Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

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Das Naturdenkmal

Als Hingst, der Sohn des Hors, Sohnes des Rappen, wieder einmal in der Johannisnacht zur Erde stieg, machte er ganz runde Augen. Als ihm seinerzeit ein Schleuderstein den Schädel derart zertrümmerte, daß es seiner Seele in der bisherigen Wohnung nicht mehr gefiel, hatte ihm Schimmel, sein Sohn, heilig und teuer versprochen, viermal im Jahre Wildbret und Honigbier in das Seelenhaus auf dem Donnerberge zu bringen.

Er hatte Wort gehalten, so daß Hingst Horsen, wenn es ihm in Walhall einmal etwas zu langweilig war und er zur Erde stieg, um eine kleine Abwechslung zu haben, nichts ausstand, nahm er für eine Nacht in dem Seelenhause Unterstand; denn die drei großen Krüge waren bis zum Rande mit schäumenden Met, hellem und dunklem, gefüllt, Trinkschalen standen dabei, und es fehlten bei der Wildkalbkeule auch nicht die Messer aus Feuerstein.

Auch als Schimmel eines schönen Donnerstages im Himmel auftauchte mit einem gewaltigen Loche im der Brust und seinem Vater laut lachend die Hand schüttelte, mangelte es dem Alten nicht an Speise und Trank, gelüstete es ihn einmal, unter irdischen Eichen zu weilen; denn Pagen, der Sohn des Schimmel, sorgte dafür, daß der Vater und der Altvater und die vor ihm auf dem Peerhofe gesessen hatten, zu ihrem Rechte kamen, und als er einmal von einer Bärin einen zu zärtlichen Klaps bekommen hatte, der ihm das linke Schultergelenk etwas aus dem Gleise brachte, so daß er vier Wochen zu Hause bleiben und kalte Packungen machen mußte, und seine Leute bei der Sonnenwende es vergaßen, die Ahnen zu versorgen nach der Väter Weise, war Hingst fuchsteufelswild geworden und kreuz und quer durch den Hafer gelaufen, so daß der bloß die halbe Ernte brachte; seitdem vergaßen die Peerhofsbauern ihre Pflicht nicht mehr, und auch die sechs anderen Höfe, die auf dem Donnerberge je ein Ahnenhaus hatten, taten ihre Schuldigkeit.

Das ging so einige Jahrhunderte lang, bis es etwas unruhig in der Welt zuging. Allerlei fremde Völker kamen angeritten und keilten sich mit den Heidbauern herum, so daß die oft froh waren, wenn sie selber einen Braten und einen Tischtrunk hatten. Aber Hingst und Hors und Rappen und Schimmel und Pagen und Voß und Bleß waren vernünftige Männer und sahen ein, daß ihre Nachkommenschaft jetzt mehr zu tun habe, als an sie zu denken. So ergaben sie sich mit Würde in das Unvermeidliche, und wenn sie sich wieder einmal in den Steinhäusern versammelten, dann seufzten sie wohl hinter der guten alten Zeit her, die noch wußte, was sich gehörte, aber sie gaben sich damit zufrieden, daß man ihnen wenigstens ihre Seelenhäuser gelassen hatte, so daß sie bei Regen und Schlackschnee ein Dach über dem Kopfe hatten. Doch als wieder anderthalb Dutzend Jahrhunderte über das Land gegangen waren, da machten die Ahnen vom Duwenhofe und die Martenshofleute doch einen Mordskrach, als sie in den heiligen Zwölfen sich auf der Erde umsahen, denn soviel sie auch suchten, ihre Steinhäuser waren fort; die Bauern hatten sie zu Grundmauersteinen zerschossen.

