Karl Philipp Moritz
Anton Reiser
Karl Philipp Moritz

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Aber es ereignete sich bald darauf ein Vorfall, der ihm Veranlassung gab, sich auf eine weniger affektierte Art in poetische Begeisterung zu versetzen. Es fügte sich nämlich im Anfang des Sommers, daß ein junger Mensch von neunzehn Jahren, der ein ansehnliches Vermögen besaß und ein sehr guter Freund von Philipp Reisern war, beim Baden im Flusse ertrank. –

Philipp Reiser trug bei dieser Gelegenheit seinem Freunde auf, daß er auf diesen Vorfall ein Gedicht, so gut es nur in seinen Kräften stünde, verfertigen sollte – er wollte es drucken lassen, und wenn es auch nicht gedruckt würde, so würde es doch immer, wenn es gut geriete, als ein Produkt des Geistes schätzbar sein.

Dieser Auftrag von seinem Freunde machte Anton Reisers ganzen Ehrgeiz rege; er suchte sich den Vorfall so lebhaft wie möglich vors Auge zu bringen, und nachdem er anderthalb Tage lang Ausdruck gegen Ausdruck abgewogen und seine Seelenkräfte angestrengt hatte, um sich den Beifall seines Freundes zu verdienen, waren ihm am Ende folgende Strophen gelungen:

Wenn seufzend unterm Druck schwer auf ihn ruh'nder Jahre
Ein frommer Greis erblaßt, wird Wehmut unser Herz;
Doch legt ein rascher Tod den Jüngling auf die Bahre,
Der kaum zu blühn begann – so wird die Wehmut Schmerz.

Der braunen Nacht entstieg der schönste Sommermorgen,
Und ruhig atmete noch früh des Jünglings Brust –
Ein sanfter Schlaf verscheucht rund um ihn her die Sorgen,
Bis ihn Aurora weckt zu einem Tag voll Lust.

Er sahe diesen Tag – und tausend frohen Tagen
Sah er entgegen noch voll starker Zuversicht –
Nicht bange Ahndungen, die seinen Tod ihm sagen,
Beklemmen seine Brust, die nur von Freuden spricht. –

Am heitern Himmel glänzt die unumwölkte Sonne
Dem Jüngling freundlich zu und winkt ihn auf die Flur –
Da strahlte um ihn her in hoher stiller Wonne
Und ernst in ihrer Pracht die feiernde Natur.

Doch welch ein Schatten bebt dort durch den goldnen Schimmer? –
Und immer näher bebt's? – o Jüngling, zieh zurück
Den allzukühnen Fuß – zu spät! – Welch ein Gewimmer! –
Ach Gott! – den Jüngling trifft sein trauriges Geschick.

Es lauerte der Tod auf ihn in stillen Fluten,
Und über seinen Raub rauscht er nun stolz dahin –
Des Jünglings Freunde sehn's, und ihre Herzen bluten,
Sie fühlen den Verlust und klagen laut um ihn.

Doch welch ein Wonnetod, wo solche Zähren fließen,
Wo sanft ein Auge weint, aus dem der Himmel lacht –
O selig, wenn nun einst sich meine Augen schließen,
Wenn dann auch um mich hier die Freundschaft zärtlich klagt!

Das letztere bezog sich auf den Umstand, daß ein junges schönes Frauenzimmer, die eine nahe Anverwandtin von dem Ertrunkenen war, und mit deren Bruder sich dieser eben gebadet hatte, auf die erhaltene Nachricht von dem unglücklichen Vorfall sogleich aus der Stadt herbeieilte und bei der Menge Menschen, die am Flusse standen, ihre Tränen nicht verbarg, welches Anton Reiser mit Rührung bemerkte, so daß er den Toten fast beneidet hätte, um den solche Tränen flossen. –

Reiser war nämlich auch in der Absicht, sich zu baden, an den Fluß gegangen, und eben, da er hinkam, war der junge Mensch ertrunken, dessen Gefährte sich noch nicht einmal wieder angekleidet hatte; er sahe darauf die gleichgültigen und bei der Sache uninteressierten Zuschauer sich allmählich versammlen, sahe den Körper des jungen Menschen, den er selbst durch Philipp Reisern sehr gut gekannt hatte, herausziehen und alle Mittel, ihn wieder zum Leben zu bringen, vergeblich anwenden – dies alles machte einen so lebhaften Eindruck auf ihn, daß das Gedicht, welches er auf diesen Vorfall verfertigte, eine gewisse Wahrheit im Ausdruck erhielt und sich dadurch von dem Gedicht auf den Tod des jungen Marquard sehr merklich unterschied.

Dies Gedicht fand nun, einige Härten ausgenommen, Philipp Reisers Beifall wieder, welches für Anton Reisern so aufmunternd war, daß er nun auch ohne Veranlassung durch eigne Aufsätze in Prosa und in Versen sich seines Freundes Beifall zu erwerben suchte. –

Allein die Aufsätze und Gedichte ohne eigentliche Veranlassung wollten ihm nie recht gelingen – er quälte sich vierzehn Tage lang mit einem Gegenstande, den er sich zu besingen vorgenommen hatte; dies war eine Gegeneinanderstellung des Weltmanns, dessen Hoffnung sich mit diesem Leben endigt, und des Christen, der eine frohe Aussicht auf die Zukunft jenseits des Grabes hat. – Diese Idee war ein Überbleibsel seiner Lektüre von Youngs Nachtgedanken, und da ihm der Gegenstand, worüber er Verse machen wollte, gleichgültig war, indem er keine besondre Veranlassung zum Dichten als seine Neigung und das Streben nach dem Beifall seines Freundes hatte, so drängte sich ihm das Resultat seiner Lektüre von Youngs Nachtgedanken am ersten auf, dem er noch eine ziemlich vernünftige Wendung gab, indem er seinen Christen alle erlaubten Freuden des Weltmanns genießen ließ und ihm dennoch den Vorteil einer frohen Aussicht in die Ewigkeit dazu gab, so daß er gegen den Weltmann auf allen Seiten gewinnen mußte. – Aus dieser zwar richtigen, aber zu gesuchten und gekünstelten Idee entstand denn folgendes zweite Gedicht, das wiederum Reisers Beifall nicht erhielt, und womit er auch selbst, ohngeachtet der Mühe, die es ihm gekostet hatte, nie zufrieden war:

Der Weltmann und der Christ.

    Einst gingen übern Blumenwiesen
Ein Christ und Weltmann einen Pfad:
Hier, wo der Freude Bäche fließen,
Ward jeder süßer Freuden satt.

Der Weltmann nutzte klug sein Leben,
Er hielts für seine Ewigkeit –
Nie konnte sich sein Geist erheben
Bis über sich und Welt und Zeit.

Mit Klugheit nutzt' er jede Freude,
Die die Natur umsonst ihm bot:
Ihm lacht die Flur im Blumenkleide,
Ihm glänzet früh das Morgenrot. –

Vor diesen edlern Erdenfreuden
Verschloß auch nicht der Christ die Brust,
Und, nicht geboren nur zu Leiden,
Genoß auch er des Weltmanns Lust.

Nur mit dem kleinen Unterscheide:
Der Freude Anfang war ihm da,
Wo jener seiner kurzen Freude
Furchtbarem End' entgegen sah. –

Dieser Sommer war also für Anton Reiser ein recht poetischer Sommer. – Seine Lektüre mit dem Eindruck, den die schöne Natur damals auf ihn machte, zusammengenommen, tat eine wunderbare Wirkung auf seine Seele; alles erschien ihm in einem romantischen bezaubernden Lichte, wohin sein Fuß trat. –


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