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Viel Augenweide zu bieten hat die schöne alte Stadt Osnabrück, zu viel fast. So mag es kommen, daß über ihren hehren Kirchen und stolzen Giebelhäusern, ihren Kunstschätzen und Geschichtsdenkmälern mancher ihrer Besucher eins ihrer schönsten Stücke zu sehen versäumen mag.
Es ist kein zierliches Architekturgebilde, kein kunstvoll behauener Stein, kein alter Zunftschmuck; ein Stück ihrer alten Rüstung ist es, rostfleckig und zerbeult, die sie trug im Kampfe gegen Dänen und Schweden. Außerhalb der Stadt, vor dem Hasetor liegt sie, die alte Wehr, die sie sich treulich verwahrte, stolz auf tapfer bestandene böse Zeit.
Kommt man aus den alten Straßen, deren Häuser so viel von der alten Zeit, guten und schlimmen Tagen, von Glanz und Elend zu reden wissen, auf die Hasebrücke, und wendet die Augen nach rechts und nach links, dann grüßt herauf der Pernickelturm, bis an den spitzen roten Hut in ein grünes Efeuwams gekleidet, dann schaut trotzig herab der Barenturm, ein unwirscher Gesell mit gelbgrauem Runzelgesicht. Dazwischen spannen sich die steinernen Brückenbogen hintereinander her, zwischen den gelbgrauen, blumenüberrankten, moosbedeckten Mauern, auf deren breiten Rücken die Gärtchen stehen.
Am Lyradenkmal vorüber kommt man den Wall entlang zum Buckesturm. Die alten Osnabrücker Bürger, die daran vorübergehen, sehen ihn gern, den brummigen Koloß. Anno zwölfhundertneunundneunzig war es, da fingen sie den Grafen Simon von der Lippe, der ihnen Vieh und Waren nahm, und ließen ihn sechs Jahre dort brummen, bis ihm die einst so stramme Haut lose um die Knochen hing. Und vierzehnhunderteinundvierzig mußte der wilde Jan, Graf von Hoya, dort im Eichenholzkasten ebenso lange Jahre schwitzen, bis er so fromm wie ein Bählamm war.
Auch die sechs Apostel, die der gekrönte Schneider Jan von Leyden von Münster gen Osnabrück sandte, daß sie dort sein Wort verkündeten, wurden da einen Tag lang eingesperrt, bis sie nach Iburg gebracht wurden, wo ihre heißen Köpfe auf den kühlen Rasen rollten. Aber an die Zeit, da Peltzer, der fanatische Bürgermeister, in dem alten Turm mit Armschiene und Beinschraube unsinnige Geständnisse von den Lippen armseliger Weiber zwang, denkt der Osnabrücker nicht gern und verläßt, beschleicht diese Erinnerung ihn, den Wall mit seinen grauen Gedenkzeichen, um vor der Stadt, zwischen Wald und Wiese, des Frühlings sich zu freuen.
Mächtige Linden begleiten seinen Weg. Zwischen ihren dunklen Stämmen schimmern die hellgrünen Wiesen der Hase hindurch, ein freundlicher Gegensatz zu der langen grauen Friedhofsmauer zu seiner Rechten. Felder lösen dann die Wiesen ab, Lerchengesang den Bachstelzenruf, fettes Land, dessen Schollen hinter der Pflugschar wie Speckseiten glänzen. Halblinks aber reckt sich der Piesberg empor, das gelbe Felswerk seiner Steinbrüche leuchtet aus dem dunklen Waldgewand.
Freier und weiter wird hier der Blick. Einmal legt sich noch rechts der lustige Sonnenhügel davor, doch links können die Augen sich tummeln im grünen Nettetale, dessen üppige Wiesen durch hoher Bäume Gruppen in ihrer erfrischenden Wirkung gehoben werden. Ein Holzbrückchen zur rechten Hand, einfach und schlicht, aber schön in der Form, überschneidet den gelben Sand, und dann ist Haste erreicht dessen buntgekleidete Wirtschaften am Wege stehen und zur Einkehr einladen.
An dem großen Einzelhof, der rechts vor der Bramscher Straße unter seinem Eichenkamp hinter seiner Steinmauer liegt, wird der Osnabrücker meist vorübergehen, ohne groß danach hinzusehen. Aber einen langen Blick ist der Hof wohl wert, der da heute noch so liegt, wie zu jener Zeit, als Tacitus schrieb: »Es ist bekannt, daß die deutschen Stämme keine Städte bewohnen, ja, daß sie nicht einmal zusammenhängende Dörfer lieben; einsam und abgeschlossen bauen sie sich an, wo gerade eine Quelle, eine Aue, ein Holz dazu einladet.« So liegt der Hof heute noch da, und rund um ihn herum seine Äcker und Wiesen, und sieht mit Unwillen, daß die Stadt und das Dorf ihm näher rücken. Aber ehe sie ihn verschlingen, wird vielleicht noch ein Jahrhundert vergehen.
Den Hasterberg hinauf steigt die Straße jetzt und führt in den Hon. So heißt hier das Holz und die Schlucht. Uralt ist das Wort, uralt ist der Weg. Die römischen Legionäre mögen hier im zähen Schlamm gewatet sein, des Frankenkaisers zusammengewürfeltes Kriegsvolk wird hier die Schuhnägel verloren haben, die schwedischen und kaiserlichen Truppen und französische Marodeure raubten und sengten rechts und links vom Hone; wo heute nur den Blaukittel Peitschenknall erklingt, erscholl Sterbegestöhne, und auf dem Grabenrand lag oft ein rosenroter Tropfen oder auf den Steinen und Wurzeln des Buchwaldstreifens ein dunkler Fleck. Und unter dem Felsgebröckel, das den holprigen Steig einsäumt, mag mancher Mutter Sohn begraben sein.
Aber auch damals schon mag der Steinkamp an der Straße gelegen haben hinter schwerem Mauerwerk, ein Wirtshaus am Wege, von Freund und Feind gern erblickt bei heißen Tagen und kühlen Abenden. Wie eine Feste liegt es da, von schwerem gelbgrauem Gemäuer umfriedigt, an dem des Efeus faserige Wurzeln lang herabhängen.
Und auch damals schon wird der Schmied im Hone den Blasbalg gezogen und das rote Hufeisen im Bottich zum wütenden Zischen gebracht haben, denn zu jenen Zeiten hat der Schmied immer abseits gewohnt, der zauberkundige, unheimliche Mann, der die männermordende Waffe schuf, und weit ging man ihm aus dem Wege. Heute sucht man ihn gern auf, denn Trank und Speise bietet er den wegmüden Menschen, und gut sitzt es sich auf der alten Diele am sauberen Eichentisch, besser als in der neumodischen Veranda mit ihren bunt gedeckten Tischen.
So schön aber die alte Schmiede dort auch liegt, so fein sie mit ihrem schwarzweißen Fachwerk und dem hellblauen Rauch ihrer Esse absticht von dem dunklen Hintergrunde des Piesberges, noch viel Älteres bietet der Hon. Aber es ist schwer, dahin zu gelangen. Zu schön ist der Blick in die Runde auf die Fichten und Lärchen und Buchen, zu lockend ist dahinter der Wald mit seinen efeuberankten Eichen, und kaum daß die Felder ihn ablösen, umfängt den Wanderer schon wieder Wald.
Dann aber ist auch das Ziel erreicht, das ungeheure Steindenkmal, das unbekannte Stämme ihren Häuptlingen türmten. Unheimlich starren die grauen Steine aus dem dunkelen Tannicht hervor, die ein untergegangenes Volk vom Piesberge schleppte und aufeinanderbaute, ein Volk, das kein Eisen, keine Dampfkraft, keine Maschinen kannte, das aber den spröden Feuerstein zu scharfen Messern und zierlichen Sägen zu schlagen und dieses Hünengrab zu bauen verstand.
Nichts, gar nichts wissen wir von ihm. Die wenigen Topfscherben, die sich dort fanden, die angebrannten Menschenknochen, die man dort ausgrub, sie geben uns keine Deutung von der Zeit, in der das Denkmal entstand, von dem Volke, das es schuf. Nur annehmen dürfen wir, daß es ein anderes Volk war als das, von dem die blonden Bauern rund herum abstammen, ein versklavtes Herdenvolk, denn die freien Sachsen gaben sich für solche Arbeit nicht her. Als sie hier Besitz ergriffen von Weide und Wasser, Wald und Wild, mögen sie schon verwundert vor den grauen Steinen gestanden, mit ihren eisernen Äxten dagegen geschlagen und gedacht haben, daß nur Riesen Zeit und Lust für solches Spielzeug gehabt hätten.
Als dann Karl in das Land kam, der freien Weidebauern Art und Sitte verwelschte, mag auch er sich von den vier riesigen Niggern in der goldverzierten Purpursänfte zu den alten Steinen im Hone haben tragen lassen, und die klugen Mönche, die seine Reisetagebücher schrieben, schmückten den Besuch nach ihrer Weise aus. Die Chronisten der Klöster fügten weiteres Beiwerk hinzu, und so geht heute im Volke die Sage, das Karl diese Steine mit einer Weidengerte zerschlug.
Allerlei hat er zerschlagen in unseren Landen, aber diese Steine nicht. Einzeln wurden diese Quarzitbreccienblöcke vom Piesberg wintertags auf gewaltigen Eichenrollen über den langen, mit Bachwasser geglätteten Schneedamm zum Hone herabgezogen; die Knuten der Aufseher pfiffen auf die Schultern der Kriegsgefangenen, die die Blöcke dann bergauf winden mußten, während, ringsherum auf ihren Steppenrossen, die langen, mit Menschenhaarbüscheln geschmückten Lanzen über den Rücken, ihre schlitzäugigen Besieger zusahen, wie man ihrem toten Heerführer die Grabkammer baute, in der er ruhen sollte, sicher vor dem Haß des unterdrückten Volkes. Und als das Werk fertig war, gaben sie ihm tausend kriegsgefangene Männer in die Erde mit und zogen weiter, neue Weidegründe zu suchen für ihre Herden und frischen Fraß für ihre Lanzen.
Nichts blieb von ihnen übrig, als dieser graue Stein, und in unseren Museen ein morscher grüner Ring, eine steinerne Speerspitze. Von dem Volke aber, dem blonden, blauäugigen, das nach ihnen hier erwuchs, blieben trotz der Römer und Franken, trotz der Schweden und Kaiserlichen, genug übrig, um der Väter schöne Art und gute Sitte zu wahren bis in unsere Zeit und sie sich durch fremde Zutaten nicht verkümmern zu lassen, so sehr auch Industrie und Verkehr sie zu beschneiden suchen.
Langsam und bedächtigt paßt sich das Volk in Land und Stadt der neuen Zeit an, nicht hinter ihr zurückbleibend, aber auch nicht vor ihr herhastend. Und als äußeres Zeichen seiner am guten Alten hängenden Art zerstörte es nicht die Erinnerungen an die stolzen Tage seiner Stadt, sondern ließ auf ihren Wällen die Türme und Schanzen stehen.
Eine davon, die Sankt Vitischanze, hat die Stadtverwaltung zu einer Wirtschaft ganz eigener Art ausbauen lassen. Hoch über der Hase liegt sie da, über breite Treppen muß man zwischen dicken Mauern zu ihr emporsteigen zu der Gemütlichkeit ihres Gärtchens und ihrer Zimmer. Am nettesten sitzt es sich zu zweien oder dreien an den schmalen Klapptischen in des alten Turmes Nischen, deren Wände Spruchverse tragen, die an die Geschichte der Stadt erinnern.
Gern kehrt der Osnabrücker hier noch einmal ein, wenn er aus dem Hone zurückkommt, und wenn er der Urzeit gedenkt, deren Zeugen er am Nachmittag besuchte, und der Tage, da die Kanonenkugeln der Dänen und Schweden gegen die Schanze flogen, dann fühlt er sich noch einmal so stark mit seiner Vaterstadt verbunden, in der ihn trotz neumodischen Lebens in ihren Straßen überall Mauern und Steine daran erinnern, daß er ein Glied einer unendlichen Kette von Geschlechtern ist, die sich seit Jahrtausenden in Kampf und Arbeit hier entwickelte.
Und ein solches Gedenken schafft freudigen Bürgersinn.