Die fünf anderen Seelenhäuser aber blieben stehen und heißen nach wie vor die sieben Steinhäuser. Meist kam das ganze Jahr kein Mensch zu ihnen, außer daß da einmal ein Förster rastete oder der Schnuckenschäfer an ihnen vorbeihütete. Ab und zu kamen auch Männer mit Brillen auf den Nasen an, gruben bei den Steinsetzungen herum, waren glücklich, wenn sie ein Steinmesser oder einen angebrannten Topfscherben fanden, zogen wieder ab und schrieben gelehrte Aufsätze über die Bedeutung der alten Bauten, deren Endergebnis lautete: »Nix genaues weiß man nicht.« Auch pilgerten wohl einmal ein paar frische junge Burschen durch die Heide, betrachteten voller Ehrfurcht die klobigen Steinplatten, oder ein Dichter lag dort, lauschte, wie die Immen die rosenroten Glöckchen läuteten, sah den blauen Faltern zu, die über das blühende Heidkraut tanzten, atmete den Honigduft ein, den der heiße Wind herantrug, träumte von Hingst und Hors und Rappen und den übrigen longobardischen und sächsischen Männer, zu deren ewigem Gedenken die grauen Steine aufeinandergelegt waren, und lächelte später lustig, wenn gelehrte Leute von dem Gedicht, das er über die Steinhäuser geschrieben hatte, sagten, es entspräche nicht dem Stande des wissenschaftlichen Forschung.

Mit einen Male aber wurde das anders: die Heide kam in Mode. Es regnete Menschen, es hagelte Volk. Sie kamen, wenn die Heide blühte, in hellen Haufen angezogen, zu Fuß und zu Rad und zu Wagen, rissen das blühende Heidkraut ab, fragten den Schnuckenschäfer dumm und albern, gaben mit weißer, roter und blauer Kreide auf den grauen Steinen an, daß sie Meyer, Müller oder Schulze hießen und hinterließen stets eine Unmenge von Wurstpellen, Eierschalen, Stullenpapier, Stanniol, Konservenbüchsen und Flaschenscherben und manchmal auch einen kleinen Heidbrand, so daß der Oberförster eine Tafel aufstellen lassen mußte, auf der zu lesen stand, daß derjenige, welcher usw., mit nicht unter soundso viel Mark Strafe usw. Und Sonntags mußte ein Forstarbeiter dort Schildwache stehen. Dann kam ein neuer Oberförster, der eine Masse künstlerischen Empfindens im Leib hatte, und der ließ Anlagen um die Steinhäuser machen, pflanzte hübsch regelmäßig Tannen und Rhododendron an, auch blauen und weißen Flieder, und er stellte einige grün angestrichene Bänke auf. Er war sehr erbittert, als eine Zeitung schrieb, die Verschönerung des Platzes sie noch schlimmer als die Flaschenscherben und die Stullenpapiere, denn er hatte es gut gemeint.

Die Steinhäuser waren mittlerweile so berühmt geworden, daß es das ganze Jahr über bei ihnen nicht an Stadtvolk fehlte. In allen Dörfern ringsumher waren Wegweiser angebracht, auf den zu lesen stand: »Nach den Steinhäusern«, und an den Birken an den Wegen und Landstraßen waren rote Kleckse angemalt, so daß kein Mensch an dem Urzeitsdenkmal vorbeifinden konnte. Wandervereine machten Ausflüge dahin, Gesangvereine erschienen und erfüllten die Luft mit Getöse. Damen in weißen Kleidern und Hüten von Überlebensgröße tauchten auf und fanden die fünf Denkmäler reizend und niedlich. Der Heimatbund feierte dort ein Heidfest, bei dem in Wort und Lied die Steinhäuser gefeiert wurden, und hinterher hatten drei Waldarbeiter drei Tage zu tun, um das Stullenpapier, die Eierschalen, Flaschenscherben und sonstigen Zeichen der echten, wahren und tiefen Heimatsliebe zu beseitigen.

