Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Pirschwarte

Vor dem Moore, das sich über den Kopf des Berges hinzieht, steht eine alte, gewaltige Buche. Ihre knorrigen Wurzeln winden sich wie graue Schlangen um die moosigen Steinblöcke, ihr Stamm ist voller Schrunden und Schrammen, ihre Krone hat der Sturm abgebrochen, so daß nur noch wenige Äste stehen geblieben sind, zwischen die eine Pirschwarte gebaut ist. So manches liebe Mal habe ich dort gesessen und über das Moor hingesehen oder nach den hohen Buchen, die es hüben, und nach den stolzen Fichten, die es drüben einrahmen. Im Mai habe ich dort gepaßt, wenn das junge Birkenlaub einen herben Juchtenduft ausströmte und auf den Blößen die Hähne balzen; späterhin, wenn das ganze Moor weiß von Wollgraswimpeln war und die Bienen und Hummeln um die Heidel- und Moorbeerblüten summten, im hohen Sommer, wenn die Luft über dem Moore bebte und der Baumpieper in einem fort schlug, und im Herbste, wenn die Birken sich in Gold kleideten und die Wedel des Adlerfarns wie Flammen in der Abendsonne glühten.

Nun ist es Winter. Die Buchen sind kahl, die Birken sind leer, und einzig und allein die Fichten drüben sind sich selber treu geblieben. Hier und da, wo ein Reh geplätzt hat oder ein Stück Rotwild, gibt die Schneedecke einen fahlen Heidbusch oder ein dunkelgrünes Preißelbeersträuchlein frei, oder ein Torfmoospolster, das grellgrün aus der Farblosigkeit heraus protzt, und auch die Farnwedel, wenn schon vom Sturm zerfetzt und von dem Regen ausgebleicht, fangen, kühn gemacht durch den Sonnenschein, noch einmal an zu prahlen.

Ich bin schon heute früh auf den Beinen. Erst habe ich unter dem hohen Holze vor der Feldmark gesessen und gepaßt, ob ich nicht Sauen auf dem Einlaufe zu Blicke bekäme; und als es damit nichts war, habe ich die Stangenörter abgepirscht, bekam aber nur Rotwild und einige Rehe zu Gesichte. Die Holzfäller und Fuhrleute sind überall im Berge zugange, und so stecken sich die Sauen über Tage in den verwachsensten Dickungen. Da bin ich schließlich nach meiner alten, lieben Pirschwarte gegangen, weniger um etwas zu schießen, als weil sie in der stillsten Ecke der Jagd steht und ich von ihr weiten Ausblick habe, nicht störe und auch nicht gestört werde.

Es sitzt sich bequem hier, und so hocke ich schon über eine Stunde in der Krone der alten Buche, ohne daß ich einen Augenblick Langeweile hatte. Erst traten die Rehe vor mir herum und verbissen die Brombeeren, dann kam ein Schwarzspecht angeschnurrt, blieb an einer vom Sturm umgeworfenen Fichte hängen, schoß dreimal seinen klingenden Ruf aus, hämmerte kraftvoll an dem gestürzten Stamme herum und stob mit schrillem Getriller von dannen. Ringeltauben prasselten in den Buchen links vor mir nieder und fielen nach langem Sichern auf dem Boden ein, um Buchnüsse aufzunehmen, Zeisige kamen angezwitschert, hängten sich an die Birken und kernten die alten Kätzchen aus, und ihnen folgte ein Flug Dompfaffen, die die jungen Kätzchen befraßen. – Jetzt sehe ich dem Bussard zu, der dort hinten über den Fichten kreist, und den Meisen, die dicht vor mir in den Birken hin- und herschlüpfen. Am niedlichsten sind von den Trüppchen die Blaumeisen mit ihren leuchtenden Farben, und am spaßigsten und seltsamsten die Schwanzmeisen, die kopfüber, kopfunter an den dünnsten Zweigen pendeln und nach Spannereiern suchen. Nun nimmt sich der Flug auf und verschwindet in der kupferroten Buchenjugend vor dem Altholze, aber schon habe ich neue Unterhaltung. Ein Zug Eichelhäher, nach Stimme und Färbung anscheinend fremder Herkunft, überfliegt das Moor; herrlich leuchten in der Sonne die himmelblauen Achselklappen. Immer wieder erschallt drüben das scheidende Gekreische der schnurrigen Faxenmacher und Prahlhänse, und einer nach dem andern flattert an mir vorbei, um, sobald er mich gewahr wird, mit noch schneidenderem Kreischen abzubiegen und hastiger dem Fichtenmantel vor dem Hochwalde zuzustreben.

Ich lasse meine Blicke über das verschneite Moor, die schwarzen, weiß gesprenkelten Fichten und das goldene Geflimmer der Buchenzweige gehen und denke an den wunderschönen Vorsommermorgen, als ich hier saß und der Dächsin zusah, die ihre drei Jungen das Stechen nach Untermast lehrte, und an den Herbstabend, als hüben und drüben die Hirsche in einem fort schrien – da rufen laute Locktöne mich an, ein Schwarm Kreuzschnäbel senkt sich herab und hängt sich auf die reich tragenden Fichten vor mir, fünfzig Stück und mehr. Wie Papageien klettern die grünen und roten Vögel auf den Zweigen umher und zerklauben die kupferroten Zapfen. Mit einem Male nehmen sie sich auf und flüchten davon. Die Sonne verliert mit einem Schlag ihren Schein, ein Wind macht sich auf und stößt die hungrigen Birken an. Sausend streicht eine Birkhenne vorüber, im Quellbusche klagt eine Weidenmeise wehmütig. Ein Schneesternchen fällt auf meinen Mantel und zerfließt, andere kommen angeschwebt, es werden immer mehr, und nun wird ein richtiger Schneefall aus dem zögernden Geriesel, der erst drüben die Fichten verschleiert, dann die Buchen überspinnt und mehr und mehr auch das Moor vor mir verhüllt. In der Dickung läuten Dompfaffen, irgendwo quarrt eine Krähe, und unsichtbare Zeisigflüge zwitschern über mich fort.

Dichter fällt der Schnee, immer unsichtiger wird die Luft. Morgen werde ich eine schöne Neue haben und die Sauen gut spüren können. Darum steige ich in guter Laune von der Pirschwarte herab. Bescherte sie mir auch heute keine Beute, so ließ sie mich doch allerlei buntes Leben sehen.


 << zurück weiter >>