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Unterhalb der hohen Geest liegt eine Reihe von Sandhügeln, zwischen denen sich der Bach hindurchquält. Er kann nicht so recht vorwärts, darum vermoort er das Gelände.
Kiefern, Birken, Fichten, Espen und Erlen siedelten sich hier an, und zwischen ihnen Wacholder, Stechpalmen, Weiden, Faulbaum, und unter diesen Brombeeren, Himbeeren, Gagel, und daneben Bickbeeren, Kronsbeeren, Moorbeeren und Heide, und dazwischen wuchern Farne, Moos und allerlei Gekraut.
Mit der Zeit entstand hier eine dichte Wohld, ein Urwald jungen Datums, in dem Hirsch und Sau, Reh und Fuchs Unterschlupf fanden, und wo Habicht und Schwarzstorch, Bussard und Eule, Specht und Häher brüten konnten und vielerlei Kleinvögel, die hier Nahrung in Hülle und Fülle fanden.
Da kam in einer schwarzen Winternacht der Nordwestwind über die Geest gelaufen, er wollte in das große Moor und von da weiter. Plötzlich stieß er sich den Kopf an der Wohld und wurde darüber so fuchsteufelswild, daß er wie wahnsinnig tobte, und die Fichten und Kiefern, die fünfzig und mehr Jahre hier gestanden hatten, zusammentrampelte, daß sie kunterbunt übereinander fielen.
Die Holzinteressenten aus dem Dorfe auf der Geest, denen die Wohld gehörte, verkauften nun das ganze Holz an einen Händler, und von da ab klangen jeden Tag Axt und Säge dort, und als der Frühling kam, war von der ganzen Wohld nichts mehr übrig als die Birken und Erlen, hier und da eine Fichte und das Unterholz und Gestrüpp, soweit Wagenräder und Pferdehufe es nicht zerknickt und in den moorigen Boden gedrückt hatten, und die gespenstigen Wurfböden der Bäume.
Die Hirsche und Sauen mieden den unruhigen Ort, die Rehe aber zogen sich bald wieder dorthin. Auch der Schwarzstorch und der Habicht suchten sich andere Horstplätze. Dem kleinen Vogelzeug gefiel es aber nun viel besser hier als vordem; denn jetzt hatte es Licht und Luft; und so flatterte und schwirrte und zwitscherte und schmetterte es dort bald noch viel lustiger als früher.
Einer war es, dem es jetzt ganz besonders gut hier gefiel, und das war ein ganz kleiner Vogel mit einer ganz großen Stimme und einem unverschämten Schwänzchen, das er stolz und steif in die Höhe hielt. Er hatte sich den ganzen Winter in den Hecken und Holzschluppen der Dörfer umhergetrieben und war so auch in den großen Winterbruch gekommen. Dort fühlte er sich sehr wohl. Die vielen Menschen, die Pferde und die Wagen störten ihn nicht; nur wenn sie ihm zu nahe kamen, machte er einen schrecklichen Lärm.
Er fand es großartig hier. Zersplitterte Stämme, aus der Erde gerissene Wurfböden, abgeplatzte Rinde, aufgewühltes Moos, das war gerade Zaunköniggeschmack. Wo er hinsah mit seinen großen, schwarzen Augen, gab es etwas für die spitzen Schnäbelchen; hier ein Spinnchen, dort ein Käferchen, da ein Räupchen, dort ein Püppchen; sie alle hatten sich vor Schnee und Eis hinter Rindenschippen und in Ritzen und Moospolstern versteckt; aber der Sturm, die Axt, die Säge, die Wagenräder und Pferdehufe hatten ihr Winterlager zerbrochen und zerrissen. Der kleine Zaunkönig wußte gar nicht, wo er zuerst hinfassen sollte, so viel Futter fand er.
Das war ein Leben hier zwischen den Wurfböden! Was gab es da für Schlupflöcher, Verstecke, Winkel und Höhlen, eine neben der anderen. Ein Wonne war es, zwischen dem Wurzelwerk und Astholz umherzuschlüpfen, hier eine langbeinige Spinne aus dem Moore zu ziehen, dort ein Assel aus dem faulen Holze zu zerren und daneben eine vor Kälte starre Fliege hinter der Rindenschuppe hervorzuholen. Und dann flog der kleine Kerl auf den höchsten und spitzesten Splitter einer abgebrochenen Fichte, dicht bei dem Feuer, das sich die Holzfäller und Fuhrleute angemacht hatten, und schmetterte sein Lied in die verschneite Wildnis, daß die Leute, die um das Feuer saßen und frühstückten, sich ansahen und lachen mußten, so lustig sah es sich an, wie das winzige Ding da oben saß und mit einer Stimme sang, als wäre es viermal so groß gewesen. Aber da war es schon wieder in einem dürren Farnbusch untergekrochen und zeterte wütend, weil der weiße Spitz des Fuhrmanns dort umherschnüffelte.