Unterdessen war der Heimatschutz erfunden worden. Eines Tages erschien das ausführende Komitee der Kommission des Ausschusses des Provinzialverbandes für Heimat- und Naturschutz. Drei Wochen später erhob sich neben dem Seelenhause der Peerhofsbauern auf einer Stange eine weißangestrichene viereckige Tafel von Quadratmetergröße, auf der laut und deutlich zu lesen stand: »Staatseigentum«, damit nicht ein argloser Wanderer auf den Gedanken käme, sich eine der zehn bis zwanzig Zentner schweren Deckplatten als Briefbeschwerer in die Tasche zu stecken. »Welcher Esel hat denn diesen Duffsinn angestellt?« fragte Hingst, als er mit seinen Kindern und Kindeskindern wieder einmal in einer schönen Nacht zur Erde kam. »Hors,« rief er seinem Sohne zu, »bring das dummerhaftige Ding beiseite!« Der gab ihm eins mit den Steinhammer, daß die Brocken in der Nachbarschaft umherflogen. Das Kreisblatt brachte darauf einen bitterbösen Aufsatz über vandalisch hausende Touristen, und vierzehn Tage nachher war das ganze Grundstück mit Stacheldraht eingefriedigt und die Tafel wurde auch wieder erneuert.

In dem benachbarten Marktflecken lebte ein Wirt namens Meyer; der hatte einen offenen Kopf. Er sah ein, daß mit den Steinhäusern etwas zu machen sei, und so ging er hin und kaufte alles Land um sie herum an, denn er wollte eine Wirtschaft bauen. Die Zeitungen schlugen zwar Lärm, als der Plan ruchbar wurde, aber Meyer hatte gute Verbindungen und ödete den Landrat zudem mit so viel Schreiberei, bis er die Erlaubnis bekam. So baute er denn ein Haus, das von Stammesbewußtsein, Heimatsliebe und Kirchturmpatriotismus nur so troff. Selbst auf dem Schweinestalle mangelten die gekreuzten Pferdeköpfe nicht, eine echte Heideeinrichtung war aus Berlin bezogen und über der Haustür prangte in großer Schrift der Spruch: »Solange noch die Eichen wachsen in alter Kraft um Hof und Haus, solange stirbt in Niedersachsen die alte Stammesart nicht aus.« Zu Pfingsten wurde die Wirtschaft eröffnet. Dreizehn Gesangvereine, zwölf Turnvereine, elf Touristenvereine, zehn Kegelklubs, neun Skatklubs, acht Pfeifenklubs, sieben Radlervereine, sechs Fußballklubs, fünf Tennisgesellschaften, vier Volksschulen, drei Pensionate, zwei Sonderzüge und hundert Wagen und Autos spien ihren Inhalt über die Seelenhäuser aus. Die Begeisterung war ungeheuer, die Betrunkenheit desgleichen. Der Oberförster raufte sich die Glatze; sein gesamtes Rotwild war vor dem Getöse zehn Meilen weit ausgewechselt; acht Tage lang hatten die Waldarbeiter zu tun, um das Stullenpapier und die Flaschenscherben aufzusammeln. Aber es waren bloß sieben Heidbrände vorgekommen, und das tröstete den Oberförster etwas.

Im nächsten Jahre baute der Wirt ein Kurhaus; im folgenden ein Luftbad; im dritten drückte er beim Kreisausschusse eine feste Straße nach den Steinhäusern durch; im nächsten Jahre hatte er fünfhundert Sommerfrischler; in sechsten stellte er einen Arzt an; im siebenten zwei Hilfsärzte; im achten hatte er eine Dependance, im neunten kaufte er dem Staate das Gelände, auf dem die Seelenhäuser lagen, ab; im zehnten stellte er sieben neue Ruhebänke und drei Pavillons bei ihnen auf; in elften zäunte er den Platz völlig ein.

Neben der Tür des Kurhauses und Hotelrestaurants zu den sieben Steinhäusern aber ließ er eine Tafel aufstellen, und auf dieser war folgendes zu lesen: »Das Naturdenkmal befindet sich im Hofe; Schlüssel beim Portier.«


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