Karl Philipp Moritz
Andreas Hartknopf
Karl Philipp Moritz

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Karl Philipp Moritz

Andreas Hartknopf

Allegorischer Roman


Der Buchstabe tötet,
aber der Geist macht lebendig

Hier will ich still stehen, sagte mein lieber Andreas Hartknopf, da er sich plötzlich auf seiner Wanderschaft an einem breiten Graben befand und weder Weg noch Steg sah, der ihn hinüberführen konnte; und doch war es schon beinahe dunkle Nacht, und der Wind wehte scharf aus Norden ihm einen feinen Staubregen ins Gesicht, der schon seine Kleider bis auf die Haut durchnäßt hatte – er hat nun ausgewandert, der gute Hartknopf – aber mir deucht, ich sehe ihn noch da stehen mit seinem langen Knotenstocke, den messingnen Kamm in sein dickes schwarzbraunes Haar geschlagen, und seinen Rock mit den steifen Schößen von oben bis unten zugeknöpft.

Er war eine gute Seele – ob er gleich in der Gottheit vier Personen annahm und glaubte, daß die ganze Welt aus alkalischem Salze geschaffen sei. Dies öffentliche Zeugnis von seinem Charakter und seinem Herzen, das gewiß ein Unparteiischer fällt, möge ihn gegen die Beschuldigungen retten, womit Bosheit und Verleumdung seinen Namen oft gebrandmarkt haben.

Du guter Andreas Hartknopf magst wohl nicht gedacht haben, daß deine Freunde, die auch wie du an die Viereinigkeit und an die Schöpfung der Welt aus alkalischem Salze glaubten, und mit dir, wie du meintest, ein Herz und eine Seele waren, daß diese dein Gedächtnis nach deinem Tode so schändlich verunglimpfen würden.

Ach, es war dir auch nicht an der Wiege gesungen, wie es dir einmal in der Welt ergehen sollte – daß du verstoßen, verjagt, von aller Welt verlassen umherirren, irgendwo ein freundliches Obdach suchen und es nicht finden solltest; daß du an die Türen deiner Brüder, deiner Freunde klopfen, und sie dir nicht aufgetan werden sollten; daß du – o nichts weiter! Meine Seele ergrimmt gegen die Menschen, wenn ich bedenke, daß sie den Edelsten unter sich ausstießen, den Diamanten, der auf diese harten Kieselsteine seinen unnachahmlichen Glanz hätte werfen können, wodurch sie auch bemerkt worden wären, wenn man ihn unter ihnen gesucht hätte! Oft unterhält sich meine Seele in einsamen Stunden mit dir in Gesprächen; ich sehe dich in meine kleine Kammer treten; wir sehen uns und sehen den Himmel aus dem geöffneten Fenster an – und ob wir gleich nur gegen ein altes Gemäuer blicken, so erhebt sich doch unser Herz, wenn die Sonne darauf scheint, und unsere Seelen ergießen sich gegeneinander in Liebe und Wärme, in süßen Gesprächen von Zukunft und Vergangenheit.

Ich soll von dir reden, mein Guter! und ich rede mit dir – sieh, ich muß wieder Abschied von deinem Geiste nehmen, wenn ich von dir reden soll –das wird mir schwer. O habt Geduld mit mir meine Leser! es ist mir schwer geworden, mich von meinem Freunde zu trennen – ich sprach mit ihm, da ich mit euch sprechen sollte, denn ich wollte euch doch seine Geschichte erzählen.

Hier will ich still stehen! sagte er also, da er plötzlich an dem breiten Graben stand, über den kein schmaler Steg ihn führte – er ging eine weite Strecke auf und ab, und fand keinen Weg hinüber – die Nacht brach immer tiefer herein, der Wind ging immer schärfer, und jagte schon den Regen in großen Tropfen meinem Wanderer ins Gesicht, hinter ihm war ein meilenlanger Wald – Hier will ich still stehen, sagte er noch einmal, weil ich nicht weiter kann – und das will sagte er mit einem gewissen Trotz, aber auch zugleich mit einer Erhabenheit der Seele, womit er dem Regen und dem Sturmwinde zu befehlen und über die Elemente zu herrschen schien.

Ich will, was ich muß, war sein Wahlspruch bis an den letzten Hauch seines Lebens; es war seine höchste Weisheit, der er bis zum Tode getreu blieb; die ihn über die Dornenpfade seines Lebens sicher hinleitete, die ihm am Rande des Grabes noch einmal ihre freundschaftliche Rechte bot.

Weil ich das nun alles weiß, und ich mich fast ebenso in seine Seele hineindenken kann, als in meine eigene Seele – so genau waren wir miteinander verwebt – so kann ich auch das alles von ihm erzählen, was gewiß sonst niemand von ihm würde erzählen können: wie seine ganze Seele dabei arbeitete, als er die Worte sagte: hier will ich stehen bleiben!

Er fühlte dabei einen unwiderstehlichen Mut, womit er der Kälte, dem Regen, dem Winde, der Dunkelheit der Nacht und der Ohnmacht der menschlichen Natur selbst Trotz bot – er zog sich in sich selbst zurück, wie der Igel in seine Stacheln, wie die Schildkröte in ihr felsenfestes Haus. Seine Brust war mit ehernem Mut gestählt, sein Körper zum Leiden abgehärtet – die rauhen Elemente noch immer seine Freunde, denn sie behandelten ihn gütiger als die Menschen.

Legen konnte er sich nicht, denn der Boden war vom Regen durchnäßt. Er stand und ging am Graben auf und nieder, dann stand er wieder eine Weile und pfiff die halbe Nacht hindurch im Winde sein Leibstückchen, daß es weit in die Ferne schallte, wo es der Wind hintrug. – Ein paar Eulen auf den nahen Bäumen fingen an, statt der Nachtigall, ihn zu begleiten, und ein paar Fledermäuse schwirrten statt der Lerchen ihm um den Kopf – und er ward nicht böse darüber, sondern ließ sich, da er es nicht besser haben konnte, den Wettgesang gerne gefallen und freute sich, daß selbst in der stillen Totennacht die Natur noch Funken von Leben sprüht. Sie machte ihm jetzt seine sonst so getreue, liebevolle, zwar etwas saure Miene – und er hätte ihr in der Dunkelheit der Nacht, durch eine sehr unerfreuliche Verzerrung seiner Gesichtszüge den Gruß sehr gut erwidern können – aber das tat er nicht, seine Stirne zog sich nicht in düstere Falten, sein Auge blieb so heiter, daß er sich vor der hellen Sonne nicht hätte schämen dürfen, wenn sie in diesem Augenblick sein Antlitz beleuchtet hätte.

Indem er noch so da stand und pfiff, hörte er in der Ferne Menschenstimmen, und seine gute Laune, in die er sich hineingepfiffen hatte, erhielt beinahe einen kleinen Stoß. – Bald aber ermannte er sich wieder, und die Menschenstimmen klangen seinen Ohren beinahe wieder so lieblich als der Gesang der Eulen, mit denen er vorher in Gesellschaft des rauschenden Windes ein angenehmes Konzert aufgeführt hatte.

Die Menschenstimmen tönten wild in die Nacht; der Laut war wie von stammelnden Zungen, und ihr Ausruf war wie der Ausruf derer, die voll süßen Weines sind. – Schon waren sie dicht heran, und es war doch schändlich!

