geboren am 15. September 1756 in Hameln, gestorben am 26. Juni 1793 in Berlin. - Verfasser von Romanen, kunsttheoretischen Abhandlungen und Schriften über Grammatik und Sprachphilosophie, Mythologie und Altertumskunde, Psychologie und Pädagogik, Poetik und Stilistik.
Moritz ist in Armut aufgewachsen; die Familienverhältnisse waren durch religiöse Streitigkeiten der Eltern zerrüttet. Der Vater, ein in militärischen Diensten stehender Oboist, war Quietist und Anhänger des Separatisten Johannes Friedrich von Fleischbein, die Mutter setzte ein kirchentreues, dabei pietistisch gefärbtes Luthertum dagegen. Nach Ende des Siebenjährigen Kriegs 1763 zog die Familie nach Hannover, wohin das Regiment des Vaters verlegt worden war. Der Vater befaßte sich anfangs selbst mit der Erziehung des Sohnes. 1768 wurde Moritz nach Braunschweig zu einem quietistischen Hutmacher in die Lehre gegeben. Ständige Unterdrückung durch seinen Lehrherrn führte nach anderthalb Jahren körperlicher und seelischer Qualen zu einem Selbstmordversuch. Nach vorzeitigem Abbruch der Lehre kehrte Moritz 1770 nach Hannover zurück. Während des - obligatorischen - Konfirmandenunterrichts wurde der Garnisonspfarrer auf die Begabung des Jungen aufmerksam und verschaffte ihm Freitische und ein Stipendium, so daß Moritz im Frühjahr 1771 das Gymnasium in Hannover beziehen konnte. Die armseligen Lebensbedingungen verdüsterten jedoch auch Moritz' weiteren Lebensweg.
Wie andere Altersgenossen, darunter sein Schulfreund Iffland, wurde Moritz von der damaligen Theatromanie ergriffen, und er machte 1776 den ersten von mehreren vergeblichen Versuchen, Schauspieler zu werden. Im selben Jahr schrieb er sich in Erfurt als Theologiestudent ein, suchte aber nach kurzer Zeit Beziehungen zu den Herrnhutern in Barby und knüpfte schließlich Kontakte zum Philanthropen Basedow in Dessau, mit dem er aber heftig zusammenstieß. Notgedrungen entschloß er sich zum Lehrerberuf. Über die Stelle eines Informators am Potsdamer Militär-Waisenhaus gelang ihm 1778 der Aufstieg zum Lehrer am renommierten Gymnasium zum Grauen Kloster, wo er 1784 Gymnasialprofessor wurde. Seit 1779 Freimaurer, trat Moritz allmählich mit den führenden Berliner Aufklärern in Verbindung, v.a. mit Mendelssohn. 1782 unternahm er eine Reise nach England, das er wie so viele gebildete Zeitgenossen schwärmerisch verehrte. Dieser Reise verdankte Moritz seinen ersten literarischen Erfolg durch die Reisen eines Deutschen in England im Jahre 1782 (Berlin 1783). Unvermittelt brach er 1786 den Schuldienst ab und ging nach Italien. Sein dortiger Aufenthalt 1786-1788 fiel zeitlich mit dem Goethes zusammen. Die Freundschaft und der Gedankenaustausch mit Goethe - dem er »wie ein jüngerer Bruder« erschien, »von derselben Art, nur da vom Schicksal verwahrlost und beschädigt, wo ich begünstigt und vorgezogen bin«, bedeuteten zweifellos einen menschlichen und intellektuellen Höhepunkt in seinem Leben. Im Dezember 1788 wanderte Moritz von Italien nach Weimar, wo er sich zwei Monate in Goethes Haus aufhielt und Herzog Karl August am Hofe Englischunterricht erteilte. Am 1. Februar fuhr er als dessen Begleiter nach Berlin. Durch Vermittlung des Herzogs wurde Moritz kurz danach zum Professor der Theorie der schönen Künste an der Akademie der Künste ernannt. Unter den Zuhörern seiner öffentlichen Vorlesungen waren Alexander von Humboldt, Wackenroder und Tieck. 1791 wurde Moritz Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften und Hofrat. Endlich etabliert, blieben ihm selbst in dieser Schlußphase seines Lebens tragikomische Demütigungen nicht erspart, als er den späten Versuch einer Eheschließung wagte. Binnen Jahresfrist (1792/93) folgten dicht aufeinander: Verlobung mit Friederike Matzdorff, Vermählung, Entführung der 20 Jahre jüngeren Frau durch einen früheren Liebhaber, Scheidung und Wiederverheiratung der Getrennten. Wenige Monate später starb Moritz an einem Lungenleiden.
Schon zu seinen Lebzeiten und erst recht nachher war Moritz vor allem als der Verfasser des Anton Reiser (4 Teile, Berlin 1785-90) bekannt. Dieser Ruhm ist verständlich, denn es handelt sich um einen historisch aufschlußreichen und menschlich erschütternden Text. Laut Untertitel »ein psychologischer Roman« ist er aber zugleich Autobiographie. Bemerkenswert ist v.a. der psychologische Tiefblick, mit dem Moritz die seelischen Regungen des Kindes und des jugendlichen Anton Reiser durchdringt und analysiert. Immer wieder überrascht die psychologische Pathographie des Romans durch die Vorwegnahme späterer Erkenntnisse der modernen Individualpsychologie. Phänomene des Unbewußten wie Minderwertigkeitskomplex, Verdrängung, Ersatzbefriedigung, Kompensation sind hier der Sache nach präzise erkannt und beschrieben. Die Selbsttäuschungen und Verstellungen des jungen Reiser, seine ästhetisierende Empfindsamkeit und Flucht in die Phantasiewelt des Theaters werden schonungslos bloßgelegt und im vierten Teil, der erst zwei Jahre nach der Italienreise erschien, mit dem objektivistischen Konzept klassischer Ästhetik und Anthropologie als dem positiven Gegenbild konfrontiert.
Gleichzeitig mit Anton Reiser hat Moritz den Roman Andreas Hartknopf. Eine Allegorie (Berlin 1786) geschrieben, dem die Fortsetzung Andreas Hartknopfs Predigerjahre (Berlin 1790) folgte. Auch hier finden sich - jedoch nur vereinzelt - autobiographische Bezüge. Die Titelfigur, von Beruf Grobschmied und Prediger, ist Fiktion. Hartknopf wird als ein »Weiser« vorgestellt und beschließt sein Leben als Märtyrer. Der Erzähler ist sein Jünger und Evangelist. Hartknopfs Rolle als weltlicher Nachfolger Christi wird allerdings immer wieder durch humoristische, parodistische und satirische Kapriolen der blasphemisch-sakralisierenden Darstellung in Frage gestellt. Wie Hartknopf, der ein »horchender Träumer«, dabei aber voll »trockener Laune« ist, so bewegt sich auch der Roman zwischen den Extremen der in rhapsodisch-lyrischer Weise verkündigten Lehren eines Natur- und Humanitätsevangeliums mit mystischen Untertönen einerseits und einer satirisch-grotesk dargestellten Zeitkritik andererseits. Anders als im Anton Reiser verzichtet Moritz hier auf jede psychologische Nuancierung und bedient sich statt dessen einer allegorisierenden Typisierung, durch die Vorgänge und Situationen transparent werden für allgemeine philosophische und gesellschaftliche Inhalte.
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