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Auf einmal war der Wirt zu Hause gekommen und sahe, da es schon anfing dunkel zu werden, einen Menschen in seinem Hofe in der Laube auf dem Tische liegen und in einem Buche lesen.
Er redete Reisern erst ziemlich unsanft an; da dieser sich aber aufrichtete und der Wirt in ihm einen wohlgekleideten Menschen sah, so fragte er ihn sogleich, ob er ein Jurist sei, welches in diesen Gegenden die gewöhnliche Benennung für einen Studenten ist, weil die Theologen größtenteils in Klöstern studieren und schon als Geistliche betrachtet werden.
Dem Wirt war seine Frau gestorben, und außer ihm war niemand im ganzen Hause. Der Mann war aber gesprächig, und Reiser hielt seine Abendmahlzeit, die wie gewöhnlich aus Bier und Brot bestand, in seiner Gesellschaft.
Der Mann erzählte ihm von vielen sogenannten Juristen, die bei ihm logiert hätten, und Reiser ließ ihn dabei, daß er auch im Begriff sei, nach Erfurt zu gehen, um dort zu studieren.
Alle dergleichen Unterredungen, die an sich unbedeutend gewesen wären, erhielten in Reisers Idee einen poetischen Anstrich durch das Bild von dem homerischen Wanderer, welches ihm immer vor der Seele schwebte, und selbst die Unwahrheiten in seinen Reden hatten etwas Übereinstimmendes mit seinem poetischen Vorbilde, dem Minerva zur Seite steht und wegen seiner wohlüberdachten Lüge ihm Beifall zulächelt.
Reiser dachte sich seinen Wirt nicht bloß als den Wirt einer Dorfschenke, sondern als einen Menschen, den er nie gekannt, nie gesehen hatte und nun auf eine Stunde lang mit ihm zusammentraf, an einem Tische mit ihm saß und Worte mit ihm wechselte.
Dasjenige, was durch die menschlichen Einrichtungen und Verbindungen gleichsam aus dem Gebiete der Aufmerksamkeit herausgedrängt, gemein und unbedeutend geworden ist, trat durch die Macht der Poesie wieder in seine Rechte, wurde wieder menschlich und erhielt wieder seine ursprüngliche Erhabenheit und Würde.
Der Mann war nicht einmal eingerichtet, eine Streu zu machen, weil selten jemand hier übernachtete; und Reiser schlief auf dem Heuboden, der ihm ein angenehmes Lager gewährte.
Am andern Morgen früh setzte er seine Reise weiter fort, und der Aufenthalt in diesem Hause mit dem Wirt ganz allein blieb ihm eine seiner angenehmsten Erinnerungen.
An diesem Tage ging es in seiner innern Gedankenwelt besonders lebhaft zu. – Er hatte sich nun um ein Merkliches seinem Ziele genähert, und die Besorgnis trat doch nun bei ihm ein, was er auf den Fall tun würde, wenn seine Aussichten zu unmittelbarem Ruhm und Beifall ihm mißlingen und die Entwürfe zu seiner theatralischen Laufbahn gänzlich scheitern sollten.
Nun traten auf einmal die Extreme auf, ein Bauer oder Soldat zu werden, und auf einmal war das Poetische und Theatralische wieder da, denn seine Ideen vom Bauer und Soldat wurden wieder zu einer theatralischen Rolle, die er in seinen Gedanken spielte.
Als Bauer entwickelte er nach und nach seine höhern Begriffe und gab sich gleichsam zu erkennen; die Bauern horchten ihm aufmerksam zu, die Sitten verfeinerten sich allmählich, die Menschen um ihn her wurden gebildet.
Als Soldat fesselte er die Gemüter seiner Schicksalsgenossen allmählich durch reizende Erzählungen; die rohen Soldaten fingen an, auf seine Lehren zu horchen: das Gefühl der höhern Menschheit entwickelte sich bei ihnen; die Wachtstube ward zum Hörsaale der Weisheit.
Indem er also glaubte, daß er gerade auf das Entgegengesetzte vom Theater sich gefaßt gemacht habe, war er erst recht in vollkommen theatralische Aussichten und Träume wieder hineingeraten.
Es lag aber für ihn eine unbeschreibliche Süßigkeit in dem Gedanken, wenn er Bauer oder Soldat werden müßte, weil er in einem solchen Zustande weit weniger zu scheinen glaubte, als er wirklich wäre.
Während er sich mit diesen Gedanken beschäftigte, kam er durch Stadt Worbes, wo ihm einige Franziskanermönche aus dem dasigen Kloster begegneten, die ihn freundlich grüßten.
Als er vor dem Kloster vorbeiging, hörte er inwendig den Gesang der Mönche, die da nun von der Welt abgeschieden, ohne Sorgen, Pläne und Aussichten lebten und alles das, was sie sein wollten, auf einmal waren.
Dies machte zwar einigen Eindruck auf sein Gemüt, aber lange nicht so stark als nachher der erste Anblick eines Kartäuserklosters, dessen Einwohner durch ihre Mauern gänzlich von der Welt geschieden auch nie mit einem Fuße den Schauplatz wieder betreten, den sie einmal verlassen haben.
