Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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25.

Nachdem mich der Knabe verlassen, empfand ich eine hohe Freude darüber, daß ich die Bibel wieder in die Hand genommen, daß ich offen bekannt hatte, ohne dieselbe stehe es schlechter mit mir. Mir war es, als hätte ich einem edelmütigen Freunde Genugtuung geleistet, nachdem ich ihn vorher ungerechterweise beleidigt; als sei ich jetzt wieder mit ihm ausgesöhnt.

»Dich, mein Gott, hatte ich verlassen?« rief ich aus. »Von dir hatte ich mich abgewendet? Und hatte glauben können, daß das schamlose Lächeln des Zynismus für meine verzweifelte Lage besser passe?«

Mit unbeschreiblicher Rührung sprach ich diese Worte aus; ich legte die Bibel auf einen Stuhl, kniete nieder, um darin zu lesen, und ich, der ich so schwer zum Weinen gelange, brach in Tränen aus.

Diese Tränen waren tausendmal wohltuender als jede boshafte Fröhlichkeit. Von neuem empfand ich Gottes Gnade! Ich liebte ihn! bereute, ihn durch Erniedrigung meiner selbst beleidigt zu haben! und gelobte, mich nie wieder von ihm zu trennen, nie wieder!

Ach, wie tröstet und erhebt eine aufrichtige Rückkehr zur Religion die Seele!

Weinend las ich über eine Stunde; dann erhob ich mich erfüllt von der festen Zuversicht, daß Gott mit mir sei, daß Gott mir alle meine Torheit verziehen habe. Da kam mir all mein Mißgeschick, die Martern des Prozesses, der bevorstehende Tod am Galgen als etwas Geringfügiges vor. Ich frohlockte, daß ich zu dulden hatte, weil mir dies Gelegenheit bot, meine Pflicht zu erfüllen, weil ich, mit ergebener Seele duldend, mich dem Herrn gehorsam erwies.

Die Bibel, dem Himmel sei Dank dafür, ich verstand sie zu lesen. Vorüber war die Zeit, wo ich mit der boshaften Kritik Voltaires über sie urteilte, Ausdrücke verspottete, die nur dann lächerlich oder falsch sind, wenn man aus wirklicher Unwissenheit oder Bosheit in das Verständnis derselben nicht eindringt. Mit Klarheit leuchtete mir ein, wie sehr sie das Gesetzbuch der Heiligkeit und somit der Wahrheit ist; wie unphilosophisch es wäre, an gewissen Unvollkommenheiten des Stiles in derselben Anstoß zu nehmen, und wie sehr man sich dadurch, dem Hochmute dessen nähere, der alles gering achtet, was eleganter Formen entbehrt; wie absurd es sei, wenn man sich einbilde, daß einer solchen Sammlung religiös verehrter Bücher der glaubwürdige Ursprung fehle; wie unbestreitbar, daß solche Schriften den Koran und die Theologie der Inder an Wert weit überragen.

Viele haben Mißbrauch damit getrieben, viele wollten ein Gesetzbuch der Ungerechtigkeit daraus machen, für ihre verbrecherischen Leidenschaften darin die Weihe finden. Das läßt sich nicht leugnen; aber gestehen wir es zu: alles kann man mißbrauchen; wird man deswegen, weil sich mit der besten Sache Mißbrauch treiben läßt, behaupten dürfen, daß sie selber an sich nichtswürdig sei?

Jesus Christus selbst hat es ausgesprochen: das ganze Gesetz und die Propheten, diese ganze Sammlung von heiligen Büchern läßt sich ihrem Inhalte nach in dem Gebote zusammenfassen: Liebet Gott und den Nächsten! Und solche Schriften sollten nicht eine Wahrheit sein, die für alle Jahrhunderte paßt? sie sollten nicht das lebendige Wort des heiligen Geistes sein?

Sobald diese Betrachtungen wieder in mir erwacht waren, erneuerte ich den Vorsatz in mir, alle meine Gedanken über menschliche Dinge, alle meine Ansichten über die Fortschritte der Zivilisation, meine Liebe gegen die Menschheit und gegen das Vaterland, alle Stimmungen meiner Seele mit der Religion in Einklang zu bringen.

Die wenigen Tage, welche ich dem Zynismus ergeben zugebracht, hatten meine Seele stark befleckt. Die Wirkungen davon empfand ich lange noch und mußte mich anstrengen, sie zu überwinden. So oft der Mensch nur einigermaßen der Versuchung nachgibt, seinen Geist herabzuwürdigen, die Werke Gottes durch das teuflische Vergrößerungsglas des Spottes zu betrachten, von der wohltätigen Übung des Gebetes abzulassen, so wird allemal die Zerrüttung, die er in seinem eignen vernünftigen Denken anrichtet, ihn leicht zu einem Rückfalle geneigt machen. Mehrere Wochen hindurch hatte ich fast jeden Tag gegen starke Anfälle von Unglauben zu kämpfen: es erforderte die ganze Stärke meines Geistes, um sie zurückzuweisen.


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