Mit der Zeit fanden sich immer mehr Zaunkönige auf dem großen Windbruche ein, lauter Hähnchen, und da es so viel Futter gab, so daß sie viel Zeit hatten, kamen sie überein und bauten sich in der Jagdbude ein prachtvolles, kugelrundes Junggesellenheim aus dem feinsten grünen Moos, und abends, wenn die Eule umflog, kam ein Zaunkönig nach dem anderen angeschnurrt und schlüpfte in das weiche Nest, bis sie selbzwölft eng aneinandergedrückt dort saßen, sich erst noch ein bißchen etwas erzählten und dann schliefen, bis die Eule ihren Schlafbaum suchte und die Krähe laut quarrend zu Felde strich. Dann schlüpften sie wieder heraus, setzten sich auf die dürren Wurzeln der Wurfböden, ordneten ihr Gefieder, schimpften mörderlich, wenn ein Reh vorüberzog oder ein Hase angehoppelt kam, verteilten sich dann, und jeder für sich trieb eifrig die Spinnenjagd und sang ab und zu von irgendeinem Zweig oder Splitter sein kräftiges Lied.
Zwei große Aufgaben hatten die kleinen Kerle. Einmal sorgten sie dafür, daß Borkenkäfer und anderes böses Geziefer vermindert wurde, und dann bildeten sie eine Sicherheitspolizeitruppe für den Windbruch. Der Fuchs machte schlechte Geschäfte, seitdem die vielen Zaunkönige da waren. Sowie er sich blicken ließ, um hinter einer Birkhenne oder einem Hasen oder einer Schnepfe, die an den quelligen Stellen gern überwinterten, herzuschnüffelen, ging es los: »Zerr, zerr, zerr!« und machte er, daß er weiter kam, ging es dort auch: »Zerr, zerr.« Wo er auch auf dem Windbruche umherschlich, überall war ein Zaunkönig, und sobald ihn einer meldete, fielen die anderen mit ein; der Hase spitze die Löffel, Birkhenne und Schnepfe machten lange Hälse und rückten aus: der Fuchs stand da und hatte das Nachsehen. Sogar außerhalb des Bruches schlüpften die Zaunkönige umher, und vergeblich pirschte der Fuchs am Bache auf Enten; denn auch sie wurden von der witzigen Waldpolizei gewarnt.
Den ganzen Winter und den halben Vorfrühling hatten die zwölf Zaunkönige sich wie Brüder vertragen; als aber die Luft wärmer wurde, als am Bache die Dotterblumen aufblühten und der erste Zitronenfalter über den Windbruch flog, da kam Unfriede unter sie. Sobald einer zu singen anfing, begann auch ein anderer, und es dauerte meist nicht lange, dann schossen sie aufeinander los, kriegten sich beim Wickel und balgten sich, daß die Federn flogen. Ganz schlimm wurde es damit, als eines Tages ein Zaunkönigweibchen auftauchte; denn nun ging das Gezanke in einem fort. Aber dann ließ sich noch ein Weibchen sehen und noch eines und immer mehr; bald waren acht von den Zaunkönigen regelrecht verheiratet. Die vier anderen zankten sich erst noch eine Weile mit den Ehemännern herum, dann aber, als sie immer wieder abgebissen wurden, gingen sie anderswo auf die Brautschau.
Die acht Paare aber richteten sich häuslich ein. Ein Paar baute in dem vorne engen, hinten weiten Loche in dem hohen Wurfboden einer Kiefer, ein anderes in einem dichten Weißdornbusche, das dritte in der Kluft, die eine Eiche mit einer an sie herangewachsenen Kiefer bildetet, das vierte in den verknäulten Wurzeln einer alten Erle am Bachufer. Ein anderes Nest saß in einem Loch im Weidenbaume, eins in einem Haufen Fallholz, ein weiteres zwischen den scharfen Splittern einer umgebrochenen Fichte, die ein Stechpalmenbusch verdeckte. Alle waren sie aus trockenen Blättern gebaut, kugelrund, mit einem Schlupfloch an der Seite, mit Moos fein ausgepolstert und säuberlich mit allerlei Federn belegt.
Das allersonderbarste Nest aber hatte sich das Zaunkönigspaar gebaut, von dem das Männchen den Windbruch zuerst entdeckt hatte. Aus alter Gewohnheit schlüpfte es ab und zu noch in die Jagdbude, wo das Junggesellennest war, und als es seine Frau dahin mitnahm, gefiel ihr die Emaillewasserkanne, die an der Wand hing, so ausgezeichnet, daß sie beschloß darin ihr Nest zu bauen. Da die Kanne nun viel zu groß war, mußte sie erst bis zur Hälfte mit trockenem Laube ausgepolstert werden, und erst als das geschehen war, wurde das eigentliche Nest gebaut, bis schließlich die Kanne bis an den Ausguß mit Blättern und Moos gefüllt war; und darin war ein kleines Loch, so glatt und rund wie ein Spechtloch.
Im April, als der Weidenzeisig sein Ticktack erschallen ließ und die Buchfinken überall sangen, lagen in allen acht Nestern niedliche weiße, blutrot getüpfelte Eierchen, hier fünf, da sechs, da sieben, und in dem Neste in der Emaillekanne sogar acht Stück. Die männlichen und weiblichen Zaunkönige lösten sich beim Brüten ab, und kaum waren zwei Wochen dahingegangen, da piepte es da, und die Zaunkönige flogen unaufhörlich hin und wieder, Mücken, Spinnen und Räupchen in den Schnäbeln, und hatten kaum selber Zeit satt zu werden. Am sauersten hatte es das Paar, das in dem Weißdornbusche wohnte. Das Weibchen wußte bestimmt, daß es nur vier Eier gelegt hatte, aber als es einmal, nachdem es sich einige Mücken im Grase gesucht hatte, zurückkam, lagen fünf Eier im Neste, und das eine sah ganz anders aus als die anderen. Erst wollte es das fremde Ei hinauswerfen, schließlich ließ es es aber liegen und bebrütete es mit.
Große Augen machte aber das Zaunkönigsweibchen, als es sah, was aus dem fremden Ei herauskroch. So etwas war ihm noch nie vorgekommen. Aber da das nackte, blinde, häßliche Junge jämmerlich piepte, fütterte die Zaunkönigin es fleißig, und sie konnte gar nicht Futter genug heranschleppen, so fraß es. Es wuchs und wuchs, und nach drei Tagen war es doppelt so groß wie die jungen Zaunkönige, und es wuchs immer noch und wurde immer frecher und unverschämter. Kaum war es zehn Tage alt und hatte eben Augen bekommen, da warf es seine Stiefgeschwister aus dem Neste heraus, gerade zu der Zeit, als die Kreuzotter angeschlichen kam, und die würgte eins nach dem anderen von den armen Dingern hinunter. Die beiden alten Zaunkönige hatten kaum Zeit, an sich selber zu denken, so hungrig war ihr Ziehkind. Als es zwei Wochen alt war, reckte und streckte es sich, bis das schöne runde Nest barst, und nun saß der junge Kuckuck dick und breit darin, schrie unaufhörlich nach Futter, so daß nicht seine Pflegeeltern, sondern auch die anderen Zaunkönige, die doch selber Junge hatten, ihn fütterten; sogar die Weidenzeisige und Grasmücken halfen mit. Als er dann ausflog, ließ er das Betteln noch nicht, und eine Woche lang zogen seine Stiefeltern hinter ihm her und fütterten ihn, und alle anderen Vögel ähnlicher Art, die in der Nähe waren, standen ihnen bei, bis endlich der Fresser sich selbst ernähren konnte und für immer fortflog.
Dann erst kehrte das abgehetzte Zaunkönigspaar auf den Windbruch zurück. Da war jetzt ein lustiges Leben. An die siebzig Zaunkönige, alte und junge, wimmelten dort in den Brombeeren umher, und es war ein Gehüpfe und Geschlüpfe, daß der Jäger, der den allabendlich auf die Blöße tretenden Bock schießen wollte, den Anstand aufgab; denn sowie er sich rührte, ging es »Zerr« und »Zerr« und »Zerr«. Dann blieb der Bock so lange in der Dickung stehen, bis das Büchsenlicht vorbei war. Der Jäger fand es ein bißchen undankbar von den Zaunkönigen, daß sie ihn störten; denn als er das Nest in der Emaillekanne fand, hatte er die Kanne hängen lassen, und die Zaunkönige hatten sich schnell an ihn gewöhnt, flogen aus und ein, wenn er auf der Pritsche lag, und schimpften nur, wenn er seine Pfeife ansteckte.
Schließlich aber kam ein Tag, an dem der Jäger sah, daß die Zaunkönige auch dankbar sein können. Er hatte sich einen Hochsitz gebaut; denn wenn er über der Rodung saß, kümmerten sich die Zaunkönige nicht um ihn. Eines Mittags saß er auch da, obgleich es regnete. Als der Regen aber immer dichter fiel, wollte der Jäger gerade von der Leiter herunterklettern. Da fing auf der Blöße ein Zaunkönig an zu schimpfen; der Jäger sah nach der Richtung hin und bemerkte, daß der größte Bock aus dem Gebüsch trat, und fünf Minuten später hatte er ihn vor sich liegen und bewunderte das prächtige Gehörn.
Seitdem freut er sich, wenn er über den Windbruch geht und einen Zaunkönig schimpfen hört, wie alle Leute, die ein Herz im Leibe haben, sich freuen, wenn sie einen der winzigen Kerle in einer Hecke zu Gesicht bekommen.