zu vergewissern, daß keine Abweichungen von der Dienstordnung eingerissen wären. Das erstemal war es Baron von Münch; dieser bedauerte uns, daß wir so wenig Luft hätten, und sprach es zu uns aus, er würde darum nachsuchen, uns den Tag dadurch verlängern zu können, daß uns abends draußen vor dem Schiebfenster auf einige Stunden eine Lampe hingestellt würde. Sein Besuch geschah im Jahre 1825. Ein Jahr darauf war seine gute Absicht vollzogen. So konnten wir bei diesem Grabeslicht von jetzt an die Wände sehen und auf und ab gehen, ohne uns die Köpfe einzurennen.

Der zweite Besuch war der des Barons von Vogel. Er fand mich im kläglichsten Gesundheitszustande, und da er hörte, daß der Arzt zwar Kaffee für mich zuträglich fände, mir denselben aber als einen Luxusartikel zu verordnen Anstand nähme, so legte er ein gutes Wort für mich ein; alsbald ward der Kaffee für mich verordnet.

Den dritten Besuch erhielten wir durch einen anderen Herrn bei Hofe, einen Mann zwischen fünfzig und sechzig Jahren, der uns in seinem Benehmen und in seinen Worten die edelste Teilnahme bewies. Er konnte nichts für uns tun, aber die milden Äußerungen seiner Güte taten uns wohl, und wir waren ihm dafür dankbar.

Ach, wie sehr verlangt einen Gefangenen danach, Wesen seines Geschlechtes zu sehen! Die christliche Religion, welche an Menschenliebe so reich ist, hat unter den Werken der Barmherzigkeit nicht vergessen dies eine aufzuzählen, daß man die Gefangenen besuche! Der Anblick von Menschen, welche dein Mißgeschick bedauern, erquickt dich, auch wenn es nicht in ihrer Macht liegt, dir dasselbe auf eine wirksame Art zu erleichtern.

Die völlige Einsamkeit kann auf die Besserung mancher Gemüter einen vorteilhaften Einfluß ausüben; aber ich glaube doch, daß dieser Einfluß im allgemeinen noch größer ist, wenn sie nicht bis aufs Äußerste getrieben wird, sondern wenn sie zeitweise durch die Berührung mit der Gesellschaft unterbrochen ist. Meine Natur wenigstens ist so angelegt. Sehe ich meine Mitmenschen nicht, so beschränke ich meine Liebe auf eine kleine Zahl derselben und liebe die anderen nicht, bekomme ich aber, wenn auch nicht viele, doch eine gewisse Zahl derselben zu sehen, so liebe ich das ganze Menschengeschlecht voll Zärtlichkeit.

Tausendmal habe ich mich in der Stimmung befunden, daß mein Herz so ausschließlich nur sehr wenige liebhatte und gegen die übrigen von Haß erfüllt war, daß ich darüber erschrak. Dann trat ich an das Fenster mit dem sehnlichsten Wunsche, irgendein neues Gesicht zu erblicken, glücklich schätzte ich mich, wenn die Wache nicht zu nahe an der Mauer auf und ab ging, wenn sie vielmehr sich so weit davon entfernte, daß ich sie sehen konnte, wenn sie den Kopf erhob, als sie mich husten hörte, wenn der Ausdruck ihres Gesichts ein guter war. Kam es mir aber vor, daß ich Gefühle von Mitleid an ihr entdeckte, dann pochte mein Herz sanft, wie wenn jener unbekannte Soldat ein vertrauter Freund von mir wäre. Entfernte er sich, so wartete ich mit verliebter Ungeduld, bis er umkehrte; wenn er sich dann umwandte und mich ansah, so freute ich mich darüber wie über ein Zeichen großer Liebe. Schritt die Wache aber nicht so auf und ab, daß ich sie sehen konnte, dann war ich betrübt wie ein Liebender, der bemerkt, daß man seine Liebe nicht beachtet.


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