Die Eulen und Fledermäuse hatten meinem Hartknopf zur Gesellschaft mitgewacht – und diese Unmenschen – es waren ihrer zwei – He da! Landsmann, stammelte der eine, was wankt er hier noch so spät umher? – Ich kann nicht über den Graben. – I Narr, so schwimm er durch, lachte jener laut auf und stieß ihn in den Graben hinein. Hartknopf raffte sich im Fallen so gut er konnte zusammen, und siehe da, es war eine Grube wie die, worin weiland Josef von seinen mitleidigen Brüdern hinabgelassen wurde; es war ein Graben, worin kein Wasser war und durch welchen er gleich anfangs trocknen Fußes hätte durchgehen können, wenn er statt seiner philosophischen Resignation seine beiden Sinne, Gesicht und Gefühl, zusammengenommen hätte, um sich mittels seines Dornstockes und seiner gesunden Füße erst einen Durchgang durch den Graben zu erproben, ehe er sich entschloß, die Nacht über diesseits zu bleiben und mit seinem Pfeifen ein paar Eulen zu begleiten. Hartknopf kam nun auf der anderen Seite des Grabens wieder in die Höhe und machte auch nicht einmal in Gedanken seinem Beleidiger Vorwürfe, der ihm freilich wider Willen einen Dienst geleistet hatte, indem er ihm durch einen zwar etwas unsanften Stoß durch einen Graben half, wodurch ihm vorher alle seine Philosophie nicht hatte helfen können. Was aber noch mehr war, so machte Hartknopf sich selber nicht einmal Vorwürfe, daß er wie mit Blindheit geschlagen gewesen war. Das war nun einmal seine Art so: er hielt es für noch einen kindischen und läppischen Streich mehr, wenn man sich über irgendeinen kindischen und läppischen Streich, den man einmal gemacht hatte, die Haare ausraufen wollte. – Überhaupt hatte er sich, seitdem er anfing weise zu werden, die Reue abzugewöhnen versucht, die er nur für ein Arzneimittel der Toren hielt. Ich will, was ich muß, war sein Wahlspruch, wenn er von außen her getrieben wurde, und ich muß, was ich will, wenn ihn etwas von innen trieb. Gefühl seiner Kraft, insbesondere der widerstrebenden, war seine höchste Glückseligkeit. – Darum mochte er zuweilen gerne wider den Strom schwimmen, ob es ihm gleich sauer wurde, und wider die Wand rennen, ob er sich gleich den Kopf zerstieß.

Darum war er auch die Nacht diesseits des Grabens geblieben, als er nur einige Wahrscheinlichkeit hatte, daß er nicht würde durchkommen können. Und er gefiel sich nun einmal so. Und weil ihm die Zeit nicht sehr übel verstrichen war, so würde er sich über jeden Ärger geärgert haben, den er in sich hätte über sich selbst aufsteigen lassen; darum ärgerte er sich dann am Ende lieber gar nicht.

Er verdoppelte seine Schritte, um sich warm zu gehen, und befand sich ungleich besser, da er wieder auf der Landstraße war und mit Zweck und Absicht sich nach einer festen Richtung fortbewegen konnte, als vorher, da er gehen mußte um zu gehen und immer wieder auf denselben Fleck zurückkam. Dies führte ihn zu tiefsinnigen Betrachtungen über die geraden und über die krummen Linien, und inwiefern die gerade Linie gleichsam das Bild des Zweckmäßigen in unseren Handlungen sei, indem die Tätigkeit der Seele den kürzesten Weg nimmt – die krumme Linie hingegen das Schöne, Tändelnde und Spielende, den Tanz, das Spazierengehen bezeichnet.

Indem waren die beiden besoffenen Kerle schon wieder hinter ihm, und faßten ihn brüderlich der eine unter dem rechten, der andere unter dem linken Arm – der unter dem linken Arm hatte ihn in den Graben gestoßen, und war wie der böse Schächer zur Linken am Kreuze, die Tugend und Weisheit ging in der Mitte.

Die beiden besoffenen Kerle aber waren ein paar Weltreformatoren und Kosmopoliten – und der zur Linken war der Anführer einer kleinen Kosmopolitenbande, die im Lande umherzog und sich jetzt in dem kleinen Städtchen aufhielt, um ihr Gaukelspiel zu treiben und aus allen vier Ecken der Erde Menschen herbeizulocken, die sich vor ihrer großen Bude versammeln und ihre Marktschreier- und Taschenspielerkünste anstaunen sollten.

Der Anführer zur Linken hatte große schwarze struppige Augenbrauen und borstiges Haar, und trug ein samtenes Kleid vom Schweiß und Blut der betrogenen Menschheit – er kniff meinen guten Hartknopf in den Arm, daß es ihm blau wurde, da er ihn untergefaßt hatte, und sagte: – Du alter Kauz, wie ist dir denn das Schwimmen bekommen? Daraus war dann zu schließen, daß er ihn nicht in einen trockenen, sondern mit Wasser gefüllten Graben hatte stoßen wollen, dieser Borstige.

Der Kosmopolit zur Rechten war der reuige Schächer und sagte: – Lieber Bruder, wir hätten diesen Menschen schonen sollen – und hätten ihn nicht sollen in die Grube stoßen, worin kein Wasser war – der arme Mensch! – indem drückte er Hartknopf die Hand. Und dieser sagte halb im Schlummer: – Heute wirst du mit mir im Paradiese sein! Er meinte aber den Gasthof in dem Städtchen, das vor ihnen lag, worin er einzukehren pflegte, wo die Zöllner und Sünder herbergten und wohin jetzt sein sehnlichstes Wünschen ging. – Die Idee vom Paradiese schlug in den zwei Kosmopolitenköpfen wie ein Feuerfunken ein – sie hatte etwas so Erhabenes und Feierliches in der dunklen, schauervollen Nacht, so wenig Erhabenes sich auch mein guter, ehrlicher Hartknopf dabei gedacht hatte. Der Schächer zur Rechten und der Schächer zur Linken fühlten die ganze Macht der Worte, die sie nun wirklich auf sich abgezielt glaubten. Ihre Seelen wurden zerknirscht, Tränen entströmten ihren Augen; sie fingen an, sich wirklich für ein paar arme Schächer zu halten, welche in ihrem verkehrten Sinn die hohe Würde des Menschen beleidigt hätten.

– Fühlst du das, lieber Bruder, sagte der zur Rechten –

– Ich fühle es! antwortete der Linke mit bebender Stimme; laß uns hier niederfallen im Staube und den großen Allvater bitten, daß er uns vergebe die Sünden unserer Jugend und die Sünden unserer grauen Jahre; daß er nicht ansehe unsere Missetat, und uns nicht strafe, wie wir es verdient haben – denn wo willst du einen Reinen finden unter denen, da keiner rein ist; bewahre meinen Fuß – – – und so lang wie er war, lag der borstige Bebende ausgestreckt da, denn sein Gebet war schwarze Heuchelei und verflog in den Lüften. Er maß die Erde mit seiner Länge, denn er hatte sich an einer alten Stubbe am Weg sein Schienbein zerstoßen, daß es ihn bis in den Wirbel hinauf schmerzte. – Das sanfte Erbarmen meines Hartknopf mit seinem Beleidiger hob den Gefallenen wieder auf, und der Gefallene dankte ihm nicht, denn sein böser Geist hatte der Stubbe Hartknopfs Gestalt gegeben.

Und der Gefallene sagte zu dem Schächer zur Rechten: – Mein Bruder, was meinst du, der Schurke da hat mir ein Bein untergeschlagen, um sich an mir zu rächen!

– Ei so soll ihn ja auch – rief der reuige Schächer, und fing an, tüchtig auf meinen Hartknopf loszuschlagen, und der zur Linken war dabei sein treuer Rat und Assistent.

Aber das Blättchen fing sich bald an zu wenden. Die Weisheit in der Mitte nahm ihren Dornenstock in die Hand, und schlug damit rechts und links um sich, und die Torheit taumelte an beiden Seiten von ihren wiederholten Schlägen zu Boden, und als mein Hartknopf die beiden Besoffenen nach Herzenslust durchgeprügelt hatte, so sagte er: – Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!

Und nun hob er sie beide wieder auf, und sie wanderten wieder einträchtig und brüderlich miteinander fort. Darüber brach der Tag an, und der Rausch in den Köpfen der beiden Kosmopoliten fing allmählich an zu verfliegen. – Ihr nächtlicher Zwist mit Hartknopf verlor sich in ein dunkles Schattenbild, und sie sahen jetzt seine offene Stirn und sein edles freies Auge, womit er sie im Glanz der aufgehenden Sonne anblickte, und schlugen beschämt ihre Augen nieder.

Alle drei schienen stillschweigend in einen Vertrag eingewilligt zu haben, alles in der Nacht Vorgefallene in gänzlicher Vergessenheit zu begraben. Sie unterhielten sich miteinander über die Schönheit des Morgens, über die Pracht der aufgehenden Sonne und über den herrlichen Anblick der wiedererwachenden Natur, und ließen ihren strafenden Unwillen gegen diejenigen aus, die den schönsten Morgen in ihren Flaumfedern verschlafen könnten. – Dann fragten erst die zwei Kosmopoliten ihren nächtlichen Gefährten, wo er denn eigentlich herkomme und wo er eigentlich hin wolle? Beides wußte er nicht eigentlich zu beantworten. Er kam aus dem Abend und wanderte gerade gegen den Morgen zu, denn der Weg von Westen nach Osten hatte für ihn etwas Reizendes und Anziehendes, das sich zum Teil mit auf seine besonderen Meinungen gründete. – Da er nun in Süden und Norden ebensowenig Schätze zu holen hatte als in Osten und Westen, so nahm er seine Richtung immer nach Osten zu und richtete es gemeinhin so ein, daß er den ersten frühen Strahl der Sonne mit seinem Morgengebet begrüßen konnte. Welche Städte und Dörfer nun hier auf seinem Wege lagen, durch diese ging er oft hindurch, ohne nur nach ihrem Namen zu fragen; und wenn man ihn dann auch nicht nach seinem Namen fragte, sondern wie irgendein unbedeutendes Wesen, einen Hund oder eine Katze, ihn durchwandern ließ, ohne nur einen Blick auf ihn zu werfen, wie froh war er dann !

Als er aber durch das Land kam, wo man an den Toren die Geheimnisse des Herzens und seiner Taschen ausforschen wollte, ehe man ihn durchließ, so nahm er einen weiten, weiten Umweg, wenn er an eine Stadt kam, und mußte von seiner geliebten Direktionslinie nach Osten manche Abweichungen machen, ehe er wieder in sein Gleis kam. Dann schüttelte er den Staub von seinen Füßen über einer solchen Stadt, und freute sich, wenn er in irgendeine dürre sandige Heide kam, wo keine Spur von Taschendurchsuchenden und geheimniserforschenden Menschen zu sehen war und er nur wieder frei atmen konnte.

Damit der Leser auch keinen Augenblick länger etwa den Gedanken hege, als habe sich Hartknopf von Osten gegen Westen hingebettelt, so muß ich versichern – denn ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß man dies auch nur von ihm denken könne – so muß ich dem Leser versichern, daß Hartknopf sich lieber auf irgendeiner Festung oder in irgendeinem Zuchthaus würde von selbst angegeben haben, um zu karren oder zu raspeln, ehe er das getan hätte. Auch brauchte er es nicht; denn er war seines Handwerks ein Grobschmied und ein Priester, und konnte sich also mit seiner Hände Arbeit sowohl als vom Evangelium nähren, das er den Leuten gern verkündete, die es hören wollten. Aber von der Predigt des Evangeliums nährte er sich nicht, sondern vom Schmiedehandwerk; denn er dachte, umsonst habe ich es empfangen, umsonst sollte ich es auch wiedergeben. – Ein Arkanum für die Schwindsucht, welches er besaß, will ich nicht einmal erwähnen; er besaß ein noch weit größeres Arkanum, den Leib des Menschen durch die Seele zu heilen – wie oft hat er hiervon Gebrauch gemacht! Er nährte sich aber so wenig davon als vom Evangelium, das er verkündigte – sondern der Schmiedehammer, den er mit seinem nervigen Arm wohl auf den Amboß zu führen wußte, verschaffte ihm Nahrung und Kleider; und wenn er dann mit dem Allernotwendigsten versehen war, so ließ er eine Weile seinen Arm wieder ruhen, um seinen Lauf gegen Osten fortzusetzen und seinen Weg, den er nahm, durch wohltätige Handlungen zu bezeichnen. Am heißen Mittag begegnete ihm dann die Sonne in ihrem Lauf und schien ihm als ihrem großen Nachahmer Beifall zuzulächeln.

Das Geheimnis des Erdenlebens meines Hartknopfs ist mir heilig. Mit Ehrfurcht wage ich es, allmählich den Schleier wegzuziehen, der große, der Ewigkeit werte Taten vor dem Auge der Welt verhüllte, die dereinst im höchsten Glanze schimmern und die Taten der Könige verdunkeln werden. – Du hörest sein Säuseln wohl, aber du weissest nicht, von wannen er kommt, noch wohin er fähret. – – Der Fromme geht seinen Gang vor sich hin, so lange er hienieden wallt, ist in sich gekehrt und merkt auf jeden seiner Schritte die er tut. Seine Blicke schweifen nicht in Unruhe auf den Töchtern seines Landes, denn eine ist seine Braut, die verläßt er und sie ihn in Ewigkeit nicht; sie reicht ihm noch ihre sanfte Hand im finsteren Tal des Todes und geleitet ihn in bessere Welten hinüber, wo kein Kosmopolit den Wanderer mehr in einen Graben stößt und kein böser Geist mehr eine Stubbe in Hartknopfs Gestalt verwandelt, um ihm von zwei Weltreformatoren eine Tracht Schläge zuzuziehen.

Wohin er eigentlich ging? fragten ihn also die zwei Weltreformatoren. Eigentlich habe er sich kein festes Ziel gesetzt, gab er zur Antwort, aber er wolle mit ihnen in das nächste Städtchen gehen und dort im Paradiese einkehren, wo der Gastwirt noch sein Herr Vetter sei.

Das Städtchen aber, auf welches sie nun zugingen, hieß Gellenhausen und war Andreas Hartknopfs Geburtsort, den er jetzt besuchte, weil er auf seiner Direktionslinie nach Osten lag – denn er kam aus dem äußersten Ende von Westfalen und ging durch ganz Niedersachsen und Obersachsen immer auf das jetzige Polen zu, und nun war er bis an Gellenhausen gekommen, ohne bis jetzt daran zu denken, daß er da geboren war – bis er, noch den Abend vorher, ehe er an den breiten Graben kam, die hohe Turmspitze in der Ferne schimmern sah, welche die einzige in dem Städtchen war und mit ihrer Pracht alle übrigen Häuser, die in einem Klümpchen zusammengedrängt dalagen, verdunkelte und beschämte.

Das Städtchen hatte sich auch in dem Turm ganz verbaut, und der Magistrat von Gellenhausen wäre beinahe darüber bei den höchsten Landesgerichten in Inquisition gekommen. Das war aber nun einmal die Art dieses Städtchens, daß es schimmern wollte, von jeher – davon zeugten noch die Überreste eines alten Walles, worauf ein paar ungeheure Kanonen gepflanzt waren, und ein Prediger, der ein Buch geschrieben hatte unter dem Titel »Die sich entknospende Frühlingsrose oder die Hoffnung des Christen jenseits des Grabes«, wo sie nicht eher ruhten, bis sie ihn in ihr Städtchen zogen, wo er auf dem Kirchhof bei Mondschein Predigten hielt und die Jünglinge und Mädchen des Dorfes auf den Grabhügeln ihrer Väter um sich her versammelte, um ihnen die sich entknospende Frühlingsrose vorzupredigen.

Nun wird man sich auch leicht erklären können, wie sich in dem Städtchen eine Kosmopolitenbande einnisten konnte – nachdem eine herumwandernde Gruppe Komödianten schon die Hälfte von dem Hab und Gut der armen Einwohner mit sich hinweggenommen hatte.

Das Philanthropin in Dessau existierte damals schon seit einigen Jahren und hatte in den Köpfen der Deutschen einen Schwindel hervorgebracht, der sich damals noch in vollem Wirbel umherdrehte. Und so wie bei der Theaterepoche, die sich nun auch allmählich ihrem Ende nähert, mancher ehrliche Handwerksmann sich mit in den Wirbel hineinziehen ließ, und den Leisten mit dem tragischen Kothurn vertauschte, so waren auch Hartknopfs beide Begleiter, der eine zur Rechten, namens Küster, wirklich ein Küster, und der borstige zur Linken, namens Hagebuck, ein ehrsamer Schuster gewesen, der eine höhere Flamme in sich lodern fühlte und glaubte, daß er gar wohl fähig sei, in den Köpfen der Menschen ein Licht anzuzünden, deren Füßen er jetzt Schuhe anmessen mußte. Er hatte nämlich seines großen Handwerksgenossen Jakob Boehmes Schriften gelesen; dadurch war zuerst der Funke in ihm angefacht worden – denn es war ihm einmal, da er gerade den Pechdraht zog, als ob ihm eine Stimme vom Himmel zurief: Hagebuck! und er sagte; Herr, was ists? – Da rief ihm die Stimme weiter zu; Laß deinen Pechdraht liegen, und wirf deinen Pfriemen von dir, und gehe hin in ein Land, das ich dir zeigen will!

Er nahm darauf plötzlich von seinem Meister Abschied, welcher seinen verstörten Mienen nach zu urteilen, glaubte, er sei toll im Kopf geworden, ihm seinen Lohn auszahlte und froh war, daß er ihn los wurde. Denn er war manchmal des Nachts bei Mondschein auf dem Dach herumgeklettert und hätte das Haus wegen eines üblen Spuks beinahe in üblen Ruf gebracht. Dies war aber ein Fehler, der ihm noch aus seiner Kindheit anklebte; denn er war einer der unheilbarsten Nachtwandler, die es gegeben hat, und auch einer der geschicktesten, so daß er, wenn man ihn nicht bei seinem Taufnamen rief, auf einer Dachspitze tanzen konnte.

Hans Hagebuck schnürte also sein Bündel, steckte seinen Jakob Boehme in die Tasche und wanderte auf Dessau zu. – Hier verkannte man seine Talente nicht, und er fand Gelegenheit, den Unterricht des Philanthropins zu genießen, und studierte Basedows Elementarwerke in der deutschen Übersetzung, daß ihm der Kopf rauchte; der Erfolg davon war, daß er binnen einem Jahr sich schon stark fühlte, wieder ein Lehrer der Menschheit zu werden und in dem Städtchen Gellenhausen, wohin man ihn rief, ein Philanthropinum nach dem Muster Dessaus zu errichten.

Sein Mitgehilfe war, wie schon gesagt, ein Küster, welcher zugleich Küster hieß. Er war aber wegen seines tumultarischen Charakters seines Dienstes entsetzt worden; denn er wollte sich nicht in die gewöhnliche Ordnung der Dinge fügen, seinem Pastor nachzutreten, sondern er wollte ihm an der Seite gehen und den Pastor wie seinen Freund und Kollegen betrachten; er meinte, sie wollten zusammen in brüderlicher Eintracht auf ihr Zeitalter wirken und dem alten Vorurteil entgegenkämpfen. – Der Herr Pastor verstand aber keinen Spaß und verbat sich dergleichen Familiarität von seinem Untergebenen; und da der Küster einmal andere Lieder in der Kirche anschlug als der Pastor ihm gesagt hatte, so machte dieser einen Bericht an das Konsistorium, worin er dieses nebst mehreren gröblichen Vergehen gegen die Subordination anzeigte – und wovon die Folge war, daß dieser Küster, welcher zugleich Küster hieß, seines Dienstes entsetzt wurde.

Er hatte die Basedowschen Schriften gelesen und die Weltreformiersucht spukte ihm auch im Kopf – er reiste also geradewegs nach Dessau und machte Bekanntschaft mit dem Schuhknecht Hagebuck, der soeben nach Gellenhausen abreisen wollte. Ihre Seelen begegneten sich schon in ihren Blicken; sie umarmten sich schon, da sie kaum einander nennen konnten – und ihr Freundschaftsbündnis war auf ewig geschlossen. Um es aber noch fester und feierlicher zu machen, ließen sie sich im Gasthof zum goldenen Szepter eine Bouteille PontakBordeauxwein geben und tranken Brüderschaft, nachdem sie vorher aus dem Basedwoschen Liederbuche das Lied über die Freundschaft gesungen hatten.

Und nun ging es denn geradewegs auf Gellenhausen zu. – Da war nun viel aufzuräumen – da regierte noch recht der alte Schlendrian im Schulwesen, da herrschte noch der Stock und die Rute, da wurden noch Vokabeln auswendig gelernt: – aber wie bald war das alles ganz anders und Stock und Rute wie weggeblasen!

Bald wurde eine Meritentafel in der Kirche mit dem hohen Turm aufgehängt, und jeder Junge in Gellenhausen, mochte er auch sein wer er wollte, bekam für jede edle Tat, die er getan hatte, einen goldenen Punkt darauf – und es kamen plötzlich so viele edle Taten zum Vorschein, daß ganz Gellenhausen darüber erstaunte.

Wer erst eine gewisse Anzahl solcher goldener Punkte hatte, der bekam ein Ordensband, und da galt, wie billig, kein Ansehen der Person, mochte der Junge auch barfuß gehen und die Schweine hüten, so bekam er doch ein Ordensband. –

Der Rektor des Städtchens nannte zwar die Hagebuck- und Küstersche Anstalt eine Klippschule, weil kein Latein gelehrt wurde, und schlug ein Schnippchen dazu, allein sein Beutel und seine Küche empfanden es, daß diese neue Klippschule in Gellenhausen etwas mehr sagen wolle; da flogen Braten und Weinflaschen und Zuckerhüte den beiden Weltreformatoren ins Haus, als ob sie mit dem leidigen Drachen ein Bündnis gehabt hätten.

Aber machten denn diese beiden allein die ganze Kosmopolitenbande aus? – Nein, es gehörte noch ein Schneider und ein Friseur dazu, die sie unterwegs aufgerafft hatten. Der Friseur mußte ihnen alle Morgen auf philantropische Weise ihr abgeschnittenes Haar im Nacken in runde Locken kräuseln, um der Natur getreu zu bleiben, und dann erklärte er zugleich den kleinsten Kindern die Kupfer des Basedowschen Elementarwerks. Der Schneider flickte ihnen ihre Kleider mit der Nadel, und ihre Reden mit seinem Witz aus – er war zugleich ein großer Kinderfreund und lehrte Kinder von vier Jahren lesen, ohne daß sie erst buchstabieren lernten.

Es wurden nun Spaziergänge, Wettrennen, gymnastische Übungen angestellt – wie stauntest du, Gellenhausen, da du zuerst deine hoffnungsvolle Jugend unter den Augen ihrer Herren Lehrer sich öffentlich balgen sahst! Da du sie zum ersten Mal mit Knüppeln vor den Toren exerzieren und mit klingendem Spiel in deine Tore einziehen sahst! Da du zuerst den Knaben mit dem Ordensbande auf der Brust hinter den Schweinen hergehen, und sie nun menschenfreundlich und liebevoll von ihm behandelt sahst!

Aber wie stauntest du, mein Hartknopf, da du mit deinen beiden Gefährten in die Tore deiner Geburtsstadt eingingst und die ganze nunmehr philanthropisch gewordene Jugend deiner Vaterstadt, angeführt von ihren anderen beiden Lehrern, dem Schneider und dem Friseur, in bester Ordnung entgegenkam und deine beiden besoffenen Gefährten mit einem lauten gellenden Freudenschrei bewillkommte; und wie deine beiden Gefährten umhalst und liebkost, und im Triumph durch die Stadt bis zu ihrer Wohnung in dem neuen Erziehungshause geführt wurden, das eines der ansehnlichsten Gebäude in der Stadt war.

Der Triumph, womit Hagebuck und Küster eingeholt wurden, bezog sich auf eine Wette, die sie angestellt hatten, daß sie innerhalb von vierundzwanzig Stunden sieben Meilenca. 50 km zu Fuß hin und her gehen wollten. Diese Wette hatten sie nun gewonnen, indem sie von dem Orte, der sieben Meilen weit von Gellenhausen lag, Brief und Siegel mitbrachten, daß sie dagewesen waren. – Solche Wetten wurden öfter angestellt, um dadurch einen edlen Wetteifer zu fördern – und Hagebuck und Küster glaubten auch, schon des Beispiels wegen, solche Taten machen zu müssen, damit es nicht schiene, als ob sie selbst ihren Körper nicht abzuhärten und das nicht auszuüben suchten, was sie doch anderen predigten. – Nun schien aber vorzüglich das zu Fuß Wandern so etwas philanthropinisch Weltbürgerliches zu sein, daß sie nicht mit Unrecht glaubten, es verdiene wohl durch ihr eigenes Beispiel den Menschen angepriesen zu werden. – Hagebuck hatte von seinen Wanderschaften als Schuhknecht her noch eine große Geläufigkeit in seinen Füßen, ob er gleich mit den Knien etwas einwärts ging, so daß er noch ziemlich munter auf den Beinen war, da Küster schon anfing, ziemlich schachmatt zu werden – endlich aber, da es gegen Abend ging, konnten sie beide nicht mehr fort, und hatten doch noch beinahe 5 Meilen vor sich. War es nun diesen Leuten, die es sich um das Beste der Menschheit so sauer werden ließen, wohl zu verdenken, wenn sie, da sie sich mit ein wenig Wein erquicken wollten, des Guten zu viel taten und die übrigen fünf Meilen in einem weg auf die lustigste Art hintaumelten, die sie sonst auf die langweiligste Art hätten gehen müssen? Und hatten sie gleich im betrunkenen Mut den armen Hartknopf in einen Graben geworfen, so hatten sie ihm doch nachher wieder brüderlich unter die Arme gegriffen; und hatten sie ihm gleich für sein Mitleid gegen den Gefallenen mit Schlägen gelohnt, so hatten sie ihm doch auch wieder verziehen, da er ihnen doppelt und dreifach vergalt, was ihre blinde Rachsucht an ihm ausübte.

Und Hagebuck –denn man muß doch auch dem Teufel Gerechtigkeit widerfahren lassen – war, seine Heuchelei und Verstellung und seine menschenfeindliche Gemütsart abgerechnet, die aus seinen schwarzen Augenbrauen hervorleuchtete, ein Mensch, der niemandem leicht etwas zu leide tat – ausgenommen, wenn es ihm Nutzen brachte, oder er sich etwa einmal einen kleinen Spaß machen wollte, wie mit Hartknopf, den er in den Graben stieß. –

Der einzelne Mensch war ihm wie nichts – den unversehens in einen Graben zu stoßen und in den Arm zu kneifen, indem er sich brüderlich stellte, daraus machte er sich nichts. Aber die ganze Menschheit konnte er liebevoll umfassen, gegen die schlug sein Herz, wie er sagte, mit mächtigen Schlägen. Für die opferte er, indem er in vierundzwanzig Stunden sieben Meilen hin und zurück ging, seine Kräfte auf.

Dessen ungeachtet aber fehlte es ihm nicht an einem wirklich unternehmenden Geiste, und er pflegte sich deswegen auch oft mit Luther, und seinen Kollegen Küster mit Melanchthon zu vergleichen; und als er auf der Reise nach Gellenhausen begriffen war, so dachte er sich alle die Schwierigkeiten, die dort von der Geistlichkeit des Ortes seinem Reformatorengeschäfte würden entgegengesetzt werden, und konnte sich nicht enthalten, seinem großen Vorgänger Luther die merkwürdigen Worte nachzusprechen; wenn auch in Gellenhausen so viele Teufel als Ziegel auf den Dächern wären, so wolle er doch den Sieg behalten.

Er verstand aber unter den kleinen Teufeln die Menge der Vorurteile, die er nun in Gellenhausen besiegen und was er sonst noch ausrichten würde, so daß sein Angedenken noch nach Jahrhunderten nicht verloschen sein sollte. Küster war eine gute schwache Seele, der allem Beifall gab und alles für Orakelsprüche hielt, was sein Herr und Meister Hagebuck nur über seine Lippen strömen ließ. – Wenn Hagebuck diktierte, so faßte Küsters Feder seine Worte wie die Worte eines Heiligen auf, und brachte sie mit zitternder Hand zu Papier, daß ja nicht eine Silbe davon verloren ginge. Dann brach er oft in laute, freudige Ausrufe über die hohe Weisheit aus, die in Hagebucks Worten lag, welche er das Glück hatte niederzuschreiben.

Er war Hagebucks getreues Echo – wenn dieser diktierte, so schrieb er und las ihm seine Worte wieder vor; wenn dieser auf den Stock und auf die Rute schimpfte, so schalt er auf das Auswendiglernen der Vokabeln; wenn dieser seinen undankbaren Zeitgenossen fluchte, daß sie ihn nicht zum allgemeinen Weltreformatoren mit einem Gehalt ernennen wollten, so seufzte er über das undankbare Gellenhausen, welches doch, wie ich vorher bemerkt habe, was Viktualien anbetraf, sich nichts weniger als undankbar bewies. Wenn Hagebuck mit dem höchsten Pathos eine Rede über Menschenglück und Menschenwohlfahrt hielt, und seine Hände fochten und alle seine Muskeln angestrengt waren, so sah Küster wie das Amen zu der Predigt dazu aus – und er war auch wirklich das Ja und Amen von allen Reden, die Hagebuck je in seiner Gegenwart gehalten hat.

Man verwundere sich nicht, daß dieser Küster, da er noch wirklicher Küster war, sich gegen seinen Pastor so übermütig betrug – das Herz des Pastors war ein noch stolzeres – aber Hagebucks Genius war stärker als Küsters Genius, und sein Übermut verwandelte sich gegen diesen in Ehrfurcht und Anhänglichkeit, welche immer bei dem Schwächeren gegen den Stärkeren stattfindet, wenn der Stärkere einmal sein Herr geworden ist.

Diese beiden Leute wurden nun, wie gesagt, im Triumph in Hartknopfs Vaterstadt eingeholt, und um Hartknopf bekümmerte sich keine Seele als ein alter Pudel, der seinem Herrn Vetter, dem Gastwirt Knapp im Paradiese gehörte, und auch vor Alter schon auf einem Auge blind und auf zwei Füßen lahm war. Dieser sprang auf und liebkoste Hartknopf, da er vor der Türe des Gasthofs stand und das uralte Schild besah, wo noch der Cherubim mit dem flammenden Schwert stand und unsere beiden ersten Eltern nackt und bloß dem schönen Paradiese den Rücken zukehrten. Hier stand Hartknopf – denn die beiden Weltbürger, mit denen er gewandert war, hatten nicht zu ihm gesagt: bleibe bei uns, denn es will Mittag werden, und dich wird wohl hungern; sondern sie sagten; behüt ihn Gott, mein Freund! da sie von ihm Abschied nahmen, und gaben ihm nicht die Hand vor den Leuten, sondern nickten ihm nur ein wenig mit dem Kopfe, und Hagebuck nickte ihm bloß mit seinen schwarzen Augenbrauen zu.

Und Hartknopf kehrte nun nach einer langen mühseligen Wanderschaft in seinem Geburtsorte im Paradiese ein. Hier fand er doch Freunde und Bekannte wieder – erstlich den alten lahmen Pudel, und dann seinen Herrn Vetter Knapp, die ihn beide herzlich bewillkommten. Der Herr Vetter Knapp war ein Mann von kurzen Antworten, und seine Rede war im eigentlichen Verstande Ja! Ja! Nein! Nein! – wenn man ihn aber auf den rechten Punkt brachte, wo er zu Hause war und wo ihm seine Sache am Herzen lag, so sprach er mit einem Fluß der Rede, wo er kein Aufhören finden konnte. Also;

H. – Lieber Herr Vetter Knapp, kennt er mich noch?

K. – Ja! Ja! (indem er ihm die Hand schüttelte)

H. – Lebt seine Frau noch?

K. – Nein! Nein! (indem er sich die Augen wischte)

H. – Kann ich die Nacht hier herbergen?

K. – Ja! Ja! (indem er ihn in seine beste Stube führte)

Knapp besorgte zu essen und zu trinken für seinen Vetter, und beide setzten sich nun zu Tisch und sprachen in zwei Stunden kein Wort miteinander, denn Hartknopf kannte seinen Vetter noch von alters her. –

Endlich fing Hartknopf an: – Lieber Vetter, wer sind denn eigentlich die beiden, die mich da unterwegs begleitet haben, der Hagebuck und der Küster, und was machen diese Leute hier?

K. – Ja! Ja! mein Freund, da ließe sich viel von reden, aber er weiß, das ist nun einmal meine Sache nicht – es tut einem in der Seele weh, wenn man den Narreteien und dem Unwesen so zusieht. Erst hat sich der Magistrat in dem großen spitzen Turm verbaut – was die Feldschlangen auf dem Walle sollen, das weiß der liebe Gott – und nun läßt er da ein paar Landläufer herüberkommen, die uns allen die Köpfe toll machen. Seh er einmal meine beiden Nachbarsjungen: die Jungen sehen aus wie die Narren mit ihren roten Ordensbändern, die sie um ihre schäbigen Kamisöhler hängen haben; der eine hat einmal einen gefangenen Vogel wieder fliegen lassen, und der andere hat für einen Hund gebeten, der Prügel haben sollte – dafür haben sie nun beide den Orden gekriegt. Alles wohl gut – aber die Jungen wissen nun einmal, was für ein Aufhebens gemacht wird, wenn sie so etwas tun; da werden ihnen nichts als kleine Geschichten erzählt, wo dergleichen edle Handlungen zu Dutzenden drin vorkommen; anstatt daß sie nun denken sollten, das müßte schon so sein, das verstünde sich schon von selbst, lernen sie etwas ganz Besonderes daraus machen und tun vor ihren Eltern und erwachsenen Leuten groß damit. Liebet Vetter, was soll das? – Die alten Tafeln, worauf die 10 Gebote standen, haben sie in unserer Kirche abgenommen und dafür eine Tafel mit Punkten hingehängt – sehe er nur, das heißt eine Meritentafel, da stehen die Namen der Jungen oben angeschrieben, und wer die meisten Meriten hat, der hat auch die meisten goldenen Punkte. Nun sage er mir, was kann so ein Junge wohl für Meriten haben? Wenn wir von Moral reden wollen, so sind doch die 10 Gebote eine recht kurze und nachdrückliche Moral – warum sollten wir sie denn nun wegen der goldenen Punkte abschaffen? Der Mensch behält alles so leicht an den Zahlen, er zählt sich so gern etwas an den Fingern ab –: mit den 10 Geboten war man nun einmal so schön eingerichtet; man durfte nur sagen, du muß nicht wider das siebente, wider das sechste, wider das achte Gebot sündigen, und jedermann verstand einen gleich – die neue Moral ist zu weitläufig, Herr, für uns gemeines Volk! Wir müssen etwas kurz und bündig haben, das wir auf den Fingern abzählen können, und das uns immer zur rechten Zeit wieder einfällt, wenn wirs brauchen. – Wer die fünf Species rechnen kann, der hat soviel rechnen gelernt, als er fürs Haus braucht, und wer die fünf Hauptstücke von Luthers Katechismus im Kopfe und im Herzen hat, der hat auch soviel Christentum und Moral gelernt, als er fürs Haus braucht. – Was die drei Glaubensartikel anbetrifft, so ist mir der erste von Gott dem Vater immer der erbaulichste gewesen, der mich erschaffen hat und noch erhält, der mir Vernunft, Augen, Ohren, und alle Sinne gegeben hat, und der ein Schöpfer Himmels und der Erden ist. Die anderen beiden Glaubensartikel lasse ich aber auch in ihren Würden, ob ich sie gleich nicht so ganz verstehe wie den ersten.

Hier hatte nun Herr Knapp eine Saite auf Hartknopfs Seele berührt, die sogleich einen hellen und sanften Ton von sich gab, welcher den, der ihn hörte, auf eine Weile in angenehme Schwärmereien einwiegte, bis auf einmal seine trockene Laune wieder da war, die den horchenden Träumer aus seinem Schlummer weckte und ihn wieder auf den gegenwärtigen Lebensfleck zurückbrachte.

Was die Glaubensartikel anbetrifft, mein lieber Vetter, sagte Hartknopf, was die anbetrifft, so scheint er mir darin auf einem recht guten Weg zu sein, daß er den von Gott Vater für den erbaulichsten hält, und die anderen beiden doch auch in ihren Würden läßt. – Lieber Vetter! der Vater wäre nicht Vater, wenn der Sohn nicht wäre – der Vater muß durch den Sohn erkannt werden, wie der Gedanke durch das Wort; das Wort ist das Kleid, das den Gedanken umhüllt, aber ohne das Wort wäre der Gedanke nicht; das Wort ist allmächtig. Es war im Anfang und war bei Gott, und Gott war das Wort, und durch das Wort ist alles gemacht, was gemacht ist. Lieber Vetter, unser ganzes Leben und Sein drängt sich in ein großes Wort zusammen, aber ich kann es nicht buchstabieren – dies Wort hat den Himmel gewölbt, es hat aus der dunklen Mitternacht die Morgensterne hervorgerufen. Es geht aus von Vater, Sohn und Geist, so wie der Geist von Vater und Sohn, und der Sohn vom Vater allein ausgeht. Vier sind, die da zeugen im Himmel: der Vater, der Sohn, der Geist und das Wort, und diese vier sind eins. Das Wort aber ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, als eine Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes Gottes, und – Vetter, wir können sie noch alle Tage sehen, und dürfen sie nicht weit suchen. – Die Weisheit steht auf der Gasse und spricht; kommet her zu mir, und lernet von mir; ich will euch Worte des Lebens sagen! Die Worte des Lebens aber tönen sanft und voll, und wer sie einmal gehört und sein Ohr daran gewöhnt hat, dem tönen sie sein ganzes Leben hindurch in einem fort und sind der harmonische Takt zu allem, was er denkt, und spricht, und tut. – – Wer auf diesen Takt horcht, dessen Blut fließt leicht in seinen Adern, seine Seele ist immer heiter, sein Auge beständig offen für den Lichtstrom, der sich aus Gottes Schöpfung hinein ergießt; sein Schlummer ist sanft, sein Erwachen froh – sein Tod wie gewünschter Schlaf in der schwülen Mittagshitze – Vetter, wir sind das höchste, was wir sagen können – die Welt um uns her ist unendlich groß, und uns ist doch hier so wohl zwischen seinen vier Pfählen – nun laß er uns auch eine Pfeife Tabak stopfen, und hört er, sein Junge schreit!

Hartknopf hatte gleichsam den ersten Buchstaben von dem großen Wort gesagt und glaubte, sein Vetter würde vielleicht mit dem zweiten Buchstaben einfallen – weil er aber dies nicht tat, so lenkte er bald wieder ein, und sagte; laß er uns doch eine Pfeife Tabak stopfen, und; hört er nicht wie sein Junge schreit?

Der Junge schrie aber erbärmlich, weil ihm einer von den barfüßigen philanthropischen Buben, der aber schon ein Ordensband trug, bei den Haaren herumzauste. Er hatte diesen Burschen mit seinem Ordensband ausgehöhnt, und der verstand keinen Spaß, sondern fing an, von seinem gymnastischen Unterricht jetzt praktischen Gebrauch zu machen, und hatte den kleinen zehnjährigen Knapp zur Erde nieder, welches ihm nicht schwer fiel, da er selbst schon ein großer Tölpel von 16 Jahren war.

Vater Knapp lief hinaus und rettete seinen Sohn aus den Fäusten des großen Hagebuck'schen Zöglings, den er mit einigen fühlbaren Verweisen entließ, und mit seinem zerzausten und zerschlagenen Jungen zu seinem Vetter Hartknopf in die Stube trat. – Da haben wir nun die Früchte, sagte er; so muß mein armer Junge es oft entgelten, wenn ich mich über die Albernheit aufhalte, und ihn nach meiner Weise ziehe – und wenn das Wesen noch lange so fortdauert, so werden wir doch am Ende noch alle zu Narren werden.

Auf einmal fuhr der Geist des Eifers in Hartknopf, als solle er die Käufer und Verkäufer aus dem Tempel austreiben, und er stieß mit seinem Dornenstock heftig auf die Erde und sagte: – Vetter, das soll hier gewiß nicht so bleiben.

Nun pflegte aber Hartknopf nichts zu sagen, was er nicht halten konnte. –Als sie sich des Abends zu Tische setzten, wurden Rettiche aufgetragen wovon Hartknopf ein Liebhaber war; und da man nun das Salzfaß brachte, rückte es Hartknopf vor sich hin und fing darüber leise an zu beten, so daß sich sein Vetter darüber wunderte und ihn um die Ursache dieses Beginnens fragte, worauf Hartknopf aber weiter nichts antwortete, als daß das Salz eine vorzügliche Gabe Gottes sei, wofür man ihm also auch mit einer vorzüglich aufmerksamen Hinsicht auf die Sache danken müsse. –

Dabei schien es nun dem Vetter Knapp, als ob Hartknopf immer noch starr auf das Salzfaß hinsah, und mit seinen Augen gleichsam in das Allerinnerste dieser ihm heiligen und geweihten Körner einzudringen suchte. Mit dem Blick noch immer auf das Salzfaß geheftet, fing er an, von den gegeneinander wirkenden Kräften in der Natur, von Neuheit und Vergangenheit zu reden – und Knapp sah auch aus einem sympathetischen Zug bald auf das Salz und bald wieder auf seinen Vetter, der mit einer Art von heiliger Ehrfurcht das Salz auf die Rettichscheiben zu streuen schien, indem er sprach – und der in jedem Salzkorn auf seiner Zunge einen hohen Sinn, eine wundersame Bedeutung gleichsam zu schmecken schien.

Da sie nun gegessen hatten, so gingen sie in der Stadt umher und besahen sich bekannte Plätze, wo Hartknopf als Kind gespielt hatte. – Die Hütte, wo zuletzt Hartknopfs Eltern wohnten, war eingefallen; sie gingen auf den Kirchhof, um ihre Grabhügel zu sehen. Es war Mondschein – da stand der Verfasser der sich entknospenden Frühlingsrose und stellte auf den Gräbern der Toten eine dramatische Übung an. Es hatte nämlich eine Anzahl Jünglinge und Mädchen jeder eine von den Personen, die in Klopstocks Messiade vorkommen und die Reden, welche sie sagt, auswendig gelernt. Der Frühlingsrosenentknosper hatte das Ganze in eine Art von dramatischer Form gebracht, und er selbst spielte dann natürlich die Hauptperson, den Auferstandenen, um den die Weiber weinten und klagten, und der ihnen dann plötzlich erscheint. Diesen Abend wurden die Jünger von Emaus aufgeführt, wovon Hagebuck den einen und Küster den andern, der Stifter des Spiels selbst aber Christum vorstellte.

Das Parterre war eine Reihe von Grabhügeln, worauf die Zuschauer saßen, und eine Reihe von Lindenbäumen, hinter welchen die spielenden Personen hervorkamen, waren die Kulissen. Die Beleuchtung machte, wie gesagt, der Mond.

Sie hatten nun die Reden aus der Messiade auswendig gelernt. Hagebuck machte den etwas lebhaften und Küster den sanfteren Jünger, und gerade da der eine sagt: bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag . . . . kamen Knapp und Hartknopf auf den Kirchhof gewandert, und die beiden Jünger von Emaus erkannten Hartknopf, mit dem sie die Nacht gewandert hatten, und ob sie ihn nun gleich in so unangenehmer Gesellschaft kommen sahen – denn der Gastwirt Knapp war ihnen immer ein Dorn im Auge gewesen – so nötigten sie ihn doch im Ernst bei ihnen zu bleiben und mit ihnen vorlieb zu nehmen; denn es wurde wirklich, da es soweit kam, daß die beiden Jünger von Emaus ihren unbekannten Gefährten zum Essen einluden, ein artig besetzter Tisch unter einen der Lindenbäume gebracht, und Parterre und Theater floß nun in eins zusammen. Die bisherigen Zuschauer setzten sich alle an den Tisch und waren nun Personen mit im Spiele.

Jesus brach das Brot und dankte, aber er verschwand nicht, nachdem er sich zu erkennen gegeben hatte, sondern ließ es sich mit den übrigen recht gut schmecken, und Hartknopf und sein Vetter mußten sich auch mit an den Tisch setzen, eher ließ man ihnen keine Ruhe. – Die beiden Jünger von Emaus gingen frei aus. Um desto herzhafter aber fingen sie an zu zechen, denn für gute Leute, sang Hagebuck, ist der gute Wein, und dabei machte er Hartknopf ein schiefes Maul zu – denn sooft ihn Hartknopf ansah, so war es immer, als wenn der Hahn zum zweiten Male gekräht hätte. Der Blick durchschaute Hagebucks Geist und Seele, aber er war schon zu hart zum Schmelzen; er ging nicht hinaus und weinte bitterlich, sondern, da er sich nicht anders mehr zu helfen wußte, machte er Hartknopfen ein schiefes Maul zu. –

Die Verzerrung seiner Muskeln dabei war krampfhaft und fürchterlich – – Du wirst der Schlange den Kopf zertreten, und sie wird dich in die Ferse stechen. – –

Hartknopf saß erst da, still und unbemerkt, und schwieg. Die Sonne war untergesunken, das Gespräch lenkte sich auf Tod und Unsterblichkeit. Hartknopf sagte ein paar Worte darüber, die der einfältigste Bauer auch hätte sagen können, so kunstlos und ungelehrt waren sie – und doch ward eine allgemeine Stille, da er gesprochen hatte, und es getraute sich eine Weile niemand weiterzureden, so groß war die Herrschaft über die Gemüter, die Hartknopf angeboren zu sein schien.

Man stand nun vom Tische auf, die Gesellschaft zerstreute sich nach und nach und ganz zuletzt taumelten dann die Jünger von Emaus auch wohlbebezecht von dannen. Hartknopf und sein Vetter blieben auf dem Kirchhof allein; der Mond ging auf und beleuchtete die hohe Spitze des Kirchturms und die alten langen Fenster der Kirche. Die beiden Vettern suchten den Grabhügel, wo Hartknopfs Eltern lagen. Sie fanden ihn endlich unter vielen heraus – er war schon beinahe durch die Zeit geebnet. Der Staub darunter war eingesunken, und der Hügel mit.

Nahe dabei lag ein alter, abgehauener Baumstamm; sie wälzten ihn heran und setzten sich darauf.

Nicht weit von hier, sagte Knapp, und zeigte über zwei fremde Gräber hinweg, nicht weit von hier liegt meine Frau – fünfzehn Jahre lang habe ich mit ihr glücklich gelebt, und von den fünfzehn Jahren gereut mich auch kein Tag. Ich habe sie doch gehabt, sagte er, sollte ich denn nun murren, daß ich sie nicht mehr habe?

Ebensowenig, wie er heute murren kann, daß es nicht mehr gestern ist, antwortete Hartknopf. – Was heißt haben? Wir haben den Tag nicht eher, als bis er vorbei ist. Niemand schätze sich glücklich bis seine letzte Stunde da ist. – Wohl dem, der dann sagen kann; ich habe gelebt. – Seine Frau hat gelebt, laß er sie in Frieden ruhen!

– Mir ist so wohl ums Herz, da ich mit ihm rede, sagte Knapp, erzähl er mir doch nun auch seine Lebensgeschichte, wie es ihm seither ergangen ist – er geht doch nun wohl schon stark in die Vierziger, und in der Zeit von zwanzig Jahren kann einem schon vielerlei begegnen. Denn er mochte doch wohl ungefähr ein Bursche von 19 Jahren sein, da er als Geselle hier auswanderte! Aber das muß ich sagen, viel Sorge und Kummer muß er die Zeit her nicht gehabt haben, sein Gesicht hat sich fast gar nicht verändert – ja! – ja! ein Handwerk hat einen goldenen Boden, es läßt niemand sinken, das habe ich immer gesagt, wenn sein Vater sich die Grille in den Kopf setzte ihn studieren zu lassen. Hätte sein Vater weniger über Büchern gesessen und das verwünschte Laborieren unterwegs gelassen, so wäre ihm Haus und Hof nicht in Rauch aufgegangen; so hätte er zuletzt nicht in der alten Hütte wohnen und in Kummer und Elend sterben müssen. – Er hätte dann auch nicht auswandern dürfen, lieber Andreas, und hätte bei fremden Leuten nicht sein Brot suchen dürfen. – – Das ist doch im Grunde einerlei – er hat sich doch nun was versucht, und wird sich schon durchgeschlagen haben. Aber es ist jammerschade um die schöne Schmiede, die sein Vater hier hatte – gut war es, daß meine Schwester es nicht erlebte, wie sie verkauft wurde! Es war ein schmuckes Mädchen, da sie seinen Vater heiratete.

Indem sie noch so miteinander sprachen, kam ein alter Greis gebückt auf seinem Stabe im Mondschein dahergeschlichen, bot ihnen einen guten Abend, gesellte sich zu ihnen und setzte sich auf dem Grabhügel bei ihnen nieder.

Es war der Rektor Emeritus von der lateinischen Schule in Gellenhausen, Hartknopfs ehemaliger Lehrer, der jetzt von einem Gnadengelde von jährlich fünfzig Talern kümmerlich lebte. Die Belohnung seiner treuen Dienste erwartete ihn dort oben und nicht hienieden auf Erden.

Er erkannte sogleich seinen ehemaligen Schüler und eilte mit offenen Armen auf ihn zu.

So sehe ich dich denn wieder, mein Getreuer, und sehe dich weise und glücklich, das sagt mir dein Blick und deine Farbe!

– Und dieser Händedruck, sagte Hartknopf, und der alte Rektor Emeritus erkannte das Zeichen ihres ehemaligen Bundes der Weisheit und Tugend, den sie ungeachtet der Verschiedenheit des Alters zu einer ewigen Freundschaft geschlossen hatten. – In dem Augenblick fühlte er sich hoch begeistert – die Vergangenheit stand mit diesem Zeichen plötzlich in ihrer ganzen Klarheit wieder vor seiner Seele da.

– Es ist voll Mittag! sagte Hartknopf.

– Es ist hoch Mitternacht! antwortete der Greis. Und Knapp sagte; es ist Zeit, daß wir nach Hause gehen; denn die Luft fängt an kühl zu werden. – Seine Geschichte, Vetter, ein andermal!

Morgen Abend wollen wir uns hier wiederfinden, sagte der Emeritus, und zu Knapp; Gute Nacht, Herr Gevatter! denn Knapps zehnjähriger Sohn war sein Pate.

Darauf schieden sie voneinander.

Und Knapp und Hartknopf gingen nach Hause und legten sich nieder.

So ward aus Morgen und Abend Hartknopfs erster Tag in seinem Geburtsort.


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