Karl Philipp Moritz
Anton Reiser
Karl Philipp Moritz

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Indes blieb Anton jetzt von harten und niedrigen Arbeiten mehr wie sonst verschont. Lobenstein ging zuweilen mit ihm spazieren; ja, er nahm ihm sogar einen Klaviermeister an. – Anton war entzückt über seinen Zustand und schrieb einen Brief an seinen Vater, worin er demselben auf das lebhafteste seine Zufriedenheit bezeigte.

Nun hatte aber auch Antons Glück im Lobensteinschen Hause den höchsten Gipfel erreicht, und sein Fall war nahe. Alles sahe ihn mit neidischen Augen an, seitdem ihm der Klaviermeister gehalten wurde. Es wurden hier Kabalen, wie an einem kleinen Hofe gespielt; man verleumdete ihn, man suchte ihn zu stürzen.

So lange Lobenstein gegen Anton hart und unbillig verfahren war, genoß er des Mitleids und der Freundschaft aller übrigen Hausgenossen; sobald es aber schien, als ob dieser ihm seine Freundschaft und Vertrauen zuwenden würde, nahm in eben dem Maße ihre Feindschaft und Mißtrauen gegen ihn zu. Und sobald es ihnen nur gelungen war, ihn wieder zu sich herunterzubringen, und man es so weit gebracht hatte, daß der Klaviermeister wieder abgedankt war, hatte man auch weiter nichts mehr gegen Anton: man war sein Freund wie zuvor.

Nun hielt es aber nicht schwer, ihn der Gewogenheit eines so argwöhnischen und mißtrauischen Mannes, wie Lobenstein war, zu berauben; man durfte nur einige lebhafte Äußerungen von ihm erzählen, man durfte Herrn Lobenstein nur auf verschiedne wirkliche Fehler der Nachlässigkeit und Unordnung, die Anton an sich hatte, bei jeder Gelegenheit aufmerksam machen, um seinen Gesinnungen bald eine andre Richtung zu geben. Dies wurde denn von der Haushälterin und den übrigen Untergebenen sehr gewissenhaft getan. – Indes dauerte es doch noch einige Monate, ehe man völlig seinen Zweck erreichte. Während welcher Zeit Lobenstein sogar Antons Klaviermeister zu bekehren sich Mühe gab, welcher ein sehr rechtschaffner und frommer Mann war, aber Herrn Lobensteins Meinung nach sich Gott noch nicht ganz hingegeben hatte und sich nicht leidend genug gegen ihn verhielt.

Dieser Mann mußte denn auch oft bei Herrn Lobenstein speisen, verdarb es aber am Ende dadurch, daß er sich zu viel Butter auf das Brot schmierte. Auf diesen Umstand machte die Haushälterin Herrn Lobenstein aufmerksam, um dadurch ihren Zweck zu erreichen, dem Klavierspielen Antons ein Ende zu machen, damit er nicht mehr über die andern Hausgenossen erhoben wäre.

Anton hatte überdem nicht viel Genie zur Musik und lernte folglich nicht viel in seinen Stunden. Ein paar Arien und Choräle waren alles, was er mit vieler Mühe fassen konnte. Und die Klavierstunde war ihm immer eine sehr unangenehme Stunde. Auch wurde ihm die Applikatur sehr schwer, und Lobenstein fand immer an der Figur seiner weit ausgespreiteten Finger etwas auszusetzen.

Indes gelang es ihm doch einmal, wie dem David beim Saul, den bösen Geist des Herrn Lobenstein durch die Kraft der Musik zu vertreiben. Er hatte ein kleines Versehen begangen, und weil die Neigung des Herrn Lobenstein gegen ihn schon anfing, sich in Haß zu verwandeln, so hatte dieser ihm des Abends vor dem Schlafengehen eine harte Züchtigung dafür zugedacht. Anton merkte dies an allem wohl. Und als die Stunde heranzunahen schien, faßte er den Mut, einen Choral, den ersten, den er gelernt hatte, auf dem Klavier zu spielen und dazu zu singen. Dies überraschte Herrn Lobenstein, er gestand ihm, daß grade diese Stunde zu einer nachdrücklichen Bestrafung bestimmt gewesen wäre, die er ihm nun schenkte.

