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Es sah seit einigen Tagen so aus, als ob es Frühling werden wollte. Im Holz ließ der Haselbusch seine gelben Troddeln lang hängen, die Blaumeise pfiff vom höchsten Eichenast, um die Mittagszeit flogen goldene Falter, Leberblume und Windröschen schoben blaue und weiße Köpfchen aus dem feuchten Fallaub, und über den Wipfeln scherzte rauh rufend ein Rabenpaar. Auch über die Feldmark ging der Frühling hin, lockte auf den Brachen das weiße Tausendschönchen, an den Grabenborden den gelben Huflattich hervor. Die Grasfrösche murrten in den Viehtränken, die Hasen jagten sich auf der hellgrünen Saat, über den Sturzacker tänzelte das Ackermännchen, der Rebhahn strich lockend von Stück zu Stück, und Lerche um Lerche stieg singend in die Luft.
Müsedot, der Bussard, der auf einem Maulwurfshaufen blockte und auf eine Maus paßte, fand, daß es jetzt anfange, nett auf der Welt zu werden. Die Sonne schien so schön warm, daß die Mäuse heraus und die Maulwürfe höher kamen; Frösche gab es schon genug und die Pflugschar warf Engerlinge heraus. Er legte den Kopf in den Nacken, schüttelte sein Gefieder, reckte die Flügel und dachte: es läßt sich schon leben. Da kriegte er einen so furchtbaren Schreck, das er fast von dem Maulwurfshaufen herunterfiel; denn hinter ihm gab es plötzlich ein Sausen und Brausen, und ein riesiger Schatten fiel auf die grüne Saat. Eiligst strich er ab, hakte hoch auf einem Fichtenwipfel auf und äugte hin und her nach dem Störenfried.
Er gewahrte ihn bald, einen großen, gelb und weiß flimmernden, sich scharf gegen die sonnenbeschienene junge Saat abhebenden, unbeweglichen Fleck. Er wußte nun, wer ihn gestört hatte. Wittbart war es gewesen, der alte Trappenhahn. Den ganzen Winter über hatte er ihn nicht gesehen, den Alten. In jedem Spätherbste verschwand der plötzlich, und ebenso plötzlich war er wieder da, dieser dicke, aufgeblasene Vogel, dieser ungehobelte Flegel, der ihn jedesmal wegjagte, wenn er in seiner Nähe auf Mäuse paßte.
Wittbart stand eine volle Viertelstunde steif und still da, nur ab und zu den schnurrbärtigen Kopf drehend und nach rechts und links hinter sich sichernd. Alles wurde er gewahr, was höher als die Saat war oder anders gefärbt, den Kopf des Rebhahnes, der daraus hervortauchte, die Löffel des Hasen, die sich darin erhoben, die Bachstelze, die in der Furche entlang wippte, den Steinschmätzer, der darüber hinweghuschte, und die Maus auch, die unter ihm aus dem Loche sah. Dreimal steckte sie den Kopf heraus, dreimal zuckte sie zurück, dann sprang sie heraus, und in demselben Augenblick fuhr Wittbarts Schnabel herab, und um dieselbe Sekunde, als die Maus in dem Loche war, war Wittbarts Schnabel auch da; einmal quietschte sie noch, dann verschwand sie in dem breiten Rachen.
Der schnurrbärtige Kopf drehte sich wieder nach links und rechts und nach hinten, dann senkte er sich, der breite Schnabel schnitt Büschel um Büschel vor der Roggensaat ab, nahm hier eine Raupe, da einen Käfer mit, aber immer fuhr dazwischen der Kopf wieder hoch und sicherte ringsumher die Gegend ab, ob sich nichts Verdächtiges zeige; denn Wittbart traute niemals dem Landfrieden. Mutter Scharrut hatte ihm die Anfangsgründe der Vorsicht beigebracht, und das Leben hatte die weitere Ausbildung darin übernommen. Die Welt war gemein, das stand für Wittbart fest, vorzüglich der Mensch. Da hinten, vor dem Holze, ging so ein zweibeiniges, federloses Geschöpf hin. Es hatte Röcke an und ein rotbuntes Kopftuch um; aber trotzdem traute Wittbart ihm nicht; er kannte das. Als ihm der Bart wuchs, war einmal so ein Wesen in Röcken und Kopftuch laut singend den Koppelweg entlanggekommen, die Harke auf der Schulter. Wittbart hatte es ruhig bis auf achtzig Schritte herankommen lassen, und auf einmal ließ es die Harke fallen, es krachte zweimal, und Wittbart flog allerlei unangenehmes Zeug zwischen das Gefieder, schrammte ihm die Brust und riß ihm drei Schwungfedern aus. Seitdem hatte er genug von den Menschen, mehr als genug.
Plötzlich wurde sein Hals noch länger. Auf der großen Rodung links, wo im Herbst der Dampfpflug gewühlt hatte, schoß ein silbergraues Ding aus dem fahlen Grase, verschwand, schnellte wieder auf, verschwand wieder und kam abermals zum Vorschein. Und nicht weit davon leuchtet noch so ein Ding auf und ein Endchen dahinter ein drittes. Wittbart wußte, daß das Glattbost, Feinfoot und Grieshals sein mußten, drei ihm gut bekannte Hennen.
Einen Augenblick äugte er nach der Richtung, in der die Frau verschwunden war, und nach links und rechts, dann schüttelte er sein Gefieder, knickte mit dem Halse auf und ab, legte ihn auf den Rücken, fächerte den bunten Stoß, drehte die geblähten Schwingen nach vorn, brummte dumpf und rannte, sein Gefieder laut erschwirren lassend, in schaukelnden Gange über die Saat, daß Erde und Blätter umherflogen und sechs Hasen im Umkreise Männchen machten; denn Wittbarts schwere Füße ließen den Boden erdröhnen. Auch die drei silbergrauen Dinger auf der Rodung fuhren empor, als sie den schwarzgelbweißen großen Ball über die grüne Saat taumeln sahen, und es wurden sogar vier.
Das letztere war Buntflunk, ein dreijähriger Trappenhahn. Vor einem Jahr hatte Wittbart ihn übel zugerichtet, und einsam hatte er Sommer und Herbst zugebracht. Als aber Wittbart beim ersten Schnee verschwand und sich wer weiß wo herumtrieb, hatte Buntflunk die drei Hennen für sich gewonnen und dachte gar nicht daran, diesmal wieder den Platz zu räumen. Er blähte seinen Hals, sträubte den Schnurrbart, richtete die Flügel auf und tanzte einen drohenden Tanz.
Der bunte Ball dort unten auf der Saat sank auf einmal auf die Hälfte seines Umfanges zusammen, und aus ihm heraus schoß der lange Hals und der dicke, schnurrbärtige Kopf Wittbarts. Immer länger wurde der Hals, immer enger legte sich das Gefieder zusammen, immer tiefer sank der Bart herab. Dann streckte sich der lange Hals, die Flügel lüfteten sich, Wittbart rannte ein paar Schritte vorwärts, holte sich mühsam Luft und sauste dann mit mächtigen Flügelschlägen bis vor die Rodung. Da stand er und reckte den Hals, und vor ihm reckten sich vier andere Hälse. Ja vier; denn Buntflunk hielt stand. Etwas bänglich war ihm ja wohl zumute, als der alte Raufbold angesaust kam, doch er blieb auf seinem Platz.
Aber da hielt es Wittbart für angemessen, dem Jüngling Ehrfurcht vor dem Alter beizubringen. Wie der Blitz fuhr er auf ihn los, rannte gegen ihn an, hackte, kratzte und prügelte mit den Schwingen. Aber Buntflunk war auch nicht faul, er gab es reichlich zurück, teilte manchen Biß und Schlag aus, und hüben und drüben flogen breite, bunte Federn wie große Schmetterlinge empor und senkten sich in das Gras. Dreimal ließen die Kämpen voneinander ab, dreimal gingen sie gegeneinander an, beim dritten Male kam Buntflunk zu unterst zu liegen, erhielt Biß um Biß und rannte, von Wittbart wütend verfolgt, davon, um sich dann aufzunehmen und abzustreichen.
Der alte Hahn aber stand da und äugte ihm nach; er ließ die Flügel hängen, hatte den Schnabel offen, jappte heftig, und sein Herz schlug so laut, daß die Hennen es vernehmen konnten. Dann ordnete er sein Gefieder, äste etwas junges Kraut, kratze sich ausgiebig, reckte sich und tanze den drei Hennen einen altmodischen, wilden Tanz vor, der sie so entzückte, daß sie den hübschen Buntflunk, der da weit oben auf der Brache stand und vor Wut und Scham fast platzte, bald vergaßen.
Weit davon hinter dem einzelnen Dorngestrüpp an dem Grabenrand kniete ein Mensch, ein junger Bursch von achtzehn Jahren. Seine Stiefel und Hosen, seine Ellbogen und seine Joppe waren voller Ton und Schmutz; auf seiner Backe waren drei rote Schrammen, aus denen das Blut herauslief und sich mit dem Schweiß mischte, der dem Jüngling unter dem Blondhaar hervorquoll. Mit den tonbeschmierten, zerkratzen Händen wischte er sich das Gesicht ab und schmierte sich nur noch schlimmer voll. Vorsichtig schob er die Büchse vor sich her und rutschte, Wasser und Schlamm nicht scheuend, vorwärts, ab und zu liegen bleibend, und sich den Schweiß abzuwischen, oder einen Schluck Wasser aus einer tieferen Stelle des Grabens aufsaugend oder wartend, bis sein klopfendes Herz sich beruhigt hatte.
Wo der Brombeerbusch in den Graben hineinhing machte er wieder halt. Vorsichtig richtete er sich empor erst auf die Hände, dann etwas höher, bis er kniete und durch den Busch hindurchsehen konnte. »Noch zu weit,« flüsterte er und spähte vorsichtig den Graben entlang, bis seine Augen hundert Schritte weiter an einem Steinhaufen hängen blieben, neben dem einige Büschel gelben Bandgrases standen. Einen Blick warf er noch dahin, wo Wittbart stand, dann verschwand er wieder und rutschte weiter, über nassen Sand, durch klebrige Tonbänke, die aus den Maulwurfslöchern herausgeflossen waren, durch grüne Algen und blankes Wasser. Manchmal schauderte er etwas zusammen wenn das Wasser zu sehr Brust und Schenkel näßte, aber schließlich langte er bei dem Steinhaufen an.
Dort verschnaufte er erst eine Weile. Dann zog er den Mündungsdeckel von dem Büchsenlaufe, klappte das Fernvisier auf, drehte den Sicherungsflügel herum und richtete sich dann Zoll um Zoll empor. Als sein Blondhaar sich mit dem blonden Gras mischte, trübten sich seine Augen; denn alle vier Trappen sicherten nach ihm hin. Aber da hörte er weit hinter sich einen Peitschenschlag, und seine Stirn glättete sich wieder; denn nun wußte er, daß die Aufmerksamkeit der Trappen nicht ihm galt, und befriedigt sah er, daß eine nach der anderen wieder ihre Weide nahm.
Behutsam nahm er einen Feldstein nach dem anderen aus dem Steinhaufen, bis er freies Schußfeld hatte; dann schob er, als alle Trappen einen Augenblick die Köpfe unten hatten, den Lauf in die Lücke und rückte sich zurecht, bis seine Backe am Kolben lag. Scharf klang der feine Ton des Stechers durch das leise Rascheln des Bandgrases, und ganz sacht drehte sich die Laufmündung ein kleines bißchen nach rechts. Einen Augenblick zitterte der Büchsenlauf, dann lag er wie angeschraubt, und schon sah der Schütze über Visier und Korn Wittbarts blanke Brust und fühlte mit den Fingern nach dem Stecher: da setzte sich eine Fliege vor das Korn.
Jähe Röte schoß in das junge Gesicht und naß perlte es unter dem Blondhaar hervor. Endlich surrte die Fliege fort, und wieder sah der Schütze über Visier und Korn Wittbarts breite, blanke Brust. Schnell tippte der Finger an den Stecher, kurz klang der harte Schluß, ein feines Rauchwölkchen zog über die Saat und mit weit aufgerissenen Augen sah der junge Jäger dahin, wo die Trappen standen. Drei waren es nur; sie standen wie versteinert, dann rannten sie voran, machten einige plumpe Sprünge und strichen ab.
Und aus dem Graben flog der Jäger, lief über die grüne Saat, sprang über den Quergraben, fiel, sprang wieder auf und kam keuchend und atemlos auf der Mitte der Rodung an. Mit wilden Augen sah er um sich, dann stieß er einem Jubelruf aus, lehnte die Büchse an einen Baumstumpf und fiel neben Wittbart auf die Knie, der zwischen Gras und Erdschollen dalag, den Stoß noch halb gefächert, die Flügel breit ausgebreitet, still und stumm, den Hals mit dem schnurrbärtigen Kopf weit von sich gereckt.
Rasch faßte der Jüngling ihn an die Ständer, ihn aufzuheben, ließ ihn aber wieder zurückfallen: »Dreißig Pfund und mehr,« sprach er lachend, »zu Hause werden sie die Augen aufreißen.« Dann sah er nach der Uhr und kratzte sich hinter dem Ohr, hing die Büchse um, wuchtete Wittbart über die Schulter und stieg mit schweren Schritten dem Schlosse zu.
Da saß man längst beim Nachtisch, und der Vater meinte schon zum dritten Male: »Wo der Otto, der Bengel, bloß steckt; na, dem werd' ich den Kopf waschen.« Aber als die Tür aufging und ein über und über schmieriges, zerkratztes, schweißtreifendes Jungensgesicht darin auftauchte, als zwei schmierige Fäuste den Hahn hochreckten und eine rauhe verdurstete Stimme rief: »Der olle Hahn, ich hab ihn, den Ollen, krieg ich nun auch 'n Hirsch?« da lachte der Vater und rief: »Weidmannsheil!«