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Als Essigbrauer war K..., so hieß er, wirklich ein großer Mann, das er vielleicht auch als Gelehrter, nur nicht in dem Maß gewesen wäre – weil ohne diesen Kampf mit seinem Schicksale die erhabene duldende Kraft seiner Seele nicht so hätte geübt werden können. – Es mochte wohl keine menschenfreundliche Tugend geben, welche ihm in seiner Lage auszuüben möglich war, und die er nicht ausgeübt hätte. –
Von seinem sauer erworbenen Verdienst ersparte er immer so viel, daß er einige junge Leute, zu deren Bildung beizutragen die Freude seines Lebens machte, zuweilen des Abends an seinem Tische bewirten und auch wohl manchmal einen Spaziergang mit ihnen machen konnte, wobei er sich allemal das Vergnügen machte, zu bezahlen, was sie verzehrten. – Auch unterstützte er noch überdem eine arme Familie täglich mit einem Groschen, den er sich von seinem geringen Verdienst abzog – denn er war eigentlich nur Knecht in dieser Brauerei, worin sein Vetter, ein alter abgelebter Greis, für den er die Arbeit mit verrichtete, Meister war. –
Winter und Philipp Reiser und der Essigbrauer waren jetzt Reisers vorzüglichster Umgang, wozu noch ein junger Mensch kam, der, durch Reisers Beispiel aufgemuntert, ohngeachtet der Armut seiner Eltern auch den Entschluß gefaßt hatte, zu studieren. – Auch diesen suchte der Essigbrauer durch Winter an sich zu ziehen, um zu der Bildung seines Geistes beizutragen. – Seine Unterredungen waren größtenteils wahre sokratische Gespräche, die er oft mit dem feinsten Spott über die kindische Torheit oder Eitelkeit seiner jungen Gesellschafter würzte. –
Da nun der Winter herankam, widerfuhr Reisern eine Aufmunterung, die noch mehr als alles Vorhergehende wieder seinen Mut belebte. – Er erhielt nämlich vom Direktor den ehrenvollen Auftrag, auf den Geburtstag der Königin von England, welcher im Januar eintraf, eine deutsche Rede zu verfertigen, die er bei dieser Feierlichkeit halten sollte.
Dies war nun das höchste und glänzendste Ziel, wornach ein Zögling dieser Schule nur streben konnte und wozu nur sehr wenige gelangten: denn gemeiniglich wurden sonst die Reden an des Königes und der Königin Geburtstage nur von jungen Edelleuten gehalten. – Bei dieser Feierlichkeit pflegten der Prinz und die Minister nebst allen übrigen Honoratioren der Stadt zugegen zu sein – welche einem solchen jungen Menschen, der nun als die Hoffnung des Staats betrachtet wurde, nach geendigter Rede ordentlich Glück wünschten – ein Anblick, der Reisern oft niederschlug, wenn er dachte, daß er zu so etwas Glänzendem nie in seinem Leben gelangen würde. –
Und nun fügte es sich so plötzlich, da er noch im Anfange desselben Jahres allgemein verachtet und hintangesetzt war, daß ihm ohne sein Zutun ein so ermunternder Auftrag geschahe, zu dessen Ausführung er nun auch gleich mit dem größten Eifer schritte.
Er nahm sich vor, seine deutsche Rede in Hexametern zu verfertigen; nun hatte ihm der Direktor die Literaturbriefe geliehen und sie ihm zur sorgfältigsten Lektüre empfohlen – da stieß er denn auch unter andern auf die Rezension, wo Zacheriäs Übersetzung von Miltons verlornem Paradiese wegen der schlechten Hexameter getadelt und zugleich über den Bau des Hexameters, seine Einschnitte usw. viel Vortreffliches gesagt wird. – Dies faßte Reiser auf und suchte nun seinen Hexameter mit der größten Sorgfalt auszufeilen. – Manchen Tag kam er kaum mit drei bis vier Versen zustande – jeden Abend ging er dann zu Philipp Reisern und ließ seine Verse noch einmal dessen Kritik passieren, wobei sie denn zusammen alle Bände der Literaturbriefe miteinander durchlasen und auch in diesem Winter ihre Shakespearenächte wieder erneuerten. –
Im November war Reiser ohngefähr mit der Hälfte seiner Rede fertig und ging damit zum Direktor, um sie ihm zur Kritik zu zeigen. – Dieser bezeigte ihm seinen großen Beifall über seine Arbeit, kündigte ihm aber zugleich an, daß er die Rede nicht öffentlich würde halten können, weil dies verschiedene Kosten erforderte, die Reiser wohl nicht würde aufbringen können. – – Kein Donnerschlag hätte Reisern mehr zu Boden schlagen können als diese Nachricht – alle seine glänzenden Aussichten, womit er sich während der Verfertigung seiner Rede geschmeichelt hatte, waren auf einmal wieder verschwunden, und er fiel wieder in sein voriges Nichts zurück. – Der Direktor suchte ihn hierüber zu trösten – aber er ging mit schwerem Herzen und melancholischen Gedanken, daß er zur ewigen Dunkelheit bestimmt sei, von dem Direktor weg, und nun fielen ihm die Verse ein, die er für Philipp Reisern gemacht hatte, und die sich jetzt auf seinen Zustand paßten:
Oft will ich mich erheben Und sinke schwer zurück; Und fühle dann mit Beben Mein trauriges Geschick. – |
Und als an einem andern Tage im Chore unter andern in einer Arie die Worte gesungen wurden:
Du strebst, um glücklicher zu werden, Und siehst, daß du vergebens strebst – |
so deutete er dies ebenfalls auf sich und kam sich auf einmal wieder so verlassen, so verächtlich, so unbedeutend vor, daß er selbst Philipp Reisern nicht einmal von seinem neuen Kummer etwas sagen mochte und lieber nicht zu ihm ging, um nicht von seinem Schicksal mit ihm reden zu dürfen, das nun anfing, ihm wieder verhaßt zu werden und der Mühe des Nachdenkens nicht mehr wert zu scheinen. –
Da er sich indes hierüber endlich satt gequält hatte, so dachte er auf ein Mittel, wie er doch noch seinen Zweck erreichen könnte – und dies bot sich ihm, da er nur erst darüber nachdachte, sehr bald dar – er durfte nur zu dem Pastor Marquard gehen, welcher doch wieder Hoffnung von ihm zu schöpfen angefangen hatte, und durfte diesen nur bitten, ihm bei dem Prinz so viel, als zur Anschaffung eines guten Kleides und übrigens zur Bestreitung der Kosten bei Haltung der Rede erfordert wurde, auszuwirken, worin auch der Pastor Marquard sogleich willigte und Reisern schon im voraus einen guten Erfolg versprach. – Reisers Besorgnisse waren also nun auf einmal wieder gehoben, und er konnte nun die angefangene Rede mit frohem Herzen vollenden, um sie am Geburtstage der Königin zu halten. – Da es nun aber wieder anfing zu frieren, so konnte er oben auf seiner Kammer nicht mehr allein sein, sondern mußte wieder des Abends unten bei den Wirtsleuten in der Stube sitzen, wo die einquartierten Soldaten nebst dem Wirt ihn mit zu ihren Spielen nötigten, mit denen sie sich die langen Winterabende vertrieben. – Hier verfertigte er nun größtenteils des Nachmittags und des Abends in der Dämmerung, indem er sich mit dem Kopf an den Ofen legte, seine Rede. – Und nun hatte er auch ein schönes Mittel gegen seine schwermütige Laune gefunden; sooft er nämlich merkte, daß sie anfing, seiner Herr zu werden, ging er im größten Regen und Schnee des Abends, wenn es schon dunkel war, aus und einmal um den Wall spazieren, und es fehlte ihm niemals, daß sich nicht, sowie er mit schnellen Schritten vorwärtsging, neue Aussichten und Hoffnungen unvermerkt in seiner Seele entwickelt hätten, von welchen freilich die glänzendste ihm am nächsten lag. – Bei diesen Spaziergängen um den Wall gelangen ihm auch die besten Stellen in seiner Rede, und Schwierigkeiten in Ansehung des Versbaues, die ihm oft, wenn er sich mit dem Kopf am Ofen gelehnt hatte, unüberwindlich schienen, hoben sich hier wie von selbst. –
Der Wall um Hannover war von seiner Kindheit an der vorzüglichste Schauplatz seiner angenehmsten Phantasie und romanhaftesten Ideen gewesen – denn er sahe hier die dichtineinandergebaute Stadt und die ländliche offene Natur mit Gärten, Äckern und Wiesen so nahe aneinandergrenzend und doch so außerordentlich verschieden, daß dieser Kontrast einer lebhaften Wirkung auf seine Phantasie nie verfehlen konnte. – Dann drängten sich auch in die Umgebung des Ortes, der seine meisten Schicksale gleichsam in seinen Umfang einschloß, immer tausend dunkle Erinnerungen an die Vergangenheit in seiner Seele empor, welche mit seiner gegenwärtigen Lage zusammengehalten gleichsam mehr Interesse in sein Leben brachten, – und vorzüglich des Abends machte der Anblick von den auf den Zimmern hin und her zerstreuten Lichtern in den dicht an den Wall grenzenden Häusern allemal die schon vorher beschriebene Wirkung auf ihn. –
Seitdem er nun die Verse deklamiert hatte, wurde er fast von allen seinen Mitschülern geachtet. – Das war ihm ganz etwas Ungewohntes – er hatte in seinem Leben so etwas noch nicht erfahren – ja, er glaubte kaum, daß es möglich sei, daß man ihn noch achten könne – nach allen den bisherigen Erfahrungen bildete er sich ein, es müsse wohl etwas in seiner Person oder seinen Mienen liegen, wodurch er vielleicht, so lange er lebte, lächerlich und ein Gegenstand des Spottes sein würde. – Diese Empfindung der Achtung erhöhte sein Selbstbewußtsein und schuf ihn zu einem andern Wesen um – sein Blick, seine Miene verwandelte sich – sein Auge wurde kühner – und er konnte, wenn jemand seiner spotten wollte, ihm jetzt so lange gerade ins Auge sehen, bis er ihn aus der Fassung brachte. –
Seine ganze äußere Lage änderte sich auch nun auf einmal. – Durch die Verwendung des Rektors und des Pastor Marquard, die nun beide wieder die beste Hoffnung von ihm geschöpft hatten, bekam er bald so viele Unterrichtsstunden, daß ihm eine für seine damaligen Bedürfnisse ziemlich beträchtliche monatliche Einnahme daraus erwuchs, welche ihm denn freilich auch eine ganz ungewohnte Sache war, womit er nicht gehörig umzugehen wußte. –