Durch die wandernden Franziskanermönche aber wurde die Idee von Abgeschiedenheit kleinlicht und abgeschmackt. – Der schnelle Gang vertrug sich nicht mit dem Ordenskleide, und das Ganze hatte auch nicht einmal poetische Würde.
Übrigens tönte die hochdeutsche Sprache der Leute in diesen Gegenden immer angenehm in Reisers Ohren, weil dadurch die Idee seiner nunmehrigen Entfernung von dem plattdeutschen Lande immer lebhaft wieder in ihm erweckt wurde.
Nun war diesen Tag auch sehr schönes Wetter gewesen, und Reiser kehrte den Abend in einem Dorfe namens Orschla ein, um den andern Morgen von dort aus nach der Reichsstadt Mühlhausen seinen Weg fortzusetzen.
Das Dorf ist katholisch; und als er an den Gasthof kam, stand eine Menge Leute vor der Türe, unter denen sich der Schulmeister des Orts befand, welcher ihn mit den Worten anredete: esne litteratus? (ob er nicht ein Gelehrter wäre?)
Reiser bejahte dies wieder in lateinischer Sprache, und auf Befragen, wohin er ginge, sagte er wieder: er ginge nach Erfurt, um dort die Theologie zu studieren; denn dies schien ihm immer das Sicherste zu sein.
Während der Zeit standen die Bauern umher und horchten zu, wie ihr Schulmeister mit dem fremden Studenten lateinisch sprach. Der Sohn des Schulmeisters kam auch dazu, der in Hildesheim studiert hatte und jetzt seinem Vater adjungiert war.
Reiser ging nun in die Stube und legte zu noch mehrerem Beweise, daß er ein Literatus sei, seinen Homer auf den Tisch, welchen denn auch der Schulmeister gleich kannte und den Bauern auf deutsch sagte, daß das der Homer wäre.
Mit Reisern aber fuhr er immer fort Latein zu sprechen, so gut es gehen wollte, wobei denn viel Komisches mit unterlief; da er sehr viel von seinem gelehrten Unterricht sprach, so fragte ihn Reiser, ob er auch mit seinen Schülern die Kirchenväter läse? worüber er erst ein wenig in Verlegenheit geriet, sich aber doch bald wieder faßte und sagte: alternatim.
Er nahm nun Abschied von Reisern, der den andern Morgen früh schon weiter gehen wollte, und warnte ihn, sich vor den kaiserlichen und preußischen Werbern in diesen Gegenden in acht zu nehmen und sich durch keine Drohung schrecken zu lassen, wenn sie etwa äußerten, daß sie ihn mit Gewalt nehmen wollten.
Reiser legte sich auf seine Streu ruhig schlafen – als er aber am andern Morgen erwachte, regnete es so stark, daß er in seiner Kleidung mit Schuhen und seidenen Strümpfen nicht aus dem Hause gehen, viel weniger seine Reise fortsetzen konnte, da überdem hier ein leimigter Boden ist, der bei jeder Nässe das Gehen auf der Landstraße ganz außerordentlich beschwerlich macht.
Dies war nun freilich etwas Unvermutetes für Reisern – er hatte dem Wetter in dieser Jahreszeit zuviel zugetrauet und war auf diesen Fall nicht vorbereitet, da er weder mit Stiefeln, noch sonst mit Kleidung zum Regenwetter versehen war und sein beständiger Anzug auch seinen ganzen Kleidervorrat ausmachte.
Hier war also nichts zu tun als auszuharren, bis der Himmel sich wieder aufklären und das Erdreich sich wieder trocknen würde. – Es hörte aber diesen und den folgenden Tag nicht auf zu regnen. –
Nun kam schon in aller Frühe ein kaiserlicher Unteroffizier in die Gaststube, der in diesem Orte auf Werbung lag, sich mit seinem Krug Bier ganz vertraulich neben Reisern an den Tisch setzte und vom Soldatenleben erst von weitem mit ihm zu sprechen anfing, bis er nach und nach immer zudringlicher wurde und ihm endlich geradezu versicherte, daß er doch vor den preußischen und kaiserlichen Werbern nicht über Mühlhausen kommen würde und sich also lieber nur gleich von ihm für sieben Gulden Handgeld anwerben lassen möchte – so daß es den Anschein hatte, als wenn nun der Soldat in Reisers Phantasie, ehe als er gedacht hatte, realisiert werden könnte.
Als der Soldat hinausgegangen war, trat der Schulmeister wieder herein, der Reisern einen guten Morgen bot und ihn heimlich warnte, sich vor dem Werber in acht zu nehmen, ob er gleich selbst das Soldatenleben für so schlimm nicht hielte; denn sein Sohn sei auch zwei Jahr in Mainzischen Diensten gewesen, und wer keinen Paß habe, könne hier schwerlich durchkommen.
Reiser versicherte ihm, daß er alles Nötige, um sich zu legitimieren, bei sich habe. Dies war nämlich der lateinische Anschlagbogen von dem Schulaktus in Hannover, da er am Geburtstage der Königin von England eine Rede hielt, und worauf sein Name nicht Reiser sondern Reiserus gedruckt stand. Und außerdem noch den gedruckten Prolog zu dem Deserteur aus Kindesliebe, worauf sein Name als Verfertiger stand, nebst einem Gedicht auf die Einführung eines Lehrers, wo sein Name unter den übrigen Primanern gedruckt mit aufgeführt war.