Anton erdreistete sich nun sogar, ihm einige Vorstellungen wegen der anscheinenden Abnahme seiner Freundschaft und Liebe gegen ihn zu tun, worauf Lobenstein ihm gestand, daß seine Zuneigung gegen ihn freilich so stark nicht mehr sei, und daß dieses notwendig an Antons verschlimmertem Seelenzustande liegen müsse, wodurch gleichsam eine Scheidewand zwischen ihm und seiner ehemaligen Liebe gezogen wäre. Er habe die Sache Gott im Gebet vorgetragen und diesen Aufschluß darüber erhalten.

Dies war nun sehr traurig für Anton, und er fragte, wie er es denn anzufangen habe, um seinen verschlimmerten Seelenzustand wieder zu verbessern. – Seinen Weg in Einfalt zu wandeln und sich ganz Gott zu überlassen, war die Antwort, sei das einzige Mittel, seine Seele zu retten. – Weiter wurden keine nähern Anweisungen erteilt. Herr Lobenstein hielt es nicht für gut, Gott gleichsam vorzugreifen, der sich selber von Anton abgezogen zu haben schien. – Die nachdrücklich ausgesprochnen Worte aber, seinen ›Weg in Einfalt zu wandeln‹, hatten darauf Bezug, daß ihm Anton seit einiger Zeit zu klug zu werden anfing, zu viel sprach und vernünftelte und überhaupt wegen der Zufriedenheit mit seinem Zustande zu lebhaft wurde. – Diese Lebhaftigkeit war ihm der gerade Weg zu Antons Verderben, der nach dieser Heiterkeit in seinem Gesichte notwendig ein ruchloser, weltlichgesinnter Mensch werden mußte, von dem nichts anders zu vermuten stand, als daß ihn Gott selbst in seinen Sünden dahingeben würde. –

Hätte Anton seinen Vorteil besser verstanden, so hätte er itzt durch ein niedergeschlagenes, misanthropisches Wesen, vorgegebene Beängstigungen und Beklemmungen seiner Seele noch alles wieder gutmachen können. Denn nun würde Lobenstein geglaubt haben, Gott sei im Begriff, die verirrte Seele wieder zu sich zu ziehen. –

Aber weil Lobenstein den Grundsatz hatte, daß derjenige, welchen Gott bekehren wolle, auch ohne sein Zutun bekehrt werde; und daß Gott erwählet, welchen er will, und verwirft und verstocket, welchen er will, um seine Herrlichkeit zu offenbaren – so schien es ihm gleichsam gefährlich, sich in die Sache Gottes zu mischen, wenn es etwa den Anschein hatte, als ob einer wirklich von Gott verworfen wäre.

Mit Anton hatte es nun, seinen lebhaften und weltlich gesinnten Mienen nach, bei dem Herrn Lobenstein würklich beinahe diesen Anschein. – Die Sache war ihm so wichtig gewesen, daß er darüber mit dem Herrn von Fleischbein korrespondiert hatte. – Und nun zeigte er Anton wiederum in dem Briefe des Herrn von Fleischbein eine Stelle, die ihn betraf; und worin der Herr von Fleischbein versicherte, allen Kennzeichen nach ›habe der Satan seinen Tempel in Antons Herzen schon so weit aufgebauet, daß er schwerlich wieder zerstört werden könne‹. –

Das war wirklich ein Donnerschlag für Anton – aber er prüfte sich und verglich seinen jetzigen Zustand mit dem vorhergehenden, und es war ihm unmöglich, irgendeinen Unterschied dazwischen zu entdecken; er hatte noch ebenso oft eingebildete göttliche Rührungen und Empfindungen wie sonst; er konnte sich nicht überzeugen, daß er ganz aus der Gnade gefallen und von Gott verworfen sein sollte. Er fing an der Wahrheit des Orakelspruchs von dem Herrn von Fleischbein an zu zweifeln.

Dadurch verlor sich seine Niedergeschlagenheit wieder, die ihm sonst vielleicht aufs neue den Weg zu der Gunst des Herrn Lobenstein würde gebahnt haben, dessen Freundschaft er nun durch seine fortgesetzten vergnügten Mienen vollends verscherzte.

Die erste Folge davon war, daß ihn Lobenstein aus seiner Kammer entfernte und er wieder bei dem andern Lehrburschen schlafen mußte, der nun anfing, wieder sein Freund zu werden, weil er ihn nicht mehr beneidete; die andre, daß er wieder anfangen mußte, mehr wie jemals die schwersten und niedrigsten Arbeiten zu verrichten, wobei er immer in der Werkstatt bleiben mußte und nur selten zu Herrn Lobenstein in die Stube kommen durfte. Der Klaviermeister wurde nur noch deswegen beibehalten, weil Lobenstein das angefangne Werk der Bekehrung in ihm vollenden und also statt einer verlornen Seele Gott wieder eine andre zuführen wollte.

Der Winter kam heran, und jetzt fing Antons Zustand wirklich an, hart zu werden: er mußte Arbeiten verrichten, die seine Jahre und Kräfte weit überstiegen. Lobenstein schien zu glauben, da nun mit Antons Seele doch weiter nichts anzufangen sei, so müsse man wenigstens von seinem Körper allen möglichen Gebrauch machen. Er schien ihn jetzt wie ein Werkzeug zu betrachten, das man wegwirft, wenn man es gebraucht hat.

Bald wurden Antons Hände durch den Frost und die Arbeit zum Klavierspielen gänzlich untauglich gemacht. – Er mußte fast alle Woche ein paarmal des Nachts mit dem andern Lehrburschen aufbleiben, um die geschwärzten Hüte aus dem siedenden Färbekessel herauszuholen und sie dann unmittelbar darauf in der vorbeifließenden Oker zu waschen, wo zu dem Ende erst eine Öffnung in das Eis mußte gehauen werden. Dieser oft wiederholte Übergang von der Hitze zum Frost machte, daß Anton beide Hände aufsprangen und das Blut ihm heraussprützte.

Allein statt dieses ihn hätte niederschlagen sollen, erhob es vielmehr seinen Mut. Er blickte mit einer Art von Stolz auf seine Hände und betrachtete die blutigen Merkmale daran als so viel Ehrenzeichen von seiner Arbeit; und solange diese harten Arbeiten noch für ihn den Reiz der Neuheit hatten, machten sie ihm ein gewisses Vergnügen, das vorzüglich im Gefühl seiner körperlichen Kräfte bestand; zugleich gewährten sie ihm eine Art von süßem Freiheitsgefühl, das er bisher noch nicht gekannt hatte.

Es war ihm, als wenn er nun auch sich selbst etwas mehr nachsehen könne, nachdem er ebenso wie die andern gearbeitet und des Tages Last und Hitze wie sie getragen hatte. Unter den beschwerlichsten Arbeiten empfand er eine Art von innerer Wertschätzung, die ihm die Anstrengung seiner Kräfte verschaffte; und oft würde er diesen Zustand kaum gegen die peinliche Lage wieder vertauscht haben, worin er sich beim Genuß der strengen und alle Freiheit vernichtenden Freundschaft Lobensteins befand.

Dieser aber fing jetzt an, ihn immer härter zu drücken: oft mußte er in der bittersten Kälte den ganzen Tag über in einer ungeheizten Stube Wolle kratzen. Dies war ein klüglich ausgesonnenes Mittel des Herrn Lobenstein, um Antons Arbeitsamkeit zu vermehren: denn wenn er nicht vor Kälte umkommen wollte, so mußte er sich rühren, soviel nur in seinen Kräften stand, daß ihm Abends oft beide Arme wie gelähmt und doch Hände und Füße erfroren waren.


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