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Als die Schneeschmelze in den hohen Lagen des Gebirges einsetzte, bekam der Bach einen Anfall von Größenwahn.
Wie verrückt tobte er talwärts, schubste beiseite, was ihm in die Quere kam, spülte den Forellenlaich auf das Ufer, riß Brücken um, warf Geröll auf die Wiesen, untergrub die Böschungen und überflutete die Straßen.
Plötzlich aber kam er wieder zur Vernunft und wurde wieder so klein wie vorher. Da reckte der Huflattich seine goldenen Sterne aus dem Uferschotter, die Pestwurz ließ ihre grauroten Blumentrauben über Nacht aus der Erde schießen, die Traubenkirsche grünte auf, und der Seidelbast schimmerte in rosiger Pracht.
Nun stellte sich die lustige Wasseramsel, die vor dem Getobe des Baches geflohen war, wieder ein, machte auf dem großen Steine, der mitten im Bache lag, einen Knicks nach dem anderen, sang ihr Liedchen und stürzte sich in das Wasser, um ein Schneckchen oder eine Larve zu fischen, und die zierliche Bergbachstelze trippelte über den Schotter und fing eine Mücke nach der anderen.
Und eines Tages war der dritte im Bunde da. An der steilen unterwaschenen Böschung stand ein uralter Wildrosenbusch, dessen zolldicke Zweige im Bogen über den Bach hingen. Auf einer purperroten, von gelben Stacheln bunt getigerten Rute saß etwas: etwas Kleines, Feines, Seltsames, Wunderbares, Märchenhaftes saß da mitten in der blanken Sonne, blitzblau, donnergrün und feuerrot leuchtend und wie ein Kleinod schimmernd.
Jetzt stürzte es sich kopfüber in das Wasser, daß es spritzte, tauchte wieder auf, streute einen Sprühregen auf den Kolk, schwang sich auf einen Felsblock, richtete den Schnabel empor und schluckte die Libellenlarve, die es sich herausgetaucht hatte, hinab, und bei jeder Bewegung leuchtete und schimmerte aus den Wellen sein Spiegelbild in allen Farben.
Etwas schöneres gibt es weit und breit nicht als den kleinen Wildfischer, den Eisvogel. Seine Farben sind nicht von dieser Welt; sie entstammen den Ländern, wo Lianen an Palmen emporkriechen und von den Ästen der Urwaldbäume wunderbare Orchideen ihre Zauberblüten herabhängen lassen. Der einzige seiner Gattung ist es, der im Norden heimisch ist; seine ganze Verwandtschaft lebt in den wärmeren Strichen der Erde.
Man braucht ihn nur anzusehen, um das zu wissen. Dunkelgrün ist der Kopf, mit lichten blauen Flecken reizend geschmückt, und ebenso sind die Fittiche. Atlasweiß ist die Kehle, rostrot Augenstrich und Unterleib. Aber das Herrlichste ist der Rücken. Der gleißt in einem Blau, so leuchtend, so strahlend, wie es kaum ein Edelstein aufweist. Jetzt, wo der kleine Kerl sich umdreht, um nach der anderen Richtung zu spähen, ist es, als wenn ein himmelblauer Blitz aufloht.
Ein scharfer Schrei, ein durchdringendes »ziit, tiit« erklingt unten am Bache, ein Ruf, wie geschaffen, das Poltern der Flut und das Brausen des Windes zu übertönen. Ein himmelblauer Pfeil mit goldgrüner Spitze kommt dicht über den Bach geflogen und bleibt in dem alten Rosenbusche an der Böschung hängen.
Es ist das Eisvogelmännchen. Blitzschnell wendet er das Köpfchen, daß die roten Äugelchen nur so leuchten und die weiße Kehle wie Silber schimmert, und dann läßt er sich fallen, stößt den gellenden Schrei aus, flattert um das Weibchen herum, schreit immer schneller, immer gellender und umschwebt dabei fortwährend das Weibchen, funkelnd, blitzend und schimmernd in der Vormittagsonne; und das Weibchen dreht sich hin und her, wippt mit dem kurzen, lasurblauen Schwänzchen, und stiebt davon mit gellendem Schrei, und hinter ihm her saust das Männchen. Zwei himmelblaue Blitze fahren über die silbernen Wellen und verschwinden. –
Es dauerte nicht lange, da erscholl in der Bucht unter den hohen Weiden wieder das laute Schrillen. Drei blaue Blitze fuhren über den Bach; ein zweites Männchen hatte sich eingefunden und machte dem ersten das Weibchen streitig. Hin und her, kreuz und quer ging die wilde Jagd, schwenkte von einem Ufer zum anderen, verschwand, kehrte zurück und erfüllte die Luft mit Zaubergefunkel und mit spitzen Rufen.
Am anderen Tage war das überzählige Männchen fort; noch einige Tage balzte das Männchen um das Weibchen herum, aber dann wurde es still, und nur, wenn es über den Bach hinstrich, gab es seinen schrillen Schrei von sich. Sonst fischte das Weibchen hier und das Männchen da nach Larven, Schnecken und Flohkrebschen, und wenn die jungen Ellritzen sich in das freie Wasser wagten, mußten auch sie daran glauben. Die Forellenbrut war geschützt; sie steckte in dem dichten Pflanzengewirre der Uferbuchten, wo ihr der Eisvogel nichts anhaben konnte.
Eines Tage kam das Eisvogelweibchen angeflogen, sah sich scheu um und flog unter den großen Rosenbusch an dem ausgewaschenen Uferhange. Tag für Tag pickte es dort herum, bis eine armsdicke, mehr als armslange Nesthöhle in das Ufer getrieben war, die am Ende etwas aufstieg und sich dort erweiterte.
Auf eine weiche Unterlage von Libellenflügeln legte dort das Weibchen seine sieben großen, kugelrunden, weißen, blanken Eier, die so durchsichtig waren, daß der Dotter durch die Schale schimmerte. Einen halben Monat brütete das Weibchen, dann aber flog das Pärchen unzählige Male den Tag zu der Nesthöhle; denn sieben nackte, strubbelköpfige Jungen, die mehr wie junge Zaunigel als wie Vögel aussahen, wollten satt gemacht werden, und so mußten die Alten den ganzen Tag tauchen und rütteln, und die Larven im Wasser und die Libellen in der Luft hatten bittere Tage. Dafür gediehen die Kleinen auch prächtig; sie wuchsen von Tag zu Tag, und als die Federn erst die Speile gesprengt hatten, sahen die Jungen bald aus wie die Alten und zeigten sich ab und zu am Ausgange des Schlupfloches, mit hungrigem Schnalzen die Alten erwartend.
Nach Wochen schwang sich erst ein Junges in die Ruten des Rosenbusches, und zwei Tage später saßen alle sieben da und gierten, wenn der Vater oder die Mutter mit Beute angestrichen kam, und lustig sah es aus, wenn die knallbunte Gesellschaft, alle auf einmal, mit den schimmernden Flügeln zitterte und die spitzen Schnäbelchen aufriß.
Aber am schönsten wurde es erst, als sie alle miteinander beflogen waren und den Eltern folgen konnten. Dann saß hier das Männchen auf einem Pfahl, da das Weibchen auf einen über dem Wasser hängenden Zweige, und rundumher auf Ästen, Kanten und Felsblöcken saß die Kinderschar. Sobald eins der Alten untertauchte, flatterten die Jungen nach der Stelle hin und warteten, bis es wieder herauskam, und dann ging ein Gebettel los, lustig und prächtig zugleich anzusehen, besonders wenn die Sonne recht schön schien, so daß die Eisvögel sich in der dunkelgrünen, silbern blitzenden Flut spiegelten. Dann war ein Leuchten und Funkeln über und im Wasser, als würfe eine Fee Hände voller Edelstein in den Bach.
Einige Wochen später wurde es stiller an dem Bache; die Eisvogelbrut hatte selber tauchen und fischen gelernt, und jedes Stück jagte für sich allein, denn die Alten hatten sie fortgejagt. Auch das Männchen trieb sich umher und besuchte Teiche und Tümpel, wo es von allerlei Ungeziefer wimmelte. Und so kam es auch unterhalb des Dorfes an die Zuchtteiche, die der Müller für Forellen angelegt hatte, und wenn es auch meist die für die Forellenbrut so gefährlichen Larven der Schwimmkäfer und Wasserjungfern fing, ab und zu erwischte es doch einen junge Forelle, die mit Pilzen, Fischläusen oder Fadenwürmern behaftet war und deshalb hilflos auf dem Wasserspiegel schwamm. Der Teichbesitzer aber war ein Mann, der an der Stelle des Herzens ein Portemonnaie sitzen hatte, und da er in irgendeinem dummen Buche gelesen hatte, der Fischotter und der Eisvogel seien die schlimmsten Feinde der Forellenbrut, so schlug er Pfähle in den Teichen ein und band winzige Tellereisen darauf. Alle Tage sah er die Fallen nach und schlug die Vögel, die sich darin gefangen hatten, tot, ganz gleich, ob es Eisvogel oder Wasseramseln, Bachstelzen, Zaunkönige oder sonst etwas waren; denn was sich auf die Pfähle setzte, das, so glaubte er in seinem beschränkten Gemüte, ginge nur darauf aus, Forellen zu fangen.
Eines Abends kam das Eisvogelmännchen angestrichen und setzte sich auf den Pfahl. Die Falle schlug zu und zerschmetterte die roten Füßchen des Tierchens. Die ganze Nacht und den nächste Tag hing es in der Falle und flatterte; der Müller hatte keine Zeit, die Fallen nachzusehen. Als er nach vier Tagen hinkam, hingen zwei tote und ein lebender Eisvogel dort. Der Mann löste die Tierchen heraus, drückte das lebende tot und murmelte: »Drei! Das macht seit Januar siebzehn. Im vorigen Jahre habe ich dreißig gefangen. Dieses Jahr komme ich wohl auf vierzig bis fünfzig.«
Er freute sich; denn der Ausstopfer zahlte für jedes Stück eine halbe Mark; denn sehr gesucht ist in den Schulen als Zeichenvorlage Deutschlands herrlichster Vogel, so gesucht, daß es bald ausgerottet sein wird, das Blaue